Starke Menschen führen Kriege, vereinigen Ideen, schaffen Leid und dienen in Sagen als Vorbilder. Große Geschichten wurden nördlich und südlich des Balkan-Gebirges geschrieben. An der Donau wurde verhandelt, gekämpft und paktiert. Ums Schwarze Meer gerungen und mit Kaiser wie auch Sultan über Freiheit und Selbstbestimmung verhandelt. Mit dem Erbe der kulturellen Wiedergeburt gebrochen und den neuen Menschen versucht zu schaffen, letztendlich jedoch wieder auf die historische Identität besonnen und nun den schweren Weg des Kapitalismus in eine ungewisse Zukunft gehend – zwischen Korruption, Globalisierung und EU. So ähnlich könnte die komprimierte Geschichte des Landes mit der weiß-grün-roten Fahne ausfallen. Ein Mischmasch der Völker, Sprachen und Religionen. Um das reiche Erbe dieses Landes zu erfassen, muss man dahin reisen, wo bewahrt, gelehrt und zum Protest aufgerufen wurde - in die Klöster. Zu aller erst findet der Kontakt mit Bulgarien meist im dynamischen und pulsierenden Herzen des Landes statt, nämlich in Sofia.
Der „Athos Bulgariens“: Unterwegs in der historisch spannenden Region Veliko Tarnovo
Aber dem Ruf der Geschichte folgend, begeben wir uns auf die Reise in die alte Königsstadt Veliko Tarnovo. Aufgrund der Vielzahl an Kirchen und Klöster in der Umgebung dieser Stadt wird diese Region auch als Athos Bulgariens bezeichnet. Von hier aus herrschte vor etwas weniger als tausend Jahren das Geschlecht der Assen. Die sich über die Stadt erhebende Festung Tsarevets vermittelt ein Gefühl der Macht und der Blüte dieser Dynastie. Abhängig von Jahreszeit und Wochentag erstrahlt die gesamte Festung abends in allen erdenklichen Farben. Während die Laser ihr Farbspiel präsentieren, begleitet diese Zeremonie traditionelle Musik und Kirchenglocken. Diese ertönten sicherlich auch im Jahre 1185 in der St. Demetrius Kirche.
Von dieser sich unterhalb des Zarenhügels befindlichen Kirche ging die zwei Jahre andauernde Rebellion gegen das Diktat aus Byzanz aus. Die Brüder Ivan Assen I. und Peter IV. legten als Verursacher des Aufstands gegen Ostrom den Grundstein für das zweite bulgarische Reich. Dabei ging es vor Allem um Selbstbestimmung und Unabhängigkeit der bulgarischen Kirche von der byzantinischen Reichskirche. Als neue Hauptstadt erlebte Veliko Tarnovo eine lange Blütezeit, bis das Osmanische Reich innen- und außenpolitische Querelen nutzte und die Stadt übernahm, Kirchen sowie Klöster entweihte oder zerstörte sowie die Bevölkerung zu großen Teilen umbrachte. Aber auch während der Periode des sogenannten Türkischen Jochs gingen von dieser Stadt Aufstände und Revolten gegen die Obrigkeit und Besatzer aus.
In der General-Gurko Straße mit dem Blick auf das Denkmal der Asseniden, der sanft geschwungenen Jantra und den Häusern aus der Zeit der bulgarischen Wiedergeburt, umweht einen ständig der Stolz und die Erinnerung auf die erfolgreichen Freiheitsbestrebungen und Kämpfe des 19. Jahrhunderts. Zu Fuß lassen sich von dieser Stadt gut das Kloster der Verklärung und das Frauenkloster der Dreifaltigkeit erlaufen. Letzteres liegt angeschmiegt an einer Felswand und der Weg dahin führt über eine gut asphaltierte Straße. Bestmöglich nutzt man hierfür das Fahrrad. Am Holztor angekommen lockt das Kloster zu den Öffnungszeiten – montags hat das Kloster nicht geöffnet - den Pilger mit einem schönen Garten. Gegenüber erstrahlt das Kloster der Verklärung. Hierher führt ein Wanderweg ab Tarnovo. Dieser ist aber eher ein schmaler Pfad, der etwas körperliche Fitness beansprucht.
