Vysoké Tatry. Man nennt diesen westlichsten Ausläufer der Karpaten auch das "kleinste Hochgebirge der Welt". Für eine mehrtägige Wanderung ist die Hohe Tatra in der Tat überaus gut geeignet. Auf kleinem Raum gibt es eine Vielzahl an schroffen Bergen, die über 2.000 Meter hoch und auf schmalen Bergpfaden besteigbar sind. Des weiteren laden etliche "Chata" zum rustikal gemütlichen Übernachten ein. Zu zweit Dritteln gehört die Hohe Tatra zur Slowakei, zu einem Drittel zu Polen. In beiden Ländern steht sie als Nationalpark unter besonderem Schutz und gehört zum Biosphärenreservat der UNESCO.
Die Hohe Tatra – das kleinste Hochgebirge der Welt
MB
Marco Bertram
Updated
18 Januar 2018
Im Sommer 2004 waren die turus-Redakteure in der Hohen Tatra unterwegs, um dort einerseits den Nationalpark zu dokumentieren und um andererseits sich körperlich für kommende Projekte vorzubereiten. Entstanden ist während der Tour ein ausführlicher Reisebericht:
Nachdem wir zu zweit mit dem Zug von Berlin aus bis Strba fuhren, stiegen wir dort in die Zahnradbahn um, die uns ins etwa 1300 Meter hoch gelegene Strbske Pleso brachte. Dort versorgten wir uns in einem Supermarkt mit dem nötigsten und gingen die erste Etappe zum an der polnischen Grenze gelegenen Berg Rysy an. Dieser ist der höchste, auf normalem Bergpfad erreichbare Berg der Slowakei und der allerhöchste Berg von Polen.
Auf dem 2499 Meter hohen Rysy ist es möglich, legal die Grenze zwischen der Slowakei und Polen zu passieren. Ansonsten gibt es in der Hohen Tatra kaum Möglichkeiten, auf Wanderwegen die Grenze zu überqueren.
Der erste Abschnitt bis Popradske Pleso war einfach begehbar und kaum anstrengend. Interessanter wurde es auf dem roten Bergpfad, der zum Gipfel des Rysy führte. Unten am Fuße des Tals konnte man sich an einem kleinen Unterstand einen Sack mit Kohlebrocken greifen und ihn mit zur Chata pod Rysmi schleppen. Je nach Wunsch 5 oder 10 Kilogramm. Auf mehreren Sprachen wurde man auf einem Schild dazu ermutigt zuzupacken. Für 5 Kilogramm erhalte man einen Tee, für 10 geschleppte Kilogramm des wertvollen Brennstoffs erhalte man einen Tee mit einem kräftigen Schuss Rum.
Ich ließ mich nicht zweimal bitten, beließ es jedoch bei einem Inhalt von 5 Kilogramm. Den Beutel musste man mit der Hand tragen, und er schnürte bereits bald in den Händen. Nachdem die Baumgrenze erreicht war, und der steinige Weg steiler und eine Serpentine wurde, stellte sich der Kohlebeutel schon bald als Hindernis dar. An einer Stelle war der Weg über Felsen mit Ketten abgesichert, und es galt, sich mit den Händen festzuhalten und abzusichern. Den Beutel hätte ich liebend gern an dieser Stelle abgelegt, doch ich hielt durch und brachte die schwarzen Brocken zur Berghütte.
Die Landschaft war grandios, und wegen des kühlen Frühjahres lagen noch große Schnee- und Eisfelder in den höheren Lagen der Hohen Tatra. Für 250 Kronen pro Person erhielten wir in der Chata pod Rysmi ein Bett im Gemeinschaftsraum. Die Preise waren gestaffelt. Slowaken und Tschechen bezahlten einen niedrigen Preis, Touristen löhnten das Doppelte, und die polnischen Besucher bildeten auf der Preisliste eine Extrarubrik.
Ohne Treckingrucksack legten mein Begleiter und ich die letzten Meter vom Chata bis zur Bergspitze des Rysy zurück. Der Pfad führte über ein Eisfeld, und man musste Acht geben, um nicht auszurutschen. Tagsüber machten sich regelrechte Massen auf, um den Rysy zu besteigen, doch es fiel auf, dass die überwiegende Zahl der Wanderer aus Polen, der Slowakei und Tschechien kam. Oben auf dem felsigen Gipfel drängelten sich die Wanderer, und ein Mann platzierte sein mitgebrachtes Hundchen auf dem Gipfelkreuz und machte ein rasches Erinnerungsfoto.
