Wo liegt Winterkasten? Achselzucken. Wo befindet sich Schwalmstadt-Ziegenhain? Achselzucken. Und Mörfelden-Walldorf? Ja, Ihr ahnt es bereits. Kannte ich bis dato nicht. Wenn ich es mir recht überlege, ist Hessen in meinem Fall die wohl weißeste Landkarte. Und dabei führte mich eine meiner ersten Reisen nach dem Mauerfall nach Hessen. Von Berlin aus trampten Nico und ich im Sommer 1991 nach Frankfurt am Main, machten das Bahnhofsviertel unsicher und kehrten in einer Jugendherberge in Bad Homburg ein. Anschließend ging es weiter gen Süden, um dann weiter nach Paris und Brüssel zu trampen. In jedem Fall blieb unser Aufenthalt in der Mainmetropole und im gemütlichen Bad Homburg unvergessen.
Neue Fußballhorizonte: Hessische Fußballheimat von Haiger und Kassel bis Viernheim
1992/93 fuhr ich mit dem TSV Bayer 04 Leverkusen sowohl im Ligabetrieb als auch im DFB-Pokal zur Frankfurter Eintracht ins Waldstadion, und am 11. September 1993 hieß es „Haiger in der Taiga“. Mit einem weißen Golf düsten ein Freund und ich spontan zum DFB-Pokalspiel Eintracht Haiger vs. 1. FC Kaiserslautern. Vor der Partie konnte ich ein Erinnerungsfoto vom vorbeilaufenden Andi Brehme und mir machen, vom Spiel als solches sind die Erinnerungen inzwischen sehr verwaschen. Und dabei wurde es eine irre Partie. Vor 5.000 Zuschauern brachte Uwe Klein den Gastgeber in Führung, nach einer halben Stunde konnte Martin Wagner für die Roten Teufel ausgleichen. Erst in der Verlängerung konnten die Jungs vom Betzenberg das Ganze mit einem 3:1 in trockene Tücher bringen.
Das war’s dann aber auch schon im Großen und Ganzen mit dem hessischen Fußball. Beim Blick auf die hessische Landkarte fallen mir allerdings ein paar Ortschaften ins Auge, mit denen Karsten und ich im Zuge unserer Wanderung entlang der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze in Berührung kamen. Hünfeld, Heimboldshausen und Arzell. In Heimboldshausen hätten wir damals mal einen kurzen Abstecher zur „Insel der Glückseligen“ machen sollen. Von Philippsthal und Vacha ist es nur ein Stück die Werra hoch. In genau diesem Fluss befindet sich östlich von Heimboldshausen eine Insel, auf welcher der Sportplatz des VfL Heimboldshausen zu finden ist. Die Insel ist gerade mal so groß, dass der Fußballplatz und ein Vereinsheim drauf passen. Zwar fliegen bei jedem Spiel Bälle ins Wasser, doch gibt es zumindest auf einer Seite ein Wehr, an dem die Bälle herausgefischt werden können.
Nachzulesen ist das Ganze Im Buch „Fußballheimat Hessen“, das vom Hörfunk-Journalisten und Fußball-Blogger (Groundblogging) Jonas Schulte geschrieben wurde. Es ist bereits der 12. Band in der Fußballheimat-Reihe des arete Verlags. Angefangen hatte alles einst mit „Fußballheimat München und Südbayern“. Wenig später folgten die Bände über Württemberg, Franken, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Inzwischen kamen auch die Fußballregionen Pfalz, Rheinland, Saarland, Schleswig-Holstein, Thüringen, Hamburg, und Niedersachsen & Bremen hinzu.
Beim Blättern durch die 100 Standorte in Hessen fallen die teils urigen Tribünen der jeweiligen Stadien auf. Die Jahnkampfbahn in Kassel, das Stadion am Hegelsbach in Griesheim, der Sportpark Erbach, der Sportplatz Bergshausen, das Hessen-Stadion in der Oberau, das Waldstadion in Arzell - allesamt schmucke Standorte, an denen man prompt einmal vorbeischauen möchte. Ein kuriose moderne Tribüne hatte man sich inzwischen auch in Haiger im Sportzentrum Haarwasen aufgestellt. Wie ein hohes Stück Torte steht das Tribünchen versetzt hinter einem Tor. Beim Lesen der Lektüre durfte ich auch erfahren, dass Eintracht Haiger 2003 nach Konkurs aufgelöst und neu gegründet wurde. Der Zuschauerrekord (4.204) im neuen Stadion wurde 2018 beim DFB-Pokalspiel gegen den FC Augsburg aufgestellt. Damals gegen Kaiserslautern waren es sogar 800 mehr.
Wie bei sämtlichen Fußballheimat-Bänden gibt es auch über Hessen sehr viel Wissenswertes zu lesen. Und allein beim spontanen Blättern zwischen Tür und Angel bzw. zwischen Abendbrot und Tasse Tee fallen einem auf den rechten Seiten unter den Bildern interessante Fakten ins Auge. Wer wusste bis dato, dass es bei der Supporters GmbH in Lampertheim rund 25.000 verschiedene Artikel auf 9.000 Quadratmetern Lagerfläche gibt? Oder wer hat schon einmal von den beiden „SG Zungenbrechern“ gehört? Die SG Kleinalmerode / Hundelshausen / Dohrenbach und die SG Wernswig / Waßmuthshausen / Lenderscheid / Caßdorf sind für jeden Groundhopper ein echtes Schmankerl.
Kein Witz! Eine Sause zum KFV-Stadion „In der Witz“ in Mainz-Kastel dürfte auch lukrativ sein. Immerhin ist dort der Hessenpokalsieger 1962 beheimatet, und vielleicht kann man dort noch die Schallplatte aus dem Jahre 1982 erwerben. Nachdem damals der Mäzen Walter Schütter plötzlich ausstieg, wurde kurzerhand eine Schallplatte aufgenommen, um mit deren Verkauf den möglichen Aufstieg in die 2. Bundesliga zu wahren. Immerhin kamen zu jener Zeit bis zu 5.000 Zuschauern zu den Heimspielen. Die Platte „Aber eins, aber eins, das bleibt besteh’n, die KFV darf niemals untergeh’n“ brachte zwar Musike ins Spiel, verkaufte sich jedoch denkbar schlecht und holte nicht mal die Produktionskosten wieder ein. Mit der 2. Bundesliga wurde es demzufolge nix.
Fazit des Ganzen: Eine klare Leseempfehlung! Ein Buch, das meinen Fußballhorizont erheblich erweiterte. Es muss ja nicht immer nur der Fußball im Osten sein. Im Frühjahr 2022 schnüre ich die Wanderschuhe und laufe die Werra entlang bis zur „Insel der Glückseligen“. Der Ebbelwoi darf bereits kalt gestellt werden…
Fotos: Marco Bertram, Steven Mohr
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