Rot-Weiß Erfurt vs. Babelsberg 03: Wo die Liebe manchmal hinfällt …

Rot-Weiß Erfurt vs. Babelsberg 03: Wo die Liebe manchmal hinfällt …

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Damals, als ich noch jung war und das Internet tatsächlich für uns alle Neuland war, kam ich durch dieses Medium, in Kontakt mit einer jungen Dame aus Erfurt. Neben einer merkwürdigen Verbundenheit zum 1. FC Köln war sie auch Fan ihres Heimatvereins, dem FC Rot-Weiß Erfurt. Unsere Liaison war natürlich zum Scheitern verurteilt, und nach einer kurzen Beziehung trennten sich unsere Wege wieder. Was mir aber blieb, war die Verbundenheit zum FC RWE.

Bei einer meiner Reisen nach Erfurt besuchten wir gemeinsam ein Spiel der Rot-Weißen gegen das Buchstabenpendant aus dem Ruhrgebiet. Seit dieser 0:1-Niederlage gegen Essen im Mai 2006 hatte ich es nicht mehr geschafft, die Erfurter im Steigerwaldstadion live zu sehen. Lediglich ein paar Spiele in Berlin und Brandenburg hatte ich besucht.

Als sich dann herausstellte, dass ich am Abend vor dem Tag der Deutschen Einheit die Chance bekommen sollte, das Spiel FC Rot-Weiß Erfurt gegen den SV Babelsberg fotografisch zu begleiten, freute ich mich unheimlich. Nicht nur war ich auf das umgebaute Stadion gespannt, ich hoffte auch auf einige alte Stadion-Songs, die mir im Gedächtnis geblieben waren.


Ich liebe ja vieles am Fußball, und eine dieser Dinge sind tolle Vereinssongs. So wird in einem Erfurter Lied nicht nur die Liebe zum eigenen Verein besungen, sondern auch direkt gegen den Nachbarn und ärgsten Konkurrenten gefeuert. Zitat aus dem Song: „Die Liebe zu einem Club wird dir gegeben, ohne dass man sie sucht. Wenn man Glück hat, ist es der Richtige, hat man Pech, heißt er Carl Zeiss. Wir haben Glück, denn wir sind Rot-Weiß.“

Dieses Lied belegt jedoch nur Platz zwei meiner RWE-Chants. Die Nummer eins beinhaltet folgenden Text: „Die ganze Woche kann ich es kaum erwarten, und heut Nacht schlaf ich ganz bestimmt nicht ein. Ich lieg im Bett und habe einen Harten, ich fass mich an und denk an den Verein…“ Großartig, oder?

Nach einigem Austausch mit der Presseabteilung der Erfurter war alles geregelt. Ich holte meinen Sohn etwas früher aus der Kita ab, brachte ihn nach Hause und übergab ihn seiner Mama, die dankenswerterweise etwas früher Feierabend gemacht hatte. Anschließend ging es mit dem Bus zum Bahnhof Spandau, wo mich die Nachricht erwartete, dass mein Zug 15 Minuten Verspätung hatte. Ich wurde etwas nervös, da mein Zeitplan ohnehin schon auf Kante genäht war. Doch der ICE fuhr wirklich nur eine Viertelstunde verspätet ein und holte den Zeitverlust auf der Strecke sogar wieder auf.

Ich erreichte Erfurt also wie geplant, checkte schnell in mein Hotel unweit des Bahnhofs ein und machte mich auf den Weg zum Steigerwaldstadion. Mit der Straßenbahn war ich in wenigen Minuten da. In regnerischer Stimmung schimmerten bereits die Flutlichtmasten des Stadions, und kurz fühlte ich die Songzeile mit dem sexuellen Bezug. Ich liebe den Anblick von Flutlicht, das Regentropfen anstrahlt und diese dadurch funkeln lässt wie kleine Diamanten. Der Geruch von Bier und Bratwurst waberte unter den gewaltigen Lichtquellen, und das Gewirr aus Stimmen und klirrenden Bierflaschen lässt einen wissen, dass Fußballzeit ist.

Angespornt von diesen bezirzenden Umständen ließ ich mich dazu hinreißen, mir noch ein Souvenir zu kaufen. Allerdings sollte es auch direkt einen nützlichen Zweck erfüllen, denn der zwar nur leichte Regen hatte sich vorgenommen, dauerhaft zu sein, und das gekaufte Käppi hielt wenigstens meinen Kopf trocken.

