„Immer dabei…“, hieß es vor 29 Jahren auf dem Programmheft. Am 10. Mai 1990 wurde im Berliner Olympiastadion um 10:30 Uhr das Schülerländerspiel Deutschland vs. England angepfiffen, und auch wir von der Klasse 10a der 10. Polytechnischen Oberschule „Helene Weigel“ waren mit von der Partie. Zu jenem Spiel erhielten sämtliche Berliner Schulklassen freien Eintritt, und zahlreiche Ost-Berliner Schüler nutzten die Gelegenheit, zum ersten Mal dem Olympiastadion einen Besuch abzustatten. Ich hatte es in meinen Büchern und diversen Berichten bereits mehrfach erwähnt. Man glaubt es kaum, aber dieses Schülerländerspiel war mein allererstes live in einem Stadion gesehene Fußballspiel. Mit einem englischen 4:0-Sieg fing quasi alles an. Hat auch was. Mein zweites Fußballspiel war dann wenig später das Testspiel von Hertha BSC gegen eine Weltauswahl, angeführt von Carlos Valderrama. Zu Ost-Zeiten - als ich noch ein junger Stift war - legten meine Eltern ein klares Veto ein, was etwaige Besuche der Heimspiele des 1. FC Union oder des BFC Dynamo betraf. Ich eckte so schon genug an in der Schule, da hätte Rabatz in einer Fankurve noch gefehlt. Und ja, vermutlich wäre dies wirklich nicht gut ausgegangen. Trägt man das „Bambule-Gen“ in sich, kommt man halt nicht aus seiner Haut.
Mai 1990: Schülerländerspiel Deutschland vs. England - was ist aus den Spielern geworden?
Um zu den Schülerländerspielen zurückzukommen: Kürzlich am 28. Mai 2019 schloss sich der Kreis. Ich begleitete die dritte Klasse unseres größeren Sohnes zum Schülerländerspiel Deutschland vs. Frankreich, das ebenso im Berliner Olympiastadion ausgetragen wurde. Zwar begleitete mich der Sohnemann bereits zu zig Fußballspielen, doch dieser Vormittag sollte auch für ihn was besonderes werden. Gemeinsam ging es mit der S-Bahn zum Ort des Geschehens, vor dem Stadion fertigte ich noch ein Klassenfoto an. Wenn ich schon mal dabei war mit der Spiegelreflexkamera, konnte ich mich auch nützlich machen. Mit ihren Lunchpaketen nahmen die Kids ihre Plätze ein. Insgesamt waren es 20.178 Schüler, Jugendliche und ihre Begleiter, die sich auf den Rängen eingefunden hatten. Eine tolle Kulisse für ein Freundschaftsspiel der U16-Nationalmannschaft. Und ich muss schon sagen, das freudige Kreischen all der Schüler auf den Rängen rührte mich sehr. Es war schön zu sehen, wie begeistert die Jungs und Mädels das Geschehen mit ihren Augen aufsaugten. Dass die volle Konzentration nur eine Halbzeit hielt, ist allzu verständlich. Dafür ist der Rasen dann doch zu weit weg von den Rängen.
Auf dem Platz zeigte der DFB-Nachwuchs eine klasse Partie. Überraschend deutlich konnte das französische Team geschlagen werden. Das hatte ich so nicht erwartet. In der 21. Minute erzielte Emrehan Gedikli das 1:0 für Deutschland, nach 56 Minuten legte Arbnor Aliu zum 2:0 nach. In der Folge kam Frankreich besser ins Spiel, doch auch den dritten Treffer des Tages erzielte die deutsche Auswahl. Lasse Günther konnte in der 61. Minute alles klar machen. 3:0 der Endstand - die Schüler im weitem Rund waren hochzufrieden.
Und vor 29 Jahren? Ich müsste lügen, wenn ich behaupten würde, dass viel vom Spiel hängen blieb. Die Ränge waren voll, es mögen rund 30.000 bis 40.000 gewesen sein, und der Blick ging immer wieder herum. Wow, was für ein gigantisches Stadion! Eine Sache verstand ich am 10. Mai 1990 allerdings überhaupt nicht. Weshalb waren die englischen Spieler allesamt gefühlt einen Kopf größer als die der Deutschen? Gegen die englische U15-Auswahl gab es nicht wirklich ein Ankommen, völlig verdient England jene Partie mit 4:0. Sharp (8. Min.), Binks (10. Min.), Smith (35. Min.) und Tinkler (71. Min.) erzielten die Treffer. Das Ergebnis war jedoch ein wenig überraschend, da zuvor in München mit 2:0 gewonnen werden konnte. Aber wie schrieb das Magazin Kicker nach dem Spiel in Berlin? "Eine entnervte deutsche Mannschaft kämpfte tapfer ohne Chance."
