Vor ein paar Jahren stapfte ich mit einem losen Bekannten durch polnische Wälder und alte Bunkeranlagen. Dort wurde auch die Idee geboren gemeinsam einen Trip in die Republik Moldau und nach Transnistrien zu unternehmen. Gesagt, getan, ein paar Jahre später konnte das Vorhaben umgesetzt werden. Doch recht schnell zweifelte der besagte Reisepartner wohl an seinem Entschluss und schrieb, „Moldawien ist das unbeliebteste Land bei Touristen in Europa. Wir haben zwar noch die Zeit der Diebstähle in polnischen und slowakischen Zügen mitgemacht, kennen die Verhaltensweisen von Zigeunern. Aber dennoch: Etwas Vorsicht ist angebracht. Den Ballermann-Deutschen würde ich da nicht machen“. Das hatte zwar auch niemand vor, aber gut. Schlussendlich entschied sich der Bunkerexperte rund zwei Wochen vor Abflug, dass die Sorgen um diese Reise wohl überhandnahmen und er somit einen Rückzieher machte. Ein Glück, wie sich im Nachhinein herausstellte, denn auf diese Region lohnt es sich wirklich mit allen Sinnen einzulassen und nicht gebremst zu werden durch etwaige Vorurteile oder Phantasien.
Eine Reise mit Herzblut und Wehmut nach Moldawien, Transnistrien und Odessa
Eine Reise in ein Land an der Grenze zwischen Ost und West, zerrissen zwischen Europa und Russland, multikulturell vermischt wie kein zweites, reich an fruchtbarem Boden und stolz auf seine Geschichte und den Wein. Dieses unscheinbare von der Welt aber scheinbar vergessene kleine hügelgetränkte Land lernt man vor der Anreise am besten über den Text der Nationalhymne kennen – der „Limba Noastră“, zu Deutsch „Unsere Sprache“.
Hier kommt die landestypische Doina gut zum Ausdruck. Die Doina ist vergleichbar mit der portugiesischen Saudade. Ein Gefühl der Wehmut, Sehnsucht oder auch Melancholie, tief verankert in der Seele der Menschen eines Landes zwischen der Ukraine und Rumänien.
„Unsere Sprache ist ein Schatz
Der in der Tiefe vergraben,
Eine Kette von edlen Steinen
Auf unserem Land verstreut.
Unsere Sprache ist ein brennendes Feuer
Inmitten eines Volks, das ohne Nachricht
Aufgewacht vom Todesschlaf
Wie der Held aus den Märchen.
Unsere Sprache ist ein grünes Blatt
Das Rauschen der ewigen Wälder,
Die ruhige Kräuselung des Nistrus verbirgt
Die Leuchter der Sternen.
Unsere Sprache ist eine gesegnete Sprache,
Die Sprache der alten Predigten
Die geweint und gesungen
Von den Bauern in ihrem Heim.
Es wird ein Schatz auferstehen
Der in der Tiefe vergraben,
Eine Kette von edlen Steinen
Auf unserem Land verstreut.“
Von der Hauptstadt Chişinău aus machte ich mich mit dem PKW zur naheliegenden Umgebung der Metropole auf. Die mit vielen Grünanlagen durchzogene, ohne Standardlädchen à la Zentren von Paris, Prag oder Warschau, und im zweiten Weltkrieg so stark zerstörte Stadt bildet das Zentrum des kulturellen sowie wirtschaftlichen Lebens des Landes. Von hier aus lässt sich nahezu jeder Landesteil per Tagesreise gut erreichen. Ob nun via den Marschrutki, dem Taxi oder eigenem PKW. Im Land selbst gibt es aber auch regelmäßig operierende Bahnverbindungen, die jedoch nicht besonders empfehlenswert und wohl nur für echte Bahnfreunde reizvoll sind. Im Jahr 2017 stand die Eisenbahngesellschaft kurz vor dem Konkurs, was den Bahnverkehr auch weiterhin massiv bedroht.
