An der Saale hellem Strande liegt im südlichen Zipfel des Landes der Frühaufsteher das Städtchen Weißenfels. Eine vom Barock dominierte Stadt, die für ihre Schuhwaren berühmt war und nahe der Straße der Romanik liegt. Von hier aus ist es nicht weit zu den ersten Weinhängen der Saale-Unstrut. Einige Burgen und Schlösser liegen in naher Umgebung. Darüber hinaus locken viele andere Ziele. In jeweils etwa 30 Minuten sind die Städte Leipzig, Jena und Halle mit dem Zug erreichbar. Weißenfels hat also eine lukrative Lage in malerischer Umgebung zu bieten. Der Arbeitsweg in die oben benannten Großstädte ist kurz, der Weg in die liebliche Umgebung so nah. Oma schwärmte immer, dass ab hier die Toskana des Ostens beginnt. So bietet sich eine Fahrradtour am Saale-Radweg oder in das Weinstädtchen Freyburg aber auch eine Wanderung zum Schloss Goseck an.
Weißenfels in der Toskana des Ostens: Verfall und Niedergang? Wo ist nur der Kaffeeduft geblieben?!
HotJedoch auch historisch gibt die Stadt so einiges her. In Lützen fiel beispielsweise während des Dreißigjährigen Krieges der Schwedenkönig Gustav II. Adolf. In meiner Kindheit schlenderte ich zusammen mit meinem Großvater am Heinrich-Schütz-Haus vorbei, bestaunte Luchs und Fuchs im etwa 12.600 Quadratmeter großen Heimatnaturgarten, badete im Mondsee und wunderte mich über die Gerüche Leunas. Fuhr ich an dem Örtchen Großkorbetha mit dem Zug vorbei, dachte ich bei dem Namen immer an Wurzelgemüse.
Vorbei an den Weinhängen von Burgwerben und den Trauerweiden an der Saale rollte die Bahn quietschend am Hauptbahnhof Weißenfels ein. Vom Onkel wurde man immer freudig als Ickendorfer begrüßt und die Heimatstadt nur abfällig als Klärgrube von Weißenfels bezeichnet. Ihn als Sachsen zu betiteln konnte dann jedoch von ihm als eine gemeine Kränkung verstanden werden. Der Blick vom Bahnsteig huschte an der Neustadt vorbei, über die roten und grauen Dächer der Stadt, den Kirchturm der mittelalterlichen Marienkirche und das 1660 errichtete Schloss Neu-Augustusburg. Hier lebten bedeutende Persönlichkeiten, wie die Schriftstellerin Marie Louise von François, der Orgelbauer Friedrich Ladegast oder auch Novalis.
Ich bin gerne in diese geschichtsträchtige Stadt gefahren und trage sie auch heute noch fest in meinem Herzen. Doch zunehmend bereue ich jede weitere Fahrt – zu traurig ist der Gesamtzustand. Die einst so wichtige Schuhproduktion spielt mittlerweile keine Rolle mehr. Ähnlich wie es dem zweiten einstmals großen Zentrum der Schuhproduktion in Deutschland – Pirmasens – ergeht, so sind Arbeitslosigkeit sowie städtischer Verfall zwei Merkmale dieser beiden Städte. Hundehaufen auf den Gehwegen, berüchtigter Drogenumschlagsplatz in Mitteldeutschland – zur Eisenbahnstraße in Leipzig ist es ja nicht weit -, Armut, Vandalismus und Häuserruinen sind weitere Schlagworte um den Zustand dieser Stadt zu beschreiben.
Aber natürlich gibt es auch Lichtpunkte, wie die Sanierung des Busbahnhofs und dessen Umgebung, neue Gehwege an der Saalepromenade oder auch die Neugestaltung des Marktplatzes mit seinem barocken Rathaus. Die Fassaden werden schicker oder abgetragen, das Publikum jedoch bleibt. Wer jedoch kann, zieht (immer noch) meist weg. Ein Trend, der in Ostdeutschland eigentlich zunehmend der Vergangenheit angehört. In Weißenfels, so besagt es die Chronik, gab es vor der Wende einmal 365 Gaststätten - Kaffeeduft durchströmte die Gassen.
