Nervtötende Benfica-Fans, die uns mit Fragen überhäuften, zwielichtige Gestalten, die umherschlichen und auf unsere Rucksäcke schielten, streitsüchtige Matrosen, die aus Porto kamen und es auf eine Schlägerei abgesehen hatten, zerlumpte Gestalten, die einen ruhigen Schlafplatz suchten. Der Platz war gefüllt mit Menschen jeglicher Couleur - und wir saßen mittendrin. Mit unserem Gepäck kauerten wir auf den Stufen einer breiten Treppe und harrten der Dinge, die wohl in der kommenden Nacht kommen mögen. Da wir am nächsten Morgen weiter nach Entroncamento weiterfahren wollten, musste es der Bahnhof Lisboa Santa Apolonia gewesen sein, in dessen Nähe Karsten und ich warteten. Das Europapokalspiel Benfica vs. Bayer 04 Leverkusen, das vor der beeindruckenden Kulisse von 90.000 Zuschauern 1:1 endete, lag hinter uns, und nun hieß es, sich irgendwie die Nacht um die Ohren zu schlagen. Die Moneten waren knapp, die Bahnhofshalle wurde nachts leider geschlossen. Es blieben die Stunden unter freiem Himmel. Und es wurde von Minute zu Minute „gemütlicher“. Die Marinesoldaten stellten uns in einer Mischung aus portugiesisch und englisch eine Menge Fragen, dies wiederum lockte diverse Jugendliche an. „Alemanha?“, „Gostá de Benfica?“, „Está bem?“ Manch einer hatte einiges intus und wollte uns herzlichst umarmen. Andere, mehr in der zweiten Reihe stehend, schauten drein, als würden sie gleich das Messer zücken oder zumindest uns die Rucksäcke entreißen wollen. Mein Blick ging kurz zur Seite. Etwas abseits trieben ein paar Jugendliche Späßchen mit einer zerlumpten Gestalt, die mit dreckigen, zerfetzten Tüten und Zeitungen zugedeckt war. Es war nicht ganz klar, ob der Arme schon tot war oder nicht. Die damalige Nacht in Lissabon vom 01. zum 02. März 1994 wurde immer schrecklicher. Die Rededebatten uferten aus. Schon bald stellte sich heraus, dass einige Marinesoldaten glühende Anhänger des FC Porto waren. Es wurde hitzig, es wurde temperamentvoll, es wurde südländisch. Wir zählten die Minuten, bis der Bahnhof endlich öffnen und der Bummelzug in Richtung Osten abdüsen würde. Es wurde eine Nacht, die sich fest im Gedächtnis verankert hat. Eine Nacht von vielen…
Nächtigen auf weltweiten Touren: Lange Finger, brennende Augen, null Grad und skurrile Gestalten
Als ich neulich zwischen Weihnachten und Silvester am frühen Morgen auf einer klassischen Federkernmatratze mit arg verzerrtem Rücken erwachte und durch das Fenster auf die ferne, im fahlen Licht vage erkennbare Bergkette des Riesengebirges schaute, musste ich an all die wilden Übernachtungen denken, nach denen ich mich einst gerädert aus dem Schlafsack pellen musste. Ich fragte mich, an wie vielen Orten hatte ich eigentlich bereits geschlafen? Würde man das noch zusammenbekommen? All die einstigen Ferienlageraufenthalte, Klassenfahrten, späteren Reisen, Übernachtungen bei Kumpels und Freunden inklusive. Wäre das möglich? Theoretisch ja - von den ersten fünf, sechs Lebensjahren mal abgesehen. Blieb es in den 70ern und 80ern noch relativ überschaubar - schließlich hatte man damals auf den Reisen mit den Eltern meist eine feste Unterkunft - so wurde es ab 1990 um einiges unübersichtlicher. Die Rundreisen mit der Bahn, ausgedehnte Wanderungen, bei denen an jedem Abend an einem anderen Ort das Zelt aufgestellt wurde, die zahlreichen Nächte, die auf Bahnhöfen, Flughäfen, in Wartehallen, in Parkanlagen, auf Fähren, unter Brücken oder unter freiem Himmel abgegammelt wurden. Auf all den kurzen und langen, nahen und fernen Reisen, vor und nach diversen Fußballspielen - und manchmal einfach nur aus der Not heraus.
