Rotlichtviertel? Nutten? Prostitution? Liebesabenteuer? Manaus? Amazonien? Sicher, der Vergleich mit Hamburg St. Pauli hinkt ein wenig, doch auch rund um die Oper und am Hafen geht es in den späten Abendstunden durchaus verrucht zur Sache. Ein Abstecher in eine Spelunke kann abenteuerlich werden. Nimmt man einen vor scheinbar nichts Angst habenden englischen Globetrotter mit zur Seite, so kann ein Abendspaziergang so manch eine Überraschung parat haben. Folgend ein Kapitel aus dem Buch "Saudade do Brasil", das 2011 auf den Markt kommen wird. Im Buch werden die überaus abenteuerlichen und abwechslungsreichen Brasilien-Reisen in den Jahren 1996 und 2008 beschrieben, bei denen Überfälle, eine Busentführung, aber auch zahlreiche witzige und liebevolle Erlebnisse auf der Tagesordnung standen.
Abenteuerliche Abende im Rotlichtviertel von Manaus
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Der Engländer Nigel war stets allein unterwegs. Keineswegs trug er die Kleidung, die man solch einem Globetrotter zuordnen würde. Sein Hemd und seine Hose waren stets sorgsam gebügelt und statt des Treckingrucksacks hatte er einen Koffer dabei. Nigel wollte stets stilvoll durch die Lande ziehen, aber sich trotzdem richtig in das Leben stürzen. Er war für jeden Spaß zu haben, doch wollte er nicht als verschwitzter Rucksacktourist die Welt kennenlernen.
Er berichtete mir, dass er die verruchtesten Ecken Lateinamerikas kenne. Kolumbien - dort war was los gewesen. Yeah, Bogotá, das war ein Spaß. Oder die nächtliche Busfahrt von Medellin zur peruanischen Grenze - das war finster.
Ich fragte ihn, wie es denn mit Manaus stehe. Auch nicht schlecht, gab er zur Antwort. Hier könne man auch richtig was erleben, er sei schon seit einigen Tagen in dieser Stadt. Sogleich fragte er mich, ob wir nicht mit ihm abends ausgehen wollen. Er kenne sich bereits ganz gut aus.
Kathrin fühlte sich an jenem Abend nicht wohl und so zog ich allein mit Nigel los. Gestriegelt kam er von seinem Zimmer zurück. Ein blütenweißes Hemd und eine frische Bügelfaltenhose gaben ihm das Aussehen eines Geschäftsmannes und nicht eines Reisenden, der weltweit das pure Abenteuer suchte. Ich schüttelte innerlich den Kopf und ahnte, dass dies ein lustiger Abend werden könnte.
Und wahrlich - er wurde lustig. Ich war erstaunt, wie sich das Bild rings um das Opernhaus zu später Stunde geändert hatte. An jeder Treppe und an jedem Mäuerchen stand eine Prostituierte und wartete auf Kundschaft. Leicht bekleidete Frauen mit großen Oberweiten winkten und lächelten.
»He, Marco! I´ll ask these women, where it´s possible to take a drink«, meinte Nigel und ging bereits auf die vor dem Teatro Amazonas stehenden Frauen zu.
»What are you doing?«
Ich war sprachlos. Kaum waren wir aus dem Haus, da sprach er die ersten Nutten an. Meine Fresse, wie ist dieser Typ nur drauf? Womöglich sei er nur auf sexuelle Eskapaden aus. Schon tippelten neben uns vier junge Damen, die uns die Straße entlangführten. Ehe ich mich versah, hatte sich bei mir eine der Brasileiras untergehakt und lächelte mich an. Oh Scheiße, wie nur aus dieser Situation herauskommen? Hilflos schaute ich hinüber zu Nigel. Dieser zwinkerte mir nur schelmisch zu.
Mit schnellen Schritten näherten wir uns einer Nachtbar. Die vier Garotas zeigten bereits erfreut mit dem Finger auf den Eingang. Schnell einen leckeren Drink. Dann ein wenig Herumalberei und ein wenig Smalltalk. Und dann könne es zur Sache gehen. Die vier Brasileiras sahen ja auch verdammt gut aus. Knackiger Hintern, feste Brust. Alles Paletti. So dachte vieleicht Nigel. Halt, Stopp! Ich hatte keine Lust auf ein Sexabenteuer! Nur wie aus der Sache wieder herauskommen? Ich wollte auch nicht wie ein kleines feiges Kind davonlaufen. Es blieb mir nichts anderes übrig als abzuwarten, was passiert.
Wir waren an der Nachtbar angekommen. Erwartungsvoll schauten uns die vier Brasileiras an. Die eine zog mich bereits noch dichter an sich heran. Nigel warf einen flüchtigen Blick in die Bar und meinte völlig trocken:
»He, it´s nice here. Okay, that´s fine. Thank you very much!«
Er lächelte die vier Frauen an und bedankte sich dafür, dass sie uns den Weg zu der akzeptablen Nachtbar gezeigt hatten. Unschlüssig standen sie vor dem Eingang und waren ratlos, was diese Worte nun zu bedeuten haben. Nigel kümmerte sich nicht weiter um die Belange der Frauen und führte mich in die Bar, wo gerade Livemusik gespielt wurde.
Ich war von den Socken. Am Tisch fragte ich ihn lachend, ob er auf all seinen Reisen diese Masche abzog. Ja, teilte mir Nigel mit, er fragte stets die Prostituierten der Stadt. Ist doch logisch, sie kennen sich am Besten aus und wissen Bescheid, was auf den Straßen so läuft. In Brasilien sei dies eindeutig der beste Weg, um zu wissen, was geht. Nur in Bogotá war selbst er ein wenig vorsichtiger und verzichtete auf die Ratschläge der Nutten. Aber hier in Manaus sei alles prima und absolut im Rahmen.