Alternativ kann man die Straße nutzen und mit dem Auto in etwa 20 Minuten hierher fahren. Die Möglichkeit der Übernachtung ist auch gegeben und eignet sich für besonders Ruhe suchende Personen. Leider sind einige Gebäude hier oben in einem miserablen Zustand, verlassen oder sogar gänzlich verfallen. Südöstlich von Tarnovo liegt das Kloster Kapinovo mit angrenzendem Spaßbad und Campingplatz. Möchte man nicht zelten, so kann man auch im Kloster um Obhut bitten und bei genügend freier Zeit einen Ausflug zum nahe gelegenen Wasserfall unternehmen. Von geistlicher Seite her lebt derzeit nur noch eine Nonne in dem paradiesisch gelegenen Komplex. Zwischenzeitlich war das Kloster laut Aussage eines ehrenamtlich dort arbeitenden Mannes von Mönchen bewohnt, die sich jedoch weniger um das Gebet und die Arbeit sorgten, anstatt um wilde Partys, was fast den Niedergang für das seit 1272 an diesem Ort befindliche geistige Zentrum bedeutete.
Ebenfalls per Fuß lässt sich das Nachbardorf Arbanassi mіt seinen ѕіeben erhaltenen Jahrhunderte alten Kіrсhen und den zweі – noch aktiven - Klöѕtern sowie insgesamt rund 100 historischen Gebäuden erreichen. Die älteste und atemberaubendste Kirche ist die Christi-Geburt-Kirche aus dem 15. Jahrhundert. Sie ist vollständig mit Heiligenbildern und –geschichten bemalt sowie mit Ikonen ausgeschmückt, die teils von den Künstlern aus der für die orthodoxe Kunst so bedeutsame Kleinstadt Tryavna erstellt wurden.
Etwas weiter entfernt von der Stadt am Eingang zum Balkangebirge, aber durchaus reizvoll, ist ein Tages- oder Wochenendtrip nach Ruse. Aufgrund einer regelmäßigen Busverbindung von Tarnovo aus, ist die Grenzstadt an der Donau, mal als Klein-Paris - mal als Klein-Wien bezeichnet, in etwas mehr als einer Stunde gut zu erreichen. Hier bestimmen weder Plattenbauten, noch Häuser aus der Wiedergeburt oder der osmanischen Besatzung das Bild, sondern Häuser des Jugendstils. Im Winter extrem kalt, im Sommer extrem heiß und Ende der 1980er Jahre – aufgrund der Schadstoffbelastungen aus Rumänien – fast unbewohnbar. Die Bewohnerschaft genießt heute das Leben, ob in den gefühlt hunderten Cafés der Stadt oder in dem weitläufigen "Mladezhki" park oder auch dem Renaissance Park. In letzterem findet man das am 28. Februar 1978 eingeweihte Denkmal zum 100. Jahrestag der Befreiung Bulgariens vom türkischen Joch.
Für das Pantheon wurde ironischerweise – aus bulgarisch geschichtlichem Hintergrund - die größte Kirche der Stadt durch die damals herrschende Kommunistische Regierung abgerissen. Die als Vseh Sveti benannte Kirche wird derzeit unweit dieses Denkmals neu errichtet. Einiges an Kircheninventar des zerstörten Gotteshauses sowie eine Ikonenausstellung kann in der Dreifaltigkeitskathedrale nahe dem Theater begutachtet werden. Für etwas Verwirrung sorgte, dass im nach den osmanischen Gesetzen vorgeschriebenen abgesengten Gotteshaus, die dort arbeitenden Damen rülpsten und Bier tranken.
Mit etwas mehr Zeit eignet sich Ruse als hervorragender Ausgangspunkt für Wanderungen in dem nahen Naturpark Russenski Lom. Dort befinden sich in den Tälern des Flusses die bekannten Felskirchen von Ivanovo (UNESCO Weltkulturerbe). Auf der Fahrt dorthin ist ein Zwischenstopp in dem noch aktiven Kloster Basarbovo, nahe dem gleichnamigen Dorf, empfehlenswert. Von Ruse aus, auf Wallnuss-Alleen, dauert die Fahrt mit dem Auto etwa 15 Minuten. Da sich nahe dieser Industrie- und Handelsstadt die einzige Donaubrücke des Landes befindet, bietet sich zur Weiterfahrt die Reise nach Rumänien an. In rund 80 Kilometern ist die rumänische Hauptstadt per Zug erreichbar. Vom beeindruckenden aber verlassen wirkenden Hauptbahnhof ist aber sogar die Weiterreise nach Istanbul möglich. Da durch Ruse auch der Donauradweg führt, ist ein Halt in dieser Stadt gerade für Radfahrer reizvoll. So lässt es sich wunderbar mit einem Drink an der Donaupromenade entlang spazieren und auf die rumänische Seite hinüberschauen.
Fotos: P. Schoedler
> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Bulgarien
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