Ich darf behaupten, dass ich ein recht außergewöhnliches Spektrum vorweisen kann. Vom magenumdrehenden Dösen in der Bugspitze eines 8-Meter-Segelbootes bei Windstärke neun bis zehn, als dieses mit einem Mordsgetöse in die Wellentäler krachte, über das Nächtigen auf einem Bikertreffen im Harz, bei dem sich plötzlich zwei wildfremde Frauen ungefragt mit ins Zweimann-Zelt drängten, bis hin zum Liegen unter freiem Himmel in den Lowlands vor den Toren von Edinburgh bei Nieselregen, zwei Grad plus und einer steifen Brise aus Nordwest. Nun gut, das Projekt, sämtliche Übernachtungsorte von 1973 bis heute mal zusammenzuzählen, verschiebe ich erst einmal ganz galant. Dafür braucht es reichlich Zeit, und diese ist derzeit knapp bemessen. Dieses Magazin möchte stets gefüttert werden, und zwei weitere Bücher sind aktuell in Arbeit. Somit belasse ich es an dieser Stelle dabei, ein paar schmucke Highlight-Übernachtungen der vergangenen 30 Jahre zu schildern.
Den wildesten Ritt beim Schlafen - also jetzt nicht gleich an den Austausch von Körperflüssigkeiten denken - gab es in der Tat bei der besagten Segeltour über Ost- und Nordsee im Herbst 1999. Eine böse Vorahnung gab es bereits bei der Ansteuerung der Kieler Förde bei Windstärke acht und zwei bis drei Meter hohen Wellen. Kein Problem für unsere beiden selbst gebauten Boote, doch an Pennen war bei den kurzen buckeligen Ostseewellen nicht zu denken. Ein wenig besser funktionierte dies auf der Nordsee. Von Cuxhaven nach Helgoland, und dann in Richtung Westen. Ich lag in meiner Pause in der Koje im Bug und versuchte mich für die nächste Schicht am Steuer zu erholen. Die Fahrt wurde von Stunde zu Stunde wilder, die Träume in den Halbschlafphasen wurden es auch. Es war schwer, zu realisieren, was Traum und was Realität war. Es schepperte, es krachte, es wankte ganz gewaltig. Als das Ganze in einen richtig derben Herbststurm ausuferte, war an Liegen in der Bugkoje nicht mehr zu denken. Ich klemmte mich zwischen Salon- und Navigationstisch und war einfach nur froh, die Augenlider senken zu können. Noch vor dem eigentlichen Schiffbruch traf ein schwerer Brecher unser Boot und legte es quasi 90 Grad auf die Seite. Mich juckte das nicht. Wie in Trance kauerte ich unter dem Navigationstisch. Eine Mir-ist-alles-egal-Stimmung kam auf. Surrealer konnte es kaum sein.
