Es war emotional. Es war spannend. Ja, es war phasenweise sogar dramatisch. Das Duell zwischen dem Tabellenführer Eintracht Braunschweig gegen Union Berlin wurde zu einem echten Kracher. Und das sowohl auf dem Rasen als auch auf den Rängen. Selbst als alter Fußballhase wurde man dermaßen überrascht, so dass die einzelnen Puzzlestücke des ereignisreichen Montagabends erst einmal im Geiste sortiert werden mussten. Zumal aus dem Blickwinkel des Gästebereichs ein ganz anderer Eindruck entstehen konnte als von der Gegengerade und der Heimkurve aus. Keine Frage: Um alles halbwegs erfassen und verstehen zu können, musste stetig der Beobachterpunkt gewechselt werden!
Stimmung (fast) ohne Ultras: Eintracht Braunschweig gegen 1. FC Union Berlin
HotEs war emotional. Es war spannend. Ja, es war phasenweise sogar dramatisch. Das Duell zwischen dem Tabellenführer Eintracht Braunschweig gegen Union Berlin wurde zu einem echten Kracher. Und das sowohl auf dem Rasen als auch auf den Rängen. Selbst als alter Fußballhase wurde man dermaßen überrascht, so dass die einzelnen Puzzlestücke des ereignisreichen Montagabends erst einmal im Geiste sortiert werden mussten. Zumal aus dem Blickwinkel des Gästebereichs ein ganz anderer Eindruck entstehen konnte als von der Gegengerade und der Heimkurve aus. Keine Frage: Um alles halbwegs erfassen und verstehen zu können, musste stetig der Beobachterpunkt gewechselt werden!
Was war passiert? Die Fakten: In einem höchst spannenden Zweitligaspiel konnten die Gastgeber aus Braunschweig vor 21.200 gegen den 1. FC Union Berlin mit 4:3 gewinnen. Zweimal konnten die Gäste von der Alten Försterei Dank Adam Nemec in Führung gehen, zweimal glichen die Braunschweiger Löwen durch einen Treffer von Domi Kumbela aus. In der zweiten Halbzeit spielte sich der Gastgeber in einen wahren Rausch und legte mit einem weiteren Tor von Kumbela und einen Treffer von Mirko Boland zum Stand von 4:2 vor. In der Nachspielzeit machte es Christopher Quiring noch einmal spannend. Nach dem Anschlusstreffer zum 3:4 gab es noch eine weitere Möglichkeit der Eisernen, doch die Eintracht konnte den Sieg in trockene Tücher bringen. Das Stadion stand Kopf, die Ränge bebten.
Doch Moment! Bebten? Stimmung? Sollte es nicht einen 90-minütigen Boykott der Fans von Eintracht Braunschweig geben? So war es im Vorfeld der Partie zu lesen. Daraus würde jedoch nichts werden, erklärten bereits vor dem Anpfiff die heimischen Journalisten den angereisten Schreiberlingen. Wie von den Cattiva Brunsviga angekündigt sollte vor dem Spiel ein knackiger Support erfolgen, um zu zeigen, dass man voll hinter der Eintracht-Mannschaft stehe. Untermalt wurde das Ganze mit einer Pyrotechnik-Einlage gegen 19:45 Uhr. Zehn Minuten vor Anpfiff kam schließlich das blau-gelbe Fahnenmeer im äußeren Block der Heimkurve langsam zur Ruhe. Sämtliche Zaunfahnen und Banner wurden entfernt. (siehe Fotos) Stattdessen war nun in fetter Schrift weiß auf schwarz zu lesen: „Wir Fans sind der Verein“.
Während im Block der Ultras komplette Ruhe einkehrte, machte die restliche Fankurve keine Anstalten den Support einzustellen. Ganz im Gegenteil. Lautstark ertönte ein „Eintracht Braunschweig olé“ beim Einlaufen der Mannschaften über den Rasen. Stille indessen bei den rund 2.000 angereisten Anhängern des 1. FC Union Berlin. Keine Fahnen, kein Gesang. „Ohne Stimme 12:12 Keine Stimmung“. Die ersten 12 Minuten und 12 Sekunden gab es wie vereinbart wieder die Protestaktion. Im Anschluss wollte man schauen. Je nachdem, wie sich das Braunschweiger Publikum verhalten würde.
Von 12:12 keine Spur – außer im Block der Ultras. „Wer nicht wippt, der ist ein Roter!“, „Steht auf, wenn ihr Löwen seid!“, „Hier regiert der BTSV!“, donnerte es aus der Mitte der Kurve. Dort saß ein kerniger Fan auf dem Zaun und feuerte die „normalen“ Braunschweiger Fans an. Eine Atmosphäre wie Anfang der 90er Jahre, schoss es einem sofort durch den Kopf. Aus allen Ecken ertönte Schlachtgesang. Auch auf der mit Sitzplätzen versehenen Gegengerade wurden immer wieder Lieder und Anfeuerungsrufe angestimmt. Irritationen indes im Gästebereich bei den Union-Fans. Eigentlich wollte man komplett schweigen, doch fühlte man sich immer wieder dazu animiert, die Braunschweiger „Schweigebrecher“ gellend auszupfeifen. Im Gegenzug buhte das Braunschweiger Publikum links und rechts der Gästekurve die Berliner Anhängerschaft aus, als diese den üblichen 12:12-Countdown anstimmten.
Bereits nach gut einer Viertelstunde war klar: Der Großteil des Braunschweiger Publikums wollte sich nicht auf Grund der allgemeinen Debatten vom Support der eigenen Mannschaften abbringen lassen. Zu gut verläuft die eigene Saison. Zu groß sind der Hunger und die Sehnsucht nach einem sportlichen Comeback im Oberhaus. Aufstieg jetzt! Endlich wieder gegen den verhassten Rivalen Hannover 96 antreten! Was interessiert da schon ein DFL-Papier, werden tausende Fans gedacht haben. In einem engen Spiel wie gegen Union musste einfach die Unterstützung von Seiten der Zuschauer kommen. Dass da was dran war, wurde ebenfalls fix deutlich. Bereits in der vierten Spielminute hatte Nemec nämlich die Gäste in Führung bringen können. Noch innerhalb der ersten 12 Minuten konnte die Eintracht zum 1:1 ausgleichen.
„Eintracht! Eintracht!“, hallte es durch das altehrwürdige Stadion. Wäre nicht die Jubelmusik aus dem Lautsprecher gewesen, hätte man von totaler Old-School-Atmosphäre sprechen können, zumal auch bautechnisch die Sportstätte einen an die 90er Jahre zurückdenken lässt. „Immer wieder, immer wieder BTSV, von der Elbe bis zur Isar...“ Echte Klassiker ertönten aus der Kurve und der erstaunlich temperamentvollen Gegengerade. Solch ein Publikum würde sich manch ein Erstligist ganz gewiss wünschen. Gute Stimmung auch im Gästeblock. „Hier regiert der FCU!“ Dauerhafter Support bis zum Spielende. Hohn und Spott gab es indes für das Haupttribünenpublikum, das teilweise noch weit vor dem Pausenpfiff zum VIP-Bereich eilte. „Ihr seid nur ein Tennispublikum!“
Zu Beginn der zweiten Spielhälfte präsentierten die Gästefans eine schmucke Choreographie, die in Form einen riesigen Banners (...überall wird es schallen: 1. FC Union, unser Verein!“, Längsbahnen und roten Pappschildern bestand. Im Block der Ultras von Eintracht Braunschweig wurde dagegen immer wieder Protest in Form von Spruchbändern und gemalten Sprechblasen geübt. Je weiter das Spiel voranschritt, desto skurriler wirkte die Situation in der Braunschweiger Kurve. Die dortige Fanszene vor der Spaltung? Nicht wenige Zuschauer links und rechts des Ultrà-Blocks winkten den schweigenden Jungs hämisch zu oder ballten verärgert die Fäuste.
