Bitter, aber wahr: Zuletzt bekamen polizeiliche Einsatzkräfte ihr eigenes Pfefferspray „zu schmecken“. Im Rahmen des Zweitligaspiels Arminia Bielefeld vs. SG Dynamo Dresden wurden zwei Beamte schwer verletzt, mit erheblichen Augenverletzungen mussten sie in ein Krankenhaus gebracht werden. In diversen Foren war im Nachfeld an zahlreichen Stellen ein „geschieht ihnen mal ganz recht“ zu lesen. Allzu oft wurden in letzter Zeit landesweit Fußballfans mit Reizgas eingenebelt. Betroffen waren nicht selten unbeteiligte Personen, die einfach mal Pech hatten, im gleichen Block, am gleichen Stadioneinlass, auf dem gleichen Bahnsteig oder in der gleichen Unterführung zu stehen. Welch verheerende Auswirkungen der enthaltene Wirkstoff Oleoresin Capsicum haben kann, konnte zuletzt in Bielefeld beobachtet werden.
Polizeieinsätze beim Fußball: Schluss mit dem Einsatz von Reizgas bzw. Pfefferspray!
HotSchwere Augenverletzungen?! Den beiden Beamten wurde sicherlich der zuvor entwendete Reizstoff aus kurzer Distanz in die Augen gepfeffert. Fatal und durch nichts zu entschuldigen. Allerdings trifft dies genauso bei den allzu häufig locker sitzenden Fingern am Abzug der Sprühgeräte der polizeilichen Einsatzkräfte zu. Wie hierzulande mitunter vielerorts großzügig Pfefferspray verteilt wird, geht auf gut Deutsch gesagt auf keine Kuhhaut. Dass das Pfefferspray eine Distanzwaffe ist und es sich hierbei im Prinzip um ein chemisches Kampfmittel handelt, geht scheinbar immer noch nicht in das Hirn manch eines Beamten bzw. Einsatzleiters rein.
Kampfmittel? So ist es! Nicht ohne Grund ist der Einsatz dieser Reizstoffe durch die Bundeswehr (auch Feldjäger) im Auslandseinsatz nicht gestattet. Nach dem Protokoll über das Verbot der Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen sowie von bakteriologischen Mitteln im Kriege - kurz Genfer Protokoll - ist der Einsatz gegenüber Angehörigen gegnerischer Streitkräfte verboten. Nach dem verheerenden Einsatz von Giftgas im Ersten Weltkrieg wurde am 17. Juni 1925 das Genfer Protokoll unterzeichnet. Zu lesen ist es unter anderen im Reichsgesetzblatt Teil II aus dem Jahre 1929. Genauer gesagt: Nummer 19, Seite 174 bis 177. Dieses Genfer Protokoll hat auch in der Gegenwart noch Gültigkeit.
Kurioserweise fanden sich in zahlreichen Ländern gesetzliche Wege, den Einsatz von Reizstoffen bei der Polizei zuzulassen. Was Bundeswehrsoldaten bei UN- bzw. NATO-Einsätzen in Kabul oder Pristina – zum Beispiel bei Demonstrationen in der Hauptstadt des Kosovo oder in der geteilten Stadt Mitrovica – nicht erlaubt ist, wird polizeilichen Einsatzkräften hierzulande auf Demos und bei Fußballspielen ermöglicht. Reizstoffsprühgeräte vom Typ RSG-3 gehören inzwischen bei Polizisten ohne Frage zur Ausrüstung wie die Stullenbüchse beim Kita-Kind. Und nicht nur das! Mitunter tragen Beamte Gerätschaften auf dem Rücken – da könnte man meinen, ein ganzer Urwald müsste entlaubt bzw. von Schädlingen befreit werden.
Nach Gesetzeslage ist eine Anwendung gegenüber Menschen nur bei Vorliegen einer Notlage bzw. bei Notwehr gestattet. Da können tausende Fußballfans nur müde lächeln, wenn die Lage nicht so traurig wäre. Man möchte nicht die Betroffenen zählen, die im Rahmen von Partien von der Bundesliga bis hinunter in die Bezirksligen die fatalen Auswirkungen des Reizgases zu spüren bekamen. Dass die Verletzten dann auch noch mit in die Statistik der Rubrik „Verletzte bei Fußballrandale bzw. Ausschreitungen“ fallen, ist am Ende der blanke Hohn. Und dass allzu oft den Betroffenen in kritischen Situationen die Hilfe verweigert wird, bringt das Fass mitunter zum Überlaufen.
