Wir befinden uns mitten in der Fastenzeit und schaut man auf die letzten Wochen, würde auch manch einem Journalisten und Klubverantwortlichen ein wenig mehr Zurückhaltung ganz gut stehen. Als am 14. Februar einige Fans des 1. FC Köln nach dem Spiel bei Borussia Mönchengladbach das Spielfeld im Borussia Park betraten (wir berichteten), hatten Anhänger von Borussia Dortmund sicherlich nicht damit gerechnet, dass sie in den folgenden Wochen auch eine Rolle in den Nachwehen der Aktion spielten. Ein Blick zurück und nach vorn:
“Je suis Boyz Köln" und der BVB: Meinungsfreiheit trifft künstliche Empörung
HotAls protestierende Reaktion der Kollektivbestrafung der Kölner Fangruppe "Boyz Köln" mit 45 Stadionverboten seitens des 1. FC Köln (sechs Verbote wurden wieder aufgehoben) und die breite mediale Vorverurteilung auf die Aktionen beim Spiel in Mönchengladbach, kreierten und zeigten (bei Auswärts- und Heimspielen) befreundete Ultras von Borussia Dortmund eine schwarze Fahne mit dem weißen Schriftzug "Je suis Boyz Köln" in Anlehnung an das Logo und dem politischen Slogan "Je suis Charlie", der nach dem Anschlag auf die französische Satirezeitschrift Charlie Hebdo am 7. Januar 2015 entstand und verbreitet wurde und sich als Symbol für Meinungsfreiheit etablierte.
Über die gestalterische Art und Weise der symbolischen Solidaritätsbekundung gegenüber den ausgesperrten Kölner Fans kann man sicherlich ein wenig diskutieren, aber über die "übertriebenen" Reaktionen des Vereins und einiger Medien noch mehr. So wurde das Zeigen der Fahne künstlich ins negative Licht gerückt, unter anderem mit der Feststellung, das Banner stelle eine "Verhöhnung der Opfer" des Terroranschlags in Paris dar. Sicherlich auch aufgrund des Drucks der Presse kündigte BVB Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke in der Bild-Zeitung Stadionverbote als Bestrafung für diejenigen an, die die Fahne aufhängten. Dass der Klub-Boss mit der Drohung an der Fanbasis kaum Gehör findet, zeigt sich zum Einen daran, dass die Fahne immer noch bei Spielen hängt (zuletzt in Hamburg und Dresden) und zum Anderen, dass auch das Fanprojekt Dortmund, die nach eigenen Angaben kritisch gegenüber Aktionen der Gruppierung Boyz Köln stehen, sich in einer Stellungsnahme ganz klar gegen die Anweisungen vom Dortmunder Rheinlanddamm stellen: "Die Worte 'Je suis...' beinhalten keinerlei Gewaltverherrlichung oder strafrechtliche Relevanz und auch ist der Inhalt weder menschenverachtend noch in irgendeiner Form diskriminierend und steht somit auch nicht im Widerspruch zu unserem freiheitlich demokratischen Wertverständnis", heißt es in einer Mitteilung.
Dass das Zeigen der Fahne nichts mit den Vorfällen in Paris zu tun hat, sondern als kreativer Kommentar in Bezug auf die Vorkommnisse und Nachwirkungen rund um das Derby Borussia Mönchengladbach gegen den 1. FC Köln interpretiert werden kann, verstehen einige Journalisten in ihrer Gier nach Meinungsmache sowie Klick und Quote nicht. An jedem Spieltag werden unzählige Spruchbänder in den Stadien gezeigt. Ob witzig, provozierend oder geschmacklos - jeder hat sein eigenes Empfinden auf diese kreative Vielfalt, die auch ein Zeichen von Meinungsfreiheit ist. Nun soll also ein "unpolitisch" gemeinter Spruch aus dem Stadion verbannt werden, weil er nicht das Geschmäckle von ein paar Wenigen in ihrer Wohlfühlzone Stadion trifft. Ist das noch Meinungsfreiheit?
Zum Vergleich: Nach der Kollektivbestrafung der Kölner Fan-Gruppierung Boyz waren in den Stadien Sprüche wie "Gegen Kollektivstrafen – Pro Boyz Köln!" (Ultras / Hools Essen) oder "Für die Dummheit Einzelner bestraft - Kollektivstrafen lösen keine Probleme!" (Nordkurve Borussia Mönchengladbach) zu lesen. Sind diese Sprüche allen genehm? Oder setzt es mit einem Protest gegen Kollektivstrafen wieder neue Kollektivstrafen? Am kommenden Samstag wird die Fahne sicherlich wieder vor der Südtribüne in Dortmund hängen, denn dann gastiert der 1. FC Köln im schwarz-gelben Fußballtempel (14.03. 18:30 Uhr) auf den Tag genau 4 Wochen nach BMG.