Äußerst positiv überrascht wurde ich ein Jahr später, als ich mit einem Freund auf dem Schienenweg von Berlin über Moskau und Irkutsk und Ulaan Baatar nach Peking fuhr. Das Schlafen im Viererabteil der Transsibirischen Eisenbahn war überhaupt nicht mit Stress verbunden. Das Ruckeln wiegte einen sehr angenehm in den Schlaf. Nur manchmal schreckte ich auf, wenn es beim Passieren einer Weiche mal laut krachte. Entgleist? Kurzes Lauschen. Alles gut! Wenige Minuten später schlummerte man wieder sanft ein. Apropos Eisenbahn. Abstrus war eine Zugfahrt von Berlin nach Warschau im Dezember 1995. Das Ziel: Das CL-Duell Legia Warschau vs. Spartak Moskau. Zu zweit machten wir uns in einem überheizten Abteil lang, doch an Schlafen war nicht zu denken. Es war unfassbar, was sich auf den Gängen des Nachtzuges alles tat. Ein ganzer Schwarm Krimineller durchstreifte nach und nach die Waggons. Abteiltür auf, Abteiltür zu. Ständig funzelte jemand mit einer Taschenlampe umher. Immer wieder kam der Zug auf offener Strecke zum Stehen, und nun wurde auch von außen in die Abteile hineingeleuchtet. Unsere Augen brannten vor Müdigkeit, die Wertgegenstände waren gut verstaut, doch wollten wir aus Sicherheitsgründen nicht in den Schlaf fallen. Irgendwann zwischen drei und fünf musste uns der Schlaf dann doch kurzzeitig gepackt haben, denn am nächsten Morgen durfte mein Kumpel feststellen, dass ihm aus der unter dem Kopf befindlichen Jacke mal eben 100 Deutsche Mark stibitzt wurden.
Um noch kurz beim Schienenverkehr zu bleiben. Eine Nacht im Sommer 1992 brannte sich besonders tief im Gedächtnis ein. Ich wohnte zu jener Zeit im Rheinland, und somit brauchte ich nicht extra nach Berlin düsen, um gemeinsam mit einer Jungen-Gemeinde-Gruppe mit dem Bus nach Irland zu fahren. Am frühen Morgen könnte man mich am Dortmunder Hauptbahnhof einsammeln. So der Plan. Leider gab es keine Möglichkeit, so früh in die Borussen-Metropole zu kommen. Wohl oder übel musste ich mir die Nacht auf dem Hauptbahnhof um die Ohren schlagen. Um nicht von fragwürdigen Personen in Beschlag genommen zu werden, suchte ich das hintere Ende eines Bahnsteiges auf und legte mich dort unter freiem Himmel auf eine Bank. Die Nacht war mild, mich ließ man in Ruhe. Alles dufte? Nicht ganz. Schon bald musste ich feststellen, dass gleich gegenüber mächtig rangiert wurde. Immer wieder wurden einzelne Waggons an- und abgekoppelt. Der Lärmpegel war erheblich, und die stundenlang vernommenen Geräusche waren dermaßen intensiv, dass ich sie im Geiste noch immer abspielen kann. Und das nach 25 Jahren!
Ach kommt, bevor es in die Berge und unter die Brücken geht, noch eine Anekdote von einem Bahnhof. Im Februar 1995 war ich zehn Tage allein in Großbritannien unterwegs. Diese Tour war eine der wenigen, die ich allein gemacht hatte. Mit einem Länderticket juckelte ich von London bis hoch nach Manchester, Glasgow und Inverness, um ein paar Fußballspiele zu besuchen und mir die Städte in Ruhe anzuschauen. Bevor ich mir mit etwas Vorlauf vor Ort eine Karte für das FA-Cup-Spiel Manchester United vs. Leeds United besorgen wollte, sollte die Nacht auf dem Flughafen von Manchester verbracht werden. Flughäfen waren meist eine sichere Bank. Zwar saugte und bohnerte immer irgendeine Servicekraft auch während der Nacht, doch immerhin war man sicher und es warm und trocken. Die Füße nach oben und wenigstens eine kleine Mütze voll Schlaf. In jener Nacht kam jedoch alles anders als geplant. Der Anschlusszug zum Airport wurde verpasst. Ich hing mitten in der Nacht auf dem Bahnhof Liverpool Lime Street fest. Draußen regnete es Katzen und Hunde, und in der Bahnhofshalle war ich schon bald der Einzige. Verrückt! Ich studierte in der mitgebrachten Sport Bild wirklich jeden Bericht, spazierte auf und ab und konnte schon bald jeden Aushang auswendig. Und wie schön, schon bald zeigte sich, dass ich doch nicht der Einzige in der großen düsteren Halle war.
