„Ich bin für die Wiedereinführung des alten Namens Betriebssportgemeinschaft Elektroprojekt und Anlagenbau Lichtenberg 47. Dreimal gesungen, zack ist das Spiel vorbei…“, kommentierte Kumpel Christian die Fotos vom gestrigen Spiel im Zoschke-Stadion. Und ja, das „EAB“ lebt tatsächlich noch im Umfeld der 47er. Auf den Rängen konnten zwei Banner mit der Aufschrift „EAB-Front“ gesichtet werden, und am Fanartikelstand gibt es Schals mit dem EAB-Logo aus alten Zeiten, in denen auch die Farbe Blau noch mit im Spiel war. Aber gut, über die Historie des Vereins hatte ich in den letzten beiden Berichten bereits einiges geschrieben. Diese soll heute mal nicht Thema sein. Vielmehr soll es um Gegenwart und Zukunft gehen. Und doch komme ich noch auf die Vergangenheit zu sprechen...
Lichtenberg 47 steigt auf! Der Verein könnte die Berliner Version von Altona 93 werden
Aller guten Dinge sind drei, dachten der größere Sohnemann und ich. Zwei vorzeitige Aufstiege durften wir bereits in der laufenden Saison miterleben. Zuerst war es der Aufstieg des FC Polonia Berlin von der Kreisliga B in die Kreisliga A, am vergangenen Wochenende folgte die Aufstiegsfeier des SC Eintracht Miersdorf/Zeuthen in die Brandenburgliga. Nun konnte bei einem Sieg der 47er gegen den Verfolger Tennis Borussia Berlin Aufstieg Nummer drei folgen. Und wieder war die Farbe Rot im Mittelpunkt.
Apropos Historie - um auf diese doch noch einmal zurückzukommen. Im Bahnhof Magdalenenstraße und oben an der Straßenecke Frankfurter Allee / Ruschestraße fielen mir die historischen sw-Aufnahmen ins Auge. Bekanntlich befand sich dort zu DDR-Zeiten die Zentrale des Ministeriums für Staatssicherheit. Irgendwo in den Räumlichkeiten der riesigen „Krake“ wurde Ende der 1980er auch mein Name im Raum XY in die Akten eingetragen. Nachdem ich als 15-Jähriger wieder einmal die öffentlich zugängliche Bibliothek in der US-Botschaft in der Neustädtischen Kirchstraße besucht hatte, folgten mir auf dem Weg zum S-Bahnhof Friedrichstraße ein paar Typen. Auf Höhe des damaligen Hotels Metropol kam es dann auf dem Bürgersteig zur Ausweiskontrolle und einem längeren bedrohlichen Gespräch.
Es musste auch 1988 gewesen sein, als zwei Mitarbeiter der Stasi mich sogar in der Schule besuchten. Nachdem in einem Russisch-Heft ein von mir verfasstes, grenzwertiges Gedicht entdeckt wurde, war die Hölle los und der Direktor bat zum Gespräch. Mit dabei zwei Männer - wirklich klassisch mit schwarzen Lederjacken gekleidet. Das hätte eigentlich ganz fix im Jugendwerkhof enden können für mich. Aber zum einen legte der wirklich nette Direktor unserer 10. POS Helene Weigel ein gutes Wort für mich ein, zum anderen gab es erste Auflösungserscheinungen im Arbeiter- und Bauernstaat, und die Stasi hatte die Hände voll zu tun mit all den Personen von der „Kirche von unten“, mit all den Fußballschlägern, mit all den Skins und Punks, die immer mehr aufbegehrten.
