Dunkle Silhouetten vor Anker liegender Frachtschiffe, schwach beleuchtete Hebebühnen und gespenstisch wirkende Krananlagen lagen zur rechten Seite. Das rote Licht auf der Spitze eines Schornsteines spiegelte sich auf der Wasseroberfläche des Rio Negros. Sanfte Wellen reflektierten die weißen Lichter der Stadt und brachten sie zum Tanzen. Die Sonne war bereits vor Stunden hinter den Wäldern verschwunden, noch lange bevor unser Schiff vom Hauptstrom des Amazonas in den Rio Negro einbog. Man sah sofort, dass Manaus keine idyllische Kleinstadt im Urwald war. Ganz im Gegenteil. Vom Wasser aus wurde mir klar, was sich hinter den weit dahinziehenden Anlagen des Industriehafens verbarg.
Manaus: Spannendes Ziel einer Amazonien-Reise
Eine wirtschaftlich sehr bedeutende Stadt, die so einiges in die Container der Frachtschiffe brachte, so einiges aus den Schornsteinen in die Atmosphäre blies und so einiges in die Fluten des Rio Negros schwemmte. In Manaus wurde seit jeher kräftig gearbeitet, viel produziert und reichlich exportiert. Die Bilder Santaréms - immerhin drittgrößte Stadt im Norden Brasiliens - und Manaus unterschieden sich bereits während der Anfahrt gänzlich. Es war kein Vergleich. Bei der Anfahrt auf Manaus hätte man denken können, man steuere den Frachthafen Rotterdams an.
Das Bild änderte sich etwas, als wir in den Hafen der vielen weißen, geschwungenen Linienschiffe einliefen. Hier war alles wieder so, wie man es in Amazonien gewohnt war. Mit einem Ruck legte das Schiff zwischen zwei anderen Schiffen an einem Steg an. Die Holzpfähle knarrten und die außen befestigten Gummireifen gaben quietschende, ächzende Geräusche von sich.
Manaus. Wir waren am vorläufigen Endziel. Doch noch mussten wir uns ein paar Stunden gedulden, bis wir über die Straßen der Stadt entlanglaufen durften. Es machte keinen Sinn, das Schiff mitten in der Nacht zu verlassen und somit blieben wir wie die meisten anderen Passagiere auf dem Deck und verweilten die Stunden bis zum Morgengrauen in den Hängematten. Ruhe kam während dieser Zeit nie auf. Irgendwelche Personen packten ständig ihre Sachen zusammen, sprangen anschließend ans Ufer und machten sich auf den Weg. Schlafen wollte ich nicht. Mit einem Auge beobachtete ich wachsam das Geschehen, konnte doch jedermann das Schiff von Land aus betreten und schauen, ob etwas zu holen sei. Irgendwann siegte dennoch die Müdigkeit.
{module ads}
Geweckt wurde ich Stunden später durch die lebhafte Unterhaltung mehrerer Brasilianer. Lauthals wurde diskutiert, wer von ihnen weiß, braun oder schwarz sei. Das Thema »Hautfarbe« brachte die Männer und Frauen im mittleren Alter richtig in Rage. In einer Hängematte lag ein dunkelhäutiger Mann und blickte gedankenverloren zur Decke, an der die vielen Haken befestigt waren. Die anderen schielten des öfteren zu ihm hinüber und amüsierten sich köstlich. Ja, der da, der sei schwarz. So richtig schwarz. Schwarz wie ein Moor. Sie selber seien dagegen weiß. So war jedenfalls ihre Annahme. Sie lachten und verglichen ihre Arme, Hände und Füße. Da standen sie. Allesamt waren sie braun wie der feinste Kakao aus Bahia. Schwarze Haare kräuselten sich auf dem Haupt, und trotzdem machten sie sich über ihren Landsmann lustig, der nur wenige Farbnuancen dunkler war als sie. Tatsächlich dachten sie, weiß zu sein wie feinster Rübenzucker.
Langsam rötete sich der Horizont, der Sonnenaufgang stand bald bevor, und die Schwärze des nächtlichen Himmels wich allmählich dem leuchtenden Blau. Nach und nach verschwanden auch die hartnäckigsten Sterne, die Sichel des Mondes war bereits seit Stunden nicht mehr zu sehen. Noch wenige Minuten und die ersten orangefarbenen Sonnenstrahlen fluteten über die Häuser hinweg.
Es war nun an der Zeit, die Sachen zu packen und das Schiff zu verlassen. Kathrin und ich rollten unsere Schlafsäcke zusammen und stiegen über die Reling auf den Steg hinab. Durchbrach erst einmal das Licht der Sonne die nächtliche Finsternis, wurde es mit einem Mal hell, genauso wie es umgekehrt am Abend innerhalb von Minuten dunkel wurde.
