Es gibt Spiele, bei denen man als Berichterstatter denkt: Jetzt ein Tor und das Szenario wäre perfekt! 89. Minute: Spielstand 1:1. Ein Blick zum Gästeblock, ein Blick zum Rasen. Irgendwas liegt in der Luft. Eine unsichtbare Kraft scheint das Drehbuch geschrieben zu haben. Kaum war es gedacht, lag der Ball bereits im Hallenser Tor. Aus Rostocker Sicht fast zu schön um wahr zu sein. Zweite Minute der Nachspielzeit. 2:1 für den im Jahr 2014 so arg gebeutelten F.C. Hansa! Für ein, zwei Sekunden schaute der Rostocker Capo völlig entgeistert, dann tauchte er mit ein in der wabernden Masse. Der Gästemob konnte sein Glück kaum fassen. Brachialer Jubel. Hochgerissene Arme, offen stehende Münder, lachende Gesichter. Außer Rand und Band vor Freude. War der Torjubel bereits beim Ausgleich zum 1:1 in der 74. Spielminute beachtlich, so suchte dieser in der Nachspielzeit seinesgleichen. Man erinnere sich: Die letzten Spiele im Jahr 2014. 1:4 in Erfurt, 0:4 gegen Holstein Kiel. Totales Desaster. Der Verein sportlich am Boden.
Hallescher FC vs. Hansa Rostock: Ziemer und Hüsing sorgen für brachiale Party im Gästekäfig
HotNach der Winterpause bereits zwei Siege und zwei Remis. Und nun beim Halleschen FC das Spiel gedreht! In der vergangenen Saison hatte man in Halle bereits mit 2:0 geführt, am Ende standen die Rostocker mit leeren Händen da. Auch damals gab es einen Treffer in der Nachspielzeit. Es war das 4:3 für den HFC! Dieses Mal war das Glück auf Seiten der Nordlichter. Mit voller Inbrunst konnte nun gesungen werden: „Seht ihr Halle, so wird das gemacht!“ Der Abpfiff ertönte und die Party ging weiter. Jeder, wirklich jeder Hansa-Fan blieb im Gästeblock. Fünf Minuten, zehn Minuten. Und länger. Die Ränge ringsherum leerten sich, nur im Block hinter dem Tor verharrten noch einige Mitglieder der Saalefront. Die Hansa-Mannschaft wurde von den mitgereisten Gästefans noch einmal auf den Rasen gerufen. Ein schallendes „Ahu", dann ein kraftvolles von einer Trillerpfeife eingeläutetes „Sieg!!“ und zum Abschluss mit der Mannschaft eine gemeinsame langgezogen Uffta. Ja, aus Rostocker Sicht war es denkwürdiges Spiel. Und dabei waren die ersten 70 Minuten alles andere als verheißungsvoll. Die Uhr zurückgedreht und auf Anfang gegangen!
Kurz vor 11 Uhr. Rund 200 Hansa-Fans erreichten auf dem Schienenweg den Hauptbahnhof der Saale-Stadt Halle. Große Aufregung im Vorfeld, doch eher gemütlich ging alles vonstatten. Der Großteil der Rostocker war entweder bereits in der Stadt oder war mit dem Auto angereist. Während es in der Ferne ab und zu böllerte, trank der eine oder andere Hallenser noch gemütlich ein Bierchen. Der Wettergott meinte es gut mit den Fußballfreunden. Sonnenschein und vorfrühlingshafte Temperaturen für das Nordostduell Hallescher FC vs. FC. Hansa Rostock. Eine Begegnung, in der in der Vergangenheit meist mächtig Dampf und Pfeffer drin war. Ganz klar: In der laufenden Saison sind die Spiele gegen den HFC neben den Duellen mit der SG Dynamo Dresden für den F.C. Hansa fantechnisch die Highlights. Und dass sich die Fans des HFC und des F.C. Hansa nicht gerade liebhaben, muss wohl nicht weiter erläutert werden.
Auf spielbezogene Choreos wurde am heutigen Tag verzichtet. Die Fanszene des F.C. Hansa möchte es derzeit sicherlich auswärts beim akustischen Support belassen und weitgehend auf Pyro verzichten, um die eh schon knappe Geldkasse des Vereins zu schonen, die Fans des HFC protestierten indes zu Beginn der Partie gegen die aus ihrer Sicht völlig unnötigen Sicherheitszuschläge. Am Ende der Halbzeitpause gab es auf der HFC Fankurve doch noch eine Choreo zu sehen, allerdings hatte diese keinen schönen Anlass. Gedacht wurde dem kürzlich verstorbenen Paul. „Unbegreiflich - unvergessen - Ruhe in Frieden Paul.“ Dazu schwarze Folienbahnen und in der Mitte sein Portrait.