Nun könnte man meinen, der Autor schreibt aus der Distanz vom sicheren Schreibtisch aus. Tut er jedoch nicht. Etliche Male wurde ich Zeuge vom allzu lockeren Umgang mit dem Pfefferspray. Zweimal war ich direkt betroffen, einmal hätte ich – wenn ich Polizist gewesen wäre – auch als Schwerverletzter gelten dürfen. So aber düste ich im Dezember 2008 nach der Erste-Hilfe-Behandlung anonym nach Hause. Aus kürzester Distanz wurde Pfefferspray direkt in die Augen gesprüht. Die Brille sah aus, als hätte Petrus einen Wolkenbruch abgelassen. Zuerst war – nicht zuletzt Dank der Brille – relativ wenig zu spüren. Nach wenigen Minuten war dann jedoch Schluss. An Sehen war nicht mehr zu denken. Nicht vergessen das hämische Grinsen anderer Polizeibeamter, die jegliche Hilfe verweigerten. Der Grund für den gezielten Einsatz: Das Filmen eines Polizeieinsatzes im Stadion. Davon ganz abgesehen konnte beim gesamten Polizeieinsatz von keinerlei Notlage oder gar Notwehr gesprochen werden. Aktiv stürmte die Polizei in den Block des Berliner Mommsenstadion und machte fleißig Gebrauch vom Pfefferspray.
Im wahrsten Sinne des Wortes den Vogel abgeschossen hatte vor zirka zwei Jahren ein sächsischer Polizeibeamter, der in Brandenburg an der Havel ohne nennenswerten Grund – mehr als einen Wortwechsel zwischen einem Fußballfans und ihm gab es nicht – mit sattem Strahl in einen vollgestopften Sonderbus gesprüht hatte. Ja, da fehlten einem die Worte. Dass die Lage nach der Evakuierung des Busses draußen fast eskaliert war, ist wirklich nicht erstaunlich. Brennende Augen und beißende Luft machen selbst einen friedfertigen Familienpapa rasend vor Wut. Dass man bei solch einer Situation am liebsten „so richtig auf die Fresse geben“ würde, liegt im Instinkt des Menschen. Notlage. Notwehr. Hätte der Beamte keine Uniform angehabt, wäre ihm wohl kaum noch zu helfen gewesen.
> zum Video auf FB: Pfefferspray-Einsatz im Bus
Es steht außer Frage, dass es Probleme im Rahmen von Fußballspielen gibt. Darüber brauchen wir uns nicht zu streiten. Allerdings ist mir persönlich kein einziger Einsatz von Pfefferspray bekannt, der die Situation verbessert hatte. Ganz im Gegenteil. Aus eher banalem Geplänkel wurde allzu oft ein wutgeladenes Szenario. Davon ganz abgesehen werden immer wieder Polizeibeamte selbst beim Einsatz von Pfefferspray verletzt – und an dieser Stelle ist nicht nur die Sache in Bielefeld gemeint. Auch diese Zahl fällt anschließend in die berühmte Statistik.
Man kann es drehen, wie man will. Der Einsatz von Reizstoffen muss verboten werden! Zu groß ist das Risiko, dass es voreilig verwendet wird und Unbeteiligte betroffen sind. Nicht ohne Grund fällt Pfefferspray mit in die Chemiewaffenkonvention, die 1993 als Nachfolgeabkommen zum eingangs erwähnten Genfer Protokoll abgeschlossen wurde. Je länger man drüber nachdenkt, desto abstruser der Gedanke, dass es bei Auslandseinsätzen verboten, jedoch im Inland erlaubt ist. Fairness dem Gegner im Kriege, Scheiß auf das eigene Volk! Und wer noch immer die Wirkung von Pfefferspray klein redet, sollte die beiden Bielefelder Polizeibeamten mit ihren schweren Augenverletzungen befragen...
Anmerkung des Autors: Der Anlass des heutigen turus.net-Berichtes war eine gestern gesehene überaus schockierende TV-Dokumentation über die Kampfeinsätze im 1. Weltkrieg.
Fotos: turus.net-Archivbilder
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