Nachdem der Eiserne Vorhang fiel, dachte ich nur: Meine Fresse, das ging noch mal gut. Ich hatte geahnt, dass es mit mir aufgrund meiner großen Fresse in der DDR kein gutes Ende gegeben hätte. Was soll ich sagen, mein Vater und ich waren am 15. Januar 1990 dabei, als in der Normannenstraße die Stasi-Zentrale gestürmt wurde. Wir standen unten mit auf dem Hof und beobachteten wie aus den Fenstern Papier regnete. Wenig später traf DDR-Ministerpräsident Hans Modrow in seinem Dienstwagen ein. Er wollte schlichten, doch niemand wollte ihn hören. Buhrufe ertönten. Manch einer stellte sich dem Fahrzeug in den Weg. In mir kam das Blut in Wallung und ich war kurz davor gegen das Auto zu treten und es anzuspucken. Mein Vater ahnte, was ich vorhatte, und ermahnte mich. Ich solle mich nicht gehen lassen. Kein Wunder, dass ich in den 1980ern von meinen Eltern „Fußball-Verbot“ erhielt. Sie wussten schon warum.
Verrückt! Fast 30 Jahre später zeigte ich nun dem größeren Sohn die alten schwarz-weiß-Fotos und erklärte, dass Opa Axel und ich dort auch dabei waren. Staunen und große Augen. Es schien, als würde ich erklären, ich hätte bereits im Zweiten Weltkrieg mitgekämpft. Das machte in seinen Augen wohl keinen großen Unterschied. Nun denn, ich wollte ihn nicht weiter irritieren und zeigte ihm den neuen Zaun, der das Gelände der HOWOGE-Arena „Hans Zoschke“ umgibt. Wer sei eigentlich der Gegner, fragte er. TeBe! Ach, das sei ja nen Ding! Erst kürzlich sahen wir zusammen das wirklich spannende Auswärtsspiel von TeBe bei Hertha Zehlendorf. Für wen wir heute sind? Für Lichtenberg! Wir wollen doch einen Aufstieg feiern heute! Und apropos, paar Meter weiter wurde ich einst im August 1973 im Oskar-Ziethen-Krankenhaus (OZK) geboren. Kreise schließen sich. Zurück zu den Wurzeln in Lichtenberg, wo mütterlicherseits etliche Vorfahren gelebt hatten.
Ich gebe aber zu, in den 1990er Jahren nahm ich null Notiz vom SV Lichtenberg 47. Eigentlich erst in den vergangenen zehn Jahren rückten die 47er im Rahmen der Arbeit für turus ins persönliche Blickfeld. Die Aufstiegssaison 2011/12 (von der Berlin-Liga in die Oberliga) habe ich noch recht gut in Erinnerung. Das von vielen so gelobte Zoschke-Stadion war in meinem Fall gar nicht so sehr eine Liebe auf den ersten Blick. Es waren wohl vor acht, neun Jahren auch paar müde Kicks bei Nieselregen dabei - das war dann doch nicht wirklich die Wonne.
In jüngerer Vergangenheit erkannte ich dann immer mehr die genialen Vorzüge dieses Stadions. Hey ja, hier in Kürze Regionalliga sehen zu können - das klang verlockend. Lok und Chemie sowie Erfurt, Cottbus, Babelsberg und BFC Dynamo - alle würden im Lichtenberger Kiez vorbeischnuppern. Cooles Ding! Das würde im Mommsenstadion auch Laune machen, so ist das ja nicht, aber im „Zoschke“ wäre das halt (in der Neuzeit) mal was ganz, ganz Neues. Keine Rundlaufbahn, kein Schnickschnack, ein nettes Vereinsheim mit Terrasse - was will man mehr?
1.452 Zuschauer fanden gestern den Weg auf die Ränge. Hätte es nicht den Boykott der aktiven TeBe-Fanszene gegeben, wären es locker 2.000 geworden. So oder so war es eine gute Hausnummer. Die Heimfans hatten richtig Bock - und die eher neutralen Beobachter auch. Gestern vermischte sich alles in völlig entspannter Art und Weise. Ein Kern an Zuschauern, die seit Jahren dem SV Lichtenberger die Treue halten, und dazu zahlreiche erkennbare Anhänger des BFC Dynamo und des 1. FC Union Berlin. Frotzeleien habe ich keine bemerkt. Vielmehr wurden kreuz und quer zahlreiche bekannte Gesichter gesichtet. Es wurde gequatscht, Bier getrunken und L47 die Daumen gedrückt.
