× Reiseberichte, Erfahrungen für Reisen nach Lateinamerika, insbesondere Brasilien. Karneval in Rio, Regenwald und Amazonas – der grüne Kontinent steht Euch offen, was interessiert Dich am meisten?

Tagebuch: Kalleman unterwegs in Brasilien

25 Sep 2005 00:13 #1248 von kalleman
Ich muss lachen. Zum erstenmal in Brasilien wird mir das Bett gemacht! Ich unterhalte mich mit der Putzfrau übers Wetter, aber sie sieht wenig Chancen , dass es in den nächsten Tagen Badewetter gibt.
Am Abend setze ich mich in eine Kneipe und möchte nocheinmal etwas den Touristen beim Einkaufen zusehen. Aber es beginnt zu stürmen. Und so sitze ich in der gemütlichen Kneipe fest. Irgendwann kommt eine Frau zu mir und bringt irgendsoeine Geschichte, dass ihre Kollegin mich mag, aber zu schüchtern ist etc.. Ich bin lange genug in der Welt herumgereist und weiss, worum es geht. Doch ich sage mir, soll ich das Bier alleine trinken oder mich etwas unterhalten. Das Bier ist billig, der Entscheid gefällt und so sitze ich mit drei Damen am Tisch. Touristinnen aus Espirito Santo. Touristinnen, die aber ihre Ferien irgendwie finanzieren müssen! So bestelle ich ein Bier und vier Gläser als ein Franzose vorbeikommt und mir in Französisch zuruft, ich soll auf mein Bier aufpassen! Zuerst verstehe ich nicht, was er meint, aber bald sehe ich es! Die Frauen bestellen ungeniert Bier und schon stehen 4 volle Flaschen da! Und so sehe ich mich gezwungen, mit dem Kellner ein ernstes Wörtchen zu reden, da schliesslich sowieso ich alles bezahlen muss. Ich unterhalte mich mit dem Franzosen in seiner Sprache und während zwei Frauen relaxt bleiben, treibt es die Dritte zur Weissglut. Sie will unsere Gesrpäche kontrollieren; sie scheint ja einige Leichen im Keller zu haben. Der Franzose trinkt sein Bier allein, aber er scheint die Frauen zu kennen und einschlägige Erfahrungen gemacht zu haben. Nur mit mir teilt er das Bier, aber er erwähnt nur beiläufig, dass es Prostituierte sind, was ich schon wusste. Die Frauen wollen mit mir in eine Disco, gleich um die Ecke, aber ein Taxi braucht man doch um dort hinzukommen. Ich lehne ab, ich sowieso kein Geld mehr dabei. Die eine (die Gleiche) erbost und schalt mich, weil ich nur sowenig Geld dabei habe. Sie meint, wie ich nur so dumm sein könne sowenig Geld in den Ausgang mitzunehmen und sagt, ich soll abfahren. Ich bedankt mich bei ihr für das Bier und sage, sie sei ein besonders nettes Mädchen und denke, dass diese Frau doch ziemlich frustriert sein muss.
Der Franzose bestellt noch Bier, teilt es aber nur mit mir. Er ist mir sehr symphatisch und wiedereinmal stelle ich fest, dass Sprache verbindet. Wenn ich Franzosen, Norditaliener oder Deutsche treffe, entsteht gleich ein viel vertrauteres Verhältnis als mit anderen Nationen. Er will mich auch in die Disco einladen, aber ich lehne dankend ab.

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25 Sep 2005 00:35 #1249 von kalleman
Wo soll ich hin? Es regnet überall in Brasilien. Doch wenn ich schonmal hier bin, kann ich doch gleich noch Arraial Ajuda besuchen. Es soll ein wilder, junger Ferienort sein. Von Porto Seguro aus kann man mit einer Fähre über einen Fluss setzen und vom andern Ufer aus sind es noch 5 Kilometer. Auf der Personenfähre ist ein Riesenchaos, denn heute sagt das organisierte Programm für die Pauschaltouristen einen Besuch in einem Wasserpark in der Nähe von Arraial vor und alle wollen auf meine Fähre, doch keiner geht ohne Kommando. Also stehen sie alle am Eingang rum und ich kämpfe mich irgendwie mit meinem Rucksack durch. Auf der anderen Seite angekommen stehen dutzende Busse und ich Frage mich, wie es möglich ist, dass in diesem Chaos jeder Tourist den richtigen Bus findet. Aber irgendwie scheint in diesem Chaos doch eine Struktur zu sein, denn erstaunt stelle ich fest, dass alle irgendwie ihren Bus zu finden scheinen.