Zahlreiche Boote, Holzkähne und Schiffe jeglicher Größe lagen dicht an dicht an den Stegen und den Kaimauern. Doch wir hatten vorerst genug von Hängematten und Massenmahlzeiten. Wir freuten uns darauf, endlich wieder in einem normalen Bett einer Herberge zu schlafen und etwas anderes als Bratnudeln, Reis und Fleischgulasch zu speisen.
Aproveite, Promoção! Aproveite, Promoção!
Die Gelegenheit nutzen, Sonderangebot!
Kikão: 1 Real, Coca: 70 Centavos, Salgado: 60 Centavos, Agua: 50 Centavos, Tuchaua: 50 Centavos.
Man brauchte gar nicht weit laufen, und schon begegnete man den ersten Imbissständen, die ihre Sonderangebote auf blauen, gelben und roten Plakaten anpriesen. Rings um einen Park gab es reichlich Kulinarisches. Gewürzter Kuchen, süßer Bananenkuchen, Brotfladen, Würstchen, frittierter Maniok, Matetee, Guaranálimonaden und Cola. Nach der einseitigen Schiffskost konnte man es sich nun richtig gut gehen lassen.
Gerade verzehrten wir auf einer Steinbank gebackene Teigtaschen, als ich bemerkte, wie etwas in meinen Unterarm stach. Da war sie, die erste Mücke, die mir in Manaus Blut abzapfte. Ich bekam sie zu fassen, zerquetschte sie, und ein Tröpfchen Blut verteilte sich auf meiner Haut. Mücken, Manaus, feuchtheißes Gebiet, Amazonien, Blut, Malaria – schoss es mir durch den Kopf. Der Gedanke an die tropische Krankheit beunruhigte mich schlagartig. Skeptisch betrachtete ich den Mückenstich und überlegte, wie weit es her sei mit der Ansteckungsgefahr.
Noch in Belém nahm Kathrin als Prophylaxe Resochin und ich schluckte vorsorglich Lariamtabletten, doch setzten wir diese Medikamente wegen der möglichen heftigen Nebenwirkungen wieder ab. Wir hatten keine Lust auf schlaflose Nächte, Bauchkrämpfe und Halluzinationen. Zwar wurde mir vor der Reise von einem Tropenarzt erklärt, dass die Malariaansteckung in Großstädten wie Belém und Manaus so gut wie unmöglich sei, da es die Krankheiten übertragenden Moskitos nur in abgelegenen Sumpfgebieten gebe. Die kleinen Mückenlarven bevorzugen nur stehende Gewässer. Ausnahmen gebe es jedoch immer, dachte ich und betrachtete mit mulmigen Gefühl meinen kleinen Mückenstich.
»Was wollen wir jetzt machen? Gehen wir gleich zur Herberge?« fragte ich, um wieder auf andere Gedanken zu kommen.
»Zur Herberge können wir später gegen Mittag gehen. Wir können ja zur Oper spazieren, dort in der Nähe soll dann auch die Herberge sein. Vielleicht kann man sich ein Stündchen auf den Rasen hauen, ich bin nach der letzten Nacht völlig kaputt«, antwortete Kathrin und griff sogleich zum Rucksack.
Die Oper befand sich vom Hafen aus gesehen ein Stück stadteinwärts. Folgte man der Straße, die an dem Park und einigen Kaufhäusern - der große Schriftzug »BRASILEIRA« einer bekannten Kaufhauskette begegnete einem im ganzen Land - vorbeiführte, kam man geradewegs auf den großen Platz, auf dem das rosafarbene Teatro Amazonas stand. Die Kuppel mit seinen gelben, blauen und grünen Mosaiksteinen sah man bereits aus einiger Entfernung über die Häuser der Stadt hinweg, da sich die Oper erhöht auf einem kleinen Hügel befand.
Das berühmteste Bauwerk von Manaus war eine Pracht, nur schade, dass die Zeiten der täglichen Aufführungen vorbei waren. Den Glanz der alten Tage hatte dieses Bauwerk dennoch nicht verloren. Sorgfältig restauriertes Mauerwerk, rosafarbene Wände, weiße Säulen, Portale und Verzierungen sowie die in den Nationalfarben gehaltene Kuppel gaben dem Teatro Amazonas ein edles Erscheinungsbild. Bei der letzten Generalüberholung wechselte man den Farbton. Noch in vielen Reiseführern und auf etlichen Postkarten hatte die Oper ein zartblaues Antlitz...
(Der Text stammt aus dem Buch "Saudade do Brasil - Reisen von 1996 bis 2009", das im Herbst 2011 erscheint)
> zur turus-Fotostrecke: 166 Bilder aus Brasilien