„Ich habe Kroatien nicht nur in den Gebeinen, sondern auch im Schädel, denn der Rotwein aus familiären Anbau haut rein. Traubenträume aus Podgora, oh yeah! Vom süffisanten algengrünen Sex-Elixier lasse ich vorerst die Finger…“ August 2015. Sportsfreund Andreas Gläser war wieder zurück in seiner Heimatstadt Berlin. Zurück in der Stadt, die wie ein Brauereigaul mit Rennpferdgeschirr daher kommt. Nach seinem Urlaub an der Adria wurde Andreas warm empfangen. Während er auf dem S-Bahnhof Beusselstraße auf die Ringbahn wartete, strullerte irgendein Depp von der Brücke auf die Gleise. Kroatien und Deutschland. Split und Berlin. Alles Europa, doch trennen beide Länder, beide Städte wahrlich Welten. Und mit der Welt, mit der wir Berliner leben müssen, ist mitunter recht skurril. Für Ur-Berliner, wie Andreas und mich, und für all die Zugezogenen, die inzwischen gefühlt 90 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Apropos, ich muss, bevor es um das neue Buch von Herrn Gläser geht, kurz abschweifen. Am vergangenen Sonntag war ich eingeladen zu einer Salbung in einer serbisch-orthodoxen Kirche im Wedding. Einer der besten Freunde suchte und fand den Weg vom katholischen Glauben zur serbisch-orthodoxen Gemeinde. Im Anschluss wurde groß aufgetafelt. Balkangerichte und leckere Getränke. Zu Tisch saß die aus Mazedonien stammende Partnerin des Paten, der bei der morgendlichen Salbung auf dem Altar die Kerze hielt. Der Rest der Truppe an der langen Tafel? Alles geborene Berliner! Wir gingen einmal die Runde durch. Es gibt sie doch noch, die Berliner, die einst in Lichtenberg oder Mitte das Licht der Welt erblickt hatten - oder zumindest seit Jahrzehnten in dieser Stadt wohnen und wirken.
Gläsers Globus: Wortgewaltige Streifzüge durch den Berliner Alltag
Und wenn ich es recht überlege, hätte Andreas Gläser gut in die Runde gepasst. Ein leckeres Getränk wurde auch bei ihm in heimischer Stube kürzlich aufgetischt. Bei äußerst schmackhaftem schottischen Whiskey - es blieb nicht nur bei einem Gläschen - stellte er mir sein neuestes Werk vor. Womit wir den Kreis geschlossen haben. Die Anekdote von seiner Rückkehr von der kroatischen Adria ins leicht müffelnde Berlin ist in seiner Kolumne vom 07. August 2015 zu lesen, die beim „Neuen Deutschland“ auf Papier und im virtuellen Raum veröffentlicht wurde. Seit 2014 erschien (fast) jeden Freitag in dieser Zeitung die Kolumne „Gläsers Globus“. Auch mein Buch „Zwischen den Welten“ wurde einst thematisiert. Für diese gute Tat war ich sehr dankbar. Noch mehr erfreut war ich über die Tatsache, dass er unsere einstigen Armdrücken-Schlachten erwähnt hatte. Nach Heimspielen des BFC Dynamo wurde abends im Vereinsheim ab und an zum Kampf herausgefordert. Jeder gegen jeden. Es gab Überraschungssiege (ich hatte die nötige Spannung Dank jahrelangem Badminton), es gab derbe Niederlagen. Gegen den dynamischen Schreibmeister gab es meist ein Remis. Minutenlang wurde gedrückt, gepowert und angespannt. Es war nichts zu machen. Ein Faustschlag auf den Tisch. Einigen wir uns auf Unentschieden! Her mit dem nächsten Bier!
Nicht beim Bier, sondern beim besagten Whiskey saßen wir nun Mitte Januar in seiner Wohnung in Prenzlauer Berg und blätterten in seinem neuen Werk. „Jans Jukebox trifft Gläser Globus“ heißt das gute Stück, das kürzlich bei der Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH erschienen ist. Gemeinsam mit „Jan von Im Ich“ wurde das Projekt umgesetzt. Es sollte nicht bei den 42 ausgesuchten Kolumnen bleiben. Vielmehr sollte dem Papierprodukt eine Vinyl-Single beigelegt werden, wie es einst bei den legendären Aurora-Heften aus DDR-Tagen üblich war. Auf der Single, die im klassischen Stil daherkommt, sind fünf Songs zu hören. Für den musikalischen Schwung sorgte der besagte Jan, gemixt wurden die Songs von Ronny. Die konkrete Idee der Umsetzung stammt aus den Reihen von „Oi! The Nische“. Gepresst wurde die gute Scheibe, in der mehr stecken soll als in mancher LP, von steeltown records in Eisenhüttenstadt.
Carsten Lisecki fertigte an einem Nachmittag gemeinsam mit Jan und Andreas eine Foto-Serie an, die im vor mir liegenden Buch zu bewundern ist. Jan kenne ich nicht persönlich, den Herrn Gläser umso besser. Seit nun mehr geschätzten 15 Jahren laufen wir uns immer wieder mal über den Weg. Beim Fußball, bei Tipp-Kick-Abenden, bei Spaziergängen durch die große bunte Stadt, beim abendlichen Plausch und, na klar, beim Armdrücken. Kurzum, die im Buch und auf dem Cover abgedruckten Fotos sind bombig. Gut getroffen. Sehr zeitlos. Äußerst passend. Der Herr Gläser. Unterwegs mit Schiebermütze und weinroter Jacke mit dem alten Emblem des SC Dynamo. Auf einer Wildblumenwiese zwischen Neubauten. Vor einem alten Wohnwagen. Mit Gepäck (ist dort ein Musikinstrument drin?) in einer Parkanlage. Vor einem Balkon, auf dem im Hintergrund ein Anwohner ganz argwöhnisch rüber schielt. An einer Skulptur, die eine Mutter mit ihrem Baby darstellt. Ha, lächelnd betrachtet Andreas auf dem Foto das in den Armen gehaltenen Baby in Stein. Tja, so begannen einst unsere Tage. Bei jedem von uns.
