Lust auf witzige & melancholische Fußballanekdoten? „Zonenfußball“ lesen!

MB Updated

Nach dem Öffnen des Briefkastens fällt mir das Päckchen in die Hände. Sekunden später liegt es auf dem Tisch – das Buch „Zonenfußball“, herausgegeben von Frank Willmann. „Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen“. Oha! Ins Auge fällt das schwarz-weiß-Foto auf dem Cover. Junge singende Anhänger der SG Dynamo Dresden mit Fahnen, Trommel und Tröte. Zudem kommt der Schriftzug „ZONENFUSSBALL“ recht markant herüber. Nicht schwarz auf weiß, sondern weiß auf grün. Nicht warten, schmökern!

zonenfussballNach dem Öffnen des Briefkastens fällt mir das Päckchen in die Hände. Sekunden später liegt es auf dem Tisch – das Buch „Zonenfußball“, herausgegeben von Frank Willmann. „Von Wismut Aue bis Rotes Banner Trinwillershagen“. Oha! Ins Auge fällt das schwarz-weiß-Foto auf dem Cover. Junge singende Anhänger der SG Dynamo Dresden mit Fahnen, Trommel und Tröte. Zudem kommt der Schriftzug „ZONENFUSSBALL“ recht markant herüber. Nicht schwarz auf weiß, sondern weiß auf grün. Nicht warten, schmökern. Ich hatte kaum Vorabinfos über dieses Werk gehabt. Das ist auch gut so, denn somit konnte ich völlig unvoreingenommen an die Sache herangehen. Etliche Autorinnen und Autoren hatten an diesem 224-seitigen Buch mitgewirkt. Nein, „Zonenfußball“ ist kein Roman, vielmehr handelt es sich bei diesem Buch um eine bunte Sammlung komplett unterschiedlicher Berichte und Erzählungen. Anfangs dachte ich, es handle sich nur um Stories aus der DDR, doch ein Großteil der Berichte handelt in der Zeit nach 1989. Teilweise sind sogar topaktuelle Spiele mit eingeflossen, so zum Beispiel jene des Chemnitzer FC am Ende der Saison 2010/11. Es wurde ein Bogen gespannt von den 70ern bis in die Gegenwart – und allein dieser Fakt macht dieses Fußballbuch so lesenswert! Es handelt sich bei „Zonenfußball“ nicht um ein rein ostalgisches Werk, das muffig daher kommt. Vielmehr ist die Mischung frisch und überaus zeitgemäß.

Gewiss, jeder Leser wird in dem Buch Kapitel finden, die ihm überaus zusagen und eher nicht gefallen. Wer sich jedoch für den Fußball in der Region Nordost im Allgemeinen interessiert, der wird im Großen und Ganzen Gefallen finden. Völlig gleich, um man zur alten Garde oder zu den Nachwendekindern gehört.
So, jetzt aber ran ans Buch. Erste Frage. Von vorn bis hinten lesen, oder kreuz und quer? Da ich Frank Willmann und Andreas Gläser (DJ Baufresse) persönlich kenne, lese ich zuerst deren Geschichten. „Einmal BSG Obertrikotagen Apolda, immer BSG Obertrikotagen Apolda“. Das kann nur ein Titel von Andreas Gläser sein. Mit einem Schmunzeln auf den Lippen lese ich rasch die fünf Seiten. Es schnuppert sogleich nach Kindheit in der DDR, nach Sommerferien, staubigen Straßen und viel Wehmut und Sehnsucht. Gut so! Die Anekdote aus den 70ern ist sogleich ein Volltreffer. Fußball aus der Sicht eines Siebenjährigen und eine liebenswerte Ferienromanze mit einem Mädchen.

Carl-Zeiss-JenaSo, nun die Texte des Herausgebers Frank Willmann, der nicht nur zusammengetragen, sondern auch geschrieben hatte. Wie sollte es anders sein?! Klar doch! Der FC Carl Zeiss Jena als Thema. Dass Frank Willmann Jena-Fan ist, dürfte allseits bekannt sein. Erinnerungen an den 17. Mai 1980. FDGB-Pokal. „Der große FC Carl Zeiss gegen die Scheißer von Rot-Weiß Erfurt“. Mit Schal und einem Nylonbeutel voller Bierflaschen ging es nach Ostberlin zum Stadion der Weltjugend. Geruppte Fan-Utensilien, Hackepeter am Alex und BFCer, die Ausschau halten. Ein 3:1 des FC Carl Zeiss gegen die „Fürze“ und eine Schlacht auf den Straßen der Ostberliner City. Die Geschichte hat ein Happyend. Alkohol und Küsse im Sonderzug nach Jena. Insgesamt schon mal wirklich gut zu lesen!