Arraial liegt ebenfalls auf einem hohen Hügel. Hier angekommen führt mich ein Scout in eine Pousada: Sie gehört einer resoluten italienischen Frau vom Typ des knallharten Managers, ohne aber unsymphatisch zu wirken. Ich bezahle 20 R. für ein gutes Zimmer und der Scout erhält seine Provision. Es ist ein fairer Deal. Das Zimmer ist ganz klar europäisch. An der Wand hängt eine Strenge Hausordnung, wie sie sonst nur in Europa zu finden ist und ich denke, dass dies einen Brasilianer eh nie kümmern wird. Die Dusche könnte aus einem gutem europäischen Hotel stammen, es gibt sogar Warmwasser und das Beste: Die erste Toilette in Brasilien auf der ich sitze, in der ich das WC-Papier herunterspülen darf!
Ich versuche ein Mietvelo zu ergattern, aber heute ist Samstag, das Geschäft öffnet erst wieder am Montag. Dafür gibt es hier gutes Brot. Der ganze Küstenabschnitt soll im Besitz von Italienern und Portugiesen sein und ich werde aufgefordert, hier doch auch eine Pousada zu eröffnen. ich denke aber, was ist denn das für ein Leben. Den ganzen Tag rumzusitzen. Das mag ja am Anfang noch schön sein, aber irgendwann fehlt doch die Herausforderung. Auf die Pizza hier sind die Italiener besonders stolz. Ich hingegen finde sie kaum besser als die 'brasilianischen'. Der Teig erinnert mehr an einen nicht ganz durchgebackenen Kuchenboden als an eine Pizza. Arraial ist mitnichten mehr ein junger, hipper Ferienort. Längst haben teure Boutiquen, Restaurants, Hotels, Kleiderläden etc. einzug gehalten. Auf der einen Seite des Hauptplatzes ist es sehr teuer und touristisch, auf der anderen Seite billig und Einheimisch.
Am Abend ist Forro-Party. Ein Mädchen fällt mir am Mittag auf. Am Abend sehe ich sie beim Forrotanzen. Sie trägt ein weisses Kleid, mit Bestimmtheit ihr Schönstes. Sie hat sich herausgeputzt und ist mit Abstand die schönste Frau auf dem Platz. Dementsprechend intensiv buhlen die Männer um einen Tanz mit ihr.

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25 Sep 2005 01:20 #1250 von Anonymous
Am Frühstückstisch gibt es nur Früchte. Einerseits herrlich, andererseits hätte ich dazu gerne Brot, weil sonst der Dünnpfiff vorprogrammiert ist. Die Chefin der Pousada sagt, dass die Brasilianer ihr manchmal wie kleine Kinder vorkommen: Sorglos und wenig diszipliniert. Ich kann mir vorstellen, dass sie als resolute Frau beim Bau der Pousada mit den brasilianischen Behörden und Firmen manchmal dem Nervenzusammenbruch nahe war. Ich erfahre endlich, warum man nicht gut schnorcheln kann. Im September ist das Watter zu trübe. Erst ab November ist die Sicht besser! Ich geh ein bisschen an den Strand. Es ist zwar nicht sonnig, aber trocken. Als es zu regnen beginnt, will ich mein Bier bezahlen. In ganz Brasilien hatte ich noch nie soviel für ein Bier bezahlt. Ausgerechnet im 'jungen, hippen' Arraial zocken sie einen ab! Troco (Rückgeld) gibts auch nicht. Als ich reklamiere bekomme ich 2 Real statt 3.20.-. Man sagt mir, ich solle mich gedulden, er warte auf Kleingeld. Ich insistiere mehrmals und beim dritten Mal, nach etwa 10 Minuten, macht er die Kasse auf und gibt mir einen Real. Von wegenwarten auf Kleingeld, denke ich, die wollen mich einfach nur bescheissen. Ich verweise auf die 20 Cent, doch er meint, die gibts nicht, kein Münz. Überall hätte ich auf die 20 Cents verzichtet, aber hier nicht! Ich dränge, mache, tue, möchte den Boss sprechen, dann eine schriftliche Bestätigung, dass mir die Auszahlung von 20 Cents verweigert wurde, hindere ihn wo es nur geht bei der Arbeit und irgendwann macht er die Kasse auf und holt 20 Cents raus.
