Noch ist Serbien wahrlich kein Touristenmagnet. Abseits der großen Städte trifft man eher selten auf Reisende, ist man mit dem Fahrrad unterwegs, so sieht man in kleinen Dörfern und Ortschaften überaus überraschte Gesichter. Schnell kommt man ins Gespräch, meist sehr herzlich wird man von den Einheimischen willkommen geheißen. Vom serbischen Horgos an der serbisch-ungarischen Grenze bis hinunter zum bulgarischen Kjustendil erfolgte eine Radtour, die rund 750 Kilometer lang war und zirka zwei Wochen in Anspruch nahm. Nach der Anfahrt mit der Bahn erfolgte in Horgos der Sturz ins kalte Wasser. Balkan, Serbien, eine Reise ins Ungewisse...
Balkan-Abenteuer pur: Mit dem Fahrrad quer durch Serbien
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Die serbische Stadt Kikinda als Tagesziel. Wir zurrten noch einmal die Satteltaschen fest, kontrollierten, ob alles gut verstaut war, warfen einen Blick auf den entsprechenden Kartenausschnitt und wählten die Straße Zeleznicka in Richtung Zentrum. Das blau-weiße Straßenschild war dreisprachig. Zum einen stand der Straßenname mit kyrillischen, zum anderen mit lateinischen Buchstaben weiß auf blauem Untergrund. Des Weiteren gab es eine ungarische Version des Namens. In diesem Fall »Vasút Utca«.
Rings um einen Kreisverkehr im Ortskern waren ein paar Geschäfte angesiedelt, und auf der Straße in Richtung Kanjiza verließen wir auch schon wieder den Horgos. Am rechten Straßenrand wurde ich auf einen Laden aufmerksam, in dem man Geld tauschen konnte. Es war Sonntag, die Banken waren geschlossen, und somit nutzten wir dankbar diese Möglichkeit.
Mit roten Buchstaben »Menjacnica - Exchange - Pénzválto« wurde für diese Dienstleitung geworben.
»Dobar dan. Mogu exchange?« fragte ich den älteren Mann in dem kleinen Lebensmittelgeschäft.
»Koliko?«
»Cto Euro.«
»U redo.«
Die ersten Floskeln Serbisch wurden erfolgreich angewandt, und ich war zufrieden, dass alles reibungslos verlief. Bereits am ersten Tag konnte ich feststellen, dass die Unterschiede zwischen Serbisch und Kroatisch nur minimal sind. Im Norden Serbiens hörte ich sogar so gut wie keine Unterschiede heraus, erst später im südlichen Serbien gab es kleinere Verständigungsschwierigkeiten.
Karsten und ich tauschten insgesamt 100 Euro in serbische Dinar ein. Der Kurs war in Ordnung, und wir waren froh, ab nun in Landeswährung zahlen zu können.
Die Straße von Horgos nach Kanjiza war glatt und kaum befahren. Zu beiden Seiten der Straße erstreckten sich kilometerweit Maisfelder. Was sofort ins Auge fiel, waren die kleinen bunten Schilder, die vor den jeweiligen Doppelreihen platziert wurden. Auf den Schildern waren die Namen der jeweiligen Maissorten verzeichnet. Auf serbischen Feldern wurde so manch eine neue Maissorte getestet.
Auf dem gelben Ortsschild von Kanjiza wurde der Name auf kyrillisch und lateinisch geschrieben, in etwas kleinerer Schrift war zudem »Magyarkanizsa« zu lesen. Das Gebiet um Kanjiza gehört zur autonomen Region Voivodina, die sich in Nordserbien erstreckt. Eine beachtliche Minderheit in der Voivodina ist ungarischen Ursprungs, und dies spiegelt sich auch in der unterschiedlichen Namensgebung und Verschriftlichung wieder.