Die Ultras zogen jedoch ihr Ding durch und präsentierten ein Spruchband nach dem anderen. „Ihr habt´s nicht kapiert – unsere Stimme ignoriert!“ Dazu ein „Fi** Dich DFB!“ sowie ein „12.12.12 – Mord an unserer Jugendkultur!“ Gleich nebenan war eine blau-gelbe Schalparade zu bewundern, denn soeben ging die Eintracht in der 57. Minute mit 3:2 in Führung. Wie eingangs erwähnt spielten sich die Hausherren zunehmend in einen echten Rausch. Als in der 75. Minute sogar das 4:2 fiel, gab es auf den Rängen kein Halten mehr. Scheppernd klatschte die erste Sitzreihe der Gegengerade auf die Werbeschilder. Der Großteil der Kurve kochte und waberte vor Freude. Im Überschwang der Gefühle wurde nun sogar eine La Ola in Bewegung gebracht. Vielleicht war dies in Anbetracht der angedachten Proteste dann doch zu viel. Zumal das Publikum die nicht mitmachenden Blöcke der Gästefans und der Braunschweiger Ultras gnadenlos auspfiff. Nun platzte manch einem der Kragen. Zwischen den Heimblöcken flogen erste Bierbecher. Wüste Beschimpfungen von beiden Seiten aus.
Großer Showdown nun im Innenraum. Der Vorsänger der Cattiva Brunsviga sprang auf die Tartanbahn. Der kernige Typ von der Old-School-Fraktion tat es ihm gleich. Die Ordner ließen die beiden gewähren. Warum auch nicht, blieb es doch bei einer verbalen Auseinandersetzung. Jedoch hatte es diese in sich. Minutenlang wurde gestikuliert und gestritten. Bei manch einem hinter dem Zaun lagen indes bereits die Emotionen blank. (siehe Fotos) Allein, verdammt allein im weiten Rund wirkte der Block der heimischen Ultras. Stand man davor, hatte man einfach das Gefühl: Das war´s! Zumindest im Braunschweig. Ein zukünftiger Support wieder wie einst vor langer Zeit? Ohne Ultras? Ohne Zubehör? Einfach nur brachialer Gesang?! Im dortigen Stadion durchaus vorstellbar. Zumindest aus Sicht eines Außenstehenden.
Diese Frage bzw. diesen Konflikt wird es Anfang 2013 in zahlreichen deutschen Stadien geben. Wie wird es weiter gehen? Diese Frage muss jede Fanszene mit sich ausmachen. Warum? Weil jeder Verein und jede dazugehörige Fanszene anders gestrickt sind. Braunschweig ist nicht Union Berlin. Bei der SG Dynamo Dresden, bei Eintracht Frankfurt, dem 1. FC Köln und dem FC St. Pauli ist die Situation eine ganz andere. Vielleicht ist die Braunschweiger Lage ein wenig mit der beim FC Schalke 04 vergleichbar. Es bleibt allerdings ganz klar beim „vielleicht“, denn steht eine Frage im Raum: Wir hätte sich das Braunschweiger Publikum verhalten, wenn sein Team auf dem grünen Rasen nicht so phantastisch im Aufstiegsrennen wäre?
Sei es wie es sei, nach dem Spiel erklärte Eintracht-Trainer Torsten Lieberknecht, dass dies ein Sieg der Fans sei. Das Team habe sich Gänsehautstimmung gewünscht und es habe diese bekommen. Ohne Zweifel hätte diese Atmosphäre auf den Rängen die Mannschaft beflügelt. Nun würde es im kommenden Jahr mit Bodenhaftung weitergehen. Stand der Dinge nach dem 19. Spieltag: Zwei Punkte auf den Verfolger Hertha BSC und satte 12 Punkte Vorsprung auf den Tabellendritten 1. FC Kaiserslautern. Wenn nicht wirklich ein totaler Einbruch erfolgt, dürfen die Braunschweiger Fans in der Saison 2013/14 den FC Bayern München, Borussia Dortmund – und ja, Hannover 96 begrüßen. Und das hoffentlich vereint!
Fotos: Marco Bertram
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