Gedenkstätte Seelower Höhen: Geschichte erfahren und etwas mehr begreifen

Weit geht der Blick in Richtung Osten. Von den Oderhängen Seelow-Lebus aus kann man bis nach Polen schauen. In Reichweite die im Oderbruch liegenden Ortschaften Golzow, Alt Tucheband und Zechin. Dahinter das an der Oder liegende Küstrin / Kostrzyn. Mit meinem siebenjährigen Sohn stehe ich auf der Gedenkstätte Seelower Höhen und lasse den Blick schweifen. Auf einer Tafel ist erkennbar, wo sich die einzelnen Ortschaften befinden und wo einst die Truppenverbände im Frühjahr 1945 vorstießen. Ich erinnere mich noch genau, als am 08. Mai 1985 an unserer 10. Polytechnischen Oberschule „Helene Weigel“ wie in allen POS der DDR in Form eines Fahnenappells der 40. Jahrestag zur Befreiung vom Faschismus gefeiert wurde. 40 Jahre - das kam mir damals als 11-jähriger schon ewig her vor. Doch war der Zweite Weltkrieg in gewisser Form greifbar, da es noch eine Menge Zeitzeugen gab. Eine alte Lehrerin wetterte immer, wenn die Schüler mal nicht aufpassten. Als Antifaschistin sei sie im KZ inhaftiert gewesen, und sie verlangte, dass die Schüler ihr verdammt noch mal zuhören. Heute schreiben wir das Jahr 2018 - und die letzte Phase des Zweiten Weltkrieges ist nun bereits 73 Jahre her.

40 Jahre oder 73 Jahre? Macht das einen Unterschied? Nein! Wenn man solche Orte wie die Gedenkstätte Seelower Höhen besucht, rückt auch die 73 Jahre zurückliegende Zeit mit einem Mal wieder ganz, ganz dicht ran. Dort, wo in der Gegenwart friedlich die Landschaft des Oderbruchs vor einem liegt, tobte im Frühjahr 1945 eine der größten Schlachten des Zweiten Weltkrieges. Auf dem Weg nach Berlin stieß die Rote Armee, unterstützt von polnischen Einheiten, ein letztes Mal (vom Häuserkampf in Berlin mal abgesehen) auf massive Gegenwehr. Zwar standen an den Seelower Höhen rund eine Million Soldaten der 1. Weißrussischen Front zirka 120.000 Soldaten der 9. Armee des Deutschen Reichs gegenüber, doch aufgrund der geographischen Begebenheiten konnte die 1. Weißrussische Front unter dem Befehlshaber Marschall Schukow nicht so schnell vorrücken, wie es in Moskau gewünscht wurde. Die deutschen Truppen leisteten erbitterten Widerstand. Am Ende gab es auf Seiten der Sowjets und Polen rund 33.000 Gefallene und 40.000 Verwundete, auf deutscher Seite wurden 12.344 Gefallene gezählt.

Nur wenige Tage nach Ende des Zweiten Weltkrieges gab der sowjetische Oberbefehlshaber Marschall Schukow den Befehl, auf dem Plateau eine Gedenkstätte zu errichten. Die Monumentalstatue wurde am 27. November 1945 eingeweiht. 1972 wurde unterhalb dieser Gedenkstätte ein mit Holzstämmen verkleideter Fachbau errichtet, der an den Befehlsbunker von Marschall Schukow erinnern soll. Zu der gleichen Zeit wurden auf dem Vorplatz militärische Gerätschaften aufgestellt und oben auf dem Hügel ein Gräberfeld für gefallene sowjetische Soldaten eingerichtet. Von 1972 bis 1990 konnten rund 1,3 Millionen Besucher aus 130 Staaten gezählt werden. Für zahlreiche Schulklassen, FDJ-Gruppen und vor allem für angehende Berufssoldaten der NVA war ein Besuch dieser Gedenkstätte Pflicht.

Nach dem Fall des Eisernen Vorhangs änderte sich die Ausrichtung der Ausstellung im Museumsgebäude. Das Konzept wurde neu überarbeitet, 1995 wurde die neu gestaltete Ausstellung schließlich der Öffentlichkeit präsentiert. Gezeigt wird seitdem in einem Aufführungsraum des Museums ein Dokumentarfilm von 1994, der wirklich sehr zu empfehlen ist. Für einen Moment überlegte ich, ob es so eine gute Idee war, den knapp achtjährigen Sohn mit hinein zu nehmen, doch kann man bekanntlich gar nicht früh genug damit beginnen, über den Krieg aufzuklären. Und es ist erstaunlich, wie pragmatisch Kinder mit dieser Thematik umgehen können. Wichtig ist es natürlich, nach dem Besuch solch eines Museums mit Gesprächen noch das eine oder andere aufzuarbeiten.

Mit der Bahn ist diese Gedenkstätte sehr gut erreichbar. Vom Bahnhof Seelow aus ist die Gedenkstätte nur wenige Meter entfernt, der Zug von Frankfurt (Oder) nach Eberswalde verkehrt alle zwei Stunden. Zudem bietet sich Seelow hervorragend an, von dort aus eine Wanderung ins Oderbruch zu starten. Lässt man die Tour in nördlicher Richtung in Werbig oder Golzow ausklingen, so bietet sich an, für die Rückreise die Zugstrecke von Kostrzyn nach Berlin-Lichtenberg zu nutzen. Empfehlenswert ist zudem, das Ganze mit einem Abstecher nach Kostrzyn zu verbinden. Die dortige Festung und vor allem das unterirdische Museum sind sehr sehenswert und bieten sich hervorragend dafür an, die geschichtlichen Ereignisse etwas besser begreifen zu können - auch wenn ein Menschenleben niemals ausreichen wird, auch nur im Ansatz die schrecklichen Ausmaße des Zweiten Weltkrieges zu erfassen…

Fotos: Marco Bertram

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