„Let me hear you say yeah - yeah!“ Der Wecker schrillte um fünf Uhr in der Frühe. Raus aus den Federn! Ab zum Berliner Hauptbahnhof - der IC nach Rostock wartete! „… no no no no, no no there′s no limit!“, hätte es eventuell vor 30 Jahren aus dem Radio getönt. „No limit“ von 2 Unlimited stand 1993 hoch im Kurs und im März jenes Jahres sogar auf Rang zwei der deutschen Single Charts. Mit solch einem Song kam man früh morgens noch besser in die Puschen, wenn es abends mal wieder verdammt lang ging. Was es am vergangenen Sonntagmorgen zu hören gab? Irgendeinen Balkan-Song auf Youtube Music. Viel Zeit blieb eh nicht, nach einer Katzenwäsche ging es mit der U5 rackizacki zum Hauptbahnhof.
F.C. Hansa Rostock vs. Hertha BSC: „No limit“ - ein Remis der besten Güte
Aber jut, ich hätte mich gar nicht beeilen müssen. Der gebuchte IC hatte eine satte Verspätung von 40 Minuten und würde somit erst nach dem Regionalexpress gen Küste abfahren. Somit kam ich nach einem Frühstücksburger und einem XXL-Kaffee noch in den Genuss, den RE nach Rostock begrüßen bzw. verabschieden zu dürfen. Wie erwartet stiegen bereits in Berlin Südkreuz die meisten Hertha-Fans in den roten Regio ein, und somit mussten am Hauptbahnhof tatsächlich einige Reisende draußen bleiben. Die Polizei versperrte die Tür - Pech gehabt! Der Zug war voll!
Glück hatte ich gehabt, dass ich ein Ticket für den IC gekauft habe. Völlig tiefenentspannt ging es im ziemlich leeren Zug, in dem nur wenige Hansa- und Hertha-Fans saßen bis zum Rostocker Hauptbahnhof. Eigentlich wollte der IC den vor ihn fahrenden Regionalexpress noch einholen, doch selbst dies schaffte er nicht mehr. Als wir einrollten, stieg zwei Bahnsteige weiter die Berliner Reisegesellschaft aus und wurde von der Polizei auf den Parkplatz geführt. Wie bei Heimspielen gegen Problembären üblich, wurde unten am Durchgang ein schwarzer Sichtschutz aufgebaut. Völlig verdattert fragte mich eine ältere Frau, wie sie nun zu einem gewünschten Bäcker gelangen könnte.
Einen Bäcker wollte ich in der Rostocker Altstadt auch ansteuern - schließlich zeigte die Uhr halb zehn an -, doch wurde es dann doch ein vietnamesischer Imbiss am Steintor. Was für eine geile Zeitreise - was für eine Bude aus längst vergessener Zeit. Zu Imbisspreisen wie zu den 90ern gab es dort heimisches Flaschenbier, an einem schiefen Geländer schnackten im feinsten Dialekt zwei Männer und eine Frau über Hansa und den Stand der Dinge. Moin! Ich stellte mich mal gleich daneben und wurde wenige Minuten später gefragt, ob ich die Rostock Seawolves kennen würde. Klar doch! Dieser Basketballverein wurde als EBC im Jahre 1994 von Mitgliedern der SG Fischkombinat (FiKo) und der HSG Uni Rostock ins Leben gerufen, und einst hatte der neben mir stehende Biertrinkende dort selber gespielt. Feine Sache!
Ein halbe Stunde später fand ich mich am Rostocker Stadthafen ein und ließ meinen Gedanken freien Lauf. Man schrieb den 20. März 1993, als ich zum ersten Mal das Duell Hertha BSC vs. F.C. Hansa Rostock sah. Es war nach dem Hinspiel in Rostock das zweite Aufeinandertreffen überhaupt. Ich machte damals gerade meine Elektroniker-Lehre im Rheinland, und während des Heimatwochenendes hatte ich meinen kleinen Bruder geschnappt und mit ihm das Zweitligaduell im Berliner Olympiastadion besucht. Vor 11.500 Zuschauern konnte Hertha BSC überraschend deutlich die Partie mit 5:1 für sich entscheiden.
Die Erinnerungen an das über drei Jahrzehnte zurückliegende Duell sind verblichen, noch weniger Erinnerungen habe ich allerdings an die Aufeinandertreffen in Berlin in den Jahren 2000 und 2001. Noch frischer sind indes die Erinnerungen an den November 1999 - genau vor 24 Jahren segelten wir durch die stürmische Nordsee und erlitten schließlich vor der Insel Vlieland Schiffbruch. Ja, man sollte stets dankbar sein über die kleinen und großen Glücksmomente im Leben! Und so schlenderte ich gestern an der Kaimauer des Rostocker Stadthafens entlang und schaute mir die angelegten Boote und Schiffe an. Mit Hilfe eines Autokrans wurde gerade ein Segelboot rausgehievt, ein paar Männer kärcherten und schrubbten ein paar Meter weiter die Muscheln und Algen von den Rümpfen der bereits abgestellten Boote ab.
Da die S-Bahn nach Warnemünde aktuell nicht fährt, dehnte ich den Spaziergang aus und lief den langen Bahnsteig des Bahnhofs Parkstraße entlang. Der Anblick ist immer wieder eine Wonne - die blau-weiß-rot angemalte Treppe bietet ein feines Fotomotiv. Eigentlich hatte ich vor, noch irgendwo Futter einzuschieben, doch rief mich am Stübchen direkt an der Treppe ein mir bekannter Hansa-Fan heran, und somit fachsimpelten wir noch eine Stunde beim leicht einsetzenden Nieselregen. Ich wurde nach meinem Tipp für das anstehende Spiel gefragt, und ich erklärte, dass ein 1:1 durchaus denkbar sei. Wichtig sei vor allem, dass Einsatz und Leistung stimmen würde - dann könne man auch mit einem Remis leben. In diesem Punkt waren wir uns beide einig.