Die Chata pod Rysmi war überaus urig und gemütlich, und das angebotene Essen war schmackhaft, preiswert und erstaunlich vielfältig. Bedenkt man die Tatsache, dass alles (!) zu Fuß von den Sherpas vom Tal aus zur Chata getragen werden musste, glich das Angebot fast einem Wunder. Neben den köstlichen Kohl- und Fleischsuppen wurden Buchtys und Knödel gezaubert. Buchtys sind eine Art Hefeklöße, die mit ein wenig Obst und süßen Soßen serviert werden.
Das A und O ist in den Berghütten der Hohen Tatra der heiße Früchte-Kräuter-Tee, der bereits gesüßt aus einem großen Topf heraus in die Tassen geschöpft und für umgerechnet 50 Cent angeboten wird.
Nachdem die Massen sich gegen 16 Uhr ins Tal zurückbegeben mussten, um dort vor Einbruch der Dunkelheit einzutreffen, wurde es oben an der Chata pod Rysmi angenehm ruhig. Die steinerne, 2250 Meter hoch liegende Berghütte wurde bereits zweimal von Lawinen zerstört und anschließend wieder errichtet. Auf dem Dachboden waren etliche Betten untergebracht, auf denen man sich in seinem mitgebrachten Schlafsack einkuscheln konnte, während draußen in der Nacht der Wind pfiff und heulte.
Über Popradske Pleso ging es den Serpentinenweg hinauf zur Tatranska Magistrala, die sich von West nach Ost quer durch die Hohe Tatra am südlichen Rand entlang zieht. Vorbei am grandios gelegenen Batizovske Pleso wanderten wir zum Sliezky Dom, das ein wenig marode wirkte und osteuropäischen Charme der 70er Jahre verbreitete. Mit zwei polnischen Wanderern und zwei Tschechen, die sich trotz der sprachlichen Nähe auf Englisch unterhielten, teilten wir uns ein Sechsbettzimmer. Kurios war auch die Bedienung des dortigen Restaurants, die mit den beiden Polen auf Deutsch sprach, da sie das Polnische nicht verstehen konnten oder nicht verstehen wollten.
Der Sommer kehrte im Juli auch in der Hohen Tatra ein, und bereits am zweiten Tag hatte ich im Gesicht einen leichten Sonnenbrand. Vom Sliezky Dom ging es über das Bilikova Chata, Hrebienok und das Zamkovskeho Chata hinauf zum Teryho Chata, das man wirklich nur weiterempfehlen kann. Die Berghütten auf den Höhenlagen setzen auf einer Wanderung durch die Tatra einen Glanzpunkt und runden eine tagsüber anstrengende Bergtour abends angenehm ab. Die meist jungen Leute, die in den Chatas arbeiten, sind in der Regel überaus nett und sprechen generell auch Englisch oder Deutsch.
Beim Anstieg zur Teryho Chata zog dichter Nebel auf, und die Temperatur sank in recht empfindliche Bereiche. Beim Wandern und Klettern musste man Obacht geben, um nicht abzurutschen oder den Pfad zu verlieren. Häufig wurde man darauf hingewiesen, dass selbst erfahrene Kletterer und Sherpas während der letzten Jahre ums Leben gekommen waren. Insgesamt starben während der vergangenen Jahrzehnte über 1000 Menschen in der Hohen Tatra, von den vielen Verletzten pro Jahr ganz zu schweigen. Zwar ist die Hohe Tatra flächenmäßig ein kleines Gebirge, und die Gipfel gehen selten über 2500 Meter hinaus, doch die Pfade, Pässe und Sattel können tückisch sein, und schnell kann das Wetter umschlagen oder sich ein Stein lösen.
Während draußen das Quecksilber auf 5 Grad Celsius sank, saßen wie gemeinsam mit einer deutschen Schülergruppe und anderen Wanderern in der Berghütte und ließen es uns bei Tee, Bier und Knoblauchsuppe gut gehen. Die vielleicht sechzehnjährigen Schüler beließen es jedoch nicht bei Suppe und Bier, sondern tranken Wodka und andere Spirituosen in erheblichen Mengen. Folge war, dass die ersten sich schnell übergeben mussten, und am kommenden Morgen nur eine kleine Auswahl die Route über den recht gefährlichen Priecne Pass wählte.
