Dynamo Dresden vs. Hansa Rostock: Klassiker-Historie, Fahnenraub 1988, Teepott 2014

Dynamo Dresden vs. Hansa Rostock: Klassiker-Historie, Fahnenraub 1988, Teepott 2014

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Betrachtet man den DDR-Fußball, so waren es in jedem Jahrzehnt andere Fußballvereine, die die DDR-Oberliga bestimmt haben. So gaben in den 50er Jahren der SC Wismut Karl-Marx-Stadt und Turbine Erfurt den Ton an. In den 60ern war es ganz klar der ASK / FC Vorwärts Berlin, der im DDR-Fußball die erste Mandoline gespielt hatte, der SC Empor Rostock / F.C. Hansa Rostock wurde in jener Zeit viermal Vizemeister. Die SG Dynamo Dresden, der 1. FC Magdeburg und der FC Carl Zeiss Jena fochten in den 70er Jahren spannende Dreikämpfe aus, von 1979 bis 1988 war es dann der BFC Dynamo, der als Serienmeister zehnmal in Folge den Titel holen konnte. Kurz vor und nach der Wende waren es dann Dynamo Dresden und Hansa Rostock, welche die Gunst der Stunde nutzen und den BFC Dynamo ablösen konnten.


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Video Dynamo Dresden & Hansa Rostock: Von Fanfreundschaft bis Rivalität


Während die SG Dynamo Dresden 1988/89 und 1989/90 DDR-Meister werden konnte, gelang 1990/91 dem F.C. Hansa Rostock der große Coup und wurde letzter DDR-/Nordost-Meister. Hansas erster Meistertitel wurde im heimischen Ostseestadion ausgerechnet gegen Dresden am 4. Mai 1991 mit einem 3:1-Sieg vorzeitig gesichert. Gemeinsam mit dem 1. FC Dynamo Dresden - nun mit grünem Wappen - konnte sich Hansa somit für die erste gesamtdeutsche Bundesliga-Saison 1991/92 qualifizieren. Während sich Dynamo Dresden bis 1995 im Fußballoberhaus halten konnte, dann aber nach der „Otto-Katastrophe“ finanziell arg angeschlagen direkt in die neu geschaffene Regionalliga Nordost runter musste, musste Hansa von 1992 bis 1995 mit der 2. Bundesliga vorlieb nehmen. Unter Trainer Frank Pagelsdorf stieg Hansa im Frühjahr 1995 auf und löste somit nahtlos die Dresdner ab und konnte sich vorerst zehn Jahre am Stück in der ersten Liga halten.


 
Aufgrund des Wechsels trafen Dresden und Rostock von 1992 bis 2005 nicht mehr aufeinander. Ein Wiedersehen mit Schmackes gab es dann in der Zweitliga-Saison 2005/06, in Erinnerungen blieben mit Sicherheit die Duelle in den Drittliga-Spielzeiten 2014/15 und 2015/16. Stichworte: Der SGD-Aufmarsch am Leuchtturm im November 2014 sowie das legendäre 2:2 in Dresden im Frühjahr 2016. Der älteren Generation dürfte auch das Aufeinandertreffen in Dresden am 04. November 1988 in Erinnerung geblieben sein. Der Tag, an dem die Fanfreundschaft zerbrach und Hansa-Fans reichlich Dynamo-Materialien eroberten.


 
Doch rollen wir das Ganze von vorne auf und blicken zunächst auf die allerersten Duelle. Und diese fanden später statt, als die meisten eventuell vermuten würden. Während der neu ins Leben gerufene SC Empor Rostock am 14. November 1954 - mit zahlreichen aus Lauter geholten Spielern - im Ostseestadion gegen das damalige Chemie Karl-Marx-Stadt sein erstes Heimspiel an der Küste austrug, wurde just in jenem Monat die Mannschaft der SG Dynamo Dresden komplett nach Berlin delegiert, um dort unter dem Namen SC Dynamo Berlin eine konkurrenzfähige Mannschaft aufzustellen. Die Dresdner wurden zunächst als Dresdner SG Dynamo in die I. Liga eingestuft, am Ende der Saison ging es gar runter in die II. Liga (damalige dritthöchste Spielklasse).

Als Erster der Liga-Saison 1961/62 stieg die SG Dynamo Dresden wieder in die DDR-Oberliga auf, musste aber bereits 1963 wieder absteigen. Während Empor / Hansa Rostock wie eingangs erwähnt in den 60er Jahren viermal Vizemeister wurde, konnte sich Dynamo Dresden erst ab Ende der 60er Jahre als echte Größe des DDR-Fußballs etablieren. Aufgrund der genannten Umstände gab es erst am 23. September 1962 das erste Aufeinandertreffen von Empor Rostock und Dynamo  Dresden in der DDR-Oberliga. Vor 18.000 Zuschauern konnten die Rostocker mit 2:0 gewinnen, die Treffer erzielten Heinz Weber und Knut Wittenbrecher.


