Grenzenloses Reisen in Europa. Keine nervenden Grenzkontrollen. Eine Fahrt nach Budapest ist derzeit eine lockere, entspannte Angelegenheit. Vor 13 Jahren war das noch ganz anders. Fuhr man mit dem Nachtzug von Berlin nach Ungarn, so hielten einen besonders die slowakischen Grenzbeamten mächtig auf Trab. Besonders an der tschechisch-slowakischen Grenze liefen diese zur Höchstform auf. Seit Tschechien und Slowakei ab der Silvesternacht 1992/93 wieder ihre eigenen Wege gingen, wollten vor allen Dingen die Slowaken zeigen, wo der Hammer hängt. Nur mal so die Slowakei als Transitland nutzen? Nicht, ohne dass so richtig kontrolliert wurde!
Reiseabenteuer in den 90ern: Rausgezogen an der tschechisch-slowakischen Grenze
So auch im November 1998. Ein guter Freund und ich wollten einen kleinen Abstecher nach Budapest machen. Etwas Erholung. Die Budapester Thermalbäder aufsuchen. Kunst, Gastronomie und Kultur an der Donau.
Spannend wurde es auf der Hinfahrt. Krachend zog ein slowakischer Grenzbeamter die Abteiltür auf. Pass- und Zollkontrolle an der tschechisch-slowakischen Grenze. Damals ein echtes Highlight. Während draußen alles dunkel war und die Welt um uns herum schlief, waren die Slowaken in Uniform putzmunter und veranstalteten im Zug eine richtige Pasporti-Party.
„Hey, hey! Pasporti, Pasporti! Zackie, zacki! Schnell, schnell!“, rief der Beamte, der sich an der Abteiltür breitgemacht hatte. Ungeduldig schlug er mit seinem Notizheft auf die Handfläche. Mit finsterer Miene riss er anschließend die Papiere an sich. Mit meinem Personalausweis hatte der Beamte wenig Freude. Verächtlich pfefferte er diesen wieder in meine Richtung zurück. Jans Reisepass weckte dagegen weitaus mehr Interesse.
„Was iiiiiis das? Hey?! Wo sein Pasporti?!“, fragte der slowakische Grenzbeamte und drehte verächtlich den weinroten Pass, der bereits echte Gebrauchsspuren aufwies.
„Das ist mein Reisepass“, versuchte Jan höflich und ruhig zu erklären.
„Nix Pasporti! Nix Pasporti! Was das? Heeeee?!“
„Mein Reisepass, wie gesagt. Wieso?“
„Das nix so gehen! Mooooooooment!“, ließ der Beamte verlauten. Mit dem Pass in der Hand verschwand er am anderen Ende des Waggons.
Ein weiteres Mal wurde die Abteiltür scheppernd aufgerissen. Ein anderer Grenzbeamter steckte seinen Kopf rein und motzte:
„Pasporti!“
„Passport ist weg. Hat ihr Kollege...“, versuchten wir zu erklären und deuteten in die Richtung, in welcher der andere Beamte verschwunden war. Er nickte nur, schob die Tür wieder zu und ging strammen Schrittes zum Nachbarabteil.
Warten. Endloses Warten. Nichts tat sich. Draußen die Finsternis. Und ein trostloser Bahnsteig mit schwacher Beleuchtung.
Irgendwann kehrte der Grenzbeamte wieder zurück und befahl im militärischen Ton:
„Mitkommen!“
Jan erhob sich erschrocken und warf einen besorgten Blick zu mir hinüber.
„Tasche mitnehmen!“, wurde barsch befohlen.
Nun erhob auch ich mich. Keinesfalls wollte ich meinen Kumpel allein gehen lassen.
„Sie nicht! Nur er mitkommen!“, bekam ich zu hören.
„Wenn er aussteigen muss, komme ich auch mit!“, erwiderte ich nun auch streng.
