Der Blick schweifte über die Wiese. Nebenan wurden die Schafe und Esel mit einem Eimer Möhren gefüttert, vor uns auf dem Holztisch standen warmer Glühwein, eine überaus schmackhafte Hühnerbrühe, zwei Flaschen Bier und eine ebenso leckere Wildknacker. Zwar nieselte es leicht und die Temperatur sorgte nicht wirklich für Behaglichkeit, doch unter dem kleinen Schutzdach konnte man bei Speis und Trank am Forsthaus im Briesetal wieder komplett die Zeit vergessen. Eigentlich sollte es nach der Etappe von Borgsdorf aus durch das Briesetal bis zum Forsthaus Wensickendorf (leider nur am Wochenende geöffnet) weiter durch den dichten Forst in Richtung Lehnitzsee und Oranienburg gehen. Ein Blick auf die Uhr ließ dann jedoch Zweifel aufkommen, ob diese Strecke noch vor Einbruch der Dunkelheit noch zu schaffen sei. Auf dem einstigen im Wald befindlichen Truppenübungsplatz wollten wir uns in der Finsternis nicht verirren. Somit wurde der Entschluss gefasst: Noch eine Runde - wirklich das ganze Angebot an Speis und Trank zum Erstaunen des Försters noch einmal -, und dann in der Dämmerung wieder den altbekannten Weg an der Briese entlang nach Birkenwerder.
Bei Dämmerung durchs mystische Briesetal: In Gedanken durch Raum und Zeit
Vor einem Jahr hatten wir es geschafft, dermaßen bei Glühwein und Schwarzbier zu „versacken“, dass wir letztendlich bei totaler Finsternis die Briese entlang zurück wandern mussten. Damals war der Himmel schwarz, und man sah nicht einmal mehr die groben Umrisse der Bäume. Nichts, wirklich nichts. Mit dem Display der kleinen Digitalkamera konnten wir wenigstens halbwegs die kommenden ein, zwei Meter ausleuchten und somit dem Pfad folgen. Es hätte jedoch nicht viel gefehlt und wir wären in der halb vereisten, morastigen Briese gelandet.
Dieses Mal wollten wir - auch wenn es aufgrund der Idylle am Forsthaus schwer fiel - rechtzeitig den Absprung schaffen und zumindest beim letzten Quentchen Tageslicht den Weg zurücklegen. Also dann! Tisch abgeräumt, den kleinen Rucksack aufgesetzt und dem Pfad zurück in Richtung Borgsdorf und Birkenwerder gefolgt. Herrlich! Ist das Wandern im Briesetal bei Tageslicht schon eine Wucht, so ist dies in der Dämmerung noch weitaus beeindruckender! Im Umland von Berlin ist das Briesetal neben der Märkischen Schweiz zum absoluten persönlichen Favoriten aufgestiegen. In heimischen Gefilden könnte es kaum uriger sein, und beim Wandern entlang des fast stehenden Gewässers kann man komplett vergessen, dass man sich quasi vor den Toren von Berlin befindet.
Das Licht wurde bläulich, gespenstisch hoben sich die kahlen Baumkronen vom immer dunkler werdenden Himmel ab. Zahlreiche Bäume stehen mitten im Wasser, an einigen Stellen haben Biber ganze Arbeit geleistet und kleine Staudämme errichtet. Sämtliche Wahrnehmungen wurden wieder intensiver, die Gedanken und auch unsere Gespräche wurden ebenso intensiver. Automatisch kommt man bei solch einer Tour in der Dämmerung immer wieder auf Folgendes zu sprechen: Wie muss es gewesen sein, hier vor sagen wir einmal 1.000 Jahren entlanggegangen zu sein? Welche Slawenstämme mögen wohl hier einst gelebt haben? Oder noch weiter zurückgedacht, was hatten einst die Germanen gedacht, als diese hier ihr Revier abgesteckt hatten und womöglich in Stammeskonflikte gerieten?! Ob es hier an den morastigen Wasserflächen der Briese einst Überfälle aus dem Hinterhalt gab?
Zur letzten Eiszeit wurde diese Landschaft geschaffen. Langgestreckte Dünen wurden aufgeweht, Dank dieser gibt es entlang der Briese ein welliges Relief. So geht es auch auf dem Weg entlang des Flusses immer wieder leicht auf und ab. Bei totaler Finsternis ist der Gang somit kein leichtes Unterfangen, zumal sich immer wieder mal ein Weg abgabelt und der eigentliche Pfad entlang des Flussufers plötzlich einen Knick macht. Wir hatten indes dieses Mal die Zeit gut eingetaktet. Richtig dunkel wurde es erst, als wir die Straße nach Birkenwerder erreicht hatten. Auf dem Weg dorthin schweiften unsere Gedanken eine Stunde lang durch Raum und Zeit. Pläne wurden geschmiedet. In diesem Jahr müsse man noch mehr Zeit in der freien Natur verbringen. Mit einem Zelt an einem abgelegenen See nächtigen. Wieder mehr eins werden mit der Natur, die Sinne wieder schärfen, gedanklich wieder mehr Kontakt zu den Vorfahren aufnehmen. Sich im Geiste ausmalen, wie diese wohl einst vor 200, vor 500 oder gar 1.500 Jahren gelebt haben mögen. Das eigene Leben reflektieren. Zur Ruhe kommen.
Als schließlich die asphaltierte Straße in der kleinen Siedlung Briese und später Birkenwerder erreicht wurde, konnte der wieder einmal beeindruckende Tag in der Natur nicht einfach mit der S-Bahnfahrt gen Berliner Innenstadt abrupt beendet werden. Solch einen Tag muss man passend ausklingen lassen. In Birkenwerder bietet sich dafür der Ratskeller optimal an. Bei zwei, drei Runden Bier wurden dort die intensiven Gespräche fortgesetzt, und der Entschluss steht fest, so schnell wie möglich wieder zurückzukehren. Vor allem, wenn die Abende länger und milder werden. Es gibt halt bestimmte Punkte, zu denen man sich hingezogen fühlt. So, als würde es eine unsichtbare Verbindung geben. In Polen ist dies im Vorland des Riesengebirges bei Jelenia Góra und Cieplice die Burg Chojnik, die mich seit Jahren wie ein Magnet anzieht. Auch nach schätzungsweise 50 Wanderungen zur dortigen Burg hat diese auch nicht ein klitzekleines bisschen ihren Reiz verloren. Immer wieder fühlt es sich an, als sei dort ein Stück eigene Vergangenheit. Jenseits des jetzigen Lebens. Im Fall des Briesetals ist es ähnlich, und vermutlich wird auch dort nach der vielleicht 30. Wanderung im Abendlicht die Magie und Mystik weiterhin im vollen Maße zu spüren sein…
Fotos: Marco Bertram
- Brandenburg