Manches konnte bereits im Rahmen diverse Fußballspiele bestaunt werden, doch dass ein Typ direkt neben den Zapfsäulen einer Tankstelle einen Fanschal anzündet und anschließend das lodernde Stück umherschwenkt, ist an Skurrilität nicht mehr zu überbieten. So geschehen in Sichtweite zum Dynamo-Sportpark in Eisenhüttenstadt kurz vor dem mit Spannung erwarteten Derby zwischen dem FSV Dynamo und dem EFC Stahl. Kommt doch! Nachdem der Schal abgebrannt war, warf der Kerl den verkohlten Rest auf den Boden und forderte uns mit rudernden Armen zum Match heraus. Wen? Meinen Kollegen und mich, die zufällig am Rande des Geländes Augenzeuge der grenzwertigen Feuer-Aktion wurden. Gut, dass sich ein Jägerzaun und Gebüsch zwischen dem Feuerteufel und uns befanden. Fix paar Schritte weiter gegangen und sich dem Treiben im Stadion zugewandt.
Skurriles Derby in Eisenhüttenstadt: FSV Dynamo unterliegt dem EFC Stahl
HotEs war nicht das einzige Ereignis, das den Fußballnachmittag in der unmittelbar an der deutsch-polnischen Grenze befindlichen Industrie-Metropole skurril werden ließ. Bereits beim Fußmarsch vom Bahnhof zum Dynamo-Sportpark fragte man sich, was einen wohl heute erwarten würde. Auf der Beeskower Straße kurz vor dem Überqueren des Oder-Spree-Kanals konnten aus der Ferne unzählige Böller vernommen werden, die irgendwo zwischen den Neubauten detonierten. Wieder und immer wieder. Je weiter man später die Karl-Marx-Straße entlanglief, desto heftiger hallten die Polenböller. Am Sportpark herrschte allerdings Ruhe. Keine polnischen Hooligans in Sicht, die eventuell dieses Stadtduell für eine Menge Spaß und Radau entfremden könnten.
Für 3,50 Euro erhielten die Zuschauer Zutritt, Ordner warfen durchaus einen genauen Blick bei den Ankömmlingen. Bemerkenswerte Musikeinlagen und Glühwein für 1,50 Euro rundeten das Stadionerlebnis bereits vor Anpfiff ab. Nachdem der besagte Kerl an der Tankstelle seinen Hass auf Dynamo mehr als deutlich der Öffentlichkeit mittgeteilt hatte, kamen fix zwei Streifenwagen der Polizei vorbei, die an der Ecke des Sportparks eine kleine Gruppe EFC-Fans abfingen. Mit der Kiste Bier in der Hand wurden sie kurz zur Rede gestellt und konnten im Anschluss das Spiel vom Zaun aus verfolgen. Dort blieben sie nicht die einzigen. Rund 20 Fußballfreunde zogen es vor, von dort aus das Spiel zu beobachten.
Der Dynamo-Sportpark besteht nur aus einer einzigen flachen unüberdachten Tribüne, von der aus die Fans gemeinsam das Spiel sehen durften. Im hinteren Bereich der kleine Dynamo-Anhang, im vorderen Abschnitt die schätzungsweise 200 Zuschauer, die dem EFC Stahl die Daumen drückten. In der Mitte standen zudem einige Fans aus Vogelsang, die sich im Laufe des Spiels immer lauter bemerkbar machten. Kurz vor Anpfiff kam Betriebstemperatur auf. War aus den Lautsprechern wirklich die Hymne von Dinamo Zagreb zu hören? Bereits zuvor wurde einiges, was generell einen Bezug zu „Dynamo“ hat, abgespielt. Manch eigenes, manches aus anderen Stadien. Während der Kern der Dynamo-Eisenhüttenstadt-Fanszene beim Einlaufen der Mannschaften die Fahnen schwenkte, zeigten die EFCer ein Spruchband: „Erst in Zeiten der Unruhe kann man Treue erkennen.“
Anders als man wahrscheinlich vermuten würde, gab es Dynamo Eisenhüttenstadt zu DDR-Zeiten noch nicht, sondern wurde erst im Jahre 1999 nach der Loslösung vom damaligen PSV Eisenhüttenstadt neu gegründet. Von ganz unten kletterte der Verein stetig nach oben und spielt seit der Saison 2006/07 im Dynamo-Sportpark. In der letzten Spielzeit konnte der sportliche Verbleib in der Landesliga Süd denkbar knapp gesichert werden. Der Vorsprung auf den SV Grün-Weiß Lübben betrug gerade einmal drei Punkte. Allein der Tatsache, dass Lübben in den letzten beiden Partien nicht über ein Remis hinaus kam (2:2 und 4:4!), ist es verdanken, dass auch 2013/14 der FSV Dynamo siebtklassig ist. Gut so, denn somit kam es aufgrund des Abstieges des Eisenhüttenstädter FC Stahl zum ersten Mal zum Stadtduell.