 
Den ersten Dresdner Sieg gab es am 6. Dezember 1964 zu sehen, in den Folgejahren konnte Dynamo Dresden die Bilanz gegen Empor / Hansa positiv gestalten. Vor allem auswärts war für Rostock gegen die SGD wenig zu holen, jedoch gab es Ausnahmen. So wussten die Rostocker am 21. Mai 1983 im Dynamostadion vor 21.000 Zuschauern zu überraschen, in dem sie Dank der Tore von Axel Schulz, Christian Radtke, Andreas Zachhuber und Frank Rillich mit 4:1 gewinnen konnten. Jeweils einen 5:0-Heimsieg der SG Dynamo gab es am 21. April 1984 und am 4. November 1988 zu sehen.


 
Bis zu jenem 4. November 1988 war das Verhältnis zwischen Teilen der SG Dynamo Dresden und des F.C. Hansa Rostock durchaus als freundschaftlich zu bezeichnen. Das ging sogar soweit, dass ein paar SGD-Fans mit zwei, drei Kästen Bier ihre Freunde in Rostock abholten und gemeinsam mit dem Zug wieder runter zum Heimspiel nach Dresden fuhren. Hoch die Tassen auf den FCH und die SGD. Auch der Bolzen durfte im Konsum-Netz oder im Hirschbeutel nicht fehlen.


 
Manche hatten Sympathie, manche waren befreundet - am besagten 4. November 1988 sollte sich alles ändern. Noch während die Partie lief, hatten sich Hansa-Fans draußen vor dem Block gesammelt. Und dann wurde völlig aus der Kalten kurzerhand der Dresden-Block gestürmt. Es kam zu Boxereien, die sich später nach draußen verlagerten. Ein Fahrradfahrer wurde vom Rad gestoßen, dieses wurde anschließend in die Windschutzscheibe eines PKWs geworfen.

Baldi und NB-Frank wussten im Interview im Wälzer „Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See“ davon zu berichten. Die Rostocker hatten damals reichlich Material gezogen, ein Teil wurde am nächsten Morgen vor einem Ausbildungswohnheim verbrannt. Allerdings wurde inmitten des Gefechts eine große Fanclub-Fahne an die Dresdner zurückgegeben. Man zeigte sich mit Schals und „normalen“ Fahnen zufrieden. Den Bogen wollte man sicherlich nicht überspannen.


 
Die Fanfreundschaft zwischen Hansa und Dynamo war zwar fortan Geschichte, doch war Anfang und Mitte der 90er Jahre durchaus zu beobachten, dass sich einzelne erkennbare Dynamo-Fans bei Auswärtsspielen von Hansa im Gästebereich sehen ließen. Zum einen bestanden weiterhin einzelne Kontakte, zum anderen unterstützte man schon mal den anderen Leuchtturm des Ostens, um gemeinsam die Fahne im Fußball-Osten hochzuhalten.


 
Ordentlich Würze war drin, als am 22. Februar 2006 der F.C. Hansa Rostock in Dresden antrat. Endlich mal wieder eine Sause nach Elbflorenz - und wirklich jeder hatte richtig Bock drauf! Zweimal musste das Spiel verschoben werden, der Sonderzug rollte trotzdem mit rund 600 Hansa-Fans gen Sachsen. Die Vorfreude war auf Seiten der Sachsen dermaßen groß, dass im Gästeblock Geschenke in Form von Fischinnereien ausgelegt wurden. Da es nur drei Wochen zuvor in Stendal mächtig gekracht hatte, war die Polizei an jenem Tag gut auf Zack. Glasflaschenverbot, kreisende Hubschrauber - das volle Programm.

Rund 1.900 Hansa-Fans hatten sich im Gästeblock eingefunden, und zu Beginn der zweiten Halbzeit hieß es: Feuer frei! Fackeln, Rauch und Leuchtspuren. Zudem verbrannten die Rostocker das GNB-Banner (Giallo Nero Bastardi). Auch im Heimbereich ging einiges in Flammen auf, und zudem bewiesen die Sachsen Humor, indem sie auf das berühmte „Wann? Wo? Wie viele?“ eine passende Antwort parat hatten: „20 Uhr. Lennéplatz. 1.500!“


 
In jüngerer Vergangenheit blieb das Drittliga-Duell am 29. November 2014 hängen. Für Rostock wurde dies in doppelter Hinsicht ein gebrauchter Tag. Zum einen konnte die SGD verdient mit 3:1 gewinnen, zum anderen schaffte es ein Dynamo-Mob über Nacht in Warnemünde einzusickern. Am frühen Vormittag wurde sich nahe des Neptun Hotels getroffen, anschließend ging es unter Polizeibegleitung zu Leuchtturm und Teepott, um sich dort mit dem UD-Banner zu postieren. Für die Rostocker war es nicht möglich, auf die Schnelle nach Warnemünde zu gelangen, da die Polizei die wenigen Zufahrtsstraßen kontrollierte.