Gleich hinter dem Ortseingang wurde für freie Zimmer auf einem Trafoturm geworben. Mit blauen Buchstaben wurde »Sobe – Family – Zimmer frei« auf den orangefarbenen Putz gemalt. Im grenznahen Gebiet zu Ungarn gab es noch reichlich private Übernachtungsmöglichkeiten, später wurden diese Möglichkeiten eher rar, und man musste auf die wenigen vorhandenen Hotels zurückgreifen.
Kanjiza hatte eine nette, ansehnliche Innenstadt und wir stießen sogar auf einen Old Tisa Pub. Doch Zeit für ein Bier blieb nicht, es war mittags, und bis zum geplanten Tagesziel waren noch einige Kilometer zurückzulegen.
Weiter ging es auf gut asphaltierten und kaum befahrenen Straßen nach Novi Knezevac, Banatsko Arandelovo und Podlokanj. Vorbei an Sonnenblumen- und Maisfeldern. Schnurgerade durch die Landschaften der völlig ebenen Voivodina. Endlos bis an den Horizont zogen sich die mittlerweile abgeblühten Sonnenblumen. Welch ein herrlicher Anblick muss es noch wenige Wochen zuvor gewesen sein, als leuchtend gelbe Blumen zu Millionen die Felder überzogen.
Alles war perfekt am ersten Tag der Tour. Bis auf zwei Dinge. Zum einen holte ich mir an den Armen und im Gesicht einen leichten Sonnenbrand, da ich die Septembersonne völlig unterschätzt hatte. Zum anderen nervten tausende kleine Fliegen, die sich auf Kleidung und Haut festsetzten. Manchmal war es wie ein feiner Hagelschlag, wenn man durch eine Wolke dieser Fliegen fuhr. Unzählbare kleine Fliegen prasselten einem aufs Gesicht und verfingen sich in den Haaren und an der Kleidung.
Wir befürchteten, dass es die kommenden Tage so bleiben würde, doch mit den kleinen Fliegen hatten wir nur am allerersten Tag zu kämpfen.
Einen angenehmen Zwischenstopp hatten wir in Banatsko Arandelovo nahe des Sportplatzes des FK Slavia. Vor einem türkisfarben angestrichenen kleinen Laden standen ein paar Sonnenschirme und Plastikstühle, auf denen bereits ein paar Dorfangehörige saßen und Bier zu sich nahmen. Beachtlich waren die Öffnungszeiten des Ladens in der Uliza Partizanska, täglich von 6 bis 23 Uhr konnten dort die lebensnotwendigen Dinge zum Leben erworben werden.
Wir begnügten uns mit einer kleinen Flasche Bier und einer Cola und streckten die Beine für ein paar Minuten aus. Es war das erste Mal, dass wir mit dem »Jelen Pivo« in Kontakt kamen. Dieses Bier war zum Zeitpunkt unserer Tour sehr in Mode und fast landesweit erhältlich. Täglich wurden in der Fernsehreklame zahlreiche prägnante Spots für Jelen Pivo ausgestrahlt, und viele Straßenkneipen und Cafés wurden komplett mit Jelen Pivo Möbeliar ausgestattet.
Auf Serbisch durfte ich einen Smalltalk halten und dem Ladenbesitzer erklären, was wir alles mit den Rädern vorhaben. Als ich die kommenden Etappenziele aufzählte, wurde dies mit einem Staunen quittiert. Oha, Vrsac, Bela Crkva, die Dunav ...
Sehr angetan vom erfrischenden Jelen Pivo und von Serbien als solches machten wir uns weiter auf den Weg. In den kleinen Dörfern stieß man häufig auf interessante Fahrzeuge, so wurde ich auch auf einen roten Zastava 101 GTL 55 aufmerksam, der am Straßenrand sein Dasein fristete. Am Heck haftete ein vergilbter »West«-Aufkleber, und auf der anderen Seite des Nummerschildes klebte ein fettes »YU«.