Die Frage, die sich mir kürzlich stellte: Was ist eigentlich aus all den Nachwuchsspielern geworden, die damals auf dem Platz standen? Die Jungs auf dem Rasen waren allesamt einen Tick jünger als ich. Sprich Geburtsjahr 1974 / 1975. Wen hatte ich später in all den wilden Fußballjahren (unbewusst) wieder gesehen? Eine Anfrage beim DFB wurde innerhalb eines Tages beantwortet. Respekt! Ich erhielt eine pdf-Datei, in der sämtliche Informationen zusammengefasst wurden. Der genaue Ablauf der drei Tage (bereits zwei Tage zuvor gab es das gleiche Duell in München), die Aufstellungen, die Delegationen, die vor Ort waren, der Programmablauf im Berliner Olympiastadion am 10. Mai 1990.
Also werfen wir einfach mal einen Blick auf die Aufstellung: Ich muss gestehen, auf den ersten Blick habe ich gar keinen mir wirklich geläufigen Namen entdeckt. Bei den Engländern war ich mir nicht ganz sicher, da Namen wie „Thompson“ und „Clarke“ einfach zu häufig vorkommen. Aber Moment mal! Nicholas Butt?! Das ist doch nicht etwa Nicky Butt?! Und bingo, das ist er! Butt durchlief damals gerade die Jugendabteilung von Manchester United und spielte von 1992 bis 2004 bei den Profis des MUFC. Bei den 1993 und 1995 gesehenen Heimspielen von Manchester United im Old Trafford war er jedoch nicht mit dabei auf dem Feld.
Doch kommen wir erst einmal zu den deutschen Spielern. Damals im Tor stand Thorsten Hanewald vom VfL Neustadt. Viel zu finden ist nicht über ihn im Netz. Am 4. Juli 1993 stand er mit den A-Junioren des 1. FC Kaiserslautern im Meisterschaftsfinale, das im Augsburger Rosenaustadion ausgetragen wurde. Mit in der Startelf standen damals Thomas Hengen, Thomas Riedl und Marco Dittgen. Nach 1:0-Führung gaben die Jungen Teufel das Spiel jedoch aus der Hand und mussten sich vor 12.000 Zuschauern mit 1:3 dem FC Augsburg geschlagen geben. 1993/94 stand Thorsten Hanewald noch beim 1. FC Kaiserslautern unter Vertrag, dann verlieren sich die Spuren.
Und der Mittelfeldspieler Jörg Günther? Sieben erfasste Spiele in der Regionalliga Süd sind von ihm auf transfermarkt.de zu finden. 1995/96 lief er für Hessen Kassel unter anderen gegen den SSV Reutlingen, den SV Darmstadt 98, die Stuttgarter Kickers und den SV Sandhausen auf. In das Suchfeld wurde nun Jörg Krawczyk eingegeben. Und was kam sogleich heraus? „Dreimal Jörg Krawczyk“, titelte im September 2018 die OTZ. Nee, oder? beim Futsal ließ er es kürzlich im Trikot der SG Silbitz/königshofen II gleich zehnmal krachen. Das wird kaum der Spieler sein, den wir suchen. Fakt ist, dass der Jörg Krawczyk von damals bei der U17-Weltmeisterschaft 1991 in Italien mit dabei war. Mit im Kader waren unter anderen Christian Fiedler (Hertha BSC), Kai Michalke (VfL Bochum) und Markus Schenk (FC Berlin).
Und das Puzzlespiel wird plötzlich etwas einfacher. In der Liste der damaligen U17-DFB-Auswahl sind drei Spieler verlinkt, die ich soeben im Aufgebot vom 10. Mai 1990 gesehen habe: Markus Bähr, Lars Schiersand und Christof Babatz. Na dann schauen wir doch mal! Markus Bähr spielte von 1993 bis 1998 beim Karlsruher SC und stand von 1998 bis 2000 bei den Geißböcken in Köln-Müngersdorf unter Vertrag. Lars Schiersand absolvierte von 1993 bis 2001 ganze 249 Partien für den VfL Osanbrück und spielte im Anschluss noch bei Holstein Kiel, beim SV Meppen, bei Sportfreunde Lotte und beim BSV Rehden, wo er 2012 seine aktive Karriere beendete. Am 1. Juni 2000 war er mit dabei im VfL-Trikot, als der 1. FC Union Berlin das Aufstiegsspiel an der Bremer Brücke denkbar knapp vergeigte. Als dritter Schütze im spannenden Elfmeterschießen konnte damals Schiersand verwandeln. Und je länger ich nachdenke, desto mehr dämmert es bei dem einen oder anderen Namen.
