Steherrennen: Spannend wird´s, wenn der Fahrer von der Rolle kommt

MB Updated

SteherDas erste Mal auf einer Bahnradsport-Veranstaltung? Ganz gewiss werden Zuschauer, die zum ersten Mal live ein Steherrennen bewundern, erstaunt sein über das Geschehen auf dem hölzernen Oval. Was sind das für knatternde Maschinen? Und vor allen Dingen, was haben diese Typen auf den Motorrädern an? Im Vergleich zum Madison oder zum Sprintwettbewerb mit durchtrainierten Fahrern auf Hightech-Rädern wirken Steherrennen wie ein Relikt aus der guten alten Zeit. Die Schrittmacher in den weißen, sich aufblähenden Anzügen fahren auf alten Motorrädern mit niedertourigen Motoren und Lenkerverlängerungen. Im Windschatten dann die Fahrer, die möglichst dicht an dem am Motorrad angebrachtem Abstandshalter hinterher radeln.

Wer jedoch denkt, der Begriff „Steher“ wurde von den auf den Motorrädern stehend fahrenden Schrittmachern abgeleitet, sieht sich getäuscht. Tatsächlich stammt er vom englischen Begriff „Stayer“. Ein Fahrer mit Ausdauer. Am Drücker bleiben. Durchhalten. Durchziehen. Tempo halten. Und das auf lange Distanz. Kein Wunder, dass einst die Steherrennen „Dauerrennen“ hießen. Anfangs wurde sogar ohne Schrittmacher gefahren, später dann mit Fahrrädern als Schrittmacher. Anfang des 20. Jahrhunderts setzte sich das Motorrad nach und nach als Schrittmacher durch. Steherrennen faszinierten bereits vor einhundert Jahren die Massen. Die Kehrseite der Medaille: Es gab immer wieder üble Unfälle, wie dem am „Schwarzen Sonntag“ im Jahre 1909 in Berlin, als ein Motorrad in die Zuschauermenge raste. Neun Menschen verloren ihr Leben, 40 wurden verletzt.

SteherBöse Zwischenfälle sind in der Gegenwart eher selten geworden, und auch beim 101. Berliner Sechstagerennen 2012 gab es bei den Steher-Wettbewerben keine Unfälle zu beklagen. Die Schrittmacher sind in der Tat alte Haudegen, die wissen, wie man die Maschinen in die Kurven steuert. Zudem sind sie echte Taktikfüchse, die ihre Radfahrer optimal in Position bringen wollen. Die Schrittmacher haben spezielle Helme, mit denen sie die Anweisungen von hinten vernehmen können. Der Fahrer soll schließlich möglichst immer „an der Rolle“ bleiben und nie den Kontakt verlieren. Reißt erst einmal der Kontakt ab, wird es schwer. Der Windschatten geht abrupt verloren, die Staubsaugerwirkung geht ebenfalls flöten.

Man sieht es nicht allzu häufig, dass ein Fahrer völlig von „der Rolle kommt“. Und doch passiert dies auch einem alten Hasen wie dem 1972 in Leipzig geborenen Timo Scholz. Am vierten Tag des Berliner Sechstagerennens schaffte er es zwischenzeitlich nicht, an der Rolle zu bleiben.
Der Zufall wollte es, dass gerade bei diesem Rennen zum ersten Mal die Onboard-Kameras auch bei einem Steher-Wettbewerb zum Einsatz kamen. Arne Mill, der seit Ende 2010 die Onboard-Kameras bei diversen Straßen- und Bahnrennen eingesetzt hatte, montierte sie dieses Mal an die Maschinen von Gerd Gessler (dem Schrittmacher von Christoph Breuer) und Karsten Podlesch (dem Schrittmacher von Timo Scholz). Eine zeigte nach vorn, eine nach hinten. Die hintere hatte Timo Scholz im Fokus.

Wie auf dem unteren Video ab Minute 2:20 zu sehen ist, wurde es zwischenzeitlich richtig hart für den zweimaligen Europameister (2007 und 2008). Scholz in der Tat „von der Rolle“, der Abstand zwischen ihm und dem Schrittmacher wurde größer. Scholz ruderte mit seinem rechten Arm und rief aus Leibeskräften. Schließlich gelang es ihm sich wieder heran zu kämpfen. Kurzes Kopfschütteln. Durchatmen. Weiter ging´s. An jenem Familiensonntag des Berliner Sechstagerennens blieb Timo Scholz nur der letzte Platz. In der Gesamtwertung wurde er dann schließlich Vierter.
Fotos: Marco Bertram
Video: Arne Mill

> zur turus-Fotostrecke: 101. Berliner Sechstagerennen

Von der Rolle: Video vom Steher-Rennen:

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