Um etwaigen Berliner Strolchen aus dem Wege zu gehen, wählte ich morgens den ersten Zug nach Stralsund, um von dort aus weiter nach Rostock zu düsen. Meine Partnerin und ich hatten vor wenigen Wochen gute Erfahrung mit diesem frühen Regio gemacht, als wir zu unserem Urlaub nach Binz uns in aller Herrgottsfrühe auf den Weg gemacht hatten. Nachts um vier wirkt der Berliner Hauptbahnhof meist wie ausgestorben, und im Zug gen Küste waren wir gefühlt die einzigen. Das sah am gestrigen Morgen jedoch etwas anders aus. An vielen Ecken lagen meist junge Leute verstreut und schliefen auf Jackenhaufen und Taschen. Die „Rave the planet parade“ zog am Samstag rund 200.000 Tanz- und Feierwütige aus Nah und Fern an, und somit suchten nicht wenige nach der Veranstaltung Unterschlupf im Hauptbahnhof, um morgens die ersten Züge zu erwischen.
Hansa Rostock vs. Hertha BSC: Das Meerschweinchen, der Haltepunkt und gute Freunde
Stimmungsvideo Hansa Fans gegen Hertha (Klicke auf das Bild):
Ich war heilfroh, dass ich Kopfhörer dabei hatte, denn der Regionalexpress nach Stralsund um 04:26 Uhr war recht ordentlich gefüllt, und der / die eine oder andere hatten noch Rest-Energie, um sich über den zurückliegenden Tag auszutauschen. Egal! Knopf ins Ohr und fleißig gewischt. Rund 300 TikTok-Clips später passierte der Zug Greifswald, und beim Blick auf Facebook fiel sogleich ein aktuelles Foto vom Reise- und Koch-Künstler Alexander, der dem OFC und Hansa die Daumen drückt und am Tag zuvor eine „knusprige Goldente von der Weberkugel“ verspeist hatte, ins Auge. „Leinen los im RE 9. Nächster Halt Hansestadt Rostock. Aus Liebe zum Spiel.“
Der Morgen war gerettet! Ich kaufte fix beim Umsteigen für sattes Geld zwei gut gekühlte Flaschen mit Stralsunder Braukunst und traf Alexander am Ende des Bahnsteigs. Bier und Pfeffi und kurzweiliger Schnack ließen die einstündige Fahrt entlang der Küste kurzweilig werden. Meinen Plan, vor dem DFB-Pokalspiel gegen Hertha BSC noch rasch nach Warnemünde zu düsen, verwarf ich. Stattdessen wurde morgens um neun die "Rote Erde" und der "Haltepunkt" angesteuert. Um 11 Uhr sollte es dann zum Pokalspiel der Hansa-Frauen gegen den VfL Bochum gehen. Ich hatte diese Partie im Volksstadion überhaupt nicht auf dem Schirm gehabt, fand die Idee jedoch klasse.
An der Roten Erde sagten sich zu solch früher Stunde noch der Fuchs und Frau Elster ganz verschlafen Guten Morgen, und wir halfen mal eben, eine schwere Mülltonne in einem Container zu entleeren. Dafür erhielten wir den Tipp, wo es bereits ein Kühles Blondes zu so früher Stunde geben könnte. Auf jeden Fall beim Bäcker und eventuell im „Haltepunkt“. Direkt am Ascheplatz von Neptun Rostock fiel ein kleines mobiles Gehege ins Auge, in dem ein Meerschweinchen das satte Klee mampfen durfte. Eine Frau saß mit einer Tasse Ingwer-Tee davor und beobachtete traurig das Meerschweinchen beim Zerkauen der saftigen Blätter. Das andere Meerschweinchen sei leider verstorben und dort drüben am Hügel begraben, wurde uns erklärt. Nun müsse sie sich auch von diesem Meerschweinchen verabschieden und es sei das letzte gemeinsame Frühstück auf der Wiese. Dann müsse es zur eine Auffangstation gebracht werden, da Meerschweinchen nicht allein leben können. Weshalb sie nicht einfach ein Zweites kauft, blieb ungeklärt. Zu surreal erschien das Ganze, sodass wir ein wenig erstaunt und verwirrt weitergingen.
Im „Haltepunkt“ waren wir tatsächlich die allerersten Gäste - der frühe Vogel fängt tatsächlich den Wurm -, und der Zapfhahn wurde schon mal in Betrieb genommen. Eine feine Sache! Eine feine Sache war zwei Stunden später auch das DFB-Pokalspiel der Frauen des F.C. Hansa Rostock. Zwar gab es sportlich gegen den Zweitligisten VfL Bochum nix zu holen, doch überraschte die Kulisse auf jeden Fall! Auf den Rängen des Volksstadions war gut was los, und an der einen Ecke hatten sich sogar ein paar VfL-Fans mit Schwenkfahne und Zaunfahnen postiert.
