Fährt man in Brasilien von Belém nach Manaus den Amazonas hinauf, so erreicht man etwa auf halber Strecke die Stadt Santarém. Diese befindet sich an der Mündung des Rio Tapajós und hat gegenwärtig rund 270.000 Einwohner. Auf dem Wasser des Amazonas ist ein faszinierendes Naturschauspiel zu sehen. Das dunkle, grünliche Wasser des Tapajos fließt vor Santarém einige Kilometer parallel zum bräunliches Amazonas-Wasser. Unterschiedliche Wassertemperaturen und Fließgeschwindigkeiten sind die Ursache für dieses Phänomen. Bekannt ist Santarém auch für seine kilometerlangen Sandstrände.
Wo Amazonas und Tapajós sich vereinen: Eine Reise nach Santarém
Die Angelegenheit kling relativ banal: Der Tapajós mündet in den Amazonas. Wie spektakulär die dortige Region beschaffen ist, erkennt man auf einer Satellitenaufnahme. Welch ein Gewirr an Nebenarmen und riesigen Seen! Allein der Lago Grande de Monte Alegre nordöstlich von Santarém ist mehr als 30 Kilometer lang. Wer sich als Kapitän oder Bootsführer in diesem Geflecht zurechtfinden will, benötigt extrem gut Navigationskenntnisse.
Für einen Zwischenstopp lohnt Santarém auf jeden Fall. In einer Hospedaria sollte man sich für ein paar Tage einquartieren und anschließend in aller Ruhe die Stadt erkunden.
Folgend ein Rückblick auf eine Amazonas-Reise, die im Sommer 1996 stattfand. Ohne Internetcafés und Mobiltelefon wirkte solch eine Tour mit Sicherheit noch verwegener als in der Gegenwart. Ein Abenteuer ist und bleibt ein Trip in dieser Region allemal.
Ankunft im Hafen von Santarém in Bundesstaat Pará
Kaum erreichte das Schiff den Hafen, sprangen die ersten mit ihrem Gepäck auf die Kaimauer. Es war ein Wunder, dass sich niemand die Beine brach oder ins Wasser fiel. Die Aussteigenden strömten zur Ausgangspforte des Hafengeländes, und die verbleibenden Passagiere standen winkend auf den Decks verteilt.
Der eingezäunte Hafen für die großen Schiffe, welche die gesamte Länge des Amazonas befahren, lag am Rande von Santarém. Bis zur Innenstadt musste man gut und gerne eine Stunde am Wasser entlanglaufen. Die Kaimauer für die kleinen Schiffe und privaten Boote war schier endlos lang und zog sich Kilometer weit hin.
Das Leben der Stadt spielte sich hauptsächlich an der Straße, die am Kai entlangführte, ab. Dort befanden sich die meisten Geschäfte, Bars und Cafés. Stände säumten den Straßenrand. Weiße geschwungene Schiffe lagen mit Tauen befestigt am Kai. Braun gebrannte Jugendliche fuhren mit schmalen Holzkähnen zum Fischen hinaus, stellten sich auf die hölzernen Buhnenpfähle und sprangen kopfüber ins Wasser, um ein Netz oder eine Reuse einzuholen, die sich auf dem Grund verfangen hatten.
Rostige Schubkarren und klappernde Wägelchen mit quietschenden, abgenutzten Rädern wurden von Männern mit kräftigen, aufgerauhten Händen geschoben und gezogen. Bunte Plakate hingen an den Schiffen und wiesen auf Zielort und Abfahrtstermin hin.
Alter do Chão, Aveiros, Curuvaí, Monte Alegre, Juruti, Itaituba ...
Manch ein Name hat einen indianischen Ursprung, und kaum ein Fremder wüsste auf Anhieb, wo genau diese Orte liegen. An den Ständen wurde reichlich gekocht, gebraten und gegart. Fisch in jeglicher Form, Farbe und Größe war überall erhältlich. Fand sich kein Käufer, schmorten die Fische im dunklen Fett viele Stunden, so dass sie schwarz und unansehnlich wurden. Die Konkurrenz am Hafen war groß, und an Nachschub fehlte es nicht. Es stellte sich mir die Frage, wer all diese zubereiteten Fische essen sollte. Selten sah man eine Person speisen.
