Knarre am Kopf und Todesangst - Busüberfall im Norden Brasiliens

 
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altÜbler geht es wohl kaum. Auf eigene Faust unterwegs in Lateinamerika und die böse Überraschung kommt ganz aus der Kalten. Kein Taschendiebstahl in einer Touristengegend oder ein Raubüberfall in einer Favela - nein, in diesem Fall erfolgte der Überfall während einer Nachtfahrt mit dem Linienbus von Goiânia nach Belém kurz hinter Imperatriz im Norden Brasiliens. Anfangs als Fahrgäste getarnt, kaperten zwei bewaffnete Männer den Bus, zwangen den Busfahrer von der Hauptstraße abzubiegen, anschließend wurde jeder Fahrgast einzeln ausgeraubt. Folgend ein Kapitel aus dem Buch "Saudade do Brasil", das 2011 auf dem Markt erscheinen wird und in dem die ausgedehnten Brasilien-Reisen von 1996 und 2008 beschrieben werden.


altNach einigen Metern stoppte der Bus. Zuerst vermutete ich eine Panne, doch konnte ich mir nicht vorstellen, dass dies der Grund war, die Hauptstraße zu verlassen. Oder ging es ab nun über eine schlammige Sandpiste weiter? Hatte ich nicht gelesen, dass die Strecke Goiânia – Brasilia – Belém komplett asphaltiert ist?
Im Augenwinkel vernahm ich eine schlagartige Bewegung.
Etwas metallenes blitzte auf.
Der auf der anderen Seite sitzende Mann war mit schnellen Bewegungen aufgesprungen, hatte einen Revolver gezogen und ließ ihn nun in alle Richtungen kreisen. Dabei schrie er einige Sätze auf Portugiesisch, seine Augen dabei wild aufreißend.
Mein erster Gedanke war, daß er völlig ausrastete und wütend über die Unterbrechung der Fahrt war. Möglicherweise laufe er im Kopf nicht ganz rund. Er machte ja schon zuvor einen seltsamen Eindruck. Der Mann schien mir völlig durchgeknallt.
Diese Annahme verflog sehr bald, denn der Mann hämmerte mit seiner Faust gegen die Fahrerkabine. Die Tür flog auf, und ein zweiter Typ mit übergezogener Strumpfmaske kam hinzu. Auch er hielt eine Waffe in der Hand.
Eines wurde klar: Die Lage war sehr ernst. Dies war ein Überfall. Unser Bus wurde entführt! Fassungslos starrte ich die beiden Männer an. Das kann doch nur ein böser Alptraum sein. Die Angelegenheit schien seit Anfang an, seit dem Verlassen des Busbahnhofs von Imperatriz, eine abgekaterte Sache zu sein.
Draußen war absolute Dunkelheit. Mitten im Urwald stand unser Reisebus auf einem Sandweg. Der Motor war mittlerweile aus, und die Notbeleuchtung glimmte vor sich hin.
Wieviel Pech kann man eigentlich auf einer Reise haben, fragte ich mich. Wie kriminell ist dieses Land, dieses verfluchte Brasilien?!