Mit seiner noblen, gepflegten und zugleich außergewöhnlichen Kleidung zog Nigel sämtliche Aufmerksamkeit auf sich. Er spielte seine Rolle verdammt gut. Das musste man sagen. Er klatschte höflich nach jedem gespielten Song und lud einen Obdachlosen, der an der Bar herumlungerte und sich unmittelbar vor dem Rauswurf befand, zu einem Bier ein.
»It´s great, it´s a wonderful evening«, betonte er immer wieder und stieß mit mir an.
Ich sollte Manaus richtig kennenlernen. Aus diesem Grund machten wir einen ausführlichen Spaziergang über die nächtlichen Straßen, auf denen sich eine Menge Gesindel herumtrieb. Schnurstracks lief er auf ein Bierbüdchen zu, das selbst zu dieser späten Zeit geöffnet hatte. Auf Plastikstühlen saßen ein paar Brasilianer. Es handelte sich um finstere Typen mit unberechenbaren Gesichtszügen. Nigel bestellte ein paar Flaschen Bier und reichte sie den Sitzenden, die nicht schlecht staunten. Er gab jedem die Hand, klopfte ihnen auf die Schultern und stellte uns vor. Der Kerl musste einfach nur wahnsinnig sein. Selbstverständlich wollte nun jeder Brasileiro auch mir im Gegenzug die Hand schütteln. Tätowierte und vernarbte Typen lächelten mich an und nickten mit dem Kopf.
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Ich drängte Nigel zum Weitergehen. Ach was, die Kerle seien echt in Ordnung, erzählte er mir wenig später.
In Bogotá, ja, da gab es ein paar Gestalten ...
Wir schlugen den Weg in Richtung Hafen ein, dort kannte er ebenfalls eine gute Bar. Am Hafen sei es sowieso immer am lustigsten.
Ich traute meinen Augen kaum, in was für eine Spelunke er mich hineinführte. Es war eine Art Saloon, deren große Türen weit geöffnet waren. Im Saal saßen eine Menge Leute an runden Tischen und blickten auf eine Bühne, die sich über der Bar als Empore befand. Die Menge grölte und klatschte, und die Frauen auf der Bühne gaben ihr bestes.
Niemand saß an der Theke, weil man von dort aus die über einem befindliche Bühne nicht sehen konnte. Nigel ging mit langen Schritten direkt auf die Theke zu und nahm auf einem Barhocker Platz. Nun konnte man all den Leuten direkt in die Gesichter schauen. Hafenarbeiter, Goldgräber und Kriminelle. Männer, die ultrabrutal aussahen.
Kräftige Oberarme, Tätowierungen, fette Goldketten und vernarbte, freie Oberkörper. Düster drein schauende Gestalten, die Frauen in hohen schwarzen Lederstiefeln in ihren Armen hielten. Männer, die beim Anstoßen die Bierflaschen heftig Scheppern ließen.
Nigel bestellte mir ein Getränk mit, sah sich um und nickte zustimmend mit dem Kopf. So war es recht, so hatte er Gefallen dran. Immer hinein ins pralle Leben, immer hinein in die übelste Spelunke, in die Höhle des Löwen, ins Herz der Kriminalität.
»No problem...«, meinte Nigel. Man müsse stets auf die Leute zugehen, dann passiere nichts, dann werde man von ihnen akzeptiert.
Mir würde nicht im Traum einfallen, auf solche Leute freiwillig zuzugehen.
»Nigel, in my opinion it is really gloomy here!« gestand ich.
»Yes, that´s right. It´s a little bit gloomy. But only a little bit!« meinte er lachend.
Gloomy. Düster und finster. Dieses englische Wort traf die Stimmung am treffendsten. Seitdem ist dieses Wort für mich belegt. Höre ich »gloomy«, dann fällt mir die Hafenbar ein, aus der Nigel einfach nicht wegzubewegen war. Hastig trank ich das Bier, doch er genoss in Gemütsruhe die Atmosphäre und wollte einfach nicht gehen.
Tatsächlich kam der Zeitpunkt, an dem selbst Nigel es vorzog, den Ort des Geschehens zu verlassen. Eine angetrunkene Frau näherte sich uns, rekelte sich und legte ihre Arme auf Nigels Schultern. Sie lallte unverständliche Worte und riss sich anschließend das Oberteil vom Körper. Ihre pralle Brust kam zum Vorschein.
Sie schmiegte sich an Nigel, der sich nichts anmerken ließ. Es näherte sich ein glatzköpfiger, braungebrannter Mann mit langsamen Schritten. Schon dachte ich, es gebe ordentlich Prügel, doch der Mann befahl Nigel die Frau zu küssen.
Nigel hob die Augenbrauen und schaute ihn verwundert an. Wieder befahl er, sie zu küssen. Ohne zu widersprechen tat er es. Die Frau lachte, fuhr mit ihrer Hand seinen Oberschenkel entlang und meinte, sie würde gleich wiederkommen. Ihr Oberteil wieder zurechtrückend, torkelte sie in Richtung Toilette.
Nigel griff mich am Arm und meinte, es wäre besser jetzt zu gehen. Auf dem Weg zu unserer Hospedaria erzählte er mir, man könne alles machen, man müsse nur den Moment erkennen, wenn es ernst und brenzlig wird. Dann sei schnelles Handeln gefragt, sehr schnelles Handeln.
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