In der Pousada versuchen mich die Italiener zu einer Frau zu überreden. Ich soll mir eine aussuchen und ihr nur Komplimente machen. Kein Geschwätz, das mögen sie nicht, sie wollen nur Komplimente hören und schicken mich auf die Jagd. Aber mir steht der Sinn nicht nach einer Brasilianerin. Irgendwie dreht es sich ja doch immer nur ums Geld, zudem kann ich mich als Gringo den Frauen sowieso nicht entziehen und so geschieht es auch heute. Celiny quatscht mich an, sie kann Englisch und Französisch und war schon in der Schweiz. Sie hat unglaublich weisse Zähne, lacht ständig, ist hübsch und symphatisch. Nebenbei kommt sie aus Salvador (Das muss ja ein Nest sein) Also entscheide ich mich wieder für die Variante "Bier zu zweit statt Bier allein". Sie spielt ihre Rolle perfekt und "zieht ihre Schlinge immer fester um mich". Häufiger werden die Berührungen und bald gibts sie mir einen Kuss auf die Backe. Und sie schlägt mir vor, an einem anderen Ort zu gehen, wo das Bier billiger ist. Alles gut, denke ich, aber Unheil naht. Zwei ältere, ausgewanderte Italiener nähern sich. Celiny haucht mir ins Ohr, dass sie hofft, bei dem einen Arbeit zu finden um ihre Ferien finanzieren zu können. Die Italiener setzen sich hin und ich biete ihnen wie landesüblich mein Bier an, was der eine auch gleich nutzt um es mir wegzutringen. Noch ein paar Flaschen werden bestellt. Ich werde aus dem Gespräch ausgeklinkt und komplett ignoriert. Froh bin ich, als Celiny sagt, wir sollen aufbrechen. Ich bezahle mein Bier und das "Game" beginnt. "Per Zufall" laufen wir an einem Mototaxi vorbei. Er ruft etwas zu uns und Celiny sagt, dass sie ihm 8 Real schulde und ob ich es ihr nicht vorschiessen könne. Ihre Freundin würde nachher kommen und diese hat einen Schlüssel zu einem Haus und dort ist ihr Geld. Und schon sitz ich in der Falle. Das Geld werd ich nie mehr sehen und der Mototaxifahrer und Celiny werden sich wohl die Beute teilen. Jetzt müssen wir aber durchs Dorf laufen um ihre Freundin zu suchen, doch in Wirklichkeit gehen direkt auf eine Bar zu. Celiny möchte hier ein Bier trinken, ich aber möchte noch etwas warten und somit verliere ich für Celiny den Nutzen. Aber wie wird sie mich los? Sie sagt, dass ihre Freundin vielleicht an einem anderen Ort ist und sie nimmt jetzt das Mototaxi um sie dort zu suchen und ich darf nochmals 8 Real bezahlen. Dann setze ich mich in eine Bar und trinke ein Bier. Zu den Italienern mag ich nicht setzen. Celiny kommt zurück, ignoriert mich und setzt sich zu den Italienern. Ich setz mich dazu, doch mir wird kein Bier angeboten und die Italiener würdigen mich keines Blickes. Ihre Arroganz kotzt mich an, gerade macht sich der eine über sämtliche Völker Europas lustig. Sein Humor ist weder witzig noch sonstwie lustig, eher bösartig, aber Celiny prustet sich jedesmal vor Lachen. Ich kann sie durchaus verstehen: Die Italiener finanzieren ihr den Ausgang. Ich geh spazieren und lande auf einer Forro-Party. Doch ich bin verwirrt. Ich möchte in die Pousada nachdenken gehen. Auf dem Rückweg lauf ich Celiny und den Italienern über den Weg. Der Abschied ist kühl, ich kann meine Enttäuschung nicht verbergen. Sie entschuldigt sich für alles und ich frage mich, was sie mit 'alles' meint? Die Italiener ignorieren mich. Es ist schon eigenartig. Ich wusste ja bereits im voraus, wie die Geschichte enden wird, trotzdem bin ich enttäuscht. Es ist dieses 'fallengelassen' werden, was mich beschäftigt und ich stelle mir die Frage, ob sie mich vielleicht doch ein bisschen gern gehabt hat oder ob sie tatsächlich so eiskalt ist und den ganzen Zirkus nur des Geldes wegen veranstaltet hat.

