In einem Hotel tauschten wir 100 Euro gegen 240 Reais ein und machten uns auf den Weg zur U-Bahnstation Siqueira Campos. Beim Gang zur Metro verloren wir kurzzeitig die Orientierung und fanden uns vor einer Treppe wieder, die hinauf zur Favela Ladeira dos Tabajaras führte. Auf der Rua Tonelero gelangten wir schließlich zum U-Bahneingang. Die Linie 1 mit der Länge von 16,1 Kilometern von Cantagalo nach Saens Peña wurde am 15. März 1979 eröffnet. Die 22,4 Kilometer lange Linie 2 von Estácio nach Pavuna in der Zona Norte wurde am 19. November 1981 der Öffentlichkeit übergeben.
Unterwegs mit Rio de Janeiros moderner Metro
Als ich das erste Mal im Juni 1996 in Rio weilte, fuhr die Linie 1 nur bis zur Station Botafogo. 1998 wurde die Linienführung bis Cardeal Arcoverde im Stadtteil Copacabana verlängert. 2002 erfolgte die Erweiterung bis Siqueira Campos, inzwischen führte die Linie 1 sogar bis Cantagalo. Kompliziert war der Ausbau des Streckenabschnitts zwischen Botafogo und Cardeal Arcoverde. Der Tunnel musste in das harte Felsmassiv zwischen Botafogo und Copacabana gesprengt und gehauen werden.
Die Stationen der Metro wirkten teilweise schlicht und kühl, waren jedoch immer sehr sauber und ordentlich. Ventilatoren sorgten für einen frischen Luftzug, kein Krümelchen Dreck lag auf Treppen und Bahnsteigen und auf manchen Stationen lief dezente Musik.
Jens und ich fuhren bis Central, wo sich ein großer Bahnhof befand, von dem Nahverkehrszüge ins Umland von Rio de Janeiro fuhren. Beim Anblick der großen Bahnhofshalle hätte man meinen können, von dort fuhren in aller Regelmäßigkeit Züge in die verschiedensten Metropolen. Dem war jedoch nicht so. Die Eisenbahn spielte im Jahr 2008 keine Rolle, sämtliche wichtigen Städteverbindungen wurden von diversen Busgesellschaften bedient. Allerdings wurde zur Zeit gerade eine neue schnelle Zugverbindung von Rio nach São Paulo geplant, die bis zur Fußballweltmeisterschaft 2014 eröffnet werden soll.
Als ich in der Bahnhofshalle mit einer kleinen Digicam ein paar Filmaufnahmen anfertigte, sprach mich ein Wachmann an und forderte mich auf, diese Tätigkeit einzustellen. Beim Gang durch den hinteren Ausgang des Bahnhofs konnten wir feststellen, dass sich dort ein Favelaviertel unmittelbar anschloss. Wir schlugen eine andere Richtung ein und spazierten in ein altes Viertel. In der Nähe der Kreuzung Rua Conceição / Avenida Marechal Floriano setzten wir uns vor ein Fischrestaurant und bestellten zwei Guaraná-Limonade. Statt den Erfrischungsgetränken brachte der Kellner zwei Cuba Libre. Uns war es auch recht – Cola mit Rum schmeckte auch hervorragend bei der Hitze. Ein wenig Angst bereiteten mir nur die Eiswürfel in den Gläsern. Ich erinnerte mich an die Amazonastour, auf der Kathrin und ich Amöben bekamen. Die üble, vom Fieber begleitete Kotzerei in der Nacht in der Hospedaria in Santarém würde ich niemals vergessen und ich hatte mir fest vorgenommen in Sachen Trinkwasser in Zukunft wirklich vorsichtig zu sein.
Im Zentrum von Rio war gut was los. Bei brütender Hitze strömten die Leute die Bürgersteige entlang und kreuzten die breiten befahrenen Straßen, die von modernen Hochhäusern gesäumt wurden. Die Avenida Presidente Vargas gingen wir hinunter bis zur Kirche am Praça Pio X. Dort bogen wir rechts in Richtung Stadtteil Flamengo ab. An einem Postamt in der Rua Primeiro de Março machte Jens halt und wollte 15 Briefmarken kaufen. Die Dame am Schalter versuchte, ihm gleich einen ganzen 30er Block anzudrehen.
Am Parque do Flamengo wollten wir zu Fuß nach Glória weiterlaufen. Einfach immer an der Avenida Infante Dom Henrique entlang. Wir mussten feststellen, dass am dortigen Grünstreifen eine Menge Gestalten herumtigerten, an den Palmen lehnten und die Gegend inspizierten. Kurzerhand bogen wir Richtung Metrostation Cinelândia ab und nahmen die Linie 1 bis zur Station Cardeal Arcoverde in Copacabana. Der dortige Bahnhof war wegen seiner felsigen Röhren sehr beeindruckend. Die langen Gänge waren bunt beleuchtet und somit völlig anders als die meist trostlosen U-Bahnhöfe in Berlin. Ein wirklich lobenswerte fortschrittliche Angelegenheit waren die »Carros das Mulheres«, die Waggons für Frauen, welche am Morgen zwischen 6 und 9 Uhr und am Abend zwischen 17 und 20 Uhr ausschließlich den weiblichen Fahrgästen zur Verfügung standen.
Von der Station Arcoverde aus waren es nur wenige Meter bis zum Luxushotel Copacabana Palace, das auch im Frühjahr 2008 noch der Platzhirsch an der Avenida Atlantica war. Ein deutscher Mitarbeiter eines im Erdgeschoss befindlichen Juweliers lud uns zu einem Smalltalk ein und zeigte uns ein paar Prospekte. Einige Jahre arbeitete er in Kanada, seit fünf Jahren war er nun in Rio de Janeiro beschäftigt. Charmant wollte er uns dazu überreden, die Edelsteinschleiferei und Ausstellungsräume in der Rua Garcia D´Ávila in Ipanema zu besuchen. Man würde uns auch ganz bequem mit einem Shuttlebus hinbringen. Jens und ich blieben höflich distanziert und schlenderten lieber stattdessen am Strand von Copacabana entlang.
Am frühen Abend kamen die aktuellen Nachrichten bei TV Globo. Vom Helikopter aus wurde eine erschossene Person gezeigt, die mitten im Berufsverkehr auf einer extrem befahrenen Hauptstraße im Zentrum von São Paulo lag. Der Verkehr schob sich links und rechts neben der Leiche zähfließend vorbei. Passanten standen ratlos umher. Blut floss aus der Schusswunde und bildete eine dunkle Pfütze auf dem Asphalt. Auf einem anderen Kanal war eine Sendung zu sehen, in der die Elitetruppen der brasilianischen Polizei aufs Korn genommen wurden. Harte Kerle mit pink farbenen Schuhen spielten in der leicht übertriebenen Parodie die Mitglieder der Tropa de Elite.
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