Der Beton der Kaimauer hatte an einigen Stellen Risse, und so wurden große Felsbrocken und Steine aufgeschüttet. Telegraphenmasten folgten dem Verlauf der Straße, und an den Häuserwänden hingen senkrechte Werbeschilder, die auf die Geschäfte im Erdgeschoss hinwiesen. Fachgeschäfte für Anglerbedarf, Bootsmotoren und Jagdausrüstung. Anlaufpunkte für Goldsucher, die sich von Santarém aus in die Wildnis schlagen. Dort gab es alles, was man für einen längeren Aufenthalt im Goldgräbercamp benötigt. Zelte, Blechgeschirr, Macheten, Petroleumlaternen, Spaten, Schaufeln, Netze, Seile, Schüsseln, Siebe und Quecksilber. Und natürlich nicht zu vergessen die Gewehre, Pistolen, die dazugehörige Munition sowie Sprengstoff und Kettensägen zum Anlegen von Landepisten für die Nachschub bringenden Buschflugzeuge. Ebenfalls im Angebot waren Leuchtspurgeschosse und Nebeltöpfe zum Markieren der Landepunkte.
Gleich nebenan standen kleine Krämerladen, in denen Obst, Gemüse und Trockenwaren angeboten wurden. Säcke mit Reis und Farinha wurden von den Schiffen entladen und anschließend von Männern in Shorts und Jesuslatschen über die Straße geradewegs in diese Läden getragen. Die Schultern der Bepackten waren vom Maniokmehl gepudert und Schweißperlen standen auf der Stirn.
Insgesamt ergab sich folgendes Bild: Auf der rechten Seite befanden sich die zwei- und dreistöckigen Gebäude mit Flachdach, in der Mitte die belebte Straße mit den Ständen, die wegen der häufigen Regenfälle mit blauen Planen bespannt waren, und links der majestätische Fluss mit den schräg anlegenden Schiffen. Elegant geschwungen und mit weißer Farbe frisch getüncht. Sie machten einen einladenden Eindruck. Klangvolle Namen wie »Galileu II« und »Babilonia« waren am Bug zu lesen.
Nach einiger Zeit änderte sich das Stadtbild. Man traf auf einen Platz, von dem ein paar Einkaufsstraßen abgingen. Vor den Kaufhäusern und Geschäften drehten Angestellte ihre Runden, riefen Werbesprüche und klatschten andauernd in die Hände. Jeder wollte den anderen vom Nachbarladen übertönen, und so krakeelten die jungen Männer vor den Auslagen der Geschäfte, was das Zeug hielt.
Ein kleiner Laster mit auf der Ladefläche stehenden Lautsprecherboxen fuhr im Schneckentempo die belebten Straßen entlang. Musik und Aufforderungen zum Kauf eines bestimmten Produktes wechselten sich in stetiger Reihenfolge ab.
In dem üblichen Weiß der brasilianischen Gotteshäuser stand eine große prachtvolle Kirche am Rande des Platzes. Ein Brunnen, eingerahmt von sehr alten Bäumen, befand sich auf der Mitte und lud zu einer Ruhepause auf einer der Steinbänke ein. Nicht weit entfernt waren die kleineren Hotels.
Eine von innen und außen geflieste Bäckerei mit dem Namen »Lucie«, die zugleich Bar für frisch gepresste Säfte war, weckte mit ihrem ungewöhnlichen Aussehen das Interesse. Weiße und blaue Kacheln zierten die Außenwand des Hauses und gaben ihm einen Hauch von arabischer Baukunst. Ein gepflegter Grünstreifen und ein Terrassencafé für Touristen und sonstige Besucher der Stadt prägten das Erscheinungsbild am Wasser und machten den stetigen Wandel der Uferstraße perfekt.
Dies war der ordentlichste und repräsentativste Teil von Santarém. Doch er war nicht allzu groß. Lief man ein paar Querstraßen ins Landesinnere, standen schon bald holperige Sandwege und öde Häuser an der Tagesordnung.
Kathrin und ich wählten ein familiäres Hotel, in dem wir freundlich aufgenommen wurden. Eigentlich sollte dem Platz des Schlafens nicht so viel Bedeutung beigemessen werden, aber wie das Schicksal so spielte, wurde gerade jener Platz ein Ort eines weniger schönen Erlebnisses. Unser Zimmer lag im Obergeschoss, war schlicht eingerichtet und hatte wie all die sonstigen Gästezimmer keine Fenster.
Dafür war der Flur zum Garten hin offen und warme Luft strömte durch die großzügigen Fenster. Angebrachte Haken ermöglichten es, Hängematten anzubringen und die heißesten Stunden des Tages ruhend im Schatten zu verbringen.
(Fotos: Kathrin Beutin und Marco Bertram)
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