Drehe ich die Uhr ein paar Jahre zurück, dann erschien hier auf dieser Plattform fast jede Woche etwas, was aus meiner Feder stammte. Aber die Zeiten ändern sich. Aus wilden Spielen und von Freitag bis Montag dauernden Wochenendausflügen wurden „vor der Haustür“ und atemberaubenden Atmosphären, wie sie der Kollege vom GroundhoppingBerlin-Blog so häufig in den Himmel lobt. Gesellten sich einst nach einem Wochenende drei oder mehr Kreuzchen zu den anderen Stadionkreuzchen in der Statistik, so kommt aktuell im Höchstfall alle paar Wochen mal ein neues dazu. Im Winter ruht in Polen ohnehin ziemlich lange der Ball, vor allem der Amateurfußball. Ein paar Spiele sind’s dennoch geworden. Sogar ein paar ganz nette Ausflüge waren dabei, auch in anderen Sportarten wie Uni-Hockey oder Pickleball. Am Rande der kleinen Zusammenfassung gibt es noch ein paar Sätze und persönliche Eindrücke zum Alltag, was manche auch noch interessieren könnte. Fangen wir an…
Korona, Orkan und Hetman: Saison 2023/24 - mein Fazit
Korona Bukowiec vs. Pogoń śmigiel
Der erste nennenswerte Streifzug führte mich mit der Koleje Wielkopolskie (Wielkopolska-Eisenbahngesellschaft) zum 7.-Liga-Spiel Korona Bukowiec gegen Pogoń śmigiel in Bukowiec, was allerdings keinen Bahnhof hat, weshalb dies einen längeren Spaziergang über Waldwege bedeutete. Mit etwas Sightseeing (Waldschloss Porażyn, evangelischer Friedhof, Holzkirche Bukowiec) standen am Ende 14 km auf dem GPS. Was blieb vom Spiel hängen? Ein netter von Bäumen umrandeter Sportplatz mit überdachten und unüberdachten Sitzplätzen konnte gegen einen 5er betreten werden. Die graue Eintrittskarte trug außer dem Preis übrigens keine weitere Angabe! Aus śmigiel war sogar ein kleines Grüppchen aktiver Fans angereist. Mit 0-2 ging das Spiel an die Gäste, welche eine schwere Verletzung eines Mitspielers zu beklagen hatten. Der Arm war nach einem Sturz gebrochen. Unfreiwillig musste der Spieler noch nach Nowy Tomyśl ins Krankenhaus. Im Allgemeinen ist die medizinische Versorgung in Wielkopolskie ganz passabel, oftmals auch besser im Vergleich zu Deutschland, erst recht, wenn man selbst bezahlt. Natürlich kann man auch auf Ärzte treffen, die ihr Handwerk nicht so gut gelernt haben, aber das ist ja in Deutschland nicht anders. Aber hinsichtlich des Services in Krankenhäuser, war es in Deutschland besser. Das Essen kann man häufig vergessen, ansonsten liegen Hilfeleistungen und Freundlichkeit ganz gern auf einem niedrigen Niveau. Wer keine Versorgung und Unterstützung von außen hat, der hat’s nicht leicht. Ein paar Tage später ging’s unter der Woche dank Maria Himmelfahrt zu…
GKS Rzgów gegen Warta Pyzdry
Ich meine, dass es der heißeste Tag des Jahres war. Die Temperaturen hatten die 35er-Marke locker überschritten. Ohne irgendeinen Schattenspender hoffte hier jeder der 30 Zuschauer, dass das Duell zwischen unterster und vorletzter Liga nicht in die Verlängerung geht. Mit 4-2 setzte sich GKS durch. Parallel zum Spiel gab es unweit des Platzes einen Gottesdienst auf dem lokalen Friedhof, an dem gut 350 Leute teilnahmen. Im ersten Moment dachte ich an eine Beerdigung, aber das hätte aufgrund des Feiertags nicht gepasst. Übrigens ist das polnische Gesetz bei Beerdigungen von Familienangehörigen wesentlich humaner. Auch für Angehörige zweiten Grades gibt es Urlaubstage.
Orzeł Mysłakowice – Granica Bogatynia
Im September war dieses Spiel in Liga 6 das Highlight. Eher waren der Ort und der Sportplatzhintergrund die eigentlichen Stars. Über 200 Zuschauer sahen nur wenige Kilometer an der Grenze Niederschlesiens mit Tschechien ein lockeres 5:2. Wer sich für Überbleibsel der deutschen Kultur interessiert, ist hier genau richtig. An vielen Stellen gibt es noch deutsche Aufschriften, Wegweiser und Bauwerke sowie Erinnerungsorte. Meine persönlichen Favoriten im Ort sind die Kirche mit zwei Säulen aus Pompeji, die Häuser im Tiroler Stil und die Ferienresidenz von unserem Brandenburger Theodor Fontane.