Im Fußball ist bekanntlich einiges möglich. Zwar sah es wahrlich danach aus, dass sich die 47er nicht mehr die Butter vom Brot nehmen lassen würden, doch nur mal vorgestellt: Ein früher unglücklicher Elfer für TeBe, in der Folge müssten die Lichtenberger öffnen und würden sich noch zwei, drei Dinger fangen. Plötzlich würde der Vorsprung nur noch drei Punkte betragen. Und schon wäre am nächsten Spieltag wieder Druck da. Noch nen Ausrutscher und TeBe könnte nach Punkten gleichziehen. Und das Torverhältnis? Am letzten Spieltag muss TeBe in Malchow ran. Kürzlich hatte Blau-Weiß 90 den Jungs aus Malchow mal eben acht Tore reingeknattert.
Die Devise konnte also nur lauten: Fakten schaffen. Ein Sieg gegen TeBe - und die Sache in trockene Tücher bringen. Die Sonne schien, es war prima angerichtet. Warum auswärts in Strausberg feiern, wenn es im heimischen „Zoschke“ möglich war?! Konzentriert ging es auf dem Rasen zu Werke, doch Treffer wollten bis zur Pause nicht fallen. Die Erlösung gab es nach einer Stunde. 1:0 für Lichtenberg 47 durch Sebastian Reiniger. Der Sack zugemacht wurde durch Christian Gawe in der 82. Minute. Der Torjubel nahe der Eckfahne konnte sich sehen lassen. Nun war klar: Das Ding war endgültig durch. Mein Sohn belehrte mich. Ich habe doch immer gesagt, im Fußball sei auch das Unmögliche möglich. TeBe könne noch drei Tore schießen. Ja, könnte. Aber nicht heute! Aufstieg, mein Junge!
Ein klassischer Spielbericht ist dieses Mal eh nicht möglich, deshalb quassle ich hier über alles Mögliche. Überall auf den Rängen gab es einen Smalltalk. Logisch, dass immer wieder das heutige Spiel der Eisernen in Bochum ein Thema war. Für manch einen Unioner kam die Ablenkung im „Zoschke“ gerade recht, um nicht vor Aufregung und Vorfreude durchzudrehen. Eine Aufstiegsparty als Beruhigungspille - auch so was gibt´s im Fußball.
Der Stadionsprecher bat die Zuschauer, nach Abpfiff nicht den Rasen zu betreten. Letztendlich fand doch der eine oder andere den Weg auf den Platz. Mit einer 3-Liter-Flasche Sekt wurde der Aufstieg gefeiert. Noch ein Gruppenbild - dann ging es in die Kabine und zum Vereinsheim. Noch lange wurde dort gesessen und gefeiert. Die von dem einen oder anderen Hopper erhoffte Aufstiegspyro gab es später am Abend, als es familiärer wurde. Und auch nun saßen sie alle friedlich zusammen. Ur-Lichtenberger, Unioner, BFCer und Fans anderer Vereine.
Vieles erinnerte mich an Altona 93, wo bei den Heimspielen problemlos HSVer neben Sankt Paulianern stehen. In Anbetracht des Ambientes könnte der SV Lichtenberg 47 durchaus die Berliner Version von Altona 93 werden. Statt des berühmten „91, 92, 93, Altona!“ gibt es im „Zoschke“ ja bereits hier und dort ein „45, 46, 47, Lichtenberg!“ zu hören. Na mal schauen, wie es sich anfühlen wird, wenn Energie Cottbus und Chemie Leipzig mit großer Kapelle anreisen werden. Eines steht fest: Für die Berliner Fußballlandschaft ist der Aufstieg der 47er ein echter Zugewinn!
Fotos: Marco Bertram, Felix