Zeitlich nicht ganz so weit zurück geht Andreas Gläser in seinen Kolumnen. Die meisten Anekdoten stammen aus Gegenwart und jüngerer Vergangenheit. Was im Alltag erlebt wurde, konnte aufs Papier gebracht werden. Das Highlight der Woche quasi. Ein wenig Fußball (nicht allzu viel, die Kolumnen im „ND“ sollten ja schließlich auch Nicht-Fußballfans ansprechen), dafür einiges aus dem Privat- und Arbeitsleben des Autors. Grüße aus dem Pförtnerkabuff, in dem er einige Zeit sein Geld verdient hatte. Zwar hatte Andreas Gläser bereits einige Bücher auf den Markt geworfen und auch einige tausend Exemplare verkaufen können, doch um auf Dauer davon leben zu können, hätte er einen Bestseller über sexuelle Offenbarungen schreiben müssen. Oder einen Roman über Katzen. Hö hö. Zonenfußball und das Leben als Arbeiter kamen zwar sehr gut an, doch auf die Spiegel-Bestseller-Liste schafften „Der BFC war Schuld am Mauerbau“ und „DJ Baufresse“ nicht. Aber wenn ich mir es recht überlege, „Zonenschläger“ müsste eigentlich noch mal frisch auf den Markt geworfen werden.
Sei es, wie es sei. Im Januar 2015 grüßte Herr Gläser aus dem Pförtnerkabuff und sah die Studenten, Dozenten und Obdachlosen ein und aus spazieren. Später kamen auch die Junkies dazu, die er jedoch erfolgreich aus den Toiletten vertreiben konnte. Das Gute an seinem damaligen Job: Zwischen den Stoßzeiten hatte er Zeit. Zeit, um Magazine zu lesen. Zeit, um diese Kolumnen zu schreiben. Um Romane schreiben zu können, musste der Job noch zweimal gewechselt werden. Arbeitsfreie Abende und Wochenenden sind für einen Autor unabdingbar. Zwischen Tür und Angel kann zwar auf der Nachtschicht eine Kolumne verfasst werden, jedoch kein ausgereiftes Buch.
Mit Witz und manchmal auch einem Portiönchen Bissigkeit schildert er die Alltagserlebnisse. „Was für Zonen-Gabi die erste Banane war, soll für mich das erste Smartphone sein, wünsche ich mir.“ Glücklich wurde er mit seiner „Kosmonautenstullenbüchse“ jedoch nicht. Das „Mutanten-Mainstream-Teil“ blieb / bleibt meist in der Jeansjackentasche. Glücklicherweise wird er selten angerufen, da sein zuvor im Besitz befindliches Handy namens „Kohle“ eh nur bedingt funktioniert hatte. Herrlich zu lesen ist auch die Kolumne vom 03. Juni 2016, welche den Titel „Schlimmer als die Vollbartpest“ trägt. Eigentlich geht es um Herrn Gläsers Kopfbedeckung, doch einen hübschen Schuss zur Seite tätigt er auf Seite 51: „Das Volk kommt optisch so wild wie nie zuvor rüber, verhält sich aber untertänig und reaktionär.“ Wohl wahr. Da fallen einen doch gleich die Baumfällerhemden und all die Bärte in all den Kneipen von „Kreuzkölln“ ein. Ach ich möchte die alle mal in die Berge der Karparten verfrachten. Mit Zelt und Axt. Auf geht´s in die Wildnis und hübsch das Feuer machen. Und die Lebensmittel fein hoch in den Baum hängen, ansonsten schnuppern die Bärchen vorbei. Herr Gläser wird mir da sicherlich zustimmen.
Um langsam aber sich zum Schluss zu kommen: Echte Reise-Themen gibt es in „Gläsers Globus“ kaum, eine klare Kaufempfehlung gebe ich indes auf jeden Fall ab. Und da diese Rezension (auch wenn sie etwas untypisch ausfällt) in der Reise-Rubrik erscheint, darf erlaubt sein, noch ein paar Zeilen aus der Kolumne „Kroatien in den Knochen“ zu zitieren. „Es war interessant bei den Räubern der Adria, die mir eher als Preußen des Mittelmeerraumes erschienen. Sie gaben sich oft wortkarg, aber ein holpriges ‚Hvala‘ ließ sie schnell schmunzeln und schwatzen. … Der Kroate quatscht angemessen und direkt. Die übertrieben herzliche Begrüßung gegenüber einem Fremden sowie Kleingespräche mit charmanten Ausflüchten scheinen ihm fremd. …“ Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Die turus-Redaktion, die häufig auf dem Balkan unterwegs war, sagt: Bingo, Herr Gläser. Den Nagel auf den Kopf getroffen. Bei den Kolumnen über Berlin muss das jedoch nicht extra erwähnt werden…
PS: Für die beigelegte Single muss ich mir erst einmal einen Schallplattenspieler besorgen…
- Berlin