AKF Poznań – Lotnik Poznań
Und da sind wir schon im Oktober angelangt! Nach einem verregneten Samstag mit Fußball im Plattenbauviertel und Feldhockey folgte ein sonniger Sonntag im Rugbystadion auf einem so aufgeweichten Platz, auf welchem es meiner Meinung nach anderenorts keine Diskussion hinsichtlich einer Absage gegeben hätte. Umso mehr zufriedener war ich natürlich, als der Schiedsrichter das Spiel anpfiff. Nur durch Zufall hatte ich übrigens die Ansetzung des Jugendspiels in dieser Stadionperle (gemessen an der Stadienwelt der Stadt und des Kreises) auf der Verbandsseite entdeckt. Doch die Zeiten sind nun aktuell vorbei, denn die Seite des Verbands wurde umgebaut und enthält kaum noch Informationen – keine Austragungsorte und auch nicht mehr alle Ligen. Ich meine, dass man im Deutschen mit „verschlimmbessern“ ein passendes Wort für solche Erscheinungen verwendet. Das muss ich dann wohl hier auch einführen. Ach Fussball.de…!
Orkan Konarzewo – Pogoń Książ Wielkopolski
Der 11.11. ist ja in Polen bekanntlich der Unabhängigkeitstag. Viele Fußballfans zieht es an diesem Tag zum Umzug nach Warszawa. In den unteren Ligen wird die Gelegenheit ebenso genutzt, Spiele auszutragen. Aufgrund des Anlasses gibt es dann auch häufig optische Attraktionen im Fanblock in weiß-roter Gestaltung. Die Wahl fiel auf GKS żerków mit seiner kleinen Fanszene, die mir in der Vergangenheit schon zweimal über den Weg lief. Das Wetter war für einen Novembertag äußerst nett, weshalb ich noch ein paar Fotos von der hügeligen Umgebung machte und dem Mickiewicz-Museum einen Besuch abstattete. Die 20 zł waren gut investiert. Viele Orte, die einem Bildungszweck dienen, vor allem Museen, sind zu humanen Preisen und auch teilweise kostenfrei betretbar. Der Eintritt in diesem Fall ist auch schon ziemlich hoch. Man muss sich schon dafür interessieren. Was ich noch mehr empfehlen kann, ist das archäologische Museum in Poznań, welches an Samstagen kostenfrei betreten werden kann. Der Zutritt zu GKS żerków für ein 1:1 in Liga 7 vor ganz wenigen Zuschauern war ebenso unentgeltlich, was mich dann doch verwunderte. KS Opatowek als Gegner eliminierte spielend starke Argumente wie ein schönes Wetter, Feiertag und ein gar nicht so hässliches Stadion (eine Seite mit Stufen, Laufbahn). Die Fahrt durch Wald und Feld im Dunkeln ersparte ich mir und packte zur Halbzeitpause ein, um Konarzewo anzusteuern, welche unter Flutlicht gegen einen gar nicht so unattraktiven Gegner antreten durften. Der kleine Ort im Speckgürtel von Poznań ist natürlich fest in Lech-Hand. An der Wand im Zentrum des Ortes wurden zwei große Graffiti mit Fußballbezug angebracht. Wenn auch nicht immer, aber doch schon gelegentlich sammelt sich ein kleiner Haufen Fans am äußersten Ende der Tribüne, um Orkan zu unterstützen. Hier zogen heute die Argumente Feiertag, attraktiver Gegner und Flutlicht, um das Spiel interessant zu begleiten. Neben Schlachtrufen und Böllern war auch bunter Rauch zu verzeichnen. Von dem mit Meblorz Swarzędz befreundeten Pogoń Książ Wielkopolski war auch eine Autobesatzung anwesend, sodass ich bei meinen Spielen von Pogoń weiterhin keine 0 in der Gästestatistik habe. Dennoch gab es für die Gäste in Konarzewo nichts zu holen. Das Fußballjahr endete mit einem netten Ausflug nach Jastrębsko, ehe an Neujahr erneut Konarzewo angesteuert wurde – zum Neujahrsspiel.
Bajgiel Będzino – GKS Manowo
Trotz eines starken Regenschauers rollte im März der Ball beim oben genannten Spiel. Bajgiel Będzino (aktuell Liga 7) reizte mich stets aufgrund des merkwürdigen Namens, aber nie hatte sich ein Spiel angeboten, obwohl ich in dieser Ecke mit Koszalin, Mielno usw. ziemlich viel abgegrast hatte. Bajgiel heißt übersetzt Bagel und bezeichnet das Gebäck mit dem Loch in der Mitte. Vermutlich ist’s die lokale Bäckerei, die hier als Namensgeber fungierte. Ca. 40 Leute wollten das spannende 1:2 sehen. Sogar ein paar Gästefans waren mit dabei. Die stärkste Zeit der Fanaktivitäten liegt schon mehr als 20 Jahre zurück. Hier in Zachodniopomorskie scheint im Regionalbereich Koszalin ab Liga 7 ein Gästeblock vorgeschrieben zu sein. Ich kann mich an keinen Platz auf diesem Level erinnern, auf dem es so etwas nicht gab. Auch Bajgiel hat einen kleinen mit einem Gartenzaun umgebenen Bereich.
Górnik Konin – Polonia Golina
Aus familiären Gründen betrete ich des Öfteren das Gebiet vom auch Polski Detroit genannten Konin. Klar ist hier der Wegzug junger Leute immer noch ein hartes Stück Brot, aber über die Jahre machten Investitionen das Leben in dieser Stadt schon angenehmer. Dadurch, dass das Umland nicht all zu urbanisiert ist, gibt es in dieser Ecke auch für mich ziemlich viel an historischen Sachen zu entdecken. Was allerdings von Jahr zu Jahr schwächer wurde, ist der der Fußballverein der Stadt. Von Liga 4 ging es schnell in Liga 6, welche auch in dieser Saison nicht verlassen werden konnte. Die Vorortvereine sind mittlerweile besser aufgestellt, sodass sich Górnik auch mal hinter einem Polonia Golina wieder finden kann. Über das hochemotionale verlorene Spiel gegen ślesin hatte ich ja um Ostern herum schon berichtet. Ende April folgte der nächste Schlager gegen Golina. Eine Aufbruchsstimmung machte sich in der Stadt breit, da der Aufstieg noch in erreichbarer Nähe war. Um die 1000 Zuschauer zogen zum großen Stadion, was irgendwann verschwinden soll. Das modernisierte kleine Stadion mit seiner überdachten Tribüne reicht vielleicht für Medyk Konin (Damenfußball). Findet aber Górnik wieder auf die Erfolgsspur zurück, dann ist diese Anlage einfach zu klein. Ich war darüber erstaunt, dass auch sehr viele Jugendliche gekommen waren. Das Interesse der Jugend hat sich auch hier in Polen merklich verändert. Als ich neulich das Haus verlassen habe, während Polen bei der EM spielte, da liefen in meinem Hood recht viele Jugendliche herum. So einfach ist es nicht mehr, die Jugend für den Fußball zu begeistern, was auch die Anzahlen der Jugendteams in den Ligen unterstreicht. Jedenfalls war gut was los, im Fanblock sowieso. Alles oder nichts, Emotionen pur. Am Ende gewann Konin mit viel Mühe 1:0 gegen das eigentlich wesentlich kleinere Polonia Golina. Wie ein Pokalsieg wurde der Erfolg gefeiert. Am Ende nützte es nichts.
Hetman Orchowo – Błękitni Psary Polskie
Schon in der Grundschule besprachen wir das Thema „Stammbaum”. Manche interessieren sich mehr, andere weniger dafür. Als die Mitschülerin im 18. Jahrhundert angekommen war, sehnten sich manche schon nach dem Pausenklingeln. Heutzutage ermöglicht die Digitalisierung dem Laien relativ große Erfolge bei einer genealogischen Recherche. Und an dieser Stelle spanne ich den Bogen nach Poznań. „Du musst unbedingt mal das alte runde Gebäude der medizinischen Fakultät nahe des Schlosses besuchen“, empfahlen mir Einheimische. Einst war das das Gebäude der Ansiedlungskommission, die für deutsche Siedler im 19. Jahrhundert zuständig war. Und so gab es dann auch mal bei uns Besitz östlich von Gniezno. Da Siedlungen und Friedhöfe in der Regel immer gemeinsam daherkommen, so war es schier unausweichlich, dass auch einer Unserer hier noch begraben liegt. Es ist schon ziemlich krass, dass es heute trotz GoogleMaps und anderen digitalen Kartenwerken noch Orte gibt, von denen die genannten Portale keinen blassen Schimmer haben. Da hilft nur das Archiv. Nach einem vergleichenden Blick machte es „Klick“, und schon war ich für einen stolzen Preis Besitzer eines Paars Gummistiefel. Als der Efeu auftauchte, wusste ich, dass ich richtig war.
Die Natur hat sich zu 90 Prozent alles zurückgeholt, aber dreht man die Uhr zurück, dann war das hier mal ein richtig schöner Ort mit Blick auf einen malerischen See. Was mir aber hier wieder in der Zivilisation angekommen auffiel, waren diese misstrauischen Blicke. Hier war ein Fremder. Was will der hier? Da half nicht mal mein Posener Kennzeichen. So intensiv hatte ich das schon sehr lange nicht mehr erlebt. Ich würde sagen, dass ich mich hier relativ gut integriert habe. Mich freut es, wenn ich in manchen Situationen für einen Einheimischen gehalten werde. Andererseits bringen einen ein Hundeblick und ein Outen gelegentlich auch schon mal weiter. Auf dem Sportplatz (zwei Sitzplatztribünen und ein überdachtes Mikro-Mini-Tribünchen sowie vermooster Laufbahn) von Hetman Orchowo hielt mich die lokale Trinkerfraktion scheinbar für einen Artgenossen, wenn ich das Schütteln der Hand korrekt interpretiere. Ist das schon Assimilation? Für einen Augenblick dachte ich schon daran, mir auch einen Schal zu holen oder nach einem Hemd zu fragen. Aber nein, heimatliche Gefühle hin oder her, so weit reicht es dann doch noch nicht. Mag das Sammeln von Souveniren auch noch so schön sein, man braucht auch den Platz dafür. Zu meinem zur Eintrittskarte gehörenden Konin-Schal, der in der Tombola gewonnenen Tasse von Orzeł Granowo und dem T-Shirt von Sparta Oborniki gesellte sich vorerst kein Stoff von Hetman Orchowo. In der untersten Spielkasse gab es eine deftige Heimniederlage (0:5) vor ca. 50 Zuschauern, unter welchen auch auf Seiten der Gäste ein paar Trikotträger waren.
Nielba Wągrowiec – Polonia Chodziez
Eine Fahrt mit der Bahn stand an. Zusammen mit einem Kumpel ging es zum Freundschaftsduell nach Wągrowiec. Nielba konnte noch aufsteigen, für Polonia ging es nur noch um die Ehre. Der Aufenthalt am Hauptbahnhof dauerte übrigens länger als die Fahrt! Aber ich sage mal so: Selten hatte ich bisher ein so gutes Fotowetter für die baulichen Attraktionen in der Innenstadt. Da musste ich mich doch ganz schön beeilen. Wenn man sonst im Alltag nicht zum Quatschen kommt, ist eine einstündige Fahrt auch schnell mal um. Das Kulturprogramm (Kirche, jüdischer Friedhof, Seepromenade) und ein Essen in einem einen deutschen Namen tragendem Gasthaus überbrückten die gut zwei Stunden Puffer bis zum Anstoß locker. Sehr häufig treffe ich hier übrigens im Alltag auf deutsche Familiennamen. Da reicht nur ein Spaziergang über den aufgegeben Friedhof nahe des Bahnhofs Poznań-Dębiec aus, um festzustellen, dass im 19. Jahrhundert und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Deutsche und Polen eifrig Beziehungen eingingen.
Ab zum Spiel: Vorher musste man noch nach Tickets anstehen. Aber alles halb so wild. Pünktlich zum Anstoß saßen wir auf unseren Plätzen. Neben uns stand ein zahlenmäßig starker Fanszenen-Mischmasch. Besungen wurden Nielba, Polonia, Notec Czarnków und Carina Gubin. In einem lahmen Spiel vor stattlicher Kulisse reichte es für Nielba nur zu einem Unentschieden. Es war die Vorentscheidung im Aufstiegsrennen. Nielba in Liga 4 wäre mir lieber gewesen als Kotwica Kórnik. Dem Nielba-Mob offensichtlich auch, der die Spieler nach dem Spiel zur Rede stellte. Das auf den Rängen Gebotene war dagegen im wahrsten Sinne des Wortes ein Feuerwerk. Drei Aktionen gab es insgesamt, dabei rauchte und leuchtete es ohne Ende.
Zwar gab es im Mai und Juni noch weitere Spiele, doch zu den schmackhaftesten zählten sie nicht. 24/25 kann kommen!
Fotos: Michael