Auch wir zogen es beim Anblick der Schneefelder und Steilwände vor, die Route über die Velka Studena Dolina zu nehmen. Der Priecne Pass, der nur von einer Seite aus besteigbar ist, machte keinen guten Eindruck, und mein inneres Gefühl sagte mir, es mit unseren schweren Rucksäcken nicht darauf ankommen zu lassen. Mit dem Teleobjektiv konnte ich bereits beobachten, wie zwei junge Leute eine halbe Stunde an einer Stelle der Steilwand festhingen und sich Meter für Meter an dem nur mit Ketten gesicherten Pass hocharbeiteten. Ausschlag gebend für die Umkehr war letztendlich die Tatsache, dass ich in der Ferne einen heftigen Steinschlag vernehmen konnte.
Das Wetter wurde zunehmend kühl, doch es blieb weitestgehend trocken. Tagesziel war die Zbojnicka Chata, an der wir recht erschöpft am Nachmittag eintrafen. Nebel, Kälte, Regen und Graupel kamen auf, und es schien, als sei man im Winter unterwegs. Das Thermometer am Außenklo zeigte die erreichte Null-Grad-Marke an, und die Mitarbeiter der Berghütte durften uns an jenem Abend unzählige Male Tee einschenken...
Um halb sieben standen wir am kommenden Tag auf, aßen ein kleines Frühstück und nahmen den 2288 Meter hohen Prielom in Angriff. Der Anstieg war spannend, und außer uns waren nur zwei junge Slowaken unterwegs. Die Temperatur lag noch immer um den Nullpunkt, und die Sicherungsketten oben am Pass waren gefroren. Ohne Handschuhe schmerzten schon bald die Hände, doch die Ketten waren für einen sicheren Abstieg lebensnotwendig. Zwischen dem Prielom und dem Polsky hreben blieb es spannend und interessant. Der dortige Bergsee war teilweise zugefroren und auf 2100 Meter Höhe mussten wir ein langes Schneefeld überqueren.
Der Abstieg zum Sliezky Dom war dagegen recht unspektakulär. Weiter ging es an jenem Tag noch bis zum Popradske Pleso, wo wir im dortigen Moravka Hotel übernachteten. Wir gönnten uns ein Doppelzimmer und konnten nach einigen Tagen mal wieder richtig duschen, nachdem es an den anderen Chatas nur möglich war, sich mit eiskaltem Wasser oder mit dem liegen gebliebenen Schnee zu erfrischen.
Am 13. Juli wollte ich die Tour 13 in Angriff nehmen. Mein Begleiter wählte eine andere Strecke, und wir wollten uns am späten Nachmittag in der erst 2003 errichteten Chata pod Soliskom treffen. Die gelb eingezeichnete Tour über den Bystre war der für mich anstrengendste Abschnitt der Tatra-Wanderung. Mit schwerem Rucksack hatte ich Mühe, Schritt zu halten, und leicht löste sich Geröll vom Pfad. Kurz vor dem spaltenförmigen Pass, der wieder mit Ketten gesichert war, musste ein seitlich steil abfallendes Eisfeld überquert werden. Im Fall des Abrutschens, wäre es nicht möglich gewesen, wieder Halt zu finden. Mit dieser Gewissheit arbeitete ich mich Meter für Meter voran. Der Abstieg auf der anderen Seite war dagegen wieder recht einfach und problemlos.
Die Chata pod Soliskom war sehr gemütlich und komfortabel, und wir waren die einzigen Gäste, die dort nächtigten. Da wir am kommenden Tag feststellen mussten, dass die Vazeska Chata, von der wir aus den Krivan besteigen wollten, inzwischen abgebrannt und abgerissen war, übernachteten wir ein weiteres Mal in der Chata pod Soliskom, bevor es von Strebske Pleso aus wieder mit der Bahn in Richtung Heimat ging.
Als kurzes Resumé sei gesagt, die Hohe Tatra übertraf meine Erwartungen, und die Freundlichkeit der jungen Slowaken in den Bergen war grandios. Für eine Wanderung von 5 bis 7 Tagen kann ich die Hohe Tatra wärmstens weiterempfehlen. Möchte man zwei Wochen vor Ort bleiben, sollte man die Niedere oder Westliche Tatra noch hinzunehmen, denn die Fläche der Hohen Tatra ist für gut geübte Wanderer in gut 7 Tagen abgelaufen.
Fotos: Marco Bertram
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