Auch ohne Zug kann man sich in der Nähe der Hauptstadt gut dem Wein der Republik Moldau widmen. Mit eigenem Auto oder per Vehikel vor Ort, rollt der Besucher durch die endlosen Weinkeller der verschiedenen Weingüter. Das bekannteste ist Cricova. War man als Besucher nicht dort vor Ort, so heißt es, hat man Moldawien nicht kennen gelernt. Unter anderen waren hier der wiedergewählte russische Staatspräsident Putin oder auch die deutsche Kanzlerin Merkel zu Gast. Das Weingut weist neben einem 120 km langen Stollensystem auch eine Sammlung alter Weinschätze, unter anderem die Reste der Weinsammlung des Hermann Göring auf. In einem der fünf Verkostungssäle hat auch schon der Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin moldawischen Rebensaft verkostet und dabei etwas die Zeit vergessen, sodass die Nacht vorüberzog und ein neuer Tag begann. Neben dem staatlichen Weingut Cricova, in der auch nach dem Verfahren der Méthode champenoise produziert wird, gibt es im ganzen Land noch viele weitere, so beispielsweise Mileștii Mici mit stolzen 250 km Länge.
Nach persönlichem Gefühl hat in der Republik Moldau jedoch ebenfalls jeder Einwohner einen persönlichen Weinkeller. Wein, Brot und Salz und schon ist der Gast begrüßt. Einen guten Tischwein produzieren die Mönche des Klosters Noul Neamț nahe Tiraspol, der Hauptstadt des international nicht anerkannten selbstverwalteten Staates Transnistrien. In dem Kloster, von dessen 68 Meter hohem Kirchturm man bis auf die sowjetischen Wohnblöcke Tiraspols schauen kann, schreibt Bruder Simeon Ikonen und Bruder Kosmas bekocht die rund 80 Mönche mit Lebensmitteln aus eigenem Anbau. Aktuell wird auf dem Areal eine neue Unterkunft für Gäste gebaut, sodass die Gastfreundschaft und Herzlichkeit von vielen weiteren Pilgern und Besuchern genossen werden kann. Bisher liegen jedoch neben dem Neubau noch die Schweineställe und Hühnerkäfige.
Vom Kloster rund zehn Minuten mit dem Auto entfernt liegt Tiraspol, die mit der zweitgrößten Stadt des Landes, Bender, einen großen Ballungsraum bildet. Dort lebt der Geist der Sowjetunion – zumindest anhand von Statuen, Denkmälern und Parolen an Wänden – auf. Das Land im Westen als Transnistrien, im Land selbst als Pridnestrowien bezeichnet, zeigt anschaulich die weiterhin instabile politische Wetterlage. In der Republik Moldau gibt es eine ähnliche Situation mit dem Gebiet „Autonome Territoriale Einheit Gagausien“. Die Minderheit des Turkvolks der Gagausen hatte es 1994 endlich geschafft autonom in der Republik Moldaus akzeptiert zu werden. Vielleicht besinnen sich die Regierung in Transnistrien und Chişinău eines Tages ebenfalls auf ein Zusammenwachsen. Jedoch will der eine nach Europa und der andere nach Russland. Aber auch in der Republik Moldau streben einige große Bevölkerungsteile stark in Richtung Osten.
Politische Turbulenzen erlebte zuletzt das Nachbarland Ukraine, das ebenfalls zu kleinen Teilen zur beschriebenen historischen Region Bessarabien gehört. Für mich rollte der Zug vom Hauptbahnhof Chișinău um etwa acht Uhr morgens in Richtung Odessa, der Hafenstadt am Schwarzen Meer. Durch Bender und Tiraspol ruckelte der in die Jahre gekommene Zug durch die hügelige Landschaft mit ihren Wallnussbaumalleen, um dann circa 30 Minuten lang an der ukrainischen Grenze durchgecheckt zu werden. Dem Blick der kritischen Beamten standgehalten ging es mit etwa 30 bis 40 km/h weiter durch die winterliche Landschaft. Als der Zug durch die ersten Vororte Odessas tuckerte, tauchten zunehmend Häuserruinen und Geröllhalden auf. Ich fühlte mich, als würde ich in ein Kriegsgebiet einfahren. Hatten die Russen doch aufbegehrt und gegen das Wahlverbot zur russischen Wahl im März 2018 rebelliert? An den übriggebliebenen Wänden der Bahnhäuschen standen Kapuzen tragende Jugendliche im Eisregen mit Dosen in der Hand. Ihr Ziel war es das triste Grau der Ruinen etwas bunter zu gestalten.
