Drei Glühwein, zwei Bier. Die Dunkelheit brach ein über dem Briesetal. Eine Gruppe Wanderer - sogar zwei Kinder waren dabei - machte sich mit Taschenlampen auf den Weg nach Oranienburg. Auch für uns war es Zeit zu gehen. Eher durch Zufall hatte es uns zur „Alten Försterei“ verschlagen. Von Borgsdorf aus ging es nach einem dortigen Fußballspiel spontan das Briesetal hinauf, in der Hoffnung, dass das auf der Karte eingezeichnete Forsthaus eine Möglichkeit für Speis und Trank bietet. Es dämmerte bereits, als die Lichter am anderen Ufer der Briese darauf hindeuteten, dass dort wahrlich eine Möglichkeit der Einkehr bestehen könnte. Und ja, an den Wochenenden laden in der Regel die dortigen Besitzer zu Wildwürsten, warmer Suppe, kalten Hund und Getränken ein. Verkauft wird draußen an der geöffneten Luke, gefuttert und getrunken wird unter freiem Himmel. Für einen schmalen Taler ließen die heiße Knacker aus Wildbret und die selbst gemachte Hühnerbrühe das Herz höher schlagen, und der Blick über die Wiesenlandschaft ließ eine angenehme Melancholie aufkommen. Raus aus der Hektik der Großstadt! Stattdessen die Stille der Natur. Großartig!
Bis Zühlsdorf würde es an jenem Tag nicht mehr gehen. Dafür war die Zeit zu weit vorangeschritten. Der Weg zurück nach Birkenwerder würde in der Finsternis spannend genug werden! Und wahrlich, ohne das leuchtende Display der kleinen Digitalkamera, das als Taschenlampen-Ersatz diente, wären wir wohl im Morast der Briese gelandet. Es war Ende November, und die Nacht (eigentlich war es ja noch Abend) wurde stockfinster. Kein Mondlicht. Keine fahlen Lichtreflexionen am Himmel. Nichts. Ohne Hilfsmittel wären wir glatt gegen den nächsten Baum gerammelt. Oder halt in das morastige, fast stehende Gewässer, das zwei Stunden zuvor ein großartiges Fotomotiv bot. Türkisgrüne Algen / Entengrütze bedeckten die Wasseroberfläche, Bäume ragten aus der Briese empor. Gespenstisch, düster und bezaubernd.
Trotz einer gewissen Portion Alkohol im Blut und der Finsternis fanden wir an jenem Novemberabend den Weg zurück nach Birkenwerder, wo es feucht fröhlich im dortigen Pub weiterging. Doch ist dies eine andere Geschichte. Eines stand fest, das Briestal, in dem ich einst mit meinen Eltern in den 80ern häufig unterwegs war, lockte zur ersten Wandertour im Jahr 2017. Rein in die S-Bahn und auf nach Borgsdorf! Von dort aus die Straße entlang bis zur kleinen Ortschaft Briese. Links abgebogen auf den Uferweg - und erst einmal gestaunt. Weite Flächen des Weges waren komplett vereist, und das Gehen war nicht ohne. Trotzdem waren erstaunlich viele Wanderer unterwegs. Statt der Entengrütze war es nun eine dünne Eisfläche, die die Briese bedeckte. Ein paar Impressionen in digitaler Form eingefangen, und weiter ging´s. Wahrlich heikel ging es an der Landstraße 211 zu, welche die Briese kreuzt. Doch nicht der dortige Straßenverkehr konnte zum Verhängnis werden, sondern die Stufen, die erst hinauf und dann hinab führen. War es hinauf keine große Kunst, so kam einem hinunter wahrlich die Muffe. Glatt wie ein Babypopo - ein Ausrutscher, und das Ganze hätte bitterböse Folgen gehabt. Also festgeklammert am Geländer und ganz zaghaft den Weg hinab gesucht. Erstaunlich, dass einige Ü60-Personen mit Gehstöcken ebenso unerschrocken die Herausforderung annahmen.