Nehmen wir nun Christof Babatz. Von 1993 bis 1997 stand er bei Hannover 96 unter Vertrag, doch beim legendären Aufstiegsrunden-Hinspiel Hannover 96 vs. FC Energie Cottbus am 29. Mai 1997, bei dem ich im Niedersachsenstadion vor Ort war, lief Babatz nicht mit auf. Auch beim noch legendäreren Rückspiel (3:1 für Cottbus), das ich live vor der Flimmerkiste verfolgte, war er nicht mit von der Partie. Für Christof Babatz war es egal, denn er hatte so oder so einen großen Sprung nach oben geschafft. Von 1997 bis 2000 absolvierte er 26 Partien im Trikot des Hamburger SV, von 2000 bis 2006 stand er beim 1. FSV Mainz 05 unter Vertrag. Wir dürfen jetzt bereits erfreut feststellen: Einige Spieler aus der Schüler-Mannschaft vom Mai 1990 hatte später den Sprung in den Profifußball gepackt.
Jetzt wird mir auch klar, dass mir Dennis Weiland ein Begriff ist. Manchmal dauert es halt ein bisschen, das Ganze liegt ja auch bereits eine ganze Ecke zurück. Nach seiner Jugend bei Hannover 96 spielte er ab 1994 bei Borussia Dortmund II, Rot-Weiß Oberhausen, Arminia Hannover, VfL Osnabrück, Mainz 05, Eintracht Braunschweig und Waldhof Mannheim. Und Frank Wilde? Dieser Name sagt mir indes eher nichts. Bis 1996 hatte er bei Eintracht Frankfurt II gespielt, im Anschluss versuchte er beim SV Wehen und beim FV Biebrich 02 sein Glück. Und was wurde aus Jens Schwab, der damals vor 29 Jahren ebenso in der Startelf stand? Kurze Zeit später, genauer gesagt am 22. Juli 1990, stand er mit den B-Junioren des VfB Stuttgart im DM-Finale. Im Frank-Kremer-Stadion mussten sich die Schwaben gegen den 1. FC Köln mit 1:2 geschlagen geben, Schwab kam in der 62. Minute für Uwe Bokowitz auf den Platz. Damals ebenso mit dabei waren Marcus Ziegler, Thomas Reis und Thomas Sobotzik.
Wen haben wir noch alles? Ingo Vandreike zum Beispiel. Er hatte erst 2013 seine Spielerkarriere beendet. In den 1990ern hatte er ein paar Jahre bei Eintracht Braunschweig gespielt, in der Folgezeit waren VfL Wolfsburg II, MTV Gifhorn und Germania Halberstadt seine Stationen. Und Sascha Lense? Er ließ bis 2006 als Aktiver den Ball rollen, und zwar beim FSV Frankfurt, beim VfB Gießen, beim FSV Zwickau, bei Dynamo Dresden, bei der SpVgg Unterhaching, beim SV Darmstadt 98 sowie beim FV Dresden 06 und beim NFV G/W Görlitz. Aber jetzt schau an! SGD-Fans werden ihn sicherlich kennen, denn 2014/15 war er dort Mentaltrainer und in der zurückliegenden Saison nochmals als Sportpsychologe tätig. Letztere Tätigkeit hatte er 2015/16 und 2017/18 auch bei RB Leipzig ausgeübt. In der kommenden Saison wird er voraussichtlich beim FC Schalke 04 angestellt sein.
Und die damaligen Auswechselspieler? Über den einstigen Torwart Karsten Kusch ist nicht allzu viel zu finden. Auf der Webseite der Frankfurter Eintracht wurde am 20.11.2011 allerdings folgendes reingestellt: „… Sein Entdecker, der damalige A-Jugendtrainer der Eintracht, Charly Körbel, erinnert sich: ‚Damals kam ich mit Karsten Kusch, immerhin einem Jugendnationaltorwart im Eintracht-Tor, nicht zurecht und habe ihn weggeschickt. Das kam einer Revolution gleich, denn wir standen plötzlich ohne Torwart da. Da erhielt ich einen Anruf, dass es beim SV Darmstadt einen gibt, der gut sei.‘ …“ Gemeint war Oka Nikolov, der 20 Jahre lang das Eintracht-Gehäuse hütete. Mit dabei war Karsten Kusch auf jeden Fall 1991 bei der U17-WM, wenngleich auch „nur“ als Ersatzspieler.