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25 Sep 2005 01:50 #1251 von kalleman
Es ist langweilig hier in Arraial, wenn man nicht baden oder biken kann und so entscheide ich mich früh aufzubrechen um möglichst vor Anbruch der Dunkelheit in Vitoria, meinem nächsten Reiseziel anzukommen. Noch ahne ich nicht, dass es heute ein guter Tag wird, denn er beginnt denkbar schlecht.
Ein einziges Mal war ich zuvor in Brasilien in einer 'italienischen' Pousada abgestiegen. Damals nervte ich mich endlos über die paranoide Abschliesserei der Haupttüre. Kaum entfernte sich der Capo 2 Meter von der Türe, wurde abgeschlossen. Manchmal musste ich bis zu 30 Minuten warten, bis ich hineingehen konnte, denn alles hämmern nützte nichts.
Um 5 Uhr ganz früh am Morgen stehe ich vor der Eingangstüre: Sie ist mit einem dicken Vorhängeschloss versehen und sehr hoch. Ich überlege was zu tun ist. Warten? Endlos klingeln? Über die Türe klettern? Ich sehe mich um und entdecke ein Fenster! Und genau da gehts hinaus. Und ich muss zugeben, dass ich mich 'beim Ausbrechen' gut gefühlt habe. Es war einfach eine coole Aktion! Am Busbahnhof von Porto Seguro geht das Unglück weiter: Sämtliche Tagesverbindungen nach Vitoria ausgebucht. In Eunapolis ebenfalls. Doch das Blatt wendet sich: Der Agent der Busgesellschaft ruft mich und vermittelt mich mit einem Mann, der nach Sao Matheus fährt und dabei etwas Geld verdienen will. Wir sind uns schnell einig und schon bald sitze ich ihm Auto. Sicherheitsgurte an und schon rast er los. 4 Personen sind im Auto: Seine Frau und ein anderer Passagier, der kein Busticket kaufen konnte. Zwischendurch halten wir an und er und seine Frau trinken ein Bier! Dann rast er weiter und ich bin froh um den Sicherheitsgurt! Und viel schneller als mit dem Bus sind wir in Sao Matheus. Es ist 14.00 Uhr und ich bekomme einen Sitzplatz im 15.00 Uhr-Bus nach Vitoria. Ich nutze die Gelegenheit um etwas zu essen und kurz nach Einbruch der Dunkelheit bin ich in Vitoria. Schnell finde ich ein Hotel. Ich bezahle 15 Real, diesmal mit allgemeinen Bad. Je südlicher desto teurer, stelle ich fest. Ich spaziere noch etwas in der Stadt, welche 1551 gegründet worden ist. Doch das einzig schöne ist die Kirche im historischen Zentrum und eine paar Strassen drumherum. Der Rest ist am verfallen, überall liegt Abfall rum, Menschen schlafen an den Strassenrändern. Ich stelle fest, dass die Kirchen keine Uhren haben! Und vorallem die Baptisten scheinen hier grossen Zulauf zu haben. Überall in Brasilien sind ihre eher schlichten, offenen und mit Plastikstühlen ausgestatteten Gebetshäuser zu finden. Mitunter haben diverse religiöse Splittergruppen, Sekten oder wie wir sie hier genau bezeichnen wollen, gigantische Gebetshäuser errichtet. So hab ich diese riesigen, modernen und sicherlich sündhaft teuren Häuser der Prybstianer oder wie sich diese Gruppierung genau nennt, in Salvador, Belo Horizonte und Rio de Janeiro gesehen.

