Himmel statt Hölle: Energie Cottbus packt den Aufstieg in Liga 3!

Himmel statt Hölle: Energie Cottbus packt den Aufstieg in Liga 3!

Die 3. Liga. Für die einen das Himmelbett auf Erden, für die anderen der Vorhof zur Fußballhölle. Für die einen der lang ersehnte Sprung in den Profifußball, für die anderen zu Teilen Tristesse und das schwebende Damoklesschwert in Form eines weiteren Absturzes (2015 lässt grüßen, als Erfurt mit dem Sieg in der Ferne den Rostocker Klassenerhalt sicherte). Während quasi die halbe Regionalliga Nordost - von Jena bis Erfurt, von Greifswald bis Berlin-Hohenschönhausen, von Lok Leipzig bis Chemnitz - allzu gern aus der Viertklassigkeit flüchten und wieder mal überregional spielen würde, fühlt sich ein Absturz aus der 2. Bundesliga in die 3. Liga wie ein Fall in den Provinzfußball an. 3. Liga? Das klingt nach Großaspach, wenngleich dieser kleine sympathische gar nicht mehr in dieser Spielklasse zu finden ist. Aber hey! Wie gern würden all die Regionalligisten mal drittklassig gegen Rot-Weiss Essen, Waldhof Mannheim, Alemannia Aachen und Dynamo Dresden spielen?! Die Stuttgarter Kickers und auch der BFC Dynamo haben es zuletzt ja richtig derb verkackt und dürfen weiterhin regional kicken …

Himmel und Hölle. Für mich war der zurückliegende Pfingstsonntag eine krasse Angelegenheit. Live im Innenraum des Berliner Jahn-Sportparks erlebte ich den Aufstieg des FC Energie Cottbus mit, unmittelbar danach sah ich das Desaster in Rostock live vor dem Fernseher im Empor-Eck bei frisch Gezapften für faire 3,50 der halbe Liter. Zweimal rannen Tränen über die Wangen an jenem Nachmittag. Einmal im Jahn-Sportpark ganz leicht, weil mich als Berichterstatter und Fußballliebhaber solch eine euphorische Stimmung und solche emotionalen Ausbrüche einfach krass mitnehmen, einmal ganz doll, weil der Paderborner Siegtreffer im Rostocker Ostseestadion zum 2:1 schlichtweg wie ein Stich ins Herz war.

Aber einfach der Reihe nach. Es war angerichtet. Die Kameras lagen am Sonntagmorgen bereit, es sollte ein langer Fußballnachmittag werden. Zuerst um 13 Uhr das Duell Hertha BSC II vs. FC Energie Cottbus, dann um 17:30 Uhr im Stadion Lichterfelde das Spiel FC Viktoria 1889 Berlin vs. F.C. Hansa Rostock II. Ich hatte gehofft, dass die erste Mannschaft von Hansa noch in die Relegation kommen würde, dann hätte man in Lichterfelde am Rande noch ein wenig gefeiert.

Mit Sack und Pack traf ich mit der U8 am Bahnhof Gesundbrunnen ein und hetzte dem Cottbuser Fanmarsch hinterher, der bereits auf dem Weg gen Jahn-Sportpark war. Am Bahnhof wurden gerade die leeren Flaschen aufgesammelt und es roch noch nach Pyro. Ich rollte das Feld von hinten auf und hatte den beachtlich großen und sehr langgezogenen Fanmarsch sehr bald eingeholt. Pyro gab es keine mehr, aber die Stimmung war selbstverständlich optimistisch. Ein Punkt bei den Hertha-Bubis - und der Sprung in Liga drei wäre eingetütet!

Schubweise wurden die Energie-Fans ins Stadion gelassen, und ich muss sagen, dass dies keine schlechte Idee war. Genau an dieser Stelle erlebte ich fast ein Desaster, als am 09. Juni 2002 Dynamo Dresden in der Aufstiegsrunde von der NOFV-Oberliga in die Regionalliga bei Hertha BSC II zu Gast war und über 10.000 Dynamo-Fans die Ränge fluteten. Am Einlass war es dermaßen eng, es herrschten katastrophale Zustände, und bei nicht wenigen Fans kam Panik auf. Die Masse drückte von hinten, die Ordner und die Polizei hatten das Ganze nicht im Griff, und meine damalige Freundin (zum ersten Mal beim Fußball mit mir) bekam es mit der nackten Angst zu tun. Dynamo-Fans hoben sie schließlich hoch und ließen sie wie bei einem Konzert in der Luft nach vorne gleiten, wo sie immerhin direkt durchgelassen wurde. Neben dem Einlass bei St. Pauli vs. Hansa Rostock in der vorletzten Saison war jener Einlass am JSP vor 22 Jahren die für mich kritischste Situation in Sachen Enge und Gedrücke.