Nach kurzem Suchen hatte ich den Presseeingang gefunden, und im Nu hatte ich meine gelbe Presse-Weste an und stand auf der Tartanbahn des Steigerwaldstadions. Diese Spielstätte beweist eindrucksvoll, dass Neubau und Seelenlosigkeit nicht zwangsläufig zusammengehören. Hier hatte man, gefühlt, versucht, die Modernisierung an die alte Haupttribüne und ihr charakteristisches Dach anzupassen. Dadurch hat das Steigerwaldstadion einen absoluten Wiedererkennungswert und wirkt, obwohl es ein modernes Stadion ist, sehr geschichtsträchtig. Das Gefühl wird natürlich durch die ganzen alten Lappen verstärkt, die hier vor der Kurve hingen und mitunter so alt sein dürften wie ich.

Das Spiel begann, und ich tat mich schwer damit, mich aufs Fotografieren zu konzentrieren. Die Erfurter Kurve legte nämlich eine wirklich schöne und melodische Sohle aufs Parkett. Ein gesanglicher Gegner war noch nicht vor Ort. Im Gästeblock tummelte sich eine Handvoll verteilt stehender Schlachtenbummler.

Erst nach ungefähr 30 Minuten gab es Bewegung im Gästeblock. Warum der Großteil der 03er rund um das „Filmstadt Inferno 99“ mit einer halbstündigen Verspätung auftauchte, ist mir nicht bekannt. Ebenso wenig weiß ich, ob das Sandmännchen auf dem Auswärtsbanner immer noch oder schon wieder abgebildet ist. Bei Heimspielen wurde es ja vom Konterfei Karl Liebknechts abgelöst.

Auf jeden Fall hatte der ungefähr hundertköpfige Mob hinter dem Sandmann direkt Grund zum Jubeln: Ihre Babelsberger gingen in der 32. Minute nach einem Elfmeter in Führung. Mit diesem Ergebnis ging es auch in die Kabinen und natürlich in die zweite Halbzeit. In dieser hatte ich das Gefühl, dass Erfurt zwar besser wurde, aber noch stundenlang hätte spielen können, ohne zu treffen. Doch ich wurde eines Besseren belehrt, und die Rot-Weißen kamen nach 64 Minuten zum Ausgleich.

Die aufkommende Druckphase der Hausherren war in der 78. Minute beendet, als die gute Schiedsrichterin einen Erfurter zurecht mit der Ampelkarte zum Duschen schickte. Im Anschluss versuchten die Gäste aus der Filmstadt, doch noch drei Punkte mit an den Rand Berlins zu nehmen, aber der RWE, insbesondere sein Keeper, stemmten sich dagegen, und so blieb es am Ende beim 1:1.

Beim Schlusspfiff war ich fast schon traurig, denn er bedeutete das Ende meines Ausflugs. Ich machte mich zu Fuß auf den Rückweg in mein Hotel und dachte dabei über dieses und jenes nach. Zum Beispiel, wie viel Ironie darin steckt, dass ich von meinem ersten Besuch im Steigerwaldstadion kein einziges Foto habe, von meinem zweiten aber über 500 Bilder auf der SD-Karte gespeichert sind.

Außerdem dachte ich darüber nach, dass für den RWE heute Polen, Afrikaner, Türken, Japaner und Deutsche ihre Knochen hingehalten und dafür bejubelt wurden. Trotzdem müsste, rein rechnerisch, fast jeder Vierte im Stadion seine Stimme einer Partei gegeben haben, die fordert, dass jeder Nicht-Deutsche remigriert wird. Passt nicht zusammen, oder?

Ich schüttelte den Gedanken wieder ab, da das nur ein rechnerisches Beispiel war und nichts über das Erfurter Publikum aussagt. Denn eines war heute Abend klar: Im Stadion ging es niemandem um Politik oder Hautfarben. Es ging um Rot-Weiß. Im Hotel ging es dann zeitnah ins Bett und am nächsten Morgen nach Hause.

Danke an turus.net und den FC Rot-Weiß Erfurt für die Möglichkeit, mich hier mit meiner Spiegelreflexkamera austoben zu dürfen. Das Wiedersehen mit dem Steigerwaldstadion hat meine Sympathie für den RWE auf jeden Fall weiter entfacht. Auch wenn der Verein nicht der sein wird, wegen dem ich mich anfasse.

Bericht & Fotos: Der Kutten König

> zur turus-Fotostrecke: FC Rot-Weiß Erfurt

> zur turus-Fotostrecke: SV Babelsberg 03

Stadionname:
  • Steigerwaldstadion
Spielergebnis:
1:1
Zuschauerzahl:
4.725

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