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25 Sep 2005 11:56 #1252 von Anonymous
Ich muss früh raus, denn heute steht eine Zugfahrt auf dem Programm. Um 7 Uhr fährt ein Personenzug nach Belo Horizonte. Die Hotelangestellte mahnt mich, um 5 Uhr aufzubrechen. Nachdem ich 15 Minuten vergebens auf einen Bus warte, entscheide ich mich zu laufen. Vitoria wäre in so ein traumhaften Lage. Überall so runde, hohe Hügel, die Stadtteile sind durch mehrere Flüsse getrennt. Doch die Behörden haben es tatsächlich geschafft, in das historische Zentrum Hochhäuser reinzuquetschen und die Stadt mit Strassen und Verkehr zu durchziehen. Alles hier scheint heruntergekommen, der Müll liegt überall rum, das Verkehrsaufkommen ist wie überall in Brasilien enorm. Es stinkt nach verbranntem Alkohol(wird hier als Treibstoff benutzt) und Benzin. Nach 30 Minuten erreiche ich den Bahnhof. Und gleich sticht mir etwas sonderbares ins Auge: Der Bahnmanager muss Deutschlandfan sein, den hier herrscht strikte Abfalltrennung! Vier verschiedenfarbige Abfalleimer stehen da! Für Papier, Plastik, etc.. Manchmal haben sie sogar diese modernen Kübel, wie sie an deutschen Bahnhöfen aufzufinden sind. Diese runden, die einfach in 4 Abschnitte unterteilt sind. Im Gegensatz zu Sao Luis funktioniert hier der Ticketverkauf schnell und gut, der Zug steht auch schon im Bahnhof. Seine braun-orangen Wagen sehen recht eigenartig aus. Ich notiere, dass es genügen würde, 10 Minuten vor Abfahrt am Bahnhof einzutreffen. Auch bekomme ich hier in der Economieklasse einen reservierten Sitzplatz. Doch zwei Parallelen fallen mir zu Sao Luis auf. Vor dem Eingang stehen nicht die Menschen schlange, sondern sie haben als Stellvertreter ihre Gepäckstücke deponiert. Ich begreife dieses Ritual nicht, denn jeder hat ja einen reservierten Sitzplatz! Die zweite Parallele fällt mir auf der Fahrt auf: Es gibt keine Signale!
Bereits eine halbe Stunde vor Abfahrt werden wir in den Zug gelassen, pünktlich fährt er los. Der Zug ist viel kürzer als derjenige in Sao Luis, gut gefüllt. Er verkehrt täglich und seine Bahnhöfe sind ausnahmsweise meist mitten in den Städten. Doch erst ab Hälfte der Fahrt wird die Landschaft interessant. Hier beginnen die Rohstoffabbaugebiete. Unzählige Güterzüge warten auf Fracht. Ich entdecke runde Hütten und Kohle, aus den Hütten qualmt Rauch. Ich glaube mich zu erinnern, dass so Holzkohle hergestellt wird. Hier, Im Bundesstaat Minas Gerais ist es sehr hügelig, es erinnert eher an eine Mitteleuropäische Voralpenlandschaft. Ausser die Städte: Meist mit gut ausgebauten Strassen versehen, wirken sie trostlos langweilig. In der Regel hat es ein modernes, grosses Shoppingzenter. Meine Nachbarin fragt mich irgendwann schüchtern, ob ich Argentinier sei (diese Frage wurde mir oft gestellt) und als ich antworte, Schweizer zu sein, bekomme ich einen Sonderstatus. Immer wenn sie sich mit anderen unterhält, verkündet sie voller stolz, ich sei Europäer! Es scheint mir, dass Europa hier einen guten Ruf geniesst, was mich persönlich natürlich sehr freut. Die Leute hier sehen eindeutig Europäischer aus als in den Region zuvor. Oft sind sie weiss, blass, auch wirken sie eher schüchtern. Und obwohl Minais Gerais den Ruf hat, dass es hier viel schwerer sei Leute kennenzulernen, kommt es mir hier ganz anders vor. Im Gegenteil! Die Leute schauen einen interessiert an, man kommt leicht ins Gespräch. Und hier kann man richtige Gespräche führen, wie ich feststelle. Celiny hat mir in Arraial gesagt, dass wenn ich mit einer brasilianischen Frau zusammensein sollte, die Brasilianer oft die Frau anquatschen um mich kennenzulernen. Luciano sagte mir, dass er zu Beginn einfach nicht gewusst habe, wie mit mir eine Unterhaltung zu beginnen.
