Jedes Land auf der Welt hat - ähnlich einem Ortseingangsschild - eine Tafel, auf der steht, wohin man im Begriff ist, einzureisen. In der EU haben alle Staaten ein blaues Schild mit 12 Sternen und ihren Namen in der Mitte. Außer Schweden. Schweden verzichtet auf diesen Schnickschnack und baut einfach einen IKEA an die Grenze, der ja im Grunde die gleiche Botschaft vermittelt. Auf so ein Schild, dem man erlaubte Höchstgeschwindigkeiten entnehmen kann, wird komplett verzichtet.
Mit dem Auto durch Schweden: Vom nördlichsten Punkt der Ostsee bis Äspö
Auf engen Straßen arbeiten wir uns an der Küste entlang nach Törehamn vor, wo wir die Nacht in einer Hütte auf dem Campingplatz verbringen wollen. Eigentlich hatten wir vor, zu zelten, aber bei arktischen Temperaturen von 14 Grad hat die Hütte mit der Heizung ein absolut überzeugendes Argument.
Der Campingplatz liegt direkt an der Ostsee und kennzeichnet außerdem einen wichtigen Punkt auf der Weltkarte. Vom angeschlossenen Hafen aus ist die Boje bei N 65° 54,07' E 022° 39,00’ zu sehen, die ganz offiziell der nördlichste Punkt des größten Brackwassermeeres der Welt ist. Bevor ihr anfangt, zu googeln: Damit ist die Ostsee gemeint.
Dieser Ort macht uns zum ersten Mal richtig bewusst, wie weit wir schon gekommen sind. Wir haben schon 5.148 Kilometer zurückgelegt und sechs Länder gesehen. Ab sofort befinden wir uns mehr oder weniger auf dem Heimweg, denn so weit wie jetzt werden wir auf dieser Reise nicht mehr von Zuhause entfernt sein.
Am nächsten Morgen brechen wir direkt auf nach Gammelstad.Gammelstad ist ein Weltkulturerbe der UNESCO, weil es eines der 16 letzten erhaltenen mittelalterlichen Kirchendörfer Schwedens ist. Weil es im nicht allzu dicht besiedelten Nordschweden seinerzeit nur wenige Kirchen gab, war das Einzugsgebiet einer Gemeinde teilweise so groß, dass viele Gläubige eine mehrtägige Anreise auf sich nehmen mussten. Um diesen Gemeindemitgliedern ein Dach über dem Kopf stellen zu können, entstand ein Dorf aus einfachen kleinen Hütten um die Kirche herum.
Betritt man den Ort zum ersten Mal, findet man sich inmitten eines Labyrinths aus einstöckigen, roten Holzhäusern wieder, deren Fenster liebevoll mit Spitzengardinen und Blumen gestaltet sind. Mittelpunkt des Ortes ist überraschenderweise die Kirche, vor der ein alter Brunnen steht. Nebenan gibt es ein kleines Café, in dem sich das Sozialleben abspielt.
Nach einem ausführlichen Spaziergang geht es für uns weiter nach Luleå. Zur Zeit der Gründung von Gammelstad verfügte der Ort über einen direkten Zugang zur Ostsee und einen wichtigen Hafen. Aufgrund der Landhebung im Norden Skandinaviens zog sich die Küstenlinie immer weiter zurück und plötzlich war Gammelstad keine Hafenstadt mehr.
Aus einer neuen Siedlung am Wasser entwickelte sich schließlich das heutige Luleå, das immerhin 76.000 Einwohner zählt, aber dennoch sehr gemütlich ist. An der Promenade sitzen ältere wie jüngere Menschen und genießen die Sonne. Zur Abwechslung fühlt es sich bei wolkenlosem Himmel und 20 Grad tatsächlich mal wieder ein bisschen nach Sommer an.
Am Platz hinter dem alten Lastenkran toben ein paar Kinder in den Fontänen, die aus dem Boden sprühen, was ich angesichts der Temperaturen für ein bisschen übertrieben halte. Aber wer mit einer Jahresdurchschnittstemperatur von 1,4 Grad aufwächst, hat wohl ein anderes Verständnis von Sommer.
Nachdem wir uns kurz in einem überaus verwirrenden Kaufhaus verlaufen und schließlich das Auto wieder gefunden haben, folgen wir der E4 Richtung Süden. Diese Europastraße beginnt in Finnland und führt nahezu die gesamte Westküste Schwedens entlang bis Helsingborg. Dementsprechend bietet der Straßenverlauf immer wieder mal einen tollen Blick auf die Ostsee oder umliegende Seen.
Hinter Bureå verlassen wir die E4 und finden uns wenig später an einem See wieder. Relativ abgelegen befindet sich hinter einer Waldlichtung eine kleine Badestelle, an die jemand einen Steg mit Bank, eine Feuerstelle mit gefülltem Brennholzunterstand und sogar eine Umkleidekabine gebaut hat.
Aufgrund des Jedermannsrechts, das es jedem Menschen in den skandinavischen Ländern erlaubt, Wälder, Wiesen und andere natürliche Räume unabhängig von der Zustimmung des Eigentümers zu betreten und in gewissem Rahmen zu nutzen, ist dieser wunderbare Platz jedem zugänglich. Gleichzeitig hält sich auch jeder daran, den Ort zu pflegen und zu hinterlassen, wie er ihn vorgefunden hat.
Eher zufällig finden wir später einen Campingplatz in Sikeå, auf dem wir eine kleine Holzhütte mieten. Wichtigstes Ausstattungsmerkmal: eigene Terrasse mit Meerblick und Sonnenuntergang. Mehr geht nicht.
Am nächsten Morgen fahren wir direkt zurück auf die E4, die auch heute zum Großteil unseren Weg bestimmen wird, und folgen ihr eine ganze Weile. Gegen Mittag erreichen wir schließlich den Ort Skeppsmalen, der einen niedlichen Hafen hat und ansonsten nur aus holzverkleideten roten Häusern besteht.
Die Briefkästen aller Bewohner sind rund um den Kasten für Ausgangspost angeordnet. Auf einem großen Felsen, der jemandem als Vorgarten dient, stehen zwei Stühle in der Sonne. Die Szenerie ist viel zu malerisch, um nicht einem Astrid Lindgren-Buch zu entstammen.
Wir hören in einiger Entfernung bereits die Wellen rauschen und folgen einem Schild, das einen Leuchtturm ankündigt. Als wir dort ankommen, stellen wir fest, dass der Leuchtturm absolut nebensächlich ist und die Landschaft der eigentliche Star.
Die Küste wird gebildet von Felsen, die zu großen Steinen werden, die zu kleinen Steinen werden, die die Felsspalten füllen. An vielen Mulden sammelt sich Wasser, vielleicht vom Regen, vielleicht vom Sturm, der das Meerwasser bis hier hoch treibt. Und wo es Wasser gibt, gibt es Leben. Moose, Algen, Gräser, kleine Bäume, Insekten. Wo sich kein Wasser sammelt, ragt der nackte Stein in die Höhe. Es ist das Bild einer bewachsenen Mondlandschaft.
Wir lassen uns den Wind um die Nase wehen, lauschen den Wellen, riechen das Salzwasser und sind erstaunt über die ganzen Menschen, die in den windgeschützten Ecken sitzen und picknicken.
Auf dem Stein ist über blaue Punkte ein Wanderweg markiert, dem wir über ein paar Kilometer folgen. Wir müssen zwar keine wirklich unpassierbaren Hindernisse überwinden, aber es ist schon nicht schlecht, hier gut zu Fuß zu sein. Einige Pfützen müssen überwunden oder umgangen werden, einige Felsen sind zu erklimmen. Der Wind lässt die Wellen teilweise so hart am Ufer brechen, dass wir die Gischt abbekommen.
Diese Wanderung ist das absolute Gegenteil von der Wanderung, die wir vor einer gefühlten Ewigkeit in Polen an der Düne in Czołpino unternommen haben. Peitschende Wellen statt ruhiger See, nackter Fels statt feinem Sand, festes Schuhwerk statt nackter Füße. Einzig das Meer ist dasselbe. Trotzdem ist es wunderschön und macht unheimlich viel Spaß, die Gegend auf diese Weise zu erkunden. Der Wanderweg könnte ewig weiter gehen.
Zurück am Parkplatz stehen wir vor einem Schild, das über die Landhebung in der Region informiert und darüber aufklärt, dass es hier mal einen Landweg nach Finnland geben wird. Kommt uns irgendwie bekannt vor, diese Information.
Wir begeben uns schließlich wieder auf die E4, auf der wir weiterhin viel von Wald, Gebirge und vor allem den zahlreichen Seen mitbekommen. Kurz bevor sie zur Autobahn wird, verlassen wir die Europastraße und fahren über kleine Umwege und die Hälfte aller Kreisverkehre Schwedens zu unserem Campingplatz südlich von Sundsvall.
Dies ist der erste richtig große Campingplatz, auf dem wir Halt machen. Zum ersten Mal haben wir auch so direkte Nachbarn, dass man sie auch wirklich als solche bezeichnen kann. Aber wir beschweren uns nicht, denn die Wohnmobile und - wagen stehen so dicht beieinander, dass die Insassen sicherlich sehr gut im Bilde über Flatulenzen und Schlafverhalten ihrer Nachbarn sind.
Auch am nächsten Tag geht es immer weiter Richtung Süden über Wiesen, Wälder und malerische Dörfer. Der schönste von ihnen die Ortschaft Skärskå, nördlich von Söderhamn. Ausschließlich rote Holzhäuser, ein Hafen, eine Räucherei, zehn Kilometer über eine unbefestigte Straße vom nächsten Ort entfernt und trotzdem so überlaufen, dass uns das einzige Restaurant im Ort zu voll ist und wir weiterfahren.
Wir fahren anschließend durch einen Märchenwald, dem wir es zutrauen, dass Hänsel und Gretel (Oder deren schwedische Cousins Magnus und Inga. Das Haus der hiesigen Hexe bestände wohl aus Knäckebrot statt Lebkuchen, aber das ist ein anderes Thema.) sich hier verirrt haben.
Der Waldboden ist übersät von großen Steinen und Felsen, allesamt moosbewachsen (Vergesst das Märchen, dass nur an der Nordseite Moos wächst.) und bestmöglich verwittert. Um die ganze Szenerie noch glaubhafter zu machen, ist stellenweise die Hälfte der Bäume eingeknickt und versperrt Sicht und Weg.
Am Abend schlagen wir schnell unser Lager in der Nähe der Stadt Gävle auf und begeben uns anschließend direkt dorthin, denn wir haben einen Termin: um 19:00 Uhr empfängt der Tabellenletzte, Gefle IF, den Achten der Superettan (2. Liga), Varbergs BOIS FC, in der Gavlevallen.
Die Stadt Gävle hieß früher mal Gefle und weil der Verein bereits 1882 unter diesem Namen gegründet wurde, hat er diesen bis heute beibehalten.
Das Stadion Gavlevallen wurde 2015 eröffnet und ist damit noch so neu, dass es auf dem Satellitenbild von Google Maps nicht zu sehen ist. Die Fassade ist komplett holzvertäfelt, was in einer Stadt mit einem sehr großen Holzwerk ganz passend ist. Es steht direkt neben einer Eishockey-Halle und verfügt über vier klassische Flutlichtmasten.
Im Innenraum ist es eine Mischung aus Wiesbaden und Paderborn mit Kunstrasen. Für alle, die nicht regelmäßig Dritte Liga auswärts fahren: Wiesbaden verfügt über das unatmosphärischste Stadion auf der ganzen Welt und Paderborn ist eigentlich ein Baumarkt.
Wie wir es bereits in Finnland gesehen haben, wird jede vorhandene Fläche auf Spielern und Stadion für Werbung genutzt. Für die Namen der Spieler ist auf deren Trikots kein Platz mehr, stattdessen sind über und unter der Nummer Firmennamen abgedruckt. Natürlich werden auch Hosen, Ärmel und Vorderseite der Trikots komplett ausgenutzt.
Von den 6.500 Plätzen sind vielleicht 1.500 besetzt. Links hinter dem Tor steht der 100 bis 150 Mann starke Fanblock von Gefle IF. Ihm gegenüber befindet sich der Gästeanhang, bestehend aus drei oder vier Personen. Die Identität einer Person ist nicht abschließend zu klären - Ist er Fan oder Ordner? Er trägt keine Vereinsfarben und steht abwechselnd mal beim Mob, mal nicht.
Der Heimblock macht ganz gut Stimmung, verzichtet auf das 08/15-Ultratum Mitteleuropas, bringt eine bunte Mischung an individuellem Liedgut und setzt erst in der zweiten Halbzeit eine Trommel ein. Ein Megaphon wird nicht benötigt und obwohl jemand auf dem (natürlich aus Holz gezimmerten) Capo-Podest steht, ist es an allen Besuchern, für Gesänge zu sorgen. Außer in den Kaffeepausen, dann ist nämlich Ruhe. Dann steigt auch der Capo herab, denn dort steht sein Becher.
Das Spiel ist so lala. Im Prinzip gar nicht so ganz schlecht, hin und wieder gibt es mal ein paar Spielzüge, die erste Halbzeit ist dennoch sehr ereignisarm und endet ohne Tore.
Die Halbzeitpause nutzen wir, um uns mal ein wenig umzusehen. Die Versorgungsstände sind nicht auf der Tribüne untergebracht, sondern dahinter in Partyzelten. Verkauft werden Wurst und Burger, die relativ schnell ausverkauft sind, diverse Softdrinks und Bier in Glasflaschen, die ohne weitere mit in den Block genommen werden. Wer nichts essen will, kann Fanartikel kaufen oder Torwandschießen. Der Rest trifft sich hier zum Schnacken.
In der zweiten Halbzeit wird das Spiel aus irgendeinem Grund auf der Videowand übertragen. Wir bevorzugen dennoch, das Geschehen auf dem Rasen live zu verfolgen, denn dort ist es flüssiger. Oder besser gesagt: das Bild ruckelt nicht so.
Zehn Minuten nach Wiederanpfiff erzielt Gefle das 1:0 und kann die Führung relativ problemlos über die Zeit retten, weil Varbergs BOIS zwar bemüht sind, aber nie wirklich gefährlich werden.
In der 90. Minute erzielen die Gastgeber den 2:0-Endstand und im Fanblock ist der Teufel los. Das Publikum feiert seine Mannschaft - klar, als Tabellenletzter haben sie in dieser Saison noch nicht so oft gewonnen.
Für uns geht es schließlich zurück auf den Campingplatz und an den mittlerweile stockdunklen Strand, wo sich bei bestem Wellenrauschen noch ein Feierabendbier vertilgen lässt.
Das Thema des nächsten Tages soll der Stockholmer Schärengarten sein, den wir am frühen Nachmittag erreichen wollen. Als Schären werden die zahlreichen kleinen Inseln bezeichnet, die die starke Gliederung der Ostseeküste im Süden verursachen und in großer Zahl rund um Stockholm auftreten. In der Ostsee vor Schwedens Hauptstadt liegen 30.000 Inseln, die zum Teil bewohnt und zum Teil unbewohnt sind.
In Vaxholm bei Stockholm fahren wir dann am Nachmittag endlich auf die Schären, die über ein enges Netz an Brücken und Fähren miteinander verbunden sind.
In den folgenden Stunden bleiben wir eng an der Küste und haben auf Brücken und den Straßen am Wasser immer wieder die Möglichkeit, die Schären zu beobachten, mit ihrer schroffen, felsigen Oberfläche, den widerstandsfähigen Bäumen und den einzelnen, verstreuten roten Holzhäusern. Es ist wunderschön, keine Insel ist wie die andere und je länger man schaut, desto mehr gibt es zu entdecken.
Später beziehen wir unsere Unterkunft in Nacka, einem Vorort Stockholms. Am Abend wollen wir dann noch kurz zum Abendessen in die Stadt fahren, weil es ja nicht angehen kann, dass wir Schweden einmal komplett durchqueren, ohne ein einziges Mal Köttbullar gegessen zu haben.
Der kürzeste Weg führt über eine Mautstraße, an der wir allerdings keine Zahlstation ausmachen können. [Anmerkung: Nachdem wir im Anschluss wochenlang aufgrund unseres schlechten Gewissens nachts kaum ein Auge zugemacht haben, wurden wir Mitte September mit einer Rechnung in Höhe von 1,57 Euro erlöst. Dass wahrscheinlich allein der Brief teurer gewesen ist, tut nichts zur Sache, denn Ordnung muss sein. Dennoch halten wir es aus Liquiditätsgründen für notwendig, das Zahlungsziel bis zum letzten Tag Mitte Oktober auszunutzen.]
In der Altstadt angekommen, erwischen wir ein Lokal, das neben Köttbullar eine ganze Weltreise an Gerichten anbietet und daher nicht unbedingt zur absoluten Spitzenklasse gehört. Das Eis zum Nachtisch und der gemütliche Spaziergang durch die Stadt mit dem Schloss und der Ostsee entschädigen aber ganz gut.
Tags darauf wollen und müssen wir eine ganze Menge Kilometer machen, um einigermaßen entspannt am Samstag nach Trelleborg fahren zu können. Deswegen geht es am Morgen direkt auf die Autobahn (übrigens immer noch die E4), der wir bis Norrköpping folgen. Dort wechseln wir auf die Landstraße nach Kalmar, ohne nochmal einen Umweg über die Küste zu nehmen.
In Kalmar angekommen, wollen wir das Schloss besichtigen, das auf einer kleinen Halbinsel in der Ostsee steht. Es ist ein ganz hübsches Schloss, das in seiner langen Geschichte auch schon mal als königliche Schnapsbrennerei zweckentfremdet wurde. Währenddessen ging alle Inneneinrichtung verloren, weshalb einige Räume immer noch leer stehen. Wir spazieren noch einmal über das Gelände und machen uns schließlich auf in Richtung Altstadt.
Durch den Park vor dem Schloss, wo ein Fest mit Musik, Marktständen und vielen Menschen stattfindet, geht es am Bahnhof vorbei auf einen Platz, auf dem genanntes Fest weitergeht. Es gibt eine Menge Stände, in denen Zucker in allen erdenklichen Farben und Formen feilgeboten wird und viele Menschen, die dieses Angebot gern annehmen.
Am Ende der Fußgängerzone rund um die Storgatan gelangen wir auf den Rathausmarkt, wo auf einer großen Bühne das Sinfonieorchester mitten in einer Vorführung steckt. Der Platz ist sehr gut gefüllt, die Atmosphäre ist angenehm und entspannt, man lauscht der Musik oder unterhält sich mit seinen Begleitern.
Nach einem Spaziergang zurück zum Auto geht es für uns über die Brücke Ölandsbron auf die Insel Öland, wo wir die Nacht verbringen wollen. Wir verlassen die Landstraße in Bjärby und biegen auf einen unbefestigten Weg ein, an dessen Ende sich ein Strand, ein Wald und ein Parkplatz befinden.
Für ein geringes Entgelt von 50 Kronen (5 Euro) kann man hinter der Düne sein Zelt aufgeschlagen, muss aber mit einem Plumsklo vorlieb nehmen. Weil wir bisher die schönsten Übernachtungen an Orten ohne fließendes Wasser hatten, fällt uns diese Entscheidung nicht schwer.
Wir stellen das Zelt also direkt hinter der Düne auf und gehen gleich mal die 20 Meter zum Strand, um uns etwas umzuschauen. Das ist leider nur bedingt möglich, denn vom Wasser her zieht Nebel auf. Und zwar kein einfacher Küstennebel, sondern die Art von Nebel, die man gemeinhin mit dem ersten Auftritt des Mannes mit der Kettensäge in Verbindung bringt.
Der Strand leert sich nach und nach, nur einige hartgesottene Familien, deren Kinder in Neoprenanzügen baden, bleiben bis zum letzten Sonnenstrahl hier. Weil wir unsere Neoprenanzüge leider vergessen haben, trauen wir uns nicht weiter als zu den Knien ins Wasser und gehen stattdessen ein wenig am Strand spazieren.
Der Nebel zieht immer mal wieder kurzzeitig ab, ist aber einige Minuten später wieder so präsent als wäre er nie fort gewesen. Am Ende trifft er die gleiche Entscheidung wie wir und bleibt über Nacht.
Am Abend sitzen wir lange am Zelt und erfreuen uns an dem Geschehen auf dem Zeltplatz um uns herum. Die Leute nebenan mit dem zwei Meter hohen, bunten Zelt machen es sich mit Kerzen, auf deren Anzahl man in jeder IKEA-Dekoabteilung neidisch wäre, sehr romantisch. Andere veranstalten ein Lagerfeuer und die beiden jungen Bayern hinter uns trinken ihr Dosen-Schultheis aus Weizengläsern, die ja bekanntlich in keiner gut sortierten Campingausrüstung fehlen dürfen.
Wir verlassen Bjärby am nächsten Tag relativ früh, weil offenbar über Nacht alle Algen aus der Ostsee an Land gekommen sind, um zu verenden, und die Kühe der benachbarten Weide ihren Haufen darauf gesetzt haben. Jedenfalls riecht es so. Natur pur und so. Aber zum Frühstück müssen wir das nicht haben, weshalb wir in einiger Entfernung an einem Platz mit Lagerfeuerstelle und Bänken gemütlich picknicken.