Auf dem Rasen ging es zu Beginn eher gemächlich zur Sache. Beide Verteidigungsreihen standen recht gut und ließen anfangs wenige hochkarätige Tormöglichkeiten zu. In den jeweiligen Fankurven herrschte indes bereits Betriebstemperatur. Vor 11.324 Zuschauern waren 30 Minuten gespielt, als Akaki Gogia einen Freistoß aus rund 25 Metern knapp neben das Rostocker Gehäuse setzte. Für die Hausherren schien dies ein Weckruf zu sein. Der Druck wurde erhöht und bei Standardsituationen herrschte Gefahr. So auch neun Minuten später, als Gogia wieder zum Freistoß antrat. Dieses Mal war die Distanz kürzer und der Ball fand mit perfekter Flugbahn den Weg in den Winkel. 1:0 für den Halleschen FC. Manch einer in Rot-Weiß ließ seinen Emotionen freien Lauf, bei den Gästefans wird manch einer das Ende der kleinen Serie befürchtet haben. Zu passiv trat die Rostocker Mannschaft bislang auf.
Zu Beginn der zweiten Halbzeit ließen die Rostocker Fans nach der Hallenser Schweigeminute ein kraftvolles „Hansa forever“ ertönen. Wenig später gab es noch einen Gruß in Form eines Spruchbandes: „Ey Halle-Ost … Man redet nicht mit den Bullen!“ Auf dem Platz machte Rostock etwas mehr Druck, doch noch schien wenig auf ein gedrehtes Spiel hinzuweisen. Von Minute zu Minute bekam die Sache allerdings mehr Biss. Gerade präsentierte die Heimkurve ein paar Schals und 0815-Hansa-Fahnen, die man bei ebay sicherlich für einen schmalen Taler ersteigern kann, als plötzlich der Ausgleich fiel. Nach einer Ecke streifte das Spielgerät den linken Pfosten, der HFC-Keeper kam nicht ran, stattdessen war Marcel Ziemer zur Stelle und bugsierte die Kugel über die Linie. Der Gästeblock glich nun einem Tollhaus. Was für eine Jubelorgie. Dass der anschließende Support wieder Topniveau erreichte, versteht sich von selbst.
Die Gäste hatten die Sache nun recht gut im Griff und versuchten noch eins nachzulegen. Mit erhöhter Ruppigkeit ging es zur Sache. Bei auszuführenden Ecken war es ein ordentliches Rangeln. Kein Wunder, brachten am heutigen Tag schließlich Standardsituationen auf beiden Seiten die größte Gefahr. Und wie sollte es dann auch anders sein, als dass das 2:1 des F.C. Hansa nach einem Freistoß von Christian Bickel fiel. Der Ball wurde hereingebracht und Oliver Hüsing war mit dem Kopf zur Stelle. Rostock außer Rand und Band! Sowohl Spieler als auch Fans kriegten sich kaum noch ein vor Freude. Wer ein Spiel auf solch eine Art drehen kann, wird wohl am Ende den Klassenerhalt schaffen. Kein Vergleich zum desaströsen Herbst 2014 - der Funke springt wieder zwischen Fans und Spielern hin und her. Erstaunlich, wie sich mit dieser in der Winterpause komplett umgekrempelten Mannschaft aus der Talsohle herausgekämpft wurde.
Abpfiff. Während die Heimfans enttäuscht von dannen ziehen, zelebriert der blau-weiß-rote Anhang sein Megaparty. Wie zu besten Zeiten hallte das „Ahu“ durch das Stadion. Je leerer die Ränge wurden, desto lauter hallten Schlachtrufe und Lieder zurück. Nach einigen Minuten wurde die Mannschaft nochmals herangerufen. Raus aus der Kabine, ab zum Fanblock! Eine Uffta wurde gestartet, bei der nicht ein brachiales „Scheiß St. Pauli“ fehlen durfte. Gut möglich, dass sich diese beiden Rivalen in der kommenden Drittliga-Saison wieder sehen. Um dies zu schaffen, muss Hansa jedoch weiter am Ball bleiben. Nächster Gegner: Der Chemnitzer FC daheim im Ostseestadion.
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Fotos: Marco Bertram
Ligen
Benutzer-Kommentare
Viele grüße
Steffen
Des nachts Mastfahnen aus Schrebergärten zu stehlen ist doch sogar noch einfacher und kostet zudem auch nichts.
Nur 4 Sterne, weil man doch manches mal das Gefühl hat, dass der oder die Schreiber/in mit dem FC aus Rostock eher verbunden ist, als mit anderen Vereinen (manchmal fehlt da vielleicht ein bisschen die Neutralität, auch wenns nicht von der Rostockerin geschrieben wurde).
Andererseits kann ich die Faszination Hansa definitiv nachvollziehen, dieser Gästeblock zieht mich als Gelegenheitshopper auch öfter an, als so ziemlich jede andere Szene in Deutschland.