Wenn das Belgrader Duell Roter Stern gegen Partizan ruft, reisen zweimal im Jahr Fußballfans aus ganz Europa an, darunter auch einige hundert Groundhopper und Erlebnistouristen aus Deutschland. Das „ewige Derby“ gilt als heißestes Spiel Europas. Neben der brachialen Lautstärke, durch die beide Kurven bei den direkten Aufeinandertreffen stets überzeugen, sind meist schöne Choreographien geboten, zudem wird eine mittlere bis hohe dreistellige Anzahl an pyrotechnischen Erzeugnissen abgefeuert. Was an Belgrad viele Derbybesucher außerdem reizt, ist ein rauer Charme und eine Stadionatmosphäre, die noch sehr weit vom westeuropäischen „modernen Fußball“ entfernt ist und bei der staatliche Repressalien für Außenstehende kaum spürbar sind. Daran könnte sich jedoch bald etwas ändern. Denn die 148. Auflage des Duells der beiden größten serbischen Clubs, die am Samstag 44.120 Zuschauer ins Marakana-Stadion lockte, wurde vor dem Anpfiff von schweren Ausschreitungen überschattet.
Nachlese zum Belgrader Derby: Heftige Auseinandersetzungen und kochende Atmosphäre
Schon beim Anmarsch der Gästefans, insgesamt waren etwa 12.000 Grobari anwesend, gab es Auseinandersetzungen mit der Polizei. Wenige Minuten vor dem für 18:00 Uhr geplanten Anpfiff versuchten etwa achtzig Partizan-Anhänger, die sich nicht im eigentlichen Gästeblock niedergelassen hatten, einen Sturm auf die Kurve der Delije. Es wirkte so, als hätte es die Polizei schlichtweg nicht mitbekommen, dass sich über ein Drittel der Gegengerade etwa 3.000 Partizan-Fans gesammelt hatten. Der Angriff konnte zwar abgewehrt werden, die aufgezogene Polizei war aber fortan Zielscheibe der Gewalt etlicher Roter Stern-Anhänger, während es – zumindest wirkte es auf mich als Außenstehenden so – bei Partizan zwischen der Polizei und den Anführern der Kurve nur eine kurze Aussprache gab und nichts weiter passierte.
Anders bei den Rot-Weißen: Hunderte Sitzschalen wurden aus der Verankerung heraus gerissen und zu Wurfgeschossen umfunktioniert, zudem wurden Polizisten auch mit Eisenstangen und sogar herausgetrennten Zaun-Segmenten aus Schwermetall attackiert. Die Situation eskalierte vollkommen, bis die Polizei zunächst komplett aus der Heimkurve geboxt war, wiederum aber mit Verstärkung des Militärs erneut in den Sektor einmarschierte, was die Lage weiter zuspitzte. An Fußball war überhaupt nicht zu denken, und der Schiedsrichter tat das einzig Richtige, nämlich beide Mannschaften zurück in die Kabine zu bitten. Durch den Stadionsprecher gab es mehrere Durchsagen, dass das Spiel nicht angepfiffen wird, sollten die Randale nicht bis 18:30 Uhr beendet sein.
Nachdem die Polizei, die an etlichen Stellen absolut defensiv agierte und beinahe widerstandslos auf sich einprügeln ließ, und die Anführer der Delije-Kurve auf einen „Waffenstillstand“ geeinigt hatten, begann das Spiel mit 45minütiger Verzögerung. In keinem Land Westeuropas wäre überhaupt noch angepfiffen worden, hier war es die offenbar einzige Möglichkeit, den Mob nicht vollends durchdrehen zu lassen. Die Szenarien, die bei einer Spielabsage gedroht hätten, mag man sich besser nicht ausmalen. Dafür, dass die Vorkommnisse ohne Folgen bleiben, waren sie aber zu schwerwiegend, und man darf gespannt darauf sein, ob Roter Stern während der letzten Saisonspiele daheim überhaupt noch einmal vor Zuschauern auftreten darf. Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es bereits außerhalb des Stadions zu Zusammenstößen zwischen der Partizan-Kurve und der Staatsmacht gekommen war, ebenso wie sich Roter Stern weit nach dem Spiel noch Spiel noch ausