Auf dem Schienenweg zum polnischen Derby Orleta Radzyn vs. Orleta Lukow

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Vierte Liga PolenDas riecht nach Abenteuer! Zu einem Viertligaspiel auf dem Schienenweg quer durch Polen bis ans östliche Ende des Landes! Die Tour hatte einiges zu bieten und deshalb an dieser Stelle ein Erfahrungsbericht unseres Gastautors: Die Fahrt der kleinen Reisegruppe nach Radzyn Podlaski (Woiwodschaft Lublin) startet von Berlin aus. Im Vergleich zu Deutschland ist das Bahnfahren in Polen noch günstig. Die Bevölkerung mag das vielleicht schon anders sehen, jedoch gibt es hier ein spezielles Angebot für das Wochenende. Man kann dabei alle Express-Züge der TLK nutzen. 

polnischer ZugBis Ende 2010 war sie laut Namen eine günstige Bahngesellschaft (Tanie Linie Kolejowe, tani = billig). Aus „tani“ wurde kurzerhand „twoje“ (deine). Und so heißt sie nun Twoje Linie Kolejowe und gehört zur PKP Intercity-Gruppe. Ob diese Entwicklung gut ist, sei einmal dahingestellt. Früher war es jedenfalls einfacher. Man konnte mit einem „bilet turystyczny“ für 60 Zloty von Freitag 18 Uhr bis Montag 6 Uhr sämtliche regionalen Züge und Schnellzüge nutzen. Heute darf man mit einem ähnlichen Ticket nur noch die TLK-Züge benutzen und sollte sich vor Fahrtantritt schon die entsprechenden Reservierungen sichern. Diese kann man aber auch noch beim Zugbegleiter erwerben. Die Kundenfreundlichkeit nimmt auch in Polen rasant ab. So tauchen immer mehr Fahrschein-Automaten auf, Rabat-Karten werden herausgegeben und die Anzahl der durch Personen besetzte Schalter nimmt ab. Es ist also eine ähnliche Entwicklung im Vergleich zu Deutschland. 

PolenDer Zug rollt in Szczecin ein und wir suchen mit unserem Kärtchen in der Hand den uns zugewiesenen Platz. Es dauert auch gar nicht lange und da füllt sich unsere Kabine. Zum Glück sind wir nur zu viert. Mit sechs Personen wird es schon anstrengend. Die Kabinen der zweiten Klasse sind eigentlich für acht Personen konstruiert. So kann sich eine Fahrt nach Warszawa schon mal wesentlich länger anfühlen. Normalerweise fährt der Zug die Strecke in gut sieben Stunden. Gleich geblieben ist die Ungewissheit, ob man eine geheizte Kabine bekommt oder eine mit schon fast „arktischen“ Temperaturen. Auf der Fahrt machten wir wieder mit beiden Arten Bekanntschaft. Zusätzlich sorgte die Toilette, bei der das Licht nicht funktionierte, für Heiterkeit. 

WarschauSehr pünktlich erreicht der Zug dann den Bahnhof Warschau-Ost. Dieser wurde im Vorfeld der Europameisterschaft 2012 modernisiert und ist gar nicht mehr wieder zu erkennen. Der einstige Rückzugsort für ärmere Personen, speziell in den kalten Monaten, ist heute ein moderner kleiner Bahnhof. Möchte man ein Ticket kaufen oder eine Information erhalten, muss man zunächst, wie beim Einwohnermeldeamt üblich, eine Marke ziehen und verharren bis man an der Reihe ist. Wir warten nun zirka eine Stunde auf den Zug nach Terespol (an der weißrussischen Grenze), der uns nach Lukow bringen soll. Der TLK nach Terespol hat keine Kabinen und sieht eher nach einem unserer Regionalzüge aus. Eine elektronische Anzeige ist zwar vorhanden - sie gibt aber keine Auskunft über die nächste Bahnstation. Da es auch keine Ansagen gibt, muss man eben wie ein Luchs aufpassen, um sein gewünschtes Reiseziel nicht zu verpassen. Es gibt auch Bahnhöfe, die nur über ein einziges Hinweisschild verfügen. 

GraffitiIn Lukow haben wir nun zwei Stunden Zeit, um eine Bushaltestelle zu finden, von der uns ein privates Kleinbus-Unternehmen nach Radzyn bringt. Wir haben nur einen Straßennamen. An zwei Bushaltestellen sind Abfahrtstabellen dieser nichtstaatlichen Busgesellschaft. Von dort aus fahren jedoch nur Busse in die genau entgegengesetzte Richtung. Wie soll es nun weitergehen? Die hilfsbereite junge Frau vom Zeitungskiosk lässt sofort alles stehen und liegen, verlässt den Laden und hilft. Viele Touristen zieht der Ort (zirka 30.000 Einwohner) in der Woiwodschaft Lublin nicht an. An anderer Stelle erhalten wir nicht nur eine Bestätigung der Bushaltestelle, sondern auch eine Visitenkarte des Busunternehmens. Zu unserer Überraschung stehen auf dem Kärtchen völlig andere Abfahrtszeiten als jene (vor allem keine, die uns pünktlich zum Spiel gebracht hätte), die wir via Internet erhielten. 

GraffitiDa hilft nun alles nichts. Wir müssen also nur noch 45 Minütchen warten, um zu sehen, ob nun unsere Zeiten passen würden. Und dann kommt wirklich ein winziger Bus, der sogar noch zwei freie Plätze hat. In Radzyn (16.000 Einwohner) wird sich nun sicherheitshalber gleich um die Rückfahrt gekümmert. Hier stimmen jedoch sämtliche zuvor eingeholten Informationen. Auf dem Weg zum Stadion sticht einem sofort eine Wand ins Auge, an der es offizielle Graffitis der Fans vom Verein Orleta Radzyn gibt. Auf der anderen Straßenseite befindet sich der eindrucksvolle Potocki-Palast. Wir sehen auch Aufruf-Plakate der Fanszene zum heutigen Spiel. Im Internet war es sehr ruhig um diese Partie. So ist es für uns eine kleine Erleichterung mit einer damit verbundenen Gewissheit, dass wir heute auch auf den Rängen etwas geboten bekommen würden. 

PolizeiAls Treffpunkt wurde angeben: „12:30 Uhr - dort, wo wir uns immer treffen“. Für manche Touristen sicherlich keine zufriedenstellende Information – für uns so eine Art Überraschungsei. Wir warten in der Nähe des Stadions und sind gespannt, was uns nun erwarten wird. Ungefähr 80 Radzyn-Fans laufen unter Schlachtrufen zum Stadion. In diesem nur sehr kleinen Stadion (überdachte Presse/Ehren-Tribüne und unüberdachte Gegengerade) bringen sie schließlich ihre Fahnen an und beginnen mit dem Unterstützen ihrer Mannschaft im Derby gegen Orleta Lukow. Beide Vereine, die auch beide in den 20er Jahren gegründet wurden, stehen in dieser 4. Liga (umfasst die zwei Woiwodschaften Vorkaparten und Lubin) momentan am Ende der Tabelle. Beide Vereine spielten bisher nie höher als in der 3. Liga. 

FußballAuf dem Platz sehen wir ein Spiel mit vielen Emotionen, bei dem Radzyn am Ende verdient mit 2:0 als Sieger den Platz verlässt. Es fällt sofort auf, dass das Stadion über keinen Gästeblock verfügt. Ob das nun der Grund war, weshalb am heutigen Tag keine Zuschauer aus Lukow vor Ort waren, kann leider nicht beantwortet werden. In der Vergangenheit brachten beide Fangruppen beachtliche Ansammlungen von Fans zustande. Heute waren es eben nur die zirka 90 im Heimfansektor. Zum Anstoß gab es Kassenrollen, danach folgte das, was durchaus als „polnischer Standart“ genannt werden darf: Viel Armeinsatz, Einhaken und Hüpfen, laute Schlachtrufe, Gesang, gemeinsames Einklatschen. Unterstützt wurde Radzyn von ein paar Fans aus Miedzyrzec. 

KibiceFür Unmut (seitens der Vereinsführung) sorgte ein Spruchband, dessen Intention leider nicht eindeutig gedeutet werden konnte. Es enthielt jedoch mit Sicherheit ein Schimpfwort, das dem Verband durchaus nicht gefallen würde. Der Verein versuchte es zu entfernen – die Fans eroberten es zurück. Nach langer Diskussion mit dem Präsidenten tauchte es dann doch nicht wieder im Fansektor auf. Das Spiel endet und die Mannschaft feiert zuerst intern den Sieg und geht erst dann zu den Fans. Das ist doch eher unüblich beim polnischen Fußball. Somit zeigte sich ein großer Teil der Anhängerschaft nicht gerade erfreut und verlässt schon frühzeitig das Stadion.

Wir warten nun an der Bushaltestelle und plötzlich taucht ein Bus der staatlichen Busgesellschaft auf, der nicht auf unserer Liste stand. Kurz nachgefragt und er steuert wirklich die Stadt Lukow an. Dort haben wir vier Stunden Aufenthalt bis unser Zug nach Warszawa ankommen soll. Der Rückweg verläuft schließlich ohne größere Vorkommnisse. Ab Warszawa fahren dann bereits sehr viele Legia-Fans mit, die zum Montagsspiel nach Szczecin wollen. Kaum waren die Pogon- und Legia-Fans (Pogon und Legia pflegen eine Freundschaft) nach Ankunft des Zuges in Szczecin verschwunden, rollt der TLK aus Krakow ein, in welchem sich zirka 200 Fans von Cracovia befinden. Fast wäre es somit am Bahnhof zu einem direkten Aufeinandertreffen gekommen. Weiter geht es für uns in Richtung Berlin. Letzten Endes nach 40 Stunden Zugfahrt, Warterei, Busfahrt, Fußballspiel und wiederum Bus- und Zugfahrt sind wir gegen Sonntagmittag wieder zu Hause. Keine Frage: Die nächste Fußballtour kann kommen!    

> zur turus-Fotostrecke: Fußball in Polen

> zur turus-Fotostrecke: Impressionen aus Polen

 

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