Als die Dämmerung beginnt, wird die Zugfahrt langweilig. Man sieht nichts, alles schläft. In Belo Horizonte beziehe ich ein Zimmer im Hotel Majestic BC Central. 25 Real bezahle ich für ein Zimmer ohne Bad. Doch auch hier stelle ich fest, dass die Menschen von Minas Gerais ein überaus freundliches Gemüt besitzen. Der Hotelportier witzelt schon mal und im Restaurant ist die Bedienung herzlich. Beim Abendspaziergang empfinde ich Belo Horizonte als moderne Metropole, wie alle grossen Städte mit breiten Strassen und Plätzen. Für meinen Geschmack etwas zuvielm Beton. Aber auch hier liegt der Müll rum. Die Brasilianer scheint es nicht zu stören.

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25 Sep 2005 12:23 #1253 von Anonymous
Ich habe zwei Probleme: Erstens geht mir der Cash langsam aus und Zweitens werde ich von diesem Rio de Janeiro wie ein Hufeisen von einem Magnet angezogen. Ich mag diese Stadt nicht besonders und wollte auch gar nicht dorthin, aber ich kann nichts dagegen machen. Irgendwas treibt mich dorthin. So entscheide ich mich in Ouro Preto den Tag zu verbringen und mit dem Nachtbus nach Rio de Janeiro zu fahren.
Ouro Preto ist unglaublich hügelig und man braucht eine gute Kondition bei der Stadtbesichtigung. Denoch ist die Stadt nicht sehr gross. Sie wird als Perle der Kolonialstädte Brasiliens gepriesen und das völlig zu recht. Unzählige Kirchen säumen die höchsten Punkte, die Kolonialhäuser sind sehr schön restauriert, die Strassen gehen zumeist bergauf und bergab. Wie schön wäre es hier, wenn nur nicht dieser Autoverkehr über die geplasterten Strassen donnern würde und überall dieser Abfall. Die Brasilianer werfen ja bekanntlich alles auf den Boden. Ich hatte dieses Thema in Porto Galinha mit Marisa diskutiert, aber die Brasilianer haben keinen Sinn für die Beseitigung des Abfalls. Alle meine Argumente wurden mit einem Schulterzucken abgetan.
Ich will den Bahnhof sehen, denn hier sollen in Kürze wieder Züge verkehren. Bei der Anfahrt sah ich schon vom Bus aus einen unglaublich hohen Eisenbahnviadukt. Der Bahnhof ist schön, aber zu meinem Schrecken sehe ich keine Gleise mehr. Die ehemalige Gleisanlage dient als Parkplatz und Durchgangsstrasse. Für einen Eisenbahnfan und Gegner aller unnötigen Autofahrten, die nichts als Lärm, Dreck und Gestank produzieren (als Schweizer ist man da natürlich wegen des Nord-Süd-Verkehrs besonders empfindlich) ist das ein Stich ins Herz. Viel mehr zu sehen gibts hier nicht und ich setzt mich in eine Bar, als gerade ein Championsleague-Spiel übertragen wird: Werder-Barcelona. Ich interessiere mich jedoch mehr für den FC Thun, der mit seinem 1,5 Million Euro Budget die Sensation geschafft hat. Eine unglaubliche Mannschaft. Im Vorstand arbeitet alles ehrenamtlich, wirklich gute Spieler hat der Verein nicht. Anfangs Saison verliessen die Teamstützen den Verein, aber Thun ist nicht unterzukriegen. Diese Mannschaft ist von einem unglaublich gutem Geist beseelt. Vergebens warte ich auf ein Zwischenresultat. Alle Spiele werden per Liveticker eingeblendet, nur nicht Arsenal-Thun. Als die Endresultate eingeblendet werden, fehlt dasjenige des FC Thun! Was ist mit Thun? Im Internetcafe sehe ich es: 2:1 verloren, Gegentor in der 93. Unglaublich dieses Thun!
Es wird ziemlich frisch hier. Die Einheimischen versuchen mit mir Kontakt aufzunehmen. Einmal verlangt einer einen Schreiber, dann ein anderer ein Notizpapier. Bis langsam der Knoten platzt. Ich mag Minas Gerais und ihre Leute. irgendwie ist es hier schon fast ein Stück Heimat.
Im Nachtbus ein Ärgernis. Ein alter Mann setzt sich hinter mich und redet die ganze Nacht! Mit lauter Stimme erzählt er von seinem Garten, etc.. Er ist vom Typ Angeber, der beweisen muss, dass er keinen Schlaf braucht. Dank seiner Hilfe finde ich zu keinem Schlaf. Doch der Zeitpunkt der Rache kommt! In Rio de Janeiro angekommen, kann der alte Mann nicht hinaus, weil ich den Sitz in die Liegeposition eingestellt hatte. Somit braucht er etwas Kraft um aus seiner Reihe zu kommen und die scheint er nicht mehr zu besitzen. Bald sind nur noch er und ich im Bus und ich höre ihn ächzen und stöhnen und nach mir rufen: Oi, Chega, ah,ah, ooooi, chega, ah. Doch Rache ist süss! Wenn er keine Rücksicht auf die anderen nimmt, so muss er nicht mit Gefälligkeiten rechnen. Kurz: Der Sitz bleibt hinten, ich steig aus und lass ihn eingeklemmt sitzen. Mit einem breiten Grinsen verlass ich den Bus. Ich hab nichtmal ein schlechtes Gewissen. Ich bin in Rio!

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26 Sep 2005 13:18 #1255 von kalleman
Also diese PC's treiben mich zur Weissglut. ich log mich ein und irgendwann logt er mich automatisch aus und schon steht 'Gast'. Also das bin ich! Sorry, dachte immer, ich sei ein guter User!
Auf meinen Reisen halt ich mich nicht gerne in Hotels auf. Am liebsten bin ich draussen. Mitunter kommt es vor, dass ich nicht selten 15, 16 Stunden unterwegs bin. Meist hab ich ein paar Fixpunkte und wandere sonst einfach ziellos umher. Ich möchte einen Ort in mich aufsaugen, spüren, schmecken. Keine Ahnung, wieviele Kilometer ich an einem Tag absolviere, aber da meine Tage natürlich lang sind, komme ich zwangsläufig auch zu mehr Bekanntschaften, unabhängig davon, ob sie positiv oder negativ sind. Irgendwie muss man einfach seinem Bauch vertrauen. Dennoch hat mich Reisen auch misstrauischer gemacht. Wer so reist wie ich, kann sich Naivität nicht leisten. Doch jetzt schmerzen meine Füsse. Sie sind geschunden, überall kleine Risse oder verhornte Stellen. Aber da muss ich durch. Ein echter Backpacker kennt keinen Schmerz. Oder wie war das mit diesem Sprichwort...:)
Der Busbahnhof von Rio ist eine Enttäuschung. Alt, hässlich, nicht besonders spannend und teuer. Bereits 2 Meter vom Busbahnhof entfernt bekomme ich die Wasserflasche zum halben Preis und noch etwas eigenartiges stelle ich fest. Auf der einen Seite kostet das WC 1 Real, auf der anderen Seite ist es gratis. Es ist 06.00 Uhr früh und ich habe etwas Respekt vor Rio. Wie komme ich am effizientesten vom Busbahnhof zur Copacabana? Da entdecke ich doch tatsächlich innerhalb des Busbahnhofs einen Metrobus! So komme ich sicher via Metrobus und Metro zur Copacabana. Ich bezahle 30 Real für ein Bett im Riobackpackers. Doch der einzige Grund hier zu sein ist der Kontakt mit anderen Reisenden. Die Duschen sind schmutzig, auch alles andere macht keinen sauberen Eindruck. In meinem Zimmer sind 5 nette Mädchen aus Deutschland, daneben schlafen noch 6 andere hier. 30 Real für ein Bett im 12er-Schlag! Da sind ja die Schweizer Jugendherbergen noch billiger! Dazu schmutzig! Im Zimmer herrscht, wie die Franzosen sagen würden, ein Bordell! Ich schaffe es kaum, eine Gasse zu finden um zu meinem Bett zu gelangen. Zudem ist mein Bett voll von fremden Kleidern. Aber da wird nicht lange gefackelt. Alles in die Ecke auf einen Haufen.