Ein 0,4er Bier war für faire drei Euro zu haben, und immerhin bis zur zur 21. Minute konnten die Hansa-Damen ihren Kasten sauber halten. Dann schlug die VfL-Spielerin Nina Lange zu und erzielten den ersten Treffer des Tages. Allein sie konnte noch drei weitere Treffer nachlegen. Die anderen Tore schossen Alina Angerer (2x), Lucy Karwatzki, Lilian Huber und Anna-Luisa Figueira Marques. Am Ende stand es 10:0 für den VfL Bochum, und der Aufsteiger aus der Rostock musste am gestrigen Nachmittag gegen den routinierten Zweitligisten viel Lehrgeld zahlen.
Nach einem weiteren Zwischenstopp im „Haltepunkt“ ging es schließlich ins Ostseestadion, wo Hansa die Jungs von Hertha empfing. An der Südtribüne war wieder das fette ULTRAS-Banner befestigt, und nach dem „Hansa forever“ stieg blauer und weißer Rauch empor. Im Gästeblock wurden erst im späteren Verlauf des Spiels ein paar vereinzelte Blinker und drei, vier Bengalos gezündet. Dieses Mal sollte die Vereinskasse nicht allzu sehr strapaziert werden, und die an den DFB zu zahlende Strafe dürfte sich in Grenzen halten.
Auf dem Rasen konnten die Männer des F.C. Hansa etwas länger ihren Kasten sauber halten als die Frauen. So war immerhin bis zur 38. Minute das 0:0 auf der Anzeigetafel zu lesen. Würde heute was gegen Hertha gehen? Ein Rostocker Sieg im Pokal wäre doch mal richtig adrett! Weniger adrett war das 0:1 in der besagten 38. Minute. Hansa bekam nach einem hereingebrachten Freistoß den Ball nicht aus der Gefahrenzone und Derry Lionel Scherhant schlug zu. 1:0 für Hertha - und der Gästeblock tobte vor Freude.
Laut wurde es unmittelbar nach der Pause. Nach einem Rückpass machte Hertha-Keeper Marius Gerbeck einen kapitalen Fehler und Neuzugang Albin Berisha war zur Stelle! 1:1 - und nun feierten die Hansa-Fans richtig ab. Zwar erforderte der Treffer nicht wirklich viel Können, doch muss man als Stürmer manchmal einfach nur fix reagieren können. Gut gemacht vom neuen Stürmer des FCH - für ihn natürlich ein toller Einstand im Trikot mit der Kogge auf der Brust.
Überraschung möglich? Nein, leider nicht! Ab der 66. Minute zeigte Hertha BSC spielerische Klasse. So wurde Ibrahim Maza mustergültig angespielt, und dieser schob souverän unten rechts ein. 2:1 für Hertha BSC, und man ahnte, dass es nix mehr werden würde. Zum Vergessen war dann aus Hansa-Sicht die Schlussviertelstunde. Hertha nahm nun Hansa locker auseinander und Marten Winkler und Florian Niederlechner (2x) machten den Sack zu. 5:1 lautete der Endstand. Mit dem gleichen Ergebnis siegte einst vor 31 Jahren Hertha BSC gegen Hansa in der zweiten Bundesliga beim ersten von mir gesehenen Aufeinandertreffen im Berliner Olympiastadion.
Schade! Zwar war die letzte halbe Stunde desolat, doch wäre unter dem Strich durchaus was möglich gewesen. Ich sah in der ersten Stunde bei Hansa nicht nur Schlechtes, und ich kann mir vorstellen, dass die beiden Neuzuänge aus Tschechien und dem Kosovo durchaus einschlagen können. Drei Punkte im Ligabetrieb gegen die „Amateure“ von Borussia Dortmund müssen nun her!
Nach dem Spiel ließen wir es in anderer Konstellation in der Rostocker Gartenstadt auf der Datsche von Heiko in kleiner gemütlicher Runde ausklingen. Neben einem alten Stern-Radiorekorder durfte ich schließlich gegen Mitternacht Quartier beziehen, und ich muss sagen, dass ich lange nicht mehr so fest wie ein Murmeltier geschlafen habe. Die frische Gartenluft, die Stille, das Gefühl, an der Küste zu sein - das passte einfach! Hoffen wir, dass es bei Hansa auch bald im Ligaalltag passt! Ahu!
Fotos: Marco Bertram
> zur turus-Fotostrecke: F.C. Hansa Rostock
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