Gewiss, mit dem Auto von Deutschland aus bis hinunter nach Bulgarien, Mazedonien oder Griechenland zu fahren, gleicht einem kleinen Abenteuer. Jedoch erst richtig prickelnd wird es, sobald man die Grenze zur Türkei überquert. Dabei muss man nicht einmal nach Anatolien düsen, eine Fahrt im europäischen Teil genügt. Die Voraussetzung: Man verlässt die Schnellstraßen und erkundet auf eigene Faust die abgelegenen Ortschaften entlang der Grenze zu Bulgarien. Nicht dass einem dort sogleich das Messer an die Kehle gehalten wird, vielmehr sind Wegweiser und Landkarten die große Herausforderung.
Lust auf türkische Abenteuer? Mit dem Auto von Edirne nach Dereköy!
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Besser gesagt: Landkarten, die es nicht gibt! Deutschland, Tschechien, Slowakei, Ungarn, Serbien, Mazedonien, Bulgarien und Griechenland. Recht problemlos kann man sich auch in abgelegenen Regionen orientieren. Landkarten sind in größeren Geschäften durchaus überall zu finden. Schwieriger wird es mit der Reisevorbereitung in Sachen Türkei. Erhältlich sind nur Autopläne mit großem Maßstab. Kleinere Ortschaften und Nebenstraßen sind auf diesen nicht verzeichnet. Die europäischen Provinzen Edirne und Kirklareli im sogenannten Ostthrakien verlieren sich auf einem Gesamtübersichtsplan der Türkei. Kein Wunder, bildet der europäische Teil der Türkei gerade einmal drei Prozent der Gesamtfläche des Landes, das insgesamt 791.000 Quadratkilometer groß ist. Jedoch immerhin: Der europäische Anteil der Türkei ist fast exakt so groß wie Mecklenburg-Vorpommern!
Dass man sich somit irgendwo zwischen Demirköy und Vaysal verlieren kann, liegt auf der Hand. Da es in deutschen Geschäften keine brauchbaren Landkarten zu kaufen gab, versuchten wir in der türkischen Großstadt Edirne unser Glück. Landkarten? Immer wieder versuchte man uns mit typischen Übersichtsplänen auszuhelfen. Maßstab eins zu im Millionenbereich. Volltreffer an den Tankstellen? Keineswegs! An diesen gab es überhaupt keine Pläne zu kaufen! Da auch Onlinekarten von der Türkei eher grob gezeichnet sind, hieß es also, Augen zu (oder eher auf) und hinein ins Abenteuer!
Von Edirne aus ging es auf der neu gebauten D535 flott und problemlos in Richtung Demirköy, doch bevor diese Ortschaft erreicht wurde, ging es für uns bei Lalapasa rechts ab nach Hacidanisment. Allein der Name klang verdammt abenteuerlich und verwegen. Und in der Tat! Was für eine spannende Straße. Einsamkeit und eine Landschaft, die überaus beeindruckend war. Während wir zu zweit die schmale Asphaltstraße in Richtung Horizont fuhren, waberten zu beiden Seiten Nebelfetzen zwischen dem Gestrüpp und den schroffen Felsen.
Als nach rund 15 Kilometern Hacidanisment in einer Senke auftauchte, war man durchaus froh, wieder Gebäude und Menschen zu sehen. Bereits aus einiger Entfernung war das Minarett der dortigen Moschee erkennbar. Ganz klar, in Brandenburgischen Landen sind es die Kirchtürme, die einen auf langen Straßen seit Jahrhunderten den Weg weisen, dort sind es die charakteristischen Minarette, die Orientierungspunkte bilden.
Hinter Hacidanisment wurde es noch ein Stück einsamer und verwegener. Orientierung fiel schwer. Wegweiser waren Mangelware und auch Ortseingangsschilder waren bei kleineren Ortschaften eher selten anzutreffen. Im Zweifelsfall half nur das Nachfragen – und zwar auf Türkisch. Englisch oder gar Deutsch spricht in den abgelegenen Dörfern so gut wie niemand. Hilfsbereitschaft wird jedoch schnell zuteil. In unserem Fall gruppierten sich stets mehrere neugierige Leute um unser Fahrzeug und wollten helfen. Die erste Frage: Wo sind wir eigentlich? Was für eine bescheuerte Frage. Kein Wunder, dass die Dorfältesten nicht so recht verstanden, was wir genau wollten. Auf die Frage hin, ob es im Ort eine Karte gebe, wurden wir zum Dorfvorsteher ins Büro gebracht. Heißer schwarzer Tee wurde serviert – und hinter dem uralten Schreibtisch, voila, eine Übersichtskarte der Türkei. Im europäischen Teil waren gerade einmal zwei Fernstraßen und die beiden Provinzhauptstädte Edirne und Kirklareli markiert.
Ja, wir waren wohl in Vaysal. So viel stand fest. Weiter ging es im Grenzgebiet zu Bulgarien in Richtung Nordosten. Auf der rechten Straßenseite befanden sich rote, leicht verrostete Warnschilder mit mehrsprachiger Aufschrift. "Military Security Zone! Entrance Forbidden!" Dazu ein Soldat mit Gewehr. Eines war klar. Nur nicht verfahren und irgendwo an der Grenzlinie einer Patrouille in die Hände fallen. Nahe der Ortschaft Devletliagac wurde das Ganze zu knifflig. Nur noch Sandpisten. Wir wählten einen Weg in südöstlicher Richtung. Sicher war sicher. Nach einer Odyssee und einer gefühlten Ewigkeit erreichten wir Yoguntas nahe des zerfransten Sees Kayaliköy Baraji. Auch dort ein Gespräch mit türkischen Brocken sowie Händen und Füßen.
Auf fester Straße ging es schließlich weiter zur Stadt Kirklareli, in der uns wieder ein völlig anderes Leben empfing. Wohnblocks sprießten wie Pilze aus dem Boden. Zahlreiche Geschäfte und Cafés luden zum Verweilen ein. Sicherlich ist Kirklareli bei weitem nicht so sehenswert wie die Perle Edirne, doch für ein Päuschen lohnt auch diese Stadt.
Nicht ganz so abenteuerlich ging es für uns weiter in Richtung Bulgarien. Für den Weg zur Grenze wählten wir ganz einfach die modern ausgebaute E87 / D555, die vorbei an Koruköy, Kapakli und Dereköy führt. Die Straße wurde teilweise als breite Schneise durch die Hügellandschaft gebahnt. Uns entgegen kam ein junger japanischer Radfahrer, der quer durch die Türkei bis nach Syrien und Jordanien fahren wollte. Hinten die Satteltasche, über den Schultern eine leuchtend blaue Windjacke, auf dem Gesicht ein unerschütterliches Lächeln. Meine Güte, Hut ab! Ein Erinnerungsfoto und weiter ging´s. Wir gen Norden, er gen Süden. Wir zu zweit in einem Auto. Er allein auf dem Drahtesel. Ähem, wer war der wahre Abenteurer...
> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus der Türkei
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