Tatort Serbien: Die Berglandschaft bei Pirot und Caribrod. Ein Bergpfad am Bergmassiv der Berkovska Planina. Dichtes Gebüsch am schlammigen Wegesrand. Wildes Hundegebell. Ein Ruf aus der Ferne. Schüsse ertönen. Zwei-, dreimal. Ob Kugeln oder Schrot – das blieb ungeklärt. Direkt hinter uns brach jaulend ein Hund zusammen.
Schüsse in den serbischen Bergen – mit dem Rad durch Srbija
Mit unseren Tourenfahrrädern sahen wir schleunigst zu, dass wir Land gewannen. Ohne Rücksicht auf Kleidung und Fahrrad kämpften wir uns auf dem steinigen, mit Schlammpfützen übersäten Bergweg voran. Erst zwei Kilometer weiter auf einer freien Hochebene hielten mein Begleiter und ich wieder und schauten uns ratlos an. Die Fahrräder und die Satteltaschen waren mit braunem lehmigem Schlamm überzogen. An einer Pfütze in einer kleinen Senke säuberten wir notdürftig Ketten und Gangschaltungen. Der Zwischenfall kam völlig aus der Kalten. Für uns blieb es ein absolutes Rätsel, ob Kugeln oder Schrot uns oder dem streunenden Hund gegolten haben. Auf jeden Fall muss es ein serbischer Schafhirte gewesen sein, der die Schüsse abgefeuert hatte. Eventuell hatte er Viehdiebe oder verwilderte Hunde hinter der Hecke vermutet. Seine Hirtenhunde hatten auf der Wiese auch ordentlich Rabatz gemacht.
Wohl kaum hatte er Touristen vermutet, die sich mit Fahrrädern durch die Wildnis nahe der serbisch-bulgarischen Grenze schlugen. Oder eben doch? Fazit: Völlig abseits der Straßen sollte man in Serbien vorsichtig sein. Hunderttausende Schusswaffen befinden sich auch Jahre nach dem Balkankrieg in zivilen Händen! Der Zwischenfall in der abgelegenen Bergregion bei Pirot war allerdings der einzige negative Höhepunkt auf unserer Radtour, die quer durch das nordöstliche Serbien von Horgos an der serbisch-ungarischen Grenze bis nach Dimitrovgrad (Caribrod) an der serbisch-bulgarischen Grenze führte. Ganz besonders in der nördlich gelegenen Region Vojvodina trafen wir durchweg freundlich gesinnte Menschen. Die Herzlichkeit der Einwohner war in jedem Laden und an jeder Straßenecke zu spüren.
Häufig versuchten uns Einheimische zu helfen, wenn wir mit den Fahrrädern hielten und einen prüfenden Blick in das Kartenmaterial warfen.
Auf der Reise quer durch Serbien abseits der Hauptrouten waren quasi keine ausländischen Touristen anzutreffen. Ausgenommen die größeren Städte, in denen man ab und zu Gäste aus Ungarn oder Bulgaren sah. In Serbien gibt es noch viel zu tun. Nach dem Bosnienkrieg und dem Kosovo-Konflikt lag die Tourismusindustrie praktisch völlig am Boden. Noch immer gibt es viele Vorbehalte, was Serbien betrifft. Die Anekdote am Anfang dieses Berichts trägt sicherlich nicht sonderlich dazu bei, diese zu entkräften ... Doch die Anekdote soll zeigen, dass man trotz der positiven Entwicklung, die Serbien bestreitet, nicht völlig sorglos durch abgelegene Gegenden reisen soll. Insbesondere im südlichen Serbien in den Grenzregionen zu Mazedonien und zum Kosovo ist nach wie vor Vorsicht geboten.
Im Prinzip verhält es sich wie bei Brasilien. Vorsicht und gesunder Respekt sind auf der einen Seite geboten, auf der anderen Seite wird der Besucher überrascht sein von so viel Herzlichkeit und Gastfreundschaft! Ist man in Serbien mit dem Fahrrad unterwegs, so wird man zudem meist positiv von den guten Straßenverhältnissen überrascht sein. Selbst kleine Nebenstraßen sind häufig hervorragend asphaltiert. Mehr als zufrieden stellend ist auch die Versorgungslage. Sogar in kleinsten Ortschaften und abgelegenen Dörfern existiert ein „mala trgovina“ – ein kleiner Dorfladen, der das Nötigste anbietet.
Eine Möglichkeit, irgendwo einzukehren oder ins Gespräch zu kommen, findet sich meist auch ziemlich schnell.
Für Übernachtungen bietet es sich meistens an, größerer Städte anzusteuern, denn dort wird man immer ein Zimmer bekommen.
Die großen Hotels aus jugoslawischen Zeiten sind meist nur mäßig belegt, ja manchmal ist man sogar der einzige Gast. Trotzdem werden einem morgens zum Frühstück die Spiegeleier frisch gebraten. Im nordöstlichen Serbien ist auf jeden Fall ein Abstecher in die Stadt Vrsac zu empfehlen. Eine hübsche sanierte Innenstadt, viele Cafés und zahlreiche Einkaufsmöglichkeiten lassen den Aufenthalt in Vrsac nicht langweilig werden.
Interessant und empfehlenswert sind zudem die Weinberge rings um Bela Crkva, die schier endlosen Sonnenblumenfelder der Vojvodina, der Donauabschnitt entlang der serbisch-rumänischen Grenze und die Bergregion bei Pirot – so lange man sich nicht auf völlig abgelegene Pfade begibt ...
Text & Fotos: Marco Bertram