Wir verlassen Öland schließlich und folgen der E22 in Richtung Süden. In Torhamns Udde legen wir einen Halt ein und schauen uns ein wenig um. An diesem unscheinbaren Landzipfel haben wir einen tollen Blick auf die vorgelagerten Schären. Das Gebiet ist weitläufig eingezäunt und bis auf ein paar Mauern aus Stein ziemlich naturbelassen. Folglich fühlen sich die Kühe und Schafe, die hier wohnen, pudelwohl und lassen sich von nichts und niemandem aus der Ruhe bringen.
Wenig später erreichen wir Karlskrona. Karlskrona ist eine sehr angenehme kleine Stadt im Süden Schwedens. Die Häuser sind bunt, die Straßen laden zum Schlendern ein, im Hafen liegen die Segelboote, mit denen die Einwohner zu den Inseln fahren, die von hier aus zu sehen sind. Man kann hier ohne weiteres einen entspannten Nachmittag verbringen.
Oder man macht es so wie die Teilnehmer des Swimrun, die auf neun Lauf- und acht Schwimmetappen von jeweils sehr unterschiedlicher Länge etwa zehn Kilometer zurücklegen. Und als wäre das nicht schon anstrengend genug, sind immer zwei Sportler über eine Schnur miteinander verbunden. Entsprechend unentspannt sehen die Leute am Zieleinlauf auf dem Marktplatz auch aus.
Leider wird uns in Karlskrona vollends bewusst, dass die Reise so gut wie beendet ist. Fast jedes zweite Nummernschild ist mittlerweile ein deutsches, viel zu viele Menschen sprechen deutsch. Wir sind also fast wieder Zuhause. Wie schade.
Nach einem letzten Kaffee geht es direkt in Richtung Trelleborg, das noch drei Stunden entfernt ist. Das letzte Stück fahren wir auf der Route 9, die direkt am Wasser entlang durch niedliche Orte voller Holzhäuser mit bunten Gärten führt. Ein letztes Mal wie bei Pippi Langstrumpf fühlen.
In Äspö verbringen wir die letzte Nacht in einem Bed & Breakfast, in dem wir das Breakfast auslassen, weil wir am nächsten Morgen bereits gegen 5:00 Uhr aufbrechen. Die Fähre geht um 7:00 Uhr, Check-In ist bis 6:00 Uhr, Trelleborg ist 25 Minuten entfernt. Ausschlafen ist was für Leute mit Urlaub.
Als unsere sechsstündige Überfahrt beginnt, stellen wir fest, dass der direkte Landweg nach Hamburg fünfeinhalb Stunden gedauert hätte. Aber da wir keinen Wert darauf legen, auf der schnellstmöglichen Route zu reisen, sondern auf der schönsten, ärgern wir uns nicht. Denn es gibt absolut keinen besseren Abschluss dieser Reise als die Hafeneinfahrt in Warnemünde bei schönstem Sonnenschein während der Hanse Sail.
Die ersten Segelboote begegnen uns bereits eine Stunde, bevor wir Rostock erreichen sollen. Je weiter wir an Warnemünde herankommen, desto mehr werden es. Rund um den Teepott herum tummeln sich hunderte Menschen, zwei Kreuzfahrtschiffe werden für die nächste Fahrt fertig gemacht. Es ist wirklich wunderschön.
Das war sie also, unsere Ostsee-Rundreise. Wir sind ohne größere Zwischenfälle (die estnisch-russische Grenze mal ausgenommen) und vor allem ohne Pannen (die leere Batterie an der estnisch-russischen Grenze mal ausgenommen) einmal um die Ostsee gekommen. Wir haben 7.824 Kilometer zurückgelegt und sieben Länder gesehen. Im Durchschnitt sind wir 340 Kilometer am Tag gefahren, haben aber nicht ein einziges Mal Stress gehabt.
Es war eine ganz wunderbare Reise, auf der wir viele neue Eindrücke gesammelt haben und die Ostsee, die unser Leben schon seit Kleinauf begleitet, aus so vielen verschiedenen Perspektiven kennenlernen durften. Und eins ist klar: Egal, ob man an der deutschen, polnischen, russischen, litauischen, lettischen, estnischen, finnischen oder schwedischen Küste steht: die Ostsee ist windig, riecht salzig und rauscht immer noch am schönsten.
Bericht & Fotos: Anika
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