England Mitte der 90er. Von rausgeputzt konnte noch keine Rede sein. Der Bahnhof hatte den kalten Charme einer früheren Epoche. Und prima hinein passte mein „neuer Kumpel“, der mich ansteuerte und fragte, ob er die Zeitung haben dürfe. Klar doch! Es war jedoch nur ein Test, um zu horchen, woher ich wohl käme. Aha, ein „fucking German“! Die Spirale konnte in Gang gesetzt werden. Er begann immer mehr zu nerven, und für mich gab es keine relevanten Fluchtmöglichkeiten. Draußen auf den menschenleeren Straßen warteten 5 Grad plus und Regen. Immer wieder wurde ich gefragt, wer denn den Zweiten Weltkrieg gewonnen habe. Ich blieb diplomatisch, doch das half nicht viel. Er wollte eine Kriegsentschädigung kassieren - und zwar direkt aus der deutschen in die englische Hand! Lass mal gut sein! Ich trat doch den Rückzug an und versuchte, in einem leeren abgestellten Zug Zuflucht zu finden. Der Kerl lachte nur dreckig und folgte mir gemächlich. Ich könne ja eh nicht entkommen. Ich betrat einen abgestellten Zug und lief komplett nach hinten durch. Auf dem Weg ans Ende sah ich einen Mann auf einer abgelegten Tasche schlafen. Ein paar Minuten später wurde dieser von dem nervenden Idioten geweckt. Während ich mich im letzten Waggon in Lauerstellung befand - wohl überlegend, ob ich mich im Klo einschließen oder doch den Kampf aufnehmen soll (schließlich würde er ja auch die Klotür eintreten können) -, laberte der Idiot den Schlafenden voll. Dem Deutschen müsse man die Fresse einschlagen und endlich die Kriegsentschädigung abnehmen! Ein Schutzengel musste die Hand ausgebreitet haben, denn der schlafende Mann hatte null Bock auf Stress und schickte den Plagegeist zum Teufel. Schimpfend trollte sich mein „Kumpel“. Inzwischen war auch ich bereits dermaßen aufgeheizt, dass das Ganze wohl mit einer bösen Schlägerei geendet wäre. Besser, dass nicht! Ein paar Minuten später konnte auch ich mich endlich lang machen und für zwei, drei Stunden die Augen schließen, bevor es dann direkt weiter zum Stadion Old Trafford ging, um die besagte Eintrittskarte für den Klassiker gegen die Jungs aus „fucking yorkshire“ zu sichern.
Bleiben wir auf den Britischen Inseln. Im Jahr zuvor - also im Frühjahr 1994 - reiste ich mit Karsten mit dem Interrail-Ticket quer durch Europa. Es war die besagte Tour, auf der wir auch in Portugal vorbeigeschaut hatten. Eigentlich war es ein Traum, wie unbeschwert wir damals gereist waren. Ohne Verpflichtungen, ohne technischen Krimskram, ohne Zelt, ohne festen Plan - ohne großartig Knete. Herrlich! Vor Ort würde sich schon alles fügen. Einfach losfahren, Stunden später aussteigen und schauen, was sich ergibt. So war auch Edinburgh eine der zahlreichen Stationen unserer ausgedehnten Reise. Nach zwei Europapokal-Auftritten in Köln und Dortmund in der Saison 1992/93 wollten wir den Celtic FC endlich einmal auf schottischem Boden spielen sehen. Das Auswärtsspiel bei Hibernian Edinburgh bot sich prima an, es musste also nur die Nacht vor dem Spiel irgendwie über die Bühne gebracht werden. Für Bed & Breakfast fehlte das nötige Kleingeld, auf eine Pritsche in einem lauten versifften 12-Bett-Zimmer eines Hostels hatten wir schlichtweg kein Bock. Was blieb? Der Gang in die nahen Berge! Irgendwo nachts auf den Straßen herumzulungern, schien zurecht keine gute Alternative zu sein, somit machten wir uns nach ein paar Guinness in den Pubs auf den Weg hinauf in die dortigen Anhöhen der Lowlands.