altWar Rio nicht schon genug? Hatte man unsere Naivität nicht schon bestraft? Gingen nicht bereits Geld und Wertgegenstände am Strand der Copacabana verloren?
Der Mann mit der Strumpfmaske trat nach hinten durch, und sein Komplize mit dem Revolver blickte zu mir, redete auf mich ein und zeigte auf den Innengang.
Ich verstand kein einziges Wort, und mein Herz raste. Sollte ich mich auf den Gang knien? War ich, weil ich zufällig in der ersten Reihe saß, das erste Opfer? Sollte ich mich nun hinhocken oder hinlegen?
Hält er mir gleich die Knarre an den Kopf, um der Ernsthaftigkeit des Überfalls Nachdruck zu verleihen? Bei solchen Entführungen müssen doch westliche Touristen als erstes dran glauben, oder nicht? Nackte Angst lähmte mich. Ich hörte bereits den todbringenden Knall des Revolvers und sah mein Blut auf den Gang spritzen.
 »Ele não fala português! Ele não entienda ti!«
Kathrins eindringliche Worte kamen im rechten Moment.
Nachdem Kathrin dem Entführer verständlich machen konnte, dass ich seine Worte nicht verstehe, wurde er ungeduldig. Er meinte, ich solle nun endlich mein Geld auf den Gang legen.
Nun verstand auch ich halbwegs das Gesagte. Nicht ich sollte mich auf den Mittelgang legen, sondern mein Geld sollte sich schnellstmöglich dort befinden.
Nervös griff ich in meine Hosentaschen. Mir wurde noch heißer, als mir eh schon war.
Ich drehte mich zu Kathrin und flüsterte:
 »Hast du noch Geld? Ich habe nur noch Kleingeld!!«
 »Nein, ich glaube nicht. Ich gab dir doch vorhin alles. Du weißt doch, wir wollten erst in Belém wieder Reiseschecks umtauschen.«
 »Was soll ich denn jetzt machen?«
 »Lege das Kleingeld einfach schnell auf den Gang, es ist ja dunkel hier im Bus.«
Ich nahm einen Realschein und eine Handvoll Münzen und legte sie auf den Boden des Reisebusses. Leise klimperte das Geld. Ich schrak bei diesem Geräusch zusammen. Was passiert, wenn er diese dürftigen Almosen bemerkt? Er wird sich auf den Arm genommen fühlen und wütend werden.
Diese Gedanken bereiteten mir große Sorgen, waren wir doch als Ausländer und Touristen ohne weiteres erkennbar. Ich erwartete bereits die nächsten drohenden Worte, doch der Mann ging mit seiner Waffe weiter und befahl den Insassen des Busses, die Augen zu schließen und den Kopf zu senken.
Im Bus herrschte bedrückende Stille, nur das tiefe, angsterfüllte Atmen und leise Wimmern der Leute war zu vernehmen. Mit fest zugedrückten Augen presste ich mich in den Sitz. Meine Hände krallten sich in das Polster.
 »Es wird schon gut ausgehen. Sie wollen sicherlich nur das Geld, und dann verschwinden sie...«, flüsterte Kathrin und ergriff meine Hand.
Es war ein beruhigendes Gefühl, ihre Hand zu spüren. Ich war überaus froh, dass sie neben mir saß, und drückte ihre Hand fest. Mit dem Zeigefinger streichelte ich über ihre Haut. Ich atmete tief ein und betete, dass die Sache ein rasches und gutes Ende finden würde.

altGing nicht auch der abendliche Überfall in Rio de Janeiro glimpflich über die Bühne? Uns wurde einiges an Geld und Reiseschecks abgenommen. Armbanduhren und meine Fotokamera gingen ebenfalls verloren, doch hatten wir nicht Glück, dass Kathrin und ich nicht verletzt wurden? So schnell, wie die Männer an der Copacabana kamen, so schnell waren sie auch wieder in der Dunkelheit verschwunden. Konnte es nicht auch im Bus so schnell über die Bühne gehen?
Das Geräusch der klimpernden Münzen unterbrach von Zeit zu Zeit die Stille. Hinter uns jammerte leise ein jüngeres Ehepaar. Direkt neben mir hörte ich schweres Atmen.
Vorsichtig blinzelte ich mit einem Auge und sah den Mann mit der Strumpfmaske. Sein Gesicht war hässlich verzogen. Die Waffe hielt er schußbereit in der Hand. Bedrohlich und kalt ragte der Lauf mit der schwarzen Mündung in den Raum.
Ich erwartete, dass er uns ein zweites Mal ansprechen und mehr Geld verlangen würde. Ich kniff meine Augen wieder zu und spürte, wie sich Schweiß auf meiner Stirn sammelte. An den Schläfen perlten die ersten Tropfen ab.

altIch hörte das Wimmern der Mitreisenden hinter mir. Ein verkrampftes Schluchzen bereitete mir Gänsehaut. Meine größte Furcht war, dass wir als Geiseln genommen oder Kathrin und ich getrennt würden.
Während ich das Horrorszenario im Kopf weiter ausspielte, drehte sich der Maskierte um und ging nach draußen, von wo das Rumpeln der Gepäckfachklappen zu hören war. Der andere Mann lief auf und ab, und eine jüngere Frau sammelte das Geld mit einem Hut vom Fußboden auf.
Die Gesamtsituation war nicht mehr durchschaubar. Welche Rolle spielte die Frau? War sie Mitkomplizin oder wurde sie dazu gezwungen, das Geld einzusammeln? Offen blieb auch, ob sich draußen weitere Komplizen befanden. Der Busfahrer fiel als möglicher Komplize aus. Er saß auf einem Sitz, schüttelte seinen gesenkten Kopf und hielt seine Arme vor dem Bauch verschränkt.
Einige Minuten später verschwanden die Entführer mit den eingesammelten Wertgegenständen. Der Überfall schien überstanden, die Busentführung hatte ihr Ende gefunden.

> zur turus-Fotostrecke: Illustrationen von Nastasja Keller & Brasilien-Aufnahmen

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