Ebenso nicht allzu viel zu finden ist über Uwe Allmann. Von 2007 bis 2010 spielte er beim 1. FCA Darmstadt und bei Viktoria Griesheim. Da 66 Partien in der Oberliga Hessen zusammenkamen, wurde bei transfermarkt auch ein eigenes Profil eingepflegt. Aus früherer Zeit taucht auch sein einziges DFB-Pokalspiel auf. Am 29. August 1998 lief er elf Minuten im Trikot der SG Hoechst gegen den FC Energie Cottbus auf. Die Partie ging vor rund 1.000 Zuschauern mit 1:2 verloren.
Böse erwischt hatte es Stefan Runte, der als junger Spieler sogar Angebote von Arminia Bielefeld und Bayer 04 Leverkusen bekam. Daraus wurde jedoch nichts, er musste diese Angebote ablehnen, da er als 19-Jähriger an akuter lymphatischer Leukämie erkrankte. Glücklicherweise hatte er diese schwere Krankheit überstanden, Anfang des Jahrtausends absolvierte er ein Studium in Maschinenbau.
Und Sushill Meurer? Sucht man nach ihn, stößt man sofort auf einen transfermarkt-Forum-Beitrag zur U15-Nationalmannschaft von 2007. In diesem heißt es: „Der jüngste Länderspiel-Debütant in der Geschichte der Jugendnationalmannschaft war übrigens ein gewisser Sushil Meurer (Borussia Dortmund)…“ Der Originalbeitrag wurde jedoch inzwischen gelöscht. Ob mit einem „l“ oder zwei „ll“, weitere Infos über ihn sind leider nicht im Netz zu finden.
Wer noch bleibt? Karl-Heinz Lutz! Er hatte in den 1990ern unter anderen für den Karlsruher SC, den VfR Mannheim und TSF Ditzingen gespielt. Zusammen kamen immerhin 120 Partien in der Regionalliga Süd und elf Spiele in der Oberliga Baden-Württemberg. Und ja, bei drei DFB-Pokal-Partien war er auch dabei. In diesen erzielte er sogar zwei Treffer. Keine schlechte Ausbeute! Am 15. August 1997 kegelte der VfR Mannheim (trainiert von Rudi Bommer) den Zweitligisten SC Fortuna Köln (trainiert von Bernd Schuster) mit 6:2 (zwei Tore von Lutz) aus dem Wettbewerb, in der zweiten Runde musste man sich dem FC Carl Zeiss Jena im Elfmeterschießen mit 4:5 geschlagen geben. In der Saison zuvor unterlag der VfR Mannheim vor 11.200 Zuschauern Borussia Mönchengladbach mit 0:2.
Abschließend noch einmal ein rascher Blick auf den englischen Kader vom 10. Mai 1990. Lange am Ball blieb zum Beispiel Ben Thornley, der von Manchester United aus weiter zu Stockport County, Huddersfield Town, Aberdeen, Blackpool, Bury, Halifax Town, Salford City und Witton Albion zog. 1996 spielte er dreimal in der englischen U21-Nationalmannschaft, 2010 beendete er seine aktive Karriere. Ebenso bis 2010 ließ Jamie Forrester den Ball laufen. Bei ihm waren ebenso zahlreiche Stationen dabei, der ganz große Wurf gelang ihm allerdings nicht. Sein letzter Verein war Lincoln Moorlands Railway. Es ist erstaunlich. Zahlreiche damalige Jugendspieler starteten anfangs bei großen Vereinen wie Leeds United, Manchester United und Arsenal, doch dauerhaft in der Premier League blieb kaum einer. Die große Ausnahme: Der eingangs erwähnte Nicky Butt! Aber okay, unterschlagen wollen wir nicht Martin Geoffrey Smith, der immerhin von 1992 bis 1999 in Sunderland spielte und dann weiter zog zu Sheffield United und Huddersfield Town…
Fotos: Marco Bertram, Claude Rapp, Arnaud Schonder
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Benutzer-Kommentare
Kurz ne Anekdote zu diesem Spiel. Mein Sportlehrer wollte, wir hatten Mittagsschule,
mit uns das Spiel im TV schauen, wollte uns damit überraschen, aber er war leider falsch informiert, denn das Spiel war ja Vormittags. Zu dem Spieler Alexander Schwab kann ich sagen, das er mal beim TV Hardheim in der Verbandsliga Baden aktiv war, und später mal noch in der Landesliga Württemberg für Gerabronn.
Zu Karlheinz Lutz kann ich noch hinzufügen, das er auch für den SV Sandhausen aktiv war. Gegen Bähr und Lutz habe ich selber mal gespielt. Vielen Dank für diesen Beitrag.
Gruss Michelino