Wir folgten einem schmalen Trampelpfad und fanden uns bald auf einer Art Hochplateau wieder. Zwischen Ginster und Heidekraut und anderem widerspenstischen Gestrüpp suchten wir in einer Senke ein Schlafplätzchen und breiteten die Isomatten und Schlafsäcke aus. Mein lieber Schwan! Dass wir schmerzfrei waren, dürfte unbestritten sein, doch diese Nacht im März 1994 war die absolute Härte! Der kalte Wind pfiff über uns hinweg und trug die Geräusche der Hafenanlagen heran. Leichter Nieselregen kam auf. Glücklicherweise riss der Wind die Wolkendecke immer wieder auf, und die Sterne kamen zwischenzeitlich zum Vorschein. Die Lichter der unten liegenden Stadt, das leichte dumpfe Dröhnen des Hafens, das Pfeifen und Rauschen des Windes - ein schaurig schönes Ambiente. Wenn nur nicht die Kälte gewesen wäre, die sich mehr und mehr an uns zu schaffen machte und sich Zentimeter für Zentimeter im Schlafsack vorarbeitete. Wir hofften nur, dass nicht noch strömender Regen aufkommen würde. Alternativen gab es keine. Nachts um drei quer durch das glitschige Kraut runter in die Stadt stiefeln? Wir mussten wohl oder übel oben ausharren. Beim ersten Morgengrauen ging es dann schließlich zurück in die Altstadt von Edinburgh. Heißer Kaffee und noch einen hinterher. Windig wurde es auch später beim Spiel Hibernian vs. Celtic, bei dem sich tausende angereiste Fans auf der damals nicht überdachten Gästekurve wieder fanden. Leider konnte während der gesamten 90 Minuten nur eine einzige halbe Chance verbucht werden! Kick and Rush der übelsten Sorte. Immer wieder wurde von der jeweiligen Seite der Ball problemlos heruntergepflückt und ganz schnell in die andere Richtung gedroschen.
Pflücken. Bälle. Irgendwie muss ich den Sprung zum nächsten Schauplatz packen. Zeitlich gehen wir noch einmal weiter zurück. Und zwar in den Sommer 1991, als ich noch richtig jung und unbedarft war. Mit Kumpel Nico trampte ich von Hannover aus in Richtung Süddeutschland und von dort weiter rüber in Richtung Metz, Paris und Brüssel. Allein auf jener Tour gab es eine hübsche Bandbreite an skurrilen Nächten. Voll wie die Haubitze auf einem niedersächsischen Spielplatz, völlig fertig unter freiem Himmel auf einem französischen Acker, gleich neben den LKWs auf diversen Rastplätzen. Den Vogel schoss jedoch eine Nacht vor der eigentlichen Reise ab. Ich reiste von Berlin aus ein paar Tage früher nach Hannover, um mit meinem Großcousin ein Spritztour zu einem Bikertreffen in Goslar zu unternehmen. Ich saß hinten auf seiner Harley, die große Harzer Freiheit rief.
Auf einer Wiese fanden sich Biker aus sämtlichen Himmelsrichtungen ein. Zelte wurden aufgebaut, Strohballen wurden aufgetürmt, Lagerfeuer ließen schon bald die Flammen empor züngeln, auf einer Bühne spielte die eine oder andere Band. Sagen wir es so: Der knapp 18-Jährige Ost-Berliner - sprich icke - kam aus dem Staunen nicht mehr raus. So hatte ich mir immer ein Treffen der Germanen und Wikinger vorgestellt, wenn man sich die Technik und die Motorräder mal wegdachte. Von Stunde zu Stunde stieg der Stimmungspegel, und auf der Bühne blieb es gegen Mitternacht nicht bei musikalischer Kost. Gewählt wurden der Biker und die Bikerin des Tages. Beide wurden schließlich unter lauten Gejohle nach vorn auf die Bühne gebeten. Soweit, so gut. „Ausziehen! Ausziehen!“, brüllte nun die feuchtfröhliche Meute. Gesagt, getan. Schon bald standen beide splitternackt auf der Bühne. Und dabei blieb es nicht, vor sämtlichen johlenden Zuschauern durfte nun eine hübsche Nummer geschoben werden. Aber bitte. Klassisch auf den Knien das Prachtstück in Schwung bringen, anschließend ur-klassisch den Kolben von hinten sich vorarbeiten lassen. Die Meute war außer sich vor Freude. Begeisterung. Klatschen. Weiter! Weiter! Ich traute meinen Augen nicht.