Na dann man tau und hinein in die gute Stube! 50 Minuten vor Spielbeginn war die Südtribüne noch leer, der Gästeblock war indes bereits mit schwarz gekleideten Herthanern gut gefüllt. Wie sich später herausstellen sollte, war in der unteren Ecke des Gästeblocks eine Berliner Handwerker-Fraktion zugange und demontierte mal eben ein, zwei Plexiglasscheiben. Nach Absprache mit dem Verein marschierten behelmte Einsatzkräfte der Polizei in den Pufferbereich direkt neben dem Gästeblock und bildeten dort eine lange Reihe von oben nach unten. Ein möglicher Durchbruch und weitere etwaige Bauarbeiten an der Plexiglaswand sollten somit verhindert werden.
Wenig später füllte sich auch die Südtribüne, und beim „Hansa forever“ kam langsam Schwung ins Ganze. „Glaube. Liebe. Hoffnung seit 1965.“ hieß es im Eckblock 9 / 9a, der Dank der hoch gehaltenen Zettel in den Farben Blau, Weiß, Rot getaucht war. Auf der Südtribüne verzichtete man indes dieses Mal auf eine Choreo, und auch im Gästebereich gab es zu Beginn der mit Spannung erwarteten Partie keine optische Aktion. Erst im Laufe des Spiels holten die Hertha-Fans drei-, viermal eine Portion rote Fackeln raus und warfen zudem ein paar Böller auf die nah postierten Polizisten.
Gleich von der ersten Minute an mächtig zur Sache ging es auf dem Rasen. Beide Mannschaften schenkten sich nichts und warfen einiges in die Waagschale. Nach acht Minuten kam Christian Kinsombi über die linke Seite, setzte sich gegen zwei Gegenspieler durch und flankte den Ball hinein, am zweiten Pfosten lenkte Hertha-Keeper Tjark Ernst das Spielgerät ins Aus. In der 26. Minute war es schließlich Júnior, der einen satten Distanzschuss knapp über das Berliner Gehäuse setzte. Auf der anderen Seite waren es Winkler und Bouchalakis sowie Tabakovic, die sich versuchten, aber nicht das Tor trafen.
Nach der Pause waren es zunächst die Herthaner, die gut Druck ausübten und zweimal das Aluminium trafen. Klemens hatte sich in der 52. Minuten mit einem flachen Schuss probiert, zehn Minuten später war es Reese, der nach einer Ecke von Marton Dardai den Ball an den Querbalken köpfte. Apropos, Fabian Reese. Er stach definitiv heraus, zeigte vollen Einsatz und forderte die Hertha-Fans auf noch lauter zu supporten. Davon ganz abgesehen stimmte im Großen und Ganzen bei allen Spielern auf dem Platz der Einsatz. Es wurde gekämpft, gegrätscht und geackert wie es im Buche steht. Sehnsüchtig schaute indes der sich warm machende Kai Pröger immer wieder in Richtung Trainerbank. Ein Zeichen zur Einwechslung? Diese erfolgte für ihn erst in der 90. Minute.
Bereits zuvor konnte sich Hansa etwas vom Berliner Druck befreien und verstärkt nach vorne drängen. So gehörte die Schlussphase definitiv den Gastgebern und mit etwas mehr Glück und Durchschlagskraft wäre am Ende sogar ein Sieg möglich gewesen. So war es Dennis Dressel, der eine Viertelstunde vor Schluss aus gut 16 Metern den Hertha-Schlussmann Tjark Ernst zur Parade zwang. Wenig später setzte sich Fröling auf der linken Seite prima durch und spielte den Ball rüber zum gut stehenden Juan Perea, doch traf dieser nicht den Ball, sondern nur seinen Gegenspieler Pascal Klemens in die Hacken, der kurzzeitig am Boden liegenblieb.
Am Ende blieb es beim torlosen Remis. Klingt vom Ergebnis her ein wenig trostlos, doch war dieses 0:0 definitiv eines der besseren Sorte. Stimmung auf den Rängen - Einsatz auf dem grünen Rasen - das hatte alles gepasst. Und somit zeigten sich die meisten Hansa-Fans im persönlichen Gespräch und in den sozialen Netzwerken durchaus zufrieden. Auf diese Leistung lasse sich aufbauen - so der allgemeine Tenor. Und ja, Dank des einen geholten Pünktchens kletterte der F.C. Hansa Rostock zwei Plätze hoch auf Rang 14. Jetzt nachgelegt mit einem Sieg in Magdeburg und die Welt würde wieder etwas anders aussehen.
Beide Fanlager feierten ihre Mannschaften - danach ging’s heim. Den Weg zum Rostocker Hauptbahnhof konnte ich glücklicherweise vermeiden, für mich ging’s im Auto zurück nach Berlin. Dort warteten in der Lokalität des Vertrauens bereits das Schwarzbier und ein hübsch angerichteter Wurstteller. „Let me hear you say yeah - yeah!“ - „There′s no limit!“ Auf die alten Zeiten! Auf den Punktgewinn! Auf die Zukunft! Und auf all die guten Freunde!
Fotos: Marco Bertram
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