Es hätte nicht viel gefehlt und die TSG Neustrelitz hätte dem diesjährigen Favoriten der Regionalliga Nordost einen Fehlstart beschert. Allerdings konnten die Thüringer aus dem Paradies ab der 70. Minute mehr als nur ein Schippchen drauflegen und am Ende dann doch noch ein Pünktchen aus dem gemütlichen Parkstadion, das eigentlich Waldstadion heißen müsste, mitnehmen. Am Ende des auf Mittwochabend verlegten Spiels trennten sich beide Teams 1:1 – ein Remis, mit dem beide Seiten letztendlich recht gut leben konnten.
TSG Neustrelitz vs. FC Carl Zeiss Jena: Bemerkenswertes Stelldichein vor waldiger Kulisse
Wer das erste Mal im Stadion der TSG Neustrelitz vorbeischaut, staunt nicht schlecht über die waldige Kulisse, die sich ringsherum auftut. Auf der einen Seite eine überdachte Haupttribüne mit VIP-Raum und Funktionsräumen. Links und rechts die Sitzplatz- und Stehbereiche für die Heimfans, am äußeren Rand der geräumige Käfig für die Gästefans, der einen separaten Zugang hat. Die „Kurven“ und eine „Gegengerade“ gibt es dem Sinne nicht. Gegenüber ragen mächtige Bäume in den Himmel. Ein Baumfront, die einen denken lässt, man sei irgendwo in den Bergen und nicht in Mecklenburg-Vorpommern. Linke Hand befindet sich leicht erhöht ein Parkplatz auf einer Wiese, hinter dessen Zaun die dunkel bekleideten Polizisten stehen und die Lage beobachten – zumindest, wenn ein brisanter Gegner vor Ort.
Der FC Carl Zeiss Jena fiel scheinbar in die Kategorie „erhöhte Brisanz“, denn die Zahl der verharrenden Einsatzkräfte war beachtlich. Der Maschendrahtzaun, die dort stehenden Beamten und dazu noch der Gästekäfig – diese Punkte gaben dem ganzen einen polnischen Charme. Allerdings blieb alles entspannt. Sowohl die rund 300 angereisten FCC-Fans, als auch die Polizei. Auf der Tribüne und im VIP-Bereich herrschte sogar eine Tiefenentspanntheit, die selten in einem deutschen Stadion beobachtet werden kann. Kein Wunder also, dass der einstige deutsche Nationalspieler Thomas Brdaric nach Neustrelitz zog, um dort in Ruhe arbeiten und seine weitere Trainerlaufbahn in Deutschland vorbereiten zu können. Nach seinen Stationen als Sportdirektor beim FK Dinamo Minsk und Bunyodkor Taschkent wird er ganz gewiss die Idylle am Neustrelitzer Parkstadion genießen.
Hatte das wache Auge also doch nicht getäuscht, als Thomas Brdaric im Club der 100 beim BFC Dynamo vor mir ein Kaltgetränk bestellt hatte. Brdaric – mir wohl bekannt aus Leverkusener Zeit – was könnte der beim BFC Dynamo suchen? Ganz einfach. Beim Testspiel gegen den FC Carl Zeiss Jena hatte er sich den nächsten Pflichtspielgegner angeschaut. Dass Brdaric in Neustrelitz was reißen könnte, wurde einem flugs beim zurückliegenden DFB-Pokalspiel gegen den SC Freiburg bewusst. Bis in die Verlängerung, genauer gesagt bis zur 113. Spielminute konnten die Neustrelitzer gegen den Bundesligisten hinten die Null halten. Die Sensation lag in der Luft, doch dann kam Hendrick Zuck und machte mit seinen beiden Treffern das Weiterkommen der Breisgauer klar.
Knapp 4.500 Zuschauer hatten das packende Pokalmatch gesehen. Beim Nachholspiel gegen den FC Carl Zeiss Jena wirkte das Stadion bereits mit 1.200 Zuschauern schon ganz gut gefüllt. Wo passten da noch weitere 3.300 Menschen rein? Wohl mitunter auf die abschüssigen Rasenstücke an den Kurven. Wie dem auch sei, die TSG Neustrelitz dürfte als Geheimtipp gelten. Zumindest, wenn ein lukrativer Gegner zu Gast ist. Am äußeren Rand sorgte ein Grüppchen TSG-Fans hinter drei Zaunfahnen sogar für Stimmung. Abgeschossenes blaues Lametta zu Spielbeginn, Schlachtrufe vor allen Dingen in der zweiten Halbzeit. „Immer vorwärts“ ist auf einer blauen Zahnfahne zu lesen. Gesagt, getan. Das Team von Brdaric legte auf dem Rasen munter los und wollte nahtlos an die kämpferische Listung vom Pokalspiel anknüpfen. Kurzum: Es waren mehr Gästefans vor Ort als im Vorfeld gedacht. Die TSG hatte Jena auf dem Platz besser im Griff als zuvor vermutet. Denn immerhin war mit dem FC Carl Zeiss der Staffelfavorit der Saison 2013/14 zu Gast im Parkstadion.
Und keine Frage: Immer wieder ins Auge stach auf Heimseite der Spieler Velimir Jovanovic, der bereits von 2003 bis 2005 und von 2007 bis 2010 in Neustrelitz gespielt hatte und nach seinen Stationen beim FC Carl Zeiss Jena und beim 1. FC Magdeburg wieder nach Neustrelitz zurückgekehrt war. Einige gute Möglichkeiten gab es auf beiden Seiten, unter dem Strich klar besser waren jedoch die Hausherren. Somit nicht unverdient die 1:0-Führung unmittelbar vor dem Pausenpfiff. Erst wurde ein TSG-Freistoß zur Ecke abgefälscht, anschließend war die FCC-Abwehr bei eben dieser nicht achtsam genug. Der Österreicher Dino Medjedovic konnte fast unbedrängt mit dem Kopf einlochen.
Hartes Brot für die Gäste. Manch ein Thüringer Urgestein auf der Haupttribüne machte ein ziemlich langes Gesicht. Lockerer sahen es die jüngeren Jena-Fans im Gästekäfig. Bringst du ein Bier aus dem VIP-Bereich mit? Mach mal! Na lieber nicht, denn mit den kernigen Ordnern wollte man keinen Stress haben. Mit der Führung im Rücken legten nun die am anderen Ende der Tribüne stehenden TSG-Fans zu Beginn des zweiten Spielabschnittes munter los. „Hier regiert die TSG!“, „Forza TSG!“, „Neu-stre-litz!“, „Strelitzer Jungs, Strelitzer Jungs, wir sind alle Strelitzer Jungs!“ Und noch immer hatten die blau gekleideten Spieler auf dem Rasen alles recht gut im Griff.
Im Gästekäfig legten die Ultras weiter los und unterstützten ihr Team pausenlos, doch mit zunehmender Spielzeit wurden die Gesichter ernster. Die der davor postierten Security-Männer auch. Die Muckis angespannt, die Jenenser fest im Blick. Jena schien den Auftakt tatsächlich in Mecklenburg-Vorpommern zu vermasseln, doch dann wurde ab der 70. Minute ein Zahn zugelegt. Und wie! Bei der TSG ließen die Kräfte merklich nach, bei Jena wurde nun ein echtes Powerspiel zelebriert. In der 75. Minute ging ein Kopfball von Marco Riemer knapp am Tor vorbei. Die Druckphase hielt an und in der 83. Minute erfolgte schließlich der für Jena überaus erlösende Ausgleichstreffer. Dieses Mal hatte Riemer ins Schwarze getroffen.
Zaunbesteigung nun im Gästeblock. Manch einer vollzog den Urschrei. Nun endlich hatte für den FC Carl Zeiss die Saison begonnen! Die Gäste kamen zu zwei weiteren hochkarätigen Möglichkeiten, doch auch ein Schuss der Hausherren ging noch einmal gefährlich über das Gehäuse. Kurze Unruhe indes im Gästekäfig. Ein paar Mecklenburger und Thüringer wechselten ein paar Worte. Dabei fiel auch das Schimpfwort „Hansa-Ratten“, was nachvollziehbar bei ein paar Heimzuschauern den Adrenalinpegel steigen ließ. Direkter Blickkontakt, ein paar junge Jena-Fans bereits auf dem Zaun. Die muskelbepackten Security-Leute nahmen fix Aufstellung und zeigten Zähne, wurden dann jedoch von durchaus entspannten Polizeibeamten abgelöst. Schnell war die Aufregung vorüber, nach Abpfiff feierten beiden Seiten ihre Mannschaft und ließen den Abend ruhig ausklingen.
Fotos: Marco Bertram