Die Nacht zog alle in ihren Bann, doch leider setzte irgendwann leichter Regen ein. Die Wiese verwandelte sich recht bald in eine Sumpflandschaft. Gegen drei verabschiedete ich mich und suchte unser kleines Zwei-Mann-Zelt auf. Gefunden! Reißverschluss auf und hinein in die gute Stube! Doch halt, hatte ich mich vertan? Da lagen bereits zwei Personen. Genauer gesagt, zwei Ladies. Ich versuchte den Irrtum aufzuklären, doch mein Großcousin meinte nur, die könne man ja nicht hinaus in den Regen werfen. Ich solle mich einfach dazulegen. „Dazulegen“. Ich feierte innerlich echt ab. Mittenrein? Diskret auf die Außenbahn? Po an Po? Bein an Bein? Bein zwischen Bein? Denkbar schien alles. Ich muss gestehen: Ich kann mich nur dran erinnern, dass es verdammt eng wurde. Denn irgendwann im Morgengrauen stieß auch Reinhard dazu. Also okay, das mit dem „Stoßen“ mal nicht zu wörtlich nehmen. Und nein, einen Guten-Morgen-Bussi gab es leider nicht. Irgendwann hatten die beiden Damen einen Mordshunger und futterten draußen am Feuer frisches Rührei.
Nicht Rühreier, sondern schwarze Bohnen mit Reis gab es fünf Jahre später, als ich mit Kathrin im Sommer 1996 sieben Wochen quer durch Brasilien reiste. Auch diese Tour bot eine ganze Bandbreite an Schlafmöglichkeiten. Mal wurde im Linienbus von Itatiaia nach Belém genickt (unterbrochen von einer kurzeitigen Busentführung), mal nächtigten wir ganz klassisch in einer Hospedaria, mal schliefen wir in Hängematten und auf dem Boden der Amazonas-Schiffe auf der Tour von Belém nach Santarém, Manaus und Anori, und mal ließen wir uns überhaupt nicht abschrecken und pennten auf dem Boden des Atlantischen Regenwaldes. Von Rio de Janeiro aus fuhren wir in den Itatatia-Nationalpark und schlugen uns kurzerhand in die dortigen Berge. Wir hatten kein Zelt dabei, nur Schlafsäcke und eine Plane, die wir notfalls als Überdachung zwischen die Bäume spannen wollten. Zwar gibt es im Atlantischen Regenwald nicht die ganze Palette tropischer Tiere, doch Spinnen, Schlangen, Käfer und Tausenfüßler krabbeln wohl auch dort zu genüge auf dem saftigen Waldboden. Wir machten uns keine Platte und bauten in der Nähe eines kleinen Chalets die provisorische Überdachung auf. Die dortigen Einwohner schlugen nur die Hände über dem Kopf zusammen und brachten mal schnell ein Einweckglas mit einer im Sud schwimmenden Vogelspinne herbei. Apropos, im spartanischen Klohäuschen durften wir oben in einer Ecke solch ein Prachtexemplar mal ganz lebendig bestaunen.