Insgesamt betrachtet war es ein Start, wie er besser kaum sein konnte. Die ersten Serben, mit denen wir Kontakt hatten, waren sehr freundlich und aufgeschlossen, die Straßen waren sehr gut befahrbar, und die Versorgungslage war in sämtlichen Ortschaften bestens. Nur mit meiner Kleidung und meiner körperlichen Verfassung war ich noch nicht ganz zufrieden. Die Radlerhose schien viel zu eng, und es fühlte sich an, als sei im Genitalbereich alles abgeschnürt. Es war das erste Mal, dass ich mit Radlerhose fuhr, aus diesem Grund war dies anfangs noch ungewohnt, doch zwei Tage später sollte auch dieses Problem nicht mehr so präsent sein.
Auch mit meiner Fitness war es schon bald wieder besser bestellt. Die Beine waren bereits am kommenden Tag wieder in gewohnt guter Form.
Von Banatsko Arandelovo aus ging es rasch über Podlokanj, Vrbica (auf ungarisch Egyházaskér), Crna Bara und Mokrin nach Kikinda. In Mokrin legten wir an einem kleinen Lebensmittelladen einen Halt ein. Ich fotografierte das gegenüber liegende Haus, an dem »Milana volim te!!!« gesprayt war, und den Laden mit dem davor aufgebauten Getränkekühlschrank. Anschließend betrat ich den Laden, griff eine Flasche Wasser und einen Schokoriegel und ging zur Kasse. In der Zwischenzeit betrat auch ein Polizist den Laden und schaute sich um. Als die Verkäuferin etwas fragte, dachte ich, sie spreche mit dem Polizisten und nahm gar keine Notiz davon. Erst als ich das serbische Wort »slika« hörte, das »Bild« bedeutet, horchte ich auf und realisierte, dass die Verkäuferin mich meinte.
Sie fragte recht forsch, ob ich sie fotografiert hatte.
»Slika? Ne, ne. Samo trgovina!« antworte ich.
Ich gab ihr zu verstehen, dass ich nur den Laden als solches fotografiert hatte. Der Polizist hörte neugierig zu, was mir gar nicht behagte. Ich verspürte keinerlei Lust, bereits am ersten Tag mit der serbischen Polizei in Kontakt treten zu müssen.
Die Verkäuferin schüttelte nur verwundert den Kopf und gab mir das Wechselgeld raus. Erleichtert griff ich meine Sachen, verabschiedete mich höflich und ging ins Freie.
Als ich mich vor dem Laden auf das Gras legte und einen kleinen Jungen beobachtete, der sich auf sein viel zu großes Damenrad schwang, merkte ich, wie etwas an Armen und Beinen brannte. Man musste sehr genau hinschauen, um die winzigen rotbraunen Ameisen zu erkennen, die auf der Haut krabbelten.
Gut zwei Stunden später rollten Karsten und ich in der nordserbischen Stadt Kikinda ein. Wir peilten das Hotel Narvik an und buchten an der Rezeption ein Doppelzimmer für eine Nacht. Die Sache lief in Serbien sehr unkompliziert ab. Man sagte, was man wollte, dann gab man seinen Reisepass, und schon erhielt man seinen Zimmerschlüssel. Sämtliche Formulare füllte stets die Dame an der Rezeption aus. Am kommenden Morgen gab man den Zimmerschlüssel wieder ab, zahlte die Rechnung, und man erhielt Reispass und eine ausgefüllte Registrierkarte, die bei der Ausreise an der serbischen Grenze abzugeben war, zurück.
Das Hotel Narvik befand sich unmittelbar im Zentrum der Stadt, war ein kaum zu übersehener Betonklotz und hatte seine besten Tage lange hinter sich. Immerhin kostete ein Doppelzimmer für eine Nacht stolze 4.800 serbische Dinar, dies sind umgerechnet knapp 60 Euro. Auf dem Papier hatte das Hotel Narvik 4 Sterne, was in Anbetracht der doch eher schlichten Zimmer ein wenig merkwürdig wirkte.
Fortsetzung folgt!
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