Unser Redakteur Marco Bertram ist derzeit auf dem Balkan unterwegs und hat dabei immer den ehemaligen eisernen Vorhang (Iron Curtain) im Blick. Jetzt liefert er eine eindrucksvolle aktuelle Fotoreportage aus Vukovar, das während des Kroatien-Kriegs, der von 1991 bis 1995 andauerte, zum Symbol des verheerenden Balkan-Konflikts wurde. Im Herbst 1991 schlugen täglich bis zu 8.000 Granaten ein, insgesamt kamen allein in Vukovar über drei Millionen Geschosse zum Einsatz. Wochenlang wurde die Stadt von jugoslawisch-serbischen Truppen belagert und schließlich eingenommen. Die nicht-serbische Bevölkerung wurde komplett vertrieben, viele kamen bei den Kampfhandlungen und Massakern ums Leben. Aber wie sieht die Stadt heute aus und wie "erleben" die Menschen ihren Alltag?
Vukovar - Spuren des Kroatienkriegs
HotMit dem Auto fahren wir von Osijek kommend bei sonnigen Wetter nach Vukovar. Bereits am Abend zuvor besuchten wir ein Mahnmal für getötete Kroatien im Gebiet um Osijek. Zahlreiche brennende Kerzen und rot-blau-weiße Kränze lagen vor dem Mahnmal. Links und rechts der Straße liegen abgesperrte Gebiete. Schilder warnen vor Bodenminen an Feldrändern und in Gebüschen. Noch immer befinden sich in Bosnien-Herzegovina und Kroatien tausende nicht gehobene Bodenminen...
Bereits vor Vukovar sehen wir die ersten vom Krieg zerstörten Gebäude. Zwischen neu verputzten Häusern fristen verfallene Einfamilienhäuser ihr Dasein. Einschusslöcher in den Fassaden zeugen von den heftigen Kämpfen im Herbst 1991. Am Straßenrand steht ein Panzer als Mahnmal. Auch im Zentrum von Vukovar befinden sich noch zahlreiche zerstörte Gebäude. Fassaden nicht sanierter Wohnblocks haben hunderte Einschusslöcher. Die Spuren des Krieges sind noch allgegenwärtig, wenn gleich sehr viel wieder neu aufgebaut wurde. In Vukovar kehrte wieder Leben ein. In der kleinen Fußgängerzone trinken die Einwohner kawa z mljekom oder pivo in den Straßencafés. Die jungen Leute wirken fröhlich und geschäftig. Die älteren Gesichter wirken dagegen teilweise sehr gezeichnet.
Am Stadtrand von Vukovar befindet sich der Wasserturm, der herbe Kriegsspuren zeigt. Es gleicht einem Wunder, dass dieser Turm nicht zu Fall gebracht wurde. Riesige Wunden großer Granateneinschläge klaffen in dem Turm aus Stahlbeton und Ziegelsteinen. Der Wasserturm wurde zum Symbol für den Kroatien-Krieg und die sinnlose Zerstörung. Ähnlich wie die Brücke in Mostar als Symbol für den Krieg in Bosnien-Herzegovina wurde. Es geht mir sehr nahe, diesen Wasserturm zu sehen, in dem jetzt die Tauben gurren. Selten ging mir eine Stadt so nahe wie Vukovar.
In der Innenstadt singt ein Männerchor ein melancholisches Lied: Hrvatska - ja volim te! Kroatien - ich liebe dich! Die Passanten sind bewegt und klatschen. An einem Stand informieren NATO-Soldaten und kroatische Soldaten über Kroatiens Eintritt in die NATO. DVDs und Broschüren werden kostenlos verteilt. Die Leute wirken zögerlich und skeptisch, aber nicht ablehnend.
Am Ufer der Donau - dortiger Grenzfluss zu Serbien - steht ein großes weißes Kreuz. Im Zentrum der Stadt wird gerade eine große Ruine wieder aufwändig saniert und aufgebaut. Doch an anderer Stelle lässt man die Trümmer und Ruinen stehen. So auch ein ehemaliges Einkaufszentrum. Die Schaufenster sind nur noch hässliche dunkle Löcher. Heftige Einschlagslöcher zeugen von den Granatentreffern. Graffiti überzieht die düsteren Wände. Aus manchen zerfallenen Gebäuden wachsen Bäume. Doch gleich nebenan steht wieder ein Gebäude, das im neuen Glanz erstrahlt. Überall wehen kroatische Fahnen. So auch auf dem Wasserturm am Rande der Stadt. Vukovar musste von den Kroaten im Herbst 1991 nach schweren Kämpfen aufgeben werden, doch endgültig gefallen ist diese Stadt nicht. Die kroatische Armee konnte 1995 weite Teile des Landes wieder in der Aktion Sturm zurückerobern. Vukovar wurde wieder eingegliedert...
Tief bewegt von den Eindrücken fahren wir weiter zum Grenzübergang auf einer Brücke der Donau. Vorbei geht es durch die kleine Ortschaft Trpinja. An einem Gemeindehaus weht die kroatische Flagge. Daneben eine Flagge der serbischen Minderheit. Das Leben geht weiter. Es muss weiter gehen. Gemeinsam. In der Umgebung wohnen immer noch auch Serben, die in dieser Region spezielle Rechte bekommen haben. Dies war Teil des Friedensplans in den 90er Jahren.
Über Vukovar:
Vukovar wurde im Herbst 1991 wochenlang von jugoslawisch-serbischen Truppen belagert und schließlich eingenommen. Die nicht-serbische Bevölkerung wurde komplett vertrieben, viele kamen bei den Kampfhandlungen und Massakern ums Leben. Im gesamten Kroatien-Krieg, bei dem die kroatische Armee und kroatische paramilitärische Truppen gegen jugoslawische Truppen und serbische Truppen der Republik Serbische Krajina kämpften, kamen über 15.000 Menschen ums Leben.
Im Herbst 1991 schlugen täglich bis zu 8.000 Granaten ein, insgesamt kamen allein in Vukovar über drei Millionen Geschosse zum Einsatz. Die Stadt wurde so gut wie komplett zerstört, und erst im Jahr 1997 konnte die kroatische Bevölkerung wieder zurückkehren. Der Wiederaufbau konnte beginnen. Von den einst rund 80.000 Einwohnern leben jetzt nur noch 35.000 Menschen in Vukovar.
Text & Fotos: Marco Bertram