Die Übernachtung in der Nähe der kleinen Siedlung wurde jedoch noch übertroffen. Zwei Nächte später legten wir unsere Schlafsäcke auf die verwilderte Terrasse eines verlassenes Hauses - mitten in den Bergen des Nationalparks. Wir holten Bananenblätter und bauten aus diesen eine weiche Unterlage. Auf dieser wurden die Schlafsäcke gepackt. Da der Himmel sternenklar war, verzichteten wir auf die Plane. Im verlassenen Gebäude zu nächtigen - das war selbst uns zu gruselig. Und ja, es wurde auch so eine schlaflose Nacht. Kleinere Raubkatzen, Vögel und vor allem die Affen veranstalteten in der Dunkelheit ein Megaspektakel. Über uns der Mond, ringsherum im Gehölz die brüllenden und kreischenden Tiere. Wir knüpften die Schlafsäcke zusammen und kuschelten uns eng aneinander. So recht die Augen zu bekamen wir trotzdem nicht.
Scharf wurde es auch später auf den geschwungenen Amazonasschiffen. Meine aus Deutschland mitgebrachte Hängematte, die ich für alle Fälle im Rucksack verstaut hatte, war schlichtweg zu kurz und konnte nicht zwischen die Haken im Unterdeck gespannt werden. Somit blieb mir nur der Boden am Bug oder am Heck des Schiffes. Mal flossen nach einem tropischen Gewitter kleine Rinnsale an meinem Kopf vorbei, mal attackierten mich merkwürdige Käfer, die unmittelbar nach dem Landen auf Armen, Beinen oder Rücken zubissen. Zwar nicht soooo schmerzhaft und auch nicht giftig, dafür umso lästiger. Unbezahlbar war das Abenteuer dennoch. Aus dem Schlafsack heraus auf das dunkle Wasser des Flusses und das oben leuchtende Kreuz des Südens zu blicken - wirklich tief ergreifend!
Da fällt mir gerade ein: Auf dem Boden schlief ich auch einmal im Reisebus von London nach Köln. Die Silvesternacht 1995/96 - am Tag zuvor hatten wir noch bei der Partie Chelsea FC vs. Liverpool FC vorbeigeschaut - wurde feuchtfröhlich, und da es damals bei „Rainbow Tours“ stets einen straffen Zeitplan gab, ging es am Neujahrsmorgen bereits um acht Uhr los. Ich konnte nicht mehr. Sitzen war nicht denkbar, ich legte mich einfach auf den schmalen Gang, genoss unten die etwas kühlere Luft und schloss die Augen, bis es am Fährterminal hieß: Raus aus dem Bus und ab aufs Schiff, um auf diesem schließlich in irgendeiner muffigen Ecke abzuhängen.
Abhängen. Das ist ein schönes Stichwort. Wo nicht überall abgehangen wurde. In Köln die letzte Straßenbahn nach Leverkusen verpasst? Auf dem U-Bahnhof Neumarkt (oder war es Heumarkt?) mussten drei, vier Stunden totgeschlagen werden. Die bereits vor 25 Jahren existierenden Werbekästen, in denen im 10-Sekunden-Takt die Werbung rotierte, machten einen ganz krank. Was für ein nervtötendes Geräusch! Angenehm überrascht wurden wir auf der Interrail-Tour im Frühjahr 1994 in Sevilla. Nachdem unser Nachtzug nach Madrid einfach nicht kam, durften wir die Nacht im Bahnhof verbringen. Da der Bahnhof nachts abgeschlossen wurde, befanden wir uns in sicherer Obhut. Tragischerweise hatten wir morgens so tief gepennt, dass wir gar nicht mitbekamen, dass bereits Hochbetrieb im Saal herrschte. Da wir uns den Luxus geleistet hatten, nur im Schlüpper zu schlafen, wurde es nun ein wenig kurios.