Ohne Sturz und Blessuren erreichten wir wenig später zu zweit die beim ersten Mal tief ins Herz geschlossene „Alte Försterei“. Her mit dem heißen Glühwein, her mit der herzhaften Knacker! Und klar, her mit der Hühnerbrühe! Welch ein angenehmes Ambiente! Die Wiesenlandschaft im Briesetal, links und rechts die Wälder, das Gebäude-Ensemble, die freundliche Bedienung, die überaus leckere Versorgung. Wie muss es erst an einem warmen Sommerabend sein?! Man hätte versacken können, noch fünf Tassen Glühwein schlürfen können. Die Zeit vergessen, von alten Zeiten träumen, von vergangenen und kommenden Reisen / Touren erzählen, sich tiefsinnig über das Leben austauschen. Oh ja, hier könnte man auch eine gewisse Zeit verbringen. Ob „Papa“ der „Alten Försterei“ auch Zimmer vermietet?
Am linken Ufer der Briese entlang ging es schließlich weiter nach Zühlsdorf. Dort vorbei an der alten Mühle wurde der Weg in Richtung Mühlenbeck-Mönchmühle gewählt. Eine handzahme Katze nahm Verfolgung auf, und auch im dortigen Wald war der Weg fast komplett von einer spiegelglatten Eisfläche bedeckt. Hier begegneten wir keiner Menschenseele, und es blieb während der kommenden Kilometer viel gedanklicher Freiraum. Wie wäre es wohl, bei solcher Witterung wochenlang durch Sibirien zu stapfen? Wie muss es wohl gewesen sein, als man beispielsweise zu Zeiten des Dreißigjährigen Krieges in diesen Wäldern unterwegs war? Schließlich wurde die Ortschaft Summt erreicht, in der wir links auf einen Feldweg abbogen, der uns über die Autobahn nach Mühlenbeck-Mönchmühle führte. Von Norden aus kommend wirkte das Ziel der Reise ein wenig skurril. Eher surreal bei diesem trüben, milchigen Winterlicht. Linke Hand zwei einsame Grundstücke, die etwas tiefer liegen, in rund anderthalb Kilometer Entfernung am Horizont der Ortskern mit Kirchturm, Wohnhäusern und Tankstelle.
Die Silhouette, die Felder zu beiden Seiten - schlagartig fühlte ich mich an Reisen zu Beginn der 90er Jahre durch den Norden Frankreichs erinnert. Irgendwo im Nirgendwo hinter Metz. Je näher wir kamen, desto heimischer wurde dann doch der Anblick. Eine Siedlung mit neuen kunterbunten Einfamilienhäusern. Unten an der Hauptstraße wies ein Schild zum Restaurant „Forsthaus“. Na, ein Käffchen kann es ja noch sein, bevor es mit der S-Bahn zurück nach Berlin gehen würde. Hinein in die gute Stube - und oha, was für eine Gemütlichkeit! Wieder ein Volltreffer. Zeit und Geldbörse ließen an jenem Abend jedoch nur ein Heißgetränk zu. Am Nachbartisch bestellte sich indes ein junges Pärchen die Spezialität des Hauses. Halbe Ente mit allem Drum und Dran. Als die prallen Teller serviert wurden, kam die Lady nicht mehr aus dem Schwärmen heraus. Völlig außer sich vor Freude stöhnte sie immer wieder. „Hmmmm!“, „Ohhhhh!“. Wir mussten kichern, woraufhin sie noch ein Schippchen drauf legte: „Also echt, sooo lecker! Was für eine geile Ente!“ Und zu uns: „Müsst ihr echt bestellen. Notfalls teilt euch einen Teller!“
Gut gemeint, doch an jenem Abend blieb es bei Kaffee und Kakao. Beim nächsten Mal darf es dann aber auch das Bratgut sein. Und zwar gern eine ganze Ente! Und dann die Tour andersherum und bei „Papa“ in der „Alten Försterei“ im Garten bei Bier und Glühwein versacken. Für alle Fälle würde eine Taschenlampe in der Jackentasche stecken. Man weiß ja nie …
Fotos: Marco Bertram
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