Jan und ich schnappten unsere Taschen und folgten dem Beamten. Raus aus dem Zug. Quer über die Gleise, geradewegs zu einem alten Backsteingebäude. Die Lage schien ernst zu werden. Ich malte mir bereits unschöne Szenarien aus. Ein Einzelverhör. Eine Einzelzelle. Und das nur, weil Jans Reisepass ein wenig zerfleddert aussah. Sitten und Umgangston noch wie im Ostblock der 80er Jahre. Ich malte mir weitere Szenarien aus. Was, wenn sie heimlich etwas in die Taschen stecken. Drogen zum Beispiel. So etwas soll Touristen in Russland, Kasachstan, in afrikanischen Ländern und Lateinamerika widerfahren sein. Die Slowakei auf einer Ebene mit Venezuela? Eine bittere Vorstellung!
Im Armeeschritt über den Schotter der Gleisbetten zum Gebäude. Anschließend ging es flott die Treppe hoch. An einer Tür, die einer Gefängnistür gleich kam, läutete der Grenzbeamte eine Glocke. Prima! Die massive Gittertür unterteilte den langen, kalten Flur in zwei Abschnitte. Ein Polizist in Zivil kam misslaunig herbeigeschlurft. Dabei rückte er seine Hose zurecht. Im Nebenraum lief ein Fernseher. Hatte der Typ sich gerade einen runter geholt? Man weiß ja nie. Die Szenarien im Geiste wurden nun immer abstruser. Das kommt davon, wenn man völlig aus der Kalten in solch ein ekelhaftes Gebäude verfrachtet wird. Und nun? Leibesvisite? Nackt an die Wand? 12 Stunden lang?
„Warten! Hier!“, befahl der Beamte in Uniform und zeigte auf zwei Stühle mit braunem Kunstlederpolster, die einsam auf dem weiß gekalkten Flur ihr Dasein fristeten.
Meine Fresse, was für eine Horrorshow! Hinter uns wurde die Gittertür verriegelt. Anschließend verschwanden die beiden in einem Raum und zogen die Tür hinter sich zu. Jan und ich schauten uns ratlos an. Da saßen wir nun. Auf einer Polizeiwache an der Grenze zwischen Tschechien und der Slowakei. Wie sollte es erst später werden, wenn wir mit der Transsibirischen Eisenbahn nach Vladivostok und Ulan Bator reisen? Diese Reisepläne reiften damals nämlich heran. Nur ein kleiner Vorgeschmack? Oder waren diese Grenzbeamten doch nur ein Einzelfall?
Der Nachtzug in Richtung Bukarest und Budapest stand draußen auf dem Gleis und würde wohl ohne uns weiterfahren. Was für ein Scheiß! Uns blieb wohl nichts anderes übrig, als auf dem kalten Bahngleis auf den nächsten Zug zu warten. Und jener käme gewiss erst in den Morgenstunden. Das Warten auf dem leeren Flur fühlte sich an, als säße man als Schüler vor dem Direktorenzimmer. In der Ungewissheit, was genau passieren würde.
In Gedanken richteten wir uns bereits auf eine lange Nacht an der Grenze ein, doch plötzlich öffnete sich die Tür und der Grenzbeamte trat heraus. Er reichte Jan seinen Pass und sagte mit knappen Worten:
„In Ordnung! Sie können gehen! Bonjour!“
Das war´s. Er sagte tatsächlich Bonjour. Den Weg über die dunklen Gleise mussten wir allein finden. Gerade noch so erreichten wir den Zug, der sich wenige Minuten später in Bewegung setzte und uns nach Budapest brachte.
„Ach, das ist immer das gleiche Spiel! Wie oft ich hier schon aussteigen musste...“ erklärte ein jüngerer Mann, der mit uns im Abteil saß. Er musste es wissen. Wie er uns erklärte, wohnte er in Prag und musste beruflich immer wieder nach Bratislava. Was vor 1993 in der CSSR bzw. CSFR problemlos ging, wurde nun zu einem echten Abenteuer. Verbunden mit all den Schikanen der Grenzbeamten.
Gut, dass nun auch diese Zeiten längst hinter uns liegen...
Anmerkung: Der Stempel stammt von der slowakisch-ungarischen Grenze
Foto unten: Slowakischer Zug am Bahnhof von Strba
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