Mannschaftskapitän Guido Buchwald trieb in der Schlussphase der Partie seine Mitspieler immer wieder nach vorn! Los jetzt hier! Borussia Dortmund führte beim MSV Duisburg mit 1:0, und beim Duell Hansa Rostock vs. Eintracht Frankfurt stand es 1:1. Würde jetzt der VfB beim TSV Bayer 04 Leverkusen einen weiteren Treffer erzielen - es stand noch 1:1 - würden die Stuttgarter Dank des besseren Torverhältnis auf Rang eins stehen. Die besten Karten hatte eigentlich Frankfurt in der Hand. Die Eintracht hatte das beste Torverhältnis und konnte aus eigener Kraft mit einem Sieg Deutscher Meister werden. Der BVB musst indes hoffen, dass sowohl die Eintracht als auch der VfB auswärts ausrutschen.
Stuttgarts Meistertitel 1992: Furiose Schlussviertelstunde und mitgenommenes Rasenstück
Man schrieb den 16. Mai 1992, und es startete um 15:30 Uhr das Herzschlagfinale der ersten gesamtdeutschen Bundesligasaison 1991/92. Die ersten drei gingen punktgleich in den letzten Spieltag. Eine Konstellation, von der man heutzutage nur träumen kann. Karsten und ich wohnten aufgrund unserer Ausbildung bereits ein Jahr im Rheinland und nahmen daheim und auswärts so ziemliche jedes Spiel der Werkself mit. Lange Zeit spielte Bayer 04 ganz oben mit, am Ende musste ein Sieg gegen den VfB her, um den Einzug in den UEFA-Pokal zu sichern. Rechtzeitig hatten wir uns mit Tickets für den Block C versorgt, die Vorfreude auf dieses Spiel stieg von Tag zu Tag.
Das Wetter war prima, das Spiel begann nicht übel. In der 20. Minute konnte Martin Kree, der Spieler mit dem härtesten (Schuss) in der Liga, die Werkself mit 1:0 in Führung bringen. Kurz vor der Pause war es dann Fritz Walter, der ebenso vom Punkt aus für den Ausgleich der Gäste sorgte. Nun denn, es war ja alles drin in der zweiten Hälfte. Immer wieder wurde geschaut, ob es etwas Neues auf der Anzeigetafel zu lesen gab. Im Duisburger Wedaustadion hatte Chapuisat die Borussen bereits in der neunten Minute in Front gebracht. Ich drückte ein wenig dem BVB die Daumen. Der Grund war ein ganz einfacher: Die Stimmung war wenige Spieltage zuvor beim Spiel Dortmund vs. Leverkusen einfach sensationell. Die ganzen Bengalen auf der Südtribüne. Das Mitgehen des Sitzplatzpublikums. Es war der Hammer! Karsten gönnte als Ruhrpottkind eh von Hause aus den Borussen den Titel. Hauptsache nicht Frankfurt! Da waren wir uns völlig einig. Los Hansa, hau die SGE weg!
Im Rostocker Ostseestadion stand es zur Halbzeit noch 0:0. In der 65. Minute konnte Jens Dowe den FCH mit 1:0 in Führung bringen, nur zwei Minuten später erzielte Axel Kruse den Ausgleichstreffer. Zack, zack, wieder der neue Spielstand auf der Leverkusener Anzeigetafel. Manchen hielten es vor Spannung gar nicht aus und verfolgten die Konferenz mit einem kleinen tragbaren Radio. Auch nicht unwichtig aus Sicht der Leverkusener: Was stellt der 1. FC Köln beim 1. FC Dynamo Dresden an? Schließlich rangelten die Geißböcke mit den Leverkusenern um einen UEFA-Cup-Platz. Dort stand es 0:0 - und das sollte auch so bleiben.
Alles oder nichts. Rüdiger Vollborn wurde zu einer Parade gezwungen, wenig später vergab vorn Anid Thom eine prima Chance. Das hätte das 2:1 sein können. Verdammte Axt! Noch bitter war dann die vergebene Möglichkeit von Markus von Ahlen. Freistehend schob er den Ball viel zu locker aufs Stuttgarter Gehäuse. Wenig später berührte Matthias Sammer den Gegenspieler Jorginho. Gelb hätte genügt, aber nachdem Sammer auch noch meckerte, gab es die rote Karte. Schadenfreude im Block C. Niemand mochte den Rotschopf so richtig leiden. VfB-Trainer Christoph Daum reagierte und brachte sogleich zwei neue Spieler.
Der für Fritz Walter ins Spiel gekommene Manfred Kastl traf von schräg links den rechten Außenpfosten. Tiefes Durchatmen. Der VfB drückte, der VfB biss sich vorne fest. Und dann! Die 86. Minute. Ludwig Kögl brachte den Ball von der linken Seite in den Strafraum, und in diesem setzte Guido Buchwald zum Kopfball an. Aus kurzer Distanz überwand er Bayer-Keeper Rüdiger Vollborn. 2:1 für den VfB Stuttgart! Klar, auf youtube kann man sich die Spielsequenzen anschauen. Dieser Treffer hatte sich jedoch so oder so im Gedächtnis eingebrannt. Als Standbild. Guido Buchwald, wie er den Ball einnickt. Oooooh, meeeeein Gott!
Das war´s für Bayer 04. Aber was passierte wohl in Rostock? Ob Frankfurt ebenso einen späten Siegtreffer erzielen würde? Und dann die Meldung, die über Mundpropaganda sofort die Runde machte. Der F.C. Hansa Rostock führte mit 2:1! Stefan Böger hatte in der 89. Minute den Treffer erzielt. Irre, einfach irre! Die Gästeblöcke des Ulrich-Haberland-Stadions standen Kopf. Das würde der Meistertitel für die Schwaben sein!
Ein paar Sekunden noch, dann war Abpfiff. Die VfB-Fans fluteten den Rasen, die meisten Bayer-Fans standen erst einmal still da. Nix mit Europapokal. Der 1. FC Köln würde indes dabei sein. Mist! Nachdem sich die Enttäuschung etwas legte, kletterten auch zahlreiche Leverkusener in den Innenraum. Wenigstens nicht Frankfurt oder Dortmund. Zwischen Stuttgart und Leverkusen gab es schließlich eine Freundschaft. Gemeinsam wurde dann doch im und vor dem Stadion gefeiert.
Ich lief auch auf das Spielfeld und sicherte mir ein Stück Rasen, das ich im Zimmer des Wohnheims in einen Blechtopf pflanzte. Als ich später zwei Wochen nach Irland reiste, bat ich die Putzfrau, doch alle paar Tage mal mein wertvolles Stück Rasen auf dem Fensterbrett zu gießen. Na klar, kein Problem. Als ich wiederkam, war das Stückchen Erinnerung komplett vertrocknet und braun. Allerdings gab es auch eine positive Überraschung. Ich hatte Post bekommen. Im Trubel hatte ich meine VRS-Monatskarte samt Trägerkarte auf dem Spielfeld verloren. Ein weiblicher VfB-Fan hatte diese gefunden und mir per Post zugeschickt. Dazu gab es noch ein paar geschriebene Worte. Kopf hoch und vielen Dank für die Gastfreundschaft in Leverkusen! Ein Dankeschön zurück an die Frau im Schwabenland. Ebenso ein fettes Dankeschön an die Rostocker Mannschaft, die gegen Frankfurt - trotz bereits feststehendem Abstieg - noch einmal alles in die Waagschale warf!
Fotos: K. Hoeft, Marco Bertram, Heiko Neubert