1.378 Kilometer zog sich die deutsch-deutsche Grenze von Nord nach Süd quer durch das Land. Mittlerweile gehört das so genannte Grüne Band zum Iron Curtain Trail, der vom Nordmeer bis zum Schwarzen Meer verläuft und mit dem Rad befahren werden kann. Bevor jedoch diese Route entworfen wurde, ging es zu Fuß entlang des Eisernen Vorhangs von Prex nach Priwall - einst im Jahrhundertsommer 2003. Später folgten Radtouren von der Ostsee bis auf den Balkan und in die Türkei. Folgend ein Kapitel aus dem Tagebuch der sechswöchigen Wanderung, die gemeinsam mit Karsten Höft in Angriff genommen wurde.
Lochplatte für Lochplatte auf dem Kolonnenweg: Weimarschmieden als Etappenziel
Waren wir auf dem Kolonnenweg unterwegs, zählte ich die Lochplatten. Wanderten wir am Rand einer Straße, zählte ich die Kilometerschilder. Schon bald kannte ich sämtliche Arten der Schilder. Am liebsten waren mir die, die alle 100 oder 200 Meter an der Leitplanke oder an den Markierungspfosten befestigt waren. Auf ihnen waren auch die Straßennummer zu sehen, und es dauerte nicht lange, bis das nächste Schild hinter der kommenden Kurve sichtbar wurde. Als nicht sehr motivierend stellten sich die einfachen Kilometerschilder heraus, die meist in den alten Bundesländern Verwendung fanden. Nur alle 500 Meter tauchte solch ein Schild auf, und das System der Kilometer war nicht immer eindeutig. Bei ersteren Schildern konnte man problemlos bis zur nächsten Ortschaft oder zur nächsten großen Kreuzung runterrechnen.
Achtsam musste man auf den Landstraßen wegen der Fahrzeuge sein. Manch ein jugendlicher Autofahrer schnitt mit seinem getunten Golf gefährlich die Kurven, so dass man sich ab und zu an die Leitplanke pressen musste. Das Ohr war meist wichtiger als das Auge, denn mit dem mittlerweile geübten Ohr konnte man bereits horchen und erahnen, was hinter der Kurve auf einen sorglos zuraste. Es gab auch Autofahrer, die ließen einem mit Absicht wenig Platz auf dem Seitenstreifen. Während der Wanderung von Süd nach Nord quer durch die deutschen Lande hatten wir so einige Erfahrungen sammeln können. Aus diesem Grund waren wir froh, wenn wir den Kolonnenweg oder einen parallel zur Grenze verlaufenden Wanderweg nutzen konnten.
Am frühen Abend trafen wir in Weimarschmieden ein, wo sich das nördlichste Gasthaus von Bayern befand. Zuvor wurden wir beim Passieren des Grenzstreifens auf die Tafel 21 des sogenannten Friedenswegs aufmerksam. Auf dieser Tafel war zu erfahren, wie es am 16. Juli 1984 zwei Brüdern aus Meiningen gelang, im Raum Helmershausen – Gerthausen bei Weimarschmieden die Grenzanlagen ungeschadet zu überqueren. Der 28-jährige Stephan und der 19-jährige Thomas hatten Glück, da an dieser Stelle gerade der Grenzsignalzaun erneuert wurde. Am Minenstreifen angekommen, warfen sie einen Klappspaten voraus und krochen vorsichtig nach. Der letzte Sperrzaun war zu hoch zum Überklettern, und zudem bemerkten sie trotz der Dunkelheit die Drähte, die bei Berührung oder beim Zerschneiden die tödlichen Selbstschussanlagen auslösen würden. Mit dem Klappspaten gruben sie einen Tunnel unter den Zaun. Sie benötigten für diese Arbeit zwei Stunden, da der Grenzzaun tief in die Erde hineinreichte. An der Nordostecke der Gemarkung Weimarschmieden gelang ihnen schließlich die Flucht in den Westen. Zwei Jahre später wurde der ältere Bruder am 2. Juli 1986 bei der Einreise in die DDR an der Grenzübergangsstelle Hirschberg festgenommen und wegen der Beschädigung des Antifaschistischen Schutzwalls zu 4 Jahren und 6 Monaten Haft verurteilt. Ende 1987 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen und durfte wieder in die BRD ausreisen.
In Weimarschmieden angekommen, kamen wir mit dem Wirt des Gasthauses »Zur Weimarschmiede« ins Gespräch und fragten ihn, ob es eine Möglichkeit gebe, preiswert in einem Zimmer des Gasthauses zu übernachten. Wir schilderten ihm die Details von unserer Wanderung und schenkten ihm eine Kopie von dem Zeitungsartikel der Frankenpost. Ich hatte einen ganzen Batzen Kopien dabei, um sie interessierten Leuten als Andenken zu geben.
»Zimmer vermieten wir leider noch nicht. Die obere Etage wird noch ausgebaut, doch wenn ihr wollt, könnt ihr im Garten euer Zelt aufschlagen.«
Das war doch eine gute Nachricht. Zur Feier des Tages gab uns der Wirt noch eine Runde Rother Apfelbier aus, das köstlich und erfrischend schmeckte. Während Karsten und ich erschöpft das Apfelbier schlürften, erzählte der Wirt aus seinem Leben.
Ursprünglich kam er aus Duisburg und war acht Jahre bei der Bundeswehr tätig. Anschließend war er beruflich häufig im Außendienst unterwegs. Sich nach ein wenig Ruhe sehnend, wurde er zufällig auf das leer stehende Gasthaus zur Weimarschmiede aufmerksam. Mit seiner Frau hatte er es im Herbst 2002 neu eröffnet. Das Gasthaus laufe ganz gut, und ab und an gebe es in der Region eine große Jagd mit über 90 Jägern, die anschließend bei ihm gebührend feiern.
Weimarschmieden hatte zu jenem Zeitpunkt 70 Einwohner, und der Bus kam nur einmal am Tag um sechs Uhr in der Frühe vorbei.
Damit wir auch in der Nacht die Toilette benutzen konnten, vertraute uns der Wirt den Schlüssel für den Keller an. Nach dem reichlichen Apfelbier war dies auch nötig, denn in meinem Bauch gärte es recht verdächtig, und so einige Male stieg ich vorsorglich aus dem Zelt, schlich über den Rasen hinüber zum Haus und suchte den richtigen Weg durch den Keller. Vorbei an Waschmaschine, Heizkessel und Regalen.
Am kommenden Morgen wurden wir mit einem üppig ausfallenden Frühstück auf Kosten des Hauses überrascht. Brotkorb, Wurstteller und frischer Kaffee warteten auf uns im sonnigen Schankraum des Gasthauses. Genau solche netten Momente sorgten für den nötigen Motivationsschub für die jeweiligen anstehenden Etappen.
> zur turus-Fotostrecke: deutsch-deutsche Grenze
> Infos zur Wanderausstellung: Bereits Gras über der deutsch-deutschen Grenze?
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