Offiziell war der Jahn-Sportpark am vergangenen Sonntag ausverkauft, doch wunderte man sich zurecht über die großen Lücken in den geöffneten Blöcken. Für die Energie-Fans war die gesamte Gegengerade angedacht, doch wurde letztendlich auch die Kurve unter der Anzeigetafel geöffnet. Hier hätten letztendlich noch deutlich mehr Cottbuser vor Ort sein können. Auf der Heimseite hätte ich mehr Hertha-Fans erwartet - wie das mit dem Buschfunk so ist -, doch blieb es somit völlig entspannt.

Wie damals beim legendären Duell Hertha BSC II vs. Dynamo Dresden hätte auch am Pfingstmontag ein torloses Remis genügt, um den Aufstieg in trockene Tücher zu bringen, doch wollte man sich auf solche Geschichten lieber nicht verlassen. Selber Tore schießen, lautete die Devise bei den Lausitzern - und zwar möglichst früh, um den womöglich motivierten Hertha-Bubis rasch den Zahn zu ziehen. Schnell wurde auch deutlich, dass mit Hertha II zu rechnen war. Nach einer Ecke wurde eine Cottbuser Hand getroffen, und es war für Cottbus ein großes Glück, dass nicht Elfmeter gepfiffen wurde. Ei der Daus. Womöglich wollte der Cottbuser Spieler nur sein Gesicht schützen, doch wer so die Arme hochreißt, muss mit leben müssen, wenn der Pfiff ertönt.

Nicht auf dem Platz bei Energie war Timmy Thiele, der stattdessen im Fanblock sein Plätzchen einnahm. Am Spielfeldrand fehlte zudem Pelé Wollitz, der nach seiner vierten gelben Karte gesperrt war und das Ganze von der Tribüne aus beobachten musste. Im Fall des Aufstiegs dürfte er erst 30 Minuten nach Abpfiff offiziell dazu stoßen. Was für eine kuriose Regelung! Aber egal, sowohl Wollitz, als auch Thiele durften auf den Rängen mit feiern, als nach einer Viertelstunde Joshua Putze das 1:0 für Energie klarmachte. Nach einer Ecke wurde der Ball an den Querbalken geköpft und Putze war zur Stelle und konnte routiniert nachsetzen.

Fetter Jubel war nun angesagt hinter all den alten und neuen Energie-Fahnen. Unter anderen war mal wieder der ganz alte Stoff „W.w. EN. CO.“ zu sehen, der bereits zu DDR-Zeiten zu bestaunen war. Gleich daneben hing die Zaunfahne „Hans Meiser Team“. Und ganz überraschend war sogar über dem Ultras-Energie-Banner ein rot-gelbes FCV-Banner (Vorwärts Frankfurt / Oder) zu sehen. Beim Pausen-Bier mutmaßten neben mir ein paar Kumpels, dass es auch ein „FCU“ sein könnte, bei dem das „U“ etwas eckiger ausfiel, doch denke ich ganz stark, dass es schon „FCV“ heißen sollte.

Und schau an, im Gegensatz zu manch anderen Partien (Lok Leipzig und Luckenwalde lassen grüßen) wurde das Auswärtsspiel bei Hertha BSC II keine Zitterpartie. Energie Cottbus tat genau das richtige: In der 24. Minute konnte Maximilian Pronichev zum 2:0 für Energie nachlegen. Langer Pass nach vorne, eine Abgabe und Pronichev musste nur noch einschieben. Das Tore-Polster fühlte sich für die Energie-Fans sicherlich gut an. Nun müsste schon einiges daneben gehen, damit das Ganze noch komplett versaubeutelt worden wäre. Aber gut, sag niemals nie, in der 29. Minute hätte es wieder einen Strafstoß für Hertha II geben können.

In der zweiten Halbzeit hatte Energie Cottbus im Großen und Ganzen die Partie gut im Griff und hätte sogar auf 3:0 erhöhen können. Die Uhr lief runter, und auf den Rängen wurde sich bereits für die große Party vorbereitet. Manch ein Papa nahm seinen Nachwuchs auf den Arm, ein paar Cottbuser vermummten sich, die ersten Fans saßen auf der Zaunkrone. Kurz vor Schluss erfolgte schließlich die Durchsage, dass niemand über den Zaun klettern müsste, vielmehr würden beim Schlusspfiff die Tore geöffnet werden.

Und so geschah es auch. Die rund 10.000 Energie-Fans sangen sich warm und mit dem Abpfiff wurden die Fackeln auf dem Zaun angerissen und die Massen fluteten den Rasen des Jahn-Sportparks, der eigentlich schon längst geschlossen sein müsste, da die Betriebserlaubnis abgelaufen war. Doch dann spielte Viktoria 1889 Berlin plötzlich in der 3. Liga und durfte das Stadion mit einer Sondererlaubnis nutzen. Zuletzt waren die VSG Altglienicke und Hertha BSC II die offiziellen Nutzer.

Die Party konnte auf dem grünen Rasen starten, ein paar Fans machten sich an den Toren zu schaffen, nur wenige gingen ganz kurz auf Tuchfühlung zu den wenigen (aber teils durchaus frech provozierenden) Hertha-Fans in der Kurve, doch nahm die Polizei fix Aufstellung. Anders als bei manch einer anderen Aufstiegsparty hielt sich dieses Mal die Polizei angenehm zurück, und es kam zu keinen (für mich erkennbaren) Zwischenfällen. Der Meisterpokal wurde überreicht und die Freude kannte bei Cottbus keine Grenzen. Nach 2018/19 - krass, wie die Zeit vergeht - ist der FC Energie Cottbus wieder drittklassig und darf sich auf Dynamo Dresden, Erzgebirge Aue, Rot-Weiss Essen, Waldhof Mannheim und Hansa Rostock freuen …

Ähm ja, Hansa. Wie eingangs erwähnt ging es recht fix vom Stadion rüber zum Empor-Eck, wo ich gemeinsam mit dem Autor und Armdrücken-Kollegen Andreas „Baufresse“ Gläser die Zweitliga-Konferenz schaute. Die erste Ernüchterung erfolgte, als der SV Wehen Wiesbaden in der 10. Minute gegen den FC St. Pauli mit 1:0 in Führung ging. Doch dann! Nach dem dritten Bier am Tresen schossen fast zeitgleich in der zweiten Halbzeit der F.C. Hansa Rostock und der FC St. Pauli ein Tor. Mit einem Mal war Hansa im Geschäft. Die Relegation gegen Jahn Regensburg war zum Greifen nahe, doch während St. Pauli sogar nachlegen konnte, kam es im Ostseestadion zum Desaster, welches im Bericht von Heiko Neubert nachzulesen ist.

Innere Leere. Nun noch nach Lichterfelde zum Spiel der Hansa Amateure? „Komm lieber mit zum Jazz im Bürgerpark Pankow“, schlug Baufresse Gläser vor. Eine gute Idee! Wir ließen uns am Abend treiben und fanden uns vor Imbissen und Spätis ein und kamen mit wildfremden Leuten - völlig abseits des Fußballs - ins Gespräch. Der perfekte Weg, um abzuschalten. Denn was hilft’s? Wie sagte. einst Steppi vor nun mehr 32 Jahren, als Eintracht Frankfurt in Rostock die Meisterschaft vergeigte? „Lebbe geht weider!“ Recht so! Es geht immer weiter. In Rostock, in Cottbus und all den anderen Standorten! Und immer hübsch Kurs halten! Immer hart gegen den Wind!

Fotos: Marco Bertram

> Aufstiegsvideo von turus.net auf YouTube

> zur turus-Fotostrecke: FC Energie Cottbus

Fußballbücher vom Autor Marco Bertram:

> www.marco-bertram.de

Stadionname:
  • Friedrich-Ludwig-Jahn-Sportpark
Artikel wurde veröffentlicht am
21 Mai 2024
Spielergebnis:
0:2
Zuschauerzahl:
10.500
Gästefans
9000

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Benutzer-Kommentare

1 Kommentar
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Kommentare
Schulzinho
ist die Viktoria Frankfurt Zaunfahne, hing auch schon gegen den BFC und letzte Saison in Haching
S
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