Wo sich jetzt ein muslimischer Gebetsraum befindet, durfte meine Mutter als Kind Bier für ihren Vater holen. Gab es vor der Wende bis zu drei Kinos, existiert nun keines mehr. Am Niedergang des Kleinhandels in der Alt- und Neustadt wird die Schuld gern auf das Konsumörtchen „Schöne Aussicht“, die Fehlplanung der Stadtväter und die Abwanderung geschoben. In Gesprächen mit den Einheimischen bekommt man das Gefühl, dass einzig Syrer, Iraker oder Türken hier die Geschäftswelt am Leben erhalten, ob in der Eröffnung von Läden oder der Sanierung von Häusern. Gerüchte machten die Runde. So sollte die alte Trommelfabrik bald zu einer Moschee werden. Auch die regionale Presse berichtete darüber, und widerlegte diese Geschichte.
Schaut man ein paar Kilometer weiter, so strahlt die Stadt Naumburg vor kleinstädtischer Lebendigkeit. Aber auch Merseburg wirkt energetischer. Merseburg hat eine Hochschule – Weißenfels nicht. Dabei ist die Stadt mit dem Schusterjungen auch im Sport gut aufgestellt. Der erfolgreiche Mitteldeutsche Basketball Club spielt in der obersten deutschen Liga. In der 2002 eröffneten Spielstätte „Stadthalle Weißenfels“ spielt auch der erfolgreiche Unihockey Club Sparkasse Weißenfels e. V. Und auch das Stadion an der Beuditzstraße ist ein altes und für den deutschen Fußballsport bedeutendes Fußballstadion.
Der dort spielende 1. FC Weißenfels e. V. kickt heutzutage jedoch in einer der unteren Ligen und hatte zu sozialistischen Zeiten als BSG Fortschritt Weißenfels einige Erfolge vorzuweisen. Zu einigem Ruhm außerhalb des Fußballplatzes kam die Fangruppe „Weissenfelser Jungs“, die durch ganz Ostdeutschland für die Ehre der Chemiker aus Leipzig schlagkräftig umhergereist sind.
Aber zurück zur Stadt. Wo ist hier die blühende Landschaft zu finden? Weshalb ist seit Jahren das Schloss nur zur Hälfte saniert? Warum verschwinden mehr und mehr teils 300 Jahre alte Häuser, anstatt saniert zu werden? Wo bleiben die Künstler und Hausbesetzer – hier wäre Platz. Vor Allem aber hat es diese Stadt verdient, dass in die Gassen der Alt- und Neustadt wieder Leben einzieht, die Familien am Weißenberg entlang spazieren, Bootstouren auf der Saale unternehmen und diese vergessene Perle einer Kleinstadt zu Leben erweckt wird und nicht sozial und städtebaulich weiter verwahrlost.
Fotos: P. Schoedler, Marco Bertram (Fußballfoto)
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ich möchte auch gleich meinen Senf zugeben. So wie ich das lese, hat der Autor dort seine Großeltern und war dort bereits als Kind immer wieder zu Gast in der Stadt. Er hat die Entwicklungen also mit erlebt, Im Fall Naumburg oder Merseburg wäre es dann eine Momentaufnahme. Zu Merseburg möchte ich gleich was sagen. Und das ist leider wenig Gutes. Die Anzahl an unangenehmen Menschen, die in der Innenstadt herumlungert, ist sehr erschreckend. Prinzipiell haben viele kleinere Städte mit ähnlichen Problemen zu kämpfen. Spekulationen um alte Gebäude lässt seit der Wende bewusst viel verfallen. In anderen Fällen wird tot saniert. Geschäfte machen zu. Gastronomie macht dicht. Es bleiben Ramschläden, Dönerbuden und fragwürdige Buden. Ausländische Clans kaufen ganze Straßenzüge auf und setzen bewusst ihre Leute rein. Ein leichtes Spiel. Und dass Weißenfels ein Umschlagplatz für Drogen ist, dürfte den meisten bekannt sein. Die Entwicklungen sind richtig mies. Ich möchte dort nicht wohnen, schon gar nicht dort Kinder haben. Und das ist traurig, sehr traurig,. Zumal die meisten Probleme bewusst tot geschwiegen werden. Von daher frage ich: Wer ist blind??!!
VG Manfred