Eine Tour durch Brasilien, ein Aufenthalt in Rio de Janeiro, ein WG-Zimmer im Stadtteil Copacabana. An diesem Viertel scheiden sich die Geister. Zum einen die permanente Gefahr eines Überfalls am abendlichen Strand, zum anderen ein buntes Treiben in den Nebenstraßen. Entlang der Avenida Atlantica die Bars, in denen sich die Touristen tummeln und für viel Geld ihr Cerveja trinken, nur wenige Meter abseits authentische Kneipen, in denen vornehmlich Einheimische die Abende verbringen. Moderate Preise, skurrile Gestalten und häufig live Musik.
Copacabana: buntes Leben, zahlreiche Kneipen und skurrile Gestalten
Mit ein wenig portugiesisch und guter Laune wird man in diesen Kneipen lustige Stunden verbringen. Folgend ein Kapitel aus dem Buch "Saudade do Brasil - zwei Reisen quer durchs Land", das 2011 auf den Markt kommen wird.
In einer Querstraße befand sich eine kleine Bar, vor der ein paar Plastikstühle und Tische aufgebaut waren. Es gab 0,6er Flaschen eiskaltes Bier und improvisierte Live-Musik. Die Stimmung war genial. Nicht aufgesetzt, nicht touristisch, sondern absolut authentisch. Man traf dort fast ausschließlich Einheimische an und die Preise für das Antarctica und Skol waren äußerst moderat.
Direkt vor der Bar befand sich ein Kiosk, der gerade geschlossen wurde. Gewissenhaft nahm der Kioskbesitzer all die Zeitungen und Aushänge ab und schnürte Pakete aus den übrig gebliebenen Exemplaren. Die Atmosphäre war äußerst angenehm. Ein paar Leute tanzten auf dem Bürgersteig zu den gespielten Songs und die drei in der Bar beschäftigten Männer schafften die eiskalten Bierflaschen heran. Jens und ich ließen es uns gut gehen und beobachteten gerade wohlwollend das Szenario und die Passanten, als uns plötzlich ein Mann mittleren Alters ansprach.
»Oi, sou o seu porteiro...«
Wir stutzten. Wer war er?
Porteiro? Ah, jetzt dämmerte es. Er war der Portier unseres Hauses in der Avenida Nossa Senhora. Seine nass-klebrigen Haare waren sorgfältig auf die Stirn gelegt worden. Mit einem Lächeln schaute er uns an und fragte, weshalb wir nicht hinein an den Tresen gehen. Wir folgten ihm und stellten uns in der kleinen Bar an die gläserne Theke. In der Vitrine standen wahllos ein paar Teller und Schalen mit Kartoffeln, Würsten und Fleisch. Die Speisen sahen alles andere als frisch aus und sage und schreibe konnten wir am nächsten Abend die gleiche Anordnung wieder begrüßen. Der Laden sah nicht besonders hygienisch aus, da jedoch das Bier in Flaschen serviert wurde, hatten wir kein echtes Problem damit, auch wenn vereinzelte Kakerlaken über das angetrocknete Fleisch krabbelten.
Die Zeit in der Bar schien stehen geblieben zu sein. Zeitloses schmuddeliges Ambiente. Uralte bunte Preistafeln, die aus Steckbuchstaben bestanden und vor lauter schmierigem Fett glänzten. Bierkisten und Kartons, die sich in der Ecke stapelten. Regale mit aufgestellten Cachaça-, Honigwein- und Rum-Flaschen. Ein gelbroter Skol-Kühlschrank, aufgehängte Chips-Tüten und Notizzettel an der gefliesten Wand hinter dem Tresen. Dazu die drei Typen, die Tag ein, Tag aus jeden Abend den Laden am Laufen hielten. Ein älterer Mann mit Lesebrille auf der Nase, der die Zettelwirtschaft führte, und zwei Männer mittleren Alters, die die Gläser wuschen und die geöffneten Flaschen in die Plastikboxen stellten und austeilten.
Höhepunkt des Abends war der Portier, der sich in guter Trink-Laune befand und für uns ein Bier nach dem anderen bestellte. Der Lachpegel stieg. Ich wendete mein gesamtes Portugiesisch-Repertoire an und versuchte, jegliche Wörter aus meinem Wortschatz zu kombinieren. Cerveja Antarctica und Skol lösten zunehmend die Zunge und das Gespräch wurde immer skuriler und abstruser. Die Augen des Portiers waren hellblau und die Pupillen klein und stechend. Mit seinen eindringlichen Augen schaute er uns an und bestellte mit einer Handbewegung ein weiteres Bier.
Der Oberhammer war das Klo. Einfach ein Pissbecken hinter einem Vorhang in der Ecke. Nach ein paar Flaschen Bier war einem jedoch das äußerst skurile Pissoire ziemlich wurscht, wenn man schwankend ins das kleine Becken strullerte.
Es wurde Nacht. Zwischendurch kam ein weiterer Typ herein. Anfang zwanzig. Er trank regungslos eine Cola und starrte an die Wand. Er rauchte eine Zigarette und verließ wieder wortlos die Bar. Ich fühlte mich an die Filme »Smoke« und »Blue in the face« erinnert, in denen verschiedenste kuriose Gestalten einen Kiosk im New Yorker Stadtteil Brooklyn aufsuchten und diverse Alltagsgespräche führten.
»Vamos. Mais uma cerveja...«, schlug der Portier vor und bestellte eine weitere Flasche. Dabei fasste er sich ein wenig nervös in den Schritt.
Zwei Bier später machte Jens Faxen und umarmte mich. Ich schob ihn lachend zur Seite und fragte ihn aus Spaß, ob er ein »Veado« sei. Bei dem Wort »Veado«, das auf portugiesisch »Hirsch« bedeutet und in Bezug auf Schwule als Schimpfwort gebraucht wird, zuckte der Portier zusammen.
Noch zwei Bier und wir waren weit nach Mitternacht die letzten Gäste in der Bar. Schwankend verließen wir das nette Etablissement und fanden uns auf der ruhigen dunklen Straße wieder.
»Vamos a Lapa ... com um taxi ...«, lallte der Portier und winkte sogleich ein vorbeifahrendes Taxi auf der Avenida Nossa Senhora heran.
Wohin? Lapa? Jens und ich waren völlig strack. In was für eine Bar? Spinnt der Kerl? Der Porteiro kam mir merkwürdig vor. Seine stechenden Pupillen. Sein Griff in den Schritt in der Bar. Jens und ich hatten das Gefühl, dass er etwas kombinierte. Mit uns etwas plante.
»Jens, ich glaube, er will heute noch ne Alte aufreißen ...«, bemerkte ich und lachte.
»Kann er ja... Aber ohne mich... Ich kann nicht mehr.«
»Hey, der Typ hat doch voll die Schacke. Also ich geh auch ins Bett. Ich kann auch nix mehr trinken. – Ähm, agora vamos a dormir. Estamos muito cansados«, teilte ich dem Porteiro mit.
»Não, vamos a Lapa! Mais cervejas. Muitas garotas ...«, entgegnete er und hielt das erstbeste Taxi an.
Es half nichts, Jens und ich mussten den Portier einfach am Straßenrand stehen lassen. Schwankend suchten wir uns anschließend unseren Weg zur Unterkunft und warfen uns völlig knülle ins Bett.
Fotos: Marco Bertram
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