Ein echtes Highlight es Buches ist Willmanns Kapitel „Wie alles anfing... und zu Ende ging“. Der Fußball in der SBZ und der DDR. Von 1946 bis zur wilden, überaus chaotischen Nachwendezeit. Lesenswertes von den Oberliga-Meisterschaften und den Fußball-Skandalen. Treffend geschildert wird zudem die Zeit der „verbrannten Erde zwischen Dresden und Berlin“ um 1990 und 1991 herum. Gut auf den Punkt gebracht zudem der Ist-Zustand der einstigen DDR-Vereine.
Stahl Brandenburg? „Ein Fall für den Totengräber.“ FC Vorwärts Frankfurt: „Ein Club am Rande der Würde, heißt nun völlig sinnlos Frankfurter FC Viktoria, kickt auch in der 6. Liga gegen Pippihausen und Oder-Furz.“ Energie Cottbus: „Das Wunder aus der Lausitz. Derzeit in der 2. Bundesliga aktiv, kann man ihnen schon einen erneuten Aufstieg in die Buli prognostizieren. Sympathischer Verein.“ Lok Stendal: „... sieht den Grashalmen beim Wachsen zu.“ KWO Berlin: „Eingegangen wie ´ne olle Primel.“ Rot-Weiß Erfurt: „Hat als FCC-Rivale seine Berechtigung, denn ohne RWE wäre es langweilig im Bratwurstland.“ BFC Dynamo: „Spielt derzeit in der Oberliga Nordost-Nord, die Fans warten seit 22 Jahren auf bessere Zeiten, werden grau und verlieren das Haupthaar.“ 1. FC Union Berlin: „Klug und listig spielt man die Vorortberliner Karte. Union hat das Format zum Überraschungsteam, nach oben wie nach unten.“ 1. FC Magdeburg: „... ein Schatten seiner selbst. ... ein Trauerspiel.“ Kofferwerk Waldau: „Verloren gegangen in Thüringens Wäldern.“ Rotes Banner Trinwillershagen: „Man hatte leider bauerntölpigerweise nach 1989 nicht den Mumm, diesen tollen Clubnamen zu vermarkten und/oder das Mecklenburger Dorf in den Olymp zu schießen.“
Frank Willmann, du sprichst mir und sicherlich auch vielen anderen Fußballfreunden aus der Seele!!

Stadion der Weltjugend„Statistiken“. Klingt wie ein kaum lesenswerter Anhang. Dem ist jedoch nicht so! Das von Jörn Luther zusammengetragene ist einer der Höhepunkte des Buches. Interessantes auf einen Blick. ZSG Horch Zwickau als erster Oberligameister 1949/50 und der FC Hansa Rostock als letzter Oberligameister 1990/91 – das dürfte vielen bekannt sein. Wer kennt jedoch die Oberliga-Übergangsrunde 1955 (SC Wismut Karl-Marx-Stadt wurde Erster), die souveränsten Abstieger und die fleißigsten Auf- und Absteiger der Oberliga? So hatte es Motor Suhl in der Spielzeit 1984/85 geschafft, nur ein einziges Mal zu siegen. Und ach ja, der 1. FC Union Berlin ist fünfmal auf- und sechsmal abgestiegen. Wer hätte gedacht, dass auch die Rostocker ähnlich gut dabei waren im Oberliga-Liga-Fahrstuhl? Fünfmal hoch, fünfmal runter. Ein Hammer die Liste der höchsten Niederlagen des VfB Pankow in der Saison 1950/51. 0:9 gegen Rotation Babelsberg, 1:8 gegen VP Dresden, 1:8 gegen Turbine Halle, 1:8 gegen Lok Stendal, usw. Abstieg? Nein! Die Pankower hatten „einen politischen Anspruch auf einen Oberligaplatz“. Weiter geht es mit den Fußballdörfern der Oberliga (z. Bsp. Brieske mit 3.500 Einwohnern) und der Straße der besten DDR-Vereinsnamen. Ich möchte nicht zu viel verraten, doch Flügelrad Salzwedel, X. Deutscher Bauernkongreß Prohn und Stahl Fackel Mosel sind schon echte Knaller! Und hey, Jörn Luther, mit „Goldfisch Oberlungwitz“ hast du uns aber einen Gag eingebaut, oder?