Wiedereinmal stelle ich zwischen den einzelnen Nationen interessante Unterschiede fest. Auf meinen Reisen erlebe ich immer wieder gewisse Gleichheiten. Der Deutsche beeindruckt mich durch sein unerschütterliches Selbstbewusstsein, dass uns Schweizern völlig fehlt. Schnell etabliert er sich in einer Gruppe. Schweizer habe ich meist ausserhalb, 'am Rande' von Gruppen kennengelernt. Es scheint fast so, dass wir uns in Grossgruppen nicht wohl fühlen. (Für mich trifft das zu) Dennoch waren die Kontakte mit Schweizern meist die nahrhaftesten. Man weiss halt, wo einem der Schuh drückt. Man kennt den Alltag und die Bedürfnisse seiner Landsleute. Die sozialen Lebensumstände prägen. Mit Spaniern und Portugiesen kam ich eigentlich nie ins Gespräch. Briten sind meist unter sich. Ich erlebe aber auch sie zumeist als symphatisch. Skandinavier und Holländer beeindrucken jeweils durch ihre herrvorragenden Englischkenntnisse. Während die Dänen den Schweizern nicht viel Symphatie entgegenzubringen scheinen, sind die Kontakte zu den anderen Skandinaviern meist herzlich. Auch mit Italienern machte ich gute Erfahrungen, hingegen mit den Israelis und Amerikanern verliefen sie zumeist schlecht. Die Israelis, mit ihrem stets unfreundlichem Gemüt, ihrem rumgemeckere und um jeden Cent feilschend. Sie scheinen sich um ihren Ruf nicht zu foutieren, obwohl es mittlerweile Hotels gibt, die Aufgrund ihrer schlechten Erfahrungen keine Iraelis mehr aufnehmen! Ich habe den Eindruck, dass sie dass Gefühl haben, alle seien gegen sie. Abgesehen von wenigen guten Kontakten, erlebte ich die Amis als aggressiv, angriffig, heuchlerisch, arrogant und rücksichtlos.
Ich verbringe den Tag an der Copacabana. Ich mag Rio nicht, aber die Faszination der Stadt liess mich schon auf meiner ersten Reise nicht los. Ich liebe in Rio diese kleinen 'Strasseneckenbars', wie es sie an der Copacabana zu Hauf gibt. Am Abend gehe ich in die Avenida Junior. Sicherheitshalber habe ich eine armselige Trainerhose an und den Rucksack durch einen Plastiksack ersetzt. Vor 5 Jahren war ich damals in der Avenida Junior in einer Bar, in der sich die braslianischen Ehefrauen reicher Europäer ihre Ferien verbrachten. Ein Brasilianer bleibt seiner Bar treu! Und so kommen sie in die Ferien nach Rio. In ihre Bar und ich vermute, dass sie damals als Prostituierte gearbeitet hatten. Dennoch war damals die Stimmung so locker, dass ich selten an einem Ort so gelacht hatte.
Meine Bar gibt es nicht mehr! Überhaupt: War damals die Avenida Junior der Ort, an dem sich alle möglichen komischen Vögel trafen, scheint es sich hier beruhigt zu haben. Ich setz mich in eine Bar, in der Livemusik gespielt wird. Nur etwa 5 Besucher sind hier, aber es gibt für 2,50 0,6 Liter Bier, während man an den meisten anderen Plätzen für 3 Real 0,3 Liter bekommt. Die Musik ist gut, das Publikum älter und bald wecke ich ihr Interesse und ich werde 'aufgenommen'. Am Sonntag sei wieder ein Konzert, sagt eine ältere Frau, sie singt und ich soll kommen. Nach diesem wunderbaren Abend laufe ich via Avenida Atlantica zum Hostel zurück. Es ist 1.00 Uhr, hunderte von Prostituierten säumen die Strasse, es hat viel Polizei. Das Gesindel ist nicht sichtbar. kein Wunder, es regnet immer wieder. Ich fühle mich sicher, aber ich weiss, wie schnell es gehen kann.

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