Aus dem Sitz geschält und auf den eisigen Bahnsteig hinaus gestiefelt, erwartete mich ein Bahnhof dessen Pracht die dahinterliegende Stadt, mit ihrem berühmten Opernhaus, den vielen Kirchen und alten Bürgerhäusern, ankündigte. Die schönste Hafenstadt sollte Odessa laut Katharina der Großen werden. Neben vielen unsanierten und dem Verfall preisgegebenen Häusern gibt es in der großen Altstadt in der Tat viel schöne Bausubstanz zu entdecken. Vorsicht sollte man beim Überqueren der Straßen walten lassen, da die großen Jeeps mit den schwarzen Scheiben kaum Rücksichtnahme kennen. Schauderhaft ist, dass die Stadt mit der schönen Hafenpromenade und ihren berühmten Treppen, als Aidshauptstadt Europas gilt. Das Land kommt aber auch politisch nicht zur Ruhe. Nationalistische Bestrebungen wirken sich auch auf den Konflikt zwischen dem Moskauer und dem Kiewer Patriarchat aus. Seit einigen Monaten brennen Kirchen oder Klöster und des Weiteren werden Namen und Daten von Priestern des Patriarchats von Moskau und der ganzen Rus im Internet veröffentlicht. Dieser seit 1992 andauernde und durch die ukrainische Regierung gestützte Streit könnte jedoch nun endlich eine positive Entwicklung nehmen. Patriarch Kyrill I. hatte im Dezember 2017 angekündigt, dass es zukünftig zu Verhandlungen zwischen beiden Patriarchaten kommen soll.
Ich hoffte auf ein Eintreten des Einlenkens beider Parteien und fuhr mit dem Minibus zurück in die beschauliche Republik Moldau. Über die Grenze bei Palanca bietet sich der Stopp für einen Kaffee in dem Örtchen Căușeni mit dem kleinen Kirchlein „Adormirea Maicii Domnului” an. Definitiv lohnenswert einer jeder Moldawienreise ist das rund 50 Kilometer von Chişinău entfernt liegende Orheiul Vechi. Hier liegen verschiedenste Ausgrabungsstätten aus den verschiedenen Epochen dieses Landes. Unter anderem kann auch heute noch das Höhlenkloster, das einst einigen 100 Mönchen Platz bot, besucht werden. Von dort und dem der Legende nach wunderwirkenden Steinkreuz aus bietet der Flusslauf des Răut einen idyllischen Überblick. Ich fand mich zwar als einziger Tourist dort wieder, begrüßt von einem einzelnen Hund, jedoch ließ der Schnee weitere Erkundungen nicht weiter zu.
In näherer Umgebung liegen einzeln verstreute ursprünglich wirkende Dörfer, die auch Übernachtungen in dieser malerischen Gegend anbieten. Im Halbkreis fuhr ich von diesem verträumten Eckchen Erde über die mystischen Klöster Curchi, Căpriana und Condriţa in die schöne Hauptstadt Chişinău zurück und verabschiedete mich bei einem Glas Wein sowie netter und wie hier so häufig unerwarteter, spontaner Bekanntschaft von dem Land der Hügel, Doina und den vielen liebevoll gepflegten und belebten Klosteranlagen, als Ausdruck tiefer Religiosität.
(Weitere Bilder folgen in Kürze!)
Fotos: P. Schoedler