In der aktuellen Saison kämpft Dynamo wieder gegen den Abstieg, der EFC Stahl möchte den hässlichen Betriebsunfall wieder gutmachen und sofort in die Brandenburg-Liga zurückkehren. Alles bitter genug, wenn man bedenkt, dass der EFC Stahl – wie auch der nördliche Nachbar Vorwärts Frankfurt (nun 1. FC Frankfurt) – einst sogar drei Jahre in der DDR-Oberliga gespielt hatte. In der Ewigen Tabelle ist der Verein auf Rang 29 zu finden. In der Ewigen Tabelle der DDR-Liga (zweihöchste Spielklasse) ist der EFC Stahl hinter der BSG Wismut Gera auf dem zweiten Platz auszumachen. 30 Spielzeiten wurden in jener Spielklasse absolviert.
Das Stadtduell beim FSV Dynamo wurde jedoch kein Selbstläufer. Die Hausherren fanden gut in die Partie und kamen sogar zu vielversprechenden Möglichkeiten. Allerdings traf EFC-Spieler Tony Raddatz den Pfosten und sorgte somit für ein Achtungszeichen. Nachdem es mit dem Spielstand von 0:0 zum Pausentee ging, wollte Dynamo zu Beginn des zweiten Spielabschnitts sogleich an die couragierte Leistung der ersten Hälfte anknüpfen. Und das mit Erfolg! In der 50. Minute gelang Kevin Frühauf das 1:0 für die Gastgeber. Für den neutralen Besucher ein perfektes Szenario, denn nun musste der EFC Stahl definitiv ein Schippchen drauf legen. Man durfte gespannt sein, was Trainer-Urgestein Harry Rath für taktische Anweisungen geben würde. Persönliche Anekdote: Beim selbst gesehenen DFB-Pokalspiel Rot-Weiss Essen gegen EFC Stahl am 10. Oktober 1992 stand Harry bereits an der Linie musste mit ansehen, wie zum einen seine Mannschaft auf dem Rasen unglücklich mit 2:3 (nach zweimaliger Führung) vor 8.000 Zuschauern im Georg-Melches-Stadion verlor und wie zum anderen die wenigen mitgereisten Stahl-Fans von Essenern verprügelt wurden. Die frühen 90er waren rau. Dem kleinen Gästeanhang wurde nicht mal ein eigener Block gewährt.
Verprügelt wurde am vergangenen Samstag glücklicherweise niemand, und auch der Schal-Verbrenner wurde nicht mehr aktiv gesichtet. Die Gästespieler nahmen sich nun der Sache an und kamen in der Folgezeit zu Toren. Nach gut einer Stunde konnte Marcus Kerl einen Patzer nutzen und den Ausgleich zum 1:1 erzielen. Zwar blieb die Dynamo-Elf bemüht, doch langsam aber sicher bekam der Favorit die Oberhand. Danny Grünberg machte das 2:1 für den EFC Stahl klar und zwei, drei Kassenrollen sausten durch die Luft. In der Schlussphase konnten dann Duncan Kaiser und Marcus Kerl zum 3:1 bzw. 4:1 nachlegen und für einen erwarteten deutlichen Sieg sorgen. Da nutzten auch die Gesänge der Fußballfreunde aus Vogelsang nichts, die immer wieder ein „Nieder mit dem Eisen, nieder mit dem Stahl. Nieder mit Eisenhüttenstadt, das singen wir noch mal!“ zum Besten gaben.
Nach Abpfiff gabe es auf beiden Seiten noch eine Portion Rauch. Bei Dynamo klatschten die Spieler enttäuscht bei den Fans ab, beim EFC machten die Spieler ein kleines Tänzchen. Das von den EFC-Fans zuvor gesungene „Wir steigen auf – und ihr steigt ab!“ könnte am Ende der Saison in der Tat zur Realität werden. Doch bis es soweit ist, muss ein alter Bekannter auf Abstand gehalten werden. Der FSV „Glückauf“ Brieske/Senftenberg konnte zuletzt 2:0 in Guben gewinnen und bleibt ebenfalls im Rennen. Als BSG Aktivist ist dieser Verein in der Ewigen Tabelle der DDR-Liga auf Rang 34 zu finden. Anfang der 50er Jahre wurde als BSG Aktivist Brieske Ost sogar im Fußballoberhaus gekickt.
Fotos: Marco Bertram
> zur turus-Fotostrecke: Impressionen vom Eisenhüttenstädter Derby