Ebenso delikat ist es, wenn man quer durch Nordamerika reist, tage- und nächtelang in Greyhoundbussen sitzt, notgedrungen komplett enthaltsam ist und morgens plötzlich merkt, dass die Nacht etwas feuchter wurde… Aber okay, das geht jetzt zu weit. Feucht, ja feucht wurde es auch einst in Lausanne. Nach einem Spiel gegen Servette Genève im März 1994 suchten wir uns eine Schlafmöglichkeit am Rande der Stadt. Richtig, unter freiem Himmel. Mit einem Linienbus fuhren wir bis an den Stadtrand und schlugen uns dann in einen dort befindlichen Stadtwald. Eine gekaufte Flasche Amaretto - mein Gott, heute würde ich einen feinen Rum oder Vodka kaufen - sollte uns den bitteren Abend versüßen. Also echt, diese Nacht war wirklich mies. Temperatur um den Gefrierpunkt und leichter Schneeregen. Völlig krank, sich bei solch einer Witterung auf gut Glück auf die Isomatte zu hauen. Und das war ja kein Einzelfall. Parkbänke in Bordeaux, Warschau und Montreal, ein übelst verkeimter Busbahnhof in Seattle, arg gruselige Ruinen im Riesengebirge, der frisch geeggte Acker in der französischen Provinz bei Châlons-sur-Marne (heute Châlons-en-Champagne), ein Plätzchen unter einer Rheinbrücke bei Strasbourg, eine Kuhweide in Irland - ausgelassen wurde quasi nichts. Sogar an einem keltischen Steinkreis wurde bereits im Sommer 1997 das Nachtlager aufgeschlagen.
Ich müsste lange überlegen, um meinen Favoriten zu ernennen. Gar nicht mal aufgrund der Umstände (die waren vergleichsweise relativ harmlos), sondern allein wegen Tatsache dürfte dies meine Nummer eins sein: Pennen im Central Park von New York. Jan und ich hatten nach unserer vierwöchigen Reise im Sommer 1993 eigentlich geplant, die Nacht im Herzen von Manhattan durchzumachen, doch letztendlich kam alles ein wenig anders:
Wir kauften zwei Bier und spazierten zum Time Square. Dort im Licht der Reklame wollten wir die Nacht verbringen. Wenn es einen sicheren hellen Ort in New York gibt - dann der Time Square! Dachten wird. Doch Pustekuchen! Gegen ein Uhr nachts wurde die riesige Leuchtreklame ausgeschaltet, und der übelste Pöbel kam aus den Löchern gekrochen. Irgendein Typ sang uns ein Lied vor, wollte Geld haben und uns dafür einen blasen. Er ließ nicht locker, und wir mussten fast handgreiflich werden. Wenig später segelten die Flaschen quer über die Straße. Betrunkene drehten völlig an der Uhr, und es wurde allerhöchste Zeit Abschied zu nehmen von dieser Location.
Ab zum Central Park! Die letzte Lösung! Die Nacht war trocken und sehr mild. Auf einer leicht abschüssigen Wiese legten wir uns zwischen die Obdachlosen, die unter Decken und Zeitungen schliefen. Hier würde einem wohl kaum etwas passieren. So abgekämpft wie wir aussahen, müsste jedem klar gewesen sein, dass nix zu holen war. Gepäck hatten wir ja nicht dabei, und somit machten wir uns einfach so lang. Beine ausstrecken, der Blick gen Nachthimmel. Verrückter ging es nicht. Wirklich nicht. Ich hatte auf meinen Reisen mitunter an den schrägsten Orten gepennt, doch die Nacht im Central Park war rekordverdächtig. Dank der Strapazen fielen wir sogar in den süßen Schlaf und mussten - wie die anderen im Park - am frühen Morgen geweckt werden. „Get up! It´s time! Get up please!“ Der Wachdienst streifte durch den Park und verscheuchte die Liegenden. Wenig später würden dann die ersten Jogger den Park für sich einnehmen. Allgemeines Augenreiben und Einpacken. Nun gut, zu packen war bei uns nicht allzu viel. Mit vor Müdigkeit brennenden Augen verließen wir den Central Park und holten uns im nächsten Kiosk einen black coffee. Good morning big apple!
Fotos: Marco Bertram, H, Kalleman, Kathrin
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