Aus Rostocker Sicht blieben die zwei Auswärtsspiele 2015 und 2016 positiv hängen. Zwar verlor Rostock am 23. Mai 2015 (38. Spieltag) mit 1:2, doch konnte Dank des Erfurter 1:0-Siegs gegen Unterhaching dann doch noch der mehr als glückliche Klassenerhalt gefeiert werden. Meine Güte, was rollten während der Partie im Gästeblock für Angstschweißtropfen die Gesichter herunter. Phänomenal verlief die Schlussphase der Partie an gleicher Stelle am 19. März 2016.

Nach einer halben Stunde ging Dresden mit 1:0 in Führung, in der 82. Minute feierten die Rostocker den Ausgleich durch ein Eigentor. Als Robert Andrich in der 87. Minute das 2:1 für die SG Dynamo klar machte, schien die Partie gelaufen. Wieder keine Punkte in Dresden! Jedoch zeigte Hansa - lautstark angetrieben von Torwart Marcel Schuhen - echte Moral. So zog in der 90. Minute Maximilian Ahlschwede einfach mal ab. Bähm! 2:2-Ausgleichstreffer - und im Gästeblock ging die Post ab. Das „Ahu!“ hallte an jenem Nachmittag ganz sicher bis zum Zwinger!


 
Ein Wiedersehen gab es in den Corona-Spielzeiten 2020/21 (3. Liga) und 2021/22 (2. Bundesliga). Vor 10.000 zugelassenen Zuschauern konnte der F.C. Hansa Rostock am 6. Februar 2022 überraschend deutlich mit 4:1 die Oberhand behalten. John Verhoek und Nils Fröling machten jeweils zwei Buden - bereits nach 18 Minuten führte der FCH mit 4:0! Hansa hätte deutlich höher gewinnen können, doch wurde das Tempo im Laufe der Partie ein wenig herausgenommen.

So oder so war jener 4:1-Sieg ein echter Paukenschlag. Solch einen Auswärtssieg könnte Hansa Rostock in der aktuellen sportlichen Situation gewiss gebrauchen. Sag niemals nie - das Spiel fängt immer bei null an und hat 90 Minuten. Dafür werfe ich gern 1965 blau-weiß-rote Groschen ins schwarz-gelbe Phrasenschwein! Ahu!


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Video Dynamo Dresden & Hansa Rostock: Von Fanfreundschaft bis Rivalität



Fotos: Marco Bertram, Hansa-Fanclub Udopia, Michael, Heiko Neubert, Klischi, Keili, frontalvision.com, Stephan

Und jetzt kommt die Reklame: Die ganze Story vom Vorfall am 04. November 1988 in Dresden ist im 512-seitigen Wälzer "Kaperfahrten - Mit der Kogge durch stürmische See" nachzulesen. Bereits im Layout und in diesem Herbst im Druck ist der neue 512-seitige Wälzer „Kaperfahrten II - 65 Grad Kurs Ost-Nordost!

Segel setzen - Kurs aufnehmen! Die Kaperfahrten werden mit "Kaperfahrten II - 65 Grad Kurs Ost-Nordost" fortgesetzt! Dabei geht der Blick zurück in die 70er und 80er Jahre, als es mit der Simson von Malchin nach Rostock oder in besagter „polnischer Bomberjacke“ auswärts nach Leipzig-Leutzsch und Erfurt ging. Abstiege, Aufstiege, eisige Katastrophenwinter, lange Touren nach Nitra und Ostrava. Mal flog das Gepäck aus dem D-Zug, mal wurde nächtelang in der Bahnhofsmitropa gezecht, und mal wurde unter dem morschen Gebälk einer Ruine gepennt.

Dabei wird der Bogen geschlagen bis in die Gegenwart. Bis zum genialen Aufstieg 2021 und dem Blick in die Zukunft. Zu Wort kommen Hansa-Fans aller Couleur, die teils seit Ende der 60er und Mitte der 70er dem F.C. Hansa die Treue halten. Ergänzt wird das Ganze durch Berichte aus jüngerer Vergangenheit und einem halb-fiktiven Roman-Kapitel zu Beginn des Buches. Das Ganze ist eine aufregende, spannende blau-weiß-rote Kaperfahrt durch die Jahrzehnte.
Segel setzen, Kurs aufnehmen, 65 Grad Ost-Nordost.
Band II ist eine weitere echte Liebeserklärung an den besten Club der Welt. Ahu!

Interesse? Einfach eine Mail an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! senden oder auf folgende Webseite gehen:

> Infos & Vorbestellung auf www.marco-bertram.de

Artikel wurde veröffentlicht am
20 September 2024

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