Leipziger Zentralstadion 1993Was gibt es noch zu lesen? Viel! Veit Pätzug schreibt über das Sachsen-Derby am 07. August 1993. Der VfB Leipzig empfing damals Dynamo Dresden im Zentralstadion. Exakt, es war genau jene Partie, bei der die zertrümmerten Sitzbänke flogen. „Kola mit was drin“ – nach dem Lesen dieser Geschichte wird man wissen, was es damit auf sich hat.
„BFC Dynamo – Stahl Riesa. 7. April 1979“. Das Kapitel von Jochen Schmidt ist ein echtes Schmankerl für Nostalgiker. „Mein erstes Stadionheft“. Bei manchen wird beim Lesen wieder Licht in die abgedunkelten Gehirnkammern kommen.
Mit einem gebrochenem Bein im Krankenzimmer eines Ferienlagers in Trinwillershagen. Davon handelt die Geschichte „Genau wie im Märchen“ von Michael Kröchert. Wirklich hübsch geschrieben. Robust wird es beim „Auswärtsspiel im Tal der Tränen“ von Uli Hannemann. Schlachtenbummler, die zum Auswärtsspiel in der Zone reisen. Die „Westschweine“ werden dort alles andere als liebevoll empfangen. Tribünen aus Polybetonal und mordlustige Reaktor-Hools. Ein Hagel von Pyrotechnik, Morgensternen, angespitzten Hakenkreuzen und Katzenkadavern. „Nackt, vollgepisst und aus vielen Wunden blutend“ wird schließlich das Fußballspiel gesehen. Düster und überspitzt das Szenario – und deshalb um so lesenswerter das Ganze!

In dem Buch „Zonenfußball“ gibt es auch Abstecher in den tiefsten Osten. Wladimir Sergijenkos Kapitel handelt vom ukrainischen Fußballklub Karpaty Lwow. Anekdoten aus UdSSR-Zeiten von der Partie gegen ZSKA Moskau, sowie vom Europacupspiel gegen Borussia Dortmund über zwanzig Jahre später.
Die Kapitel „Hier riecht es noch nach Fußball“ und „Niemand wie wir“ handeln von zwei Leipziger Vereinen, die quasi tot waren und doch wieder auferstanden: Zum einen der 1. FC Lokomotive Leipzig, der 2004 von Fans wieder neu gegründet wurde und in der untersten Kreisliga einen Neuanfang vor über 5.000 Zuschauern startete. Zum anderen die BSG Chemie Leipzig, die derzeit in der sechsten Liga spielt, und die Tradition des Leutzscher Fußballs bewahren möchte.

Cottbus 1995Weiter geht´s mit dem Motor Eisenach / FCW / FC Eisenach, dem FSV Zwickau und dem FC Energie Cottbus. Wladimir Schneidermann schrieb zudem „Über Fußball als Sportart... im Kontext alter populärer sowjetischer Losungen wie `O Sport, du bist die Welt´ und `In einem gesunden Körper wohnt ein gesunder Geist´“.
Welch in Potpourri. Am meisten gelacht hatte ich beim Lesen von „Wie der Stahl gehärtet wurde“ von André Bergelt. 1986. Zu Besuch beim Kumpel Sascha in Brandenburg an der Havel. Während die Eltern beim Kegeln waren, ging es zu zweit in die Badewanne. Während bei beiden Burschen „langsam, aber stetig ein Felsen in die Wolken hinauf wuchs“, kam unverhofft der Vater furchterregend singend nach Hause: „Stahl, du ewiger Sieger! Stahl, wir liegen niemals darnieder...“ Ein bis an die Decke jagender Puls bei den Jungs. Wie die Geschichte ausgeht? Das werde ich wohl jetzt nicht verraten...

Das Fazit fällt ganz klar aus: Dieses Buch muss man sich besorgen und lesen! Und ach ja, man muss nicht unbedingt in der Zone geboren sein, um dieses Buch zu verstehen. Ist noch was zu sagen? Eine Sache noch: Eine zweiter Teil wäre wünschenswert, ich warte drauf! ;-)

Die Fakten:
Zonenfußball
Herausgegeben von Frank Willmann, 2011
Verlag Neues Leben, Berlin
Preis: 16,95 Euro

> zur turus-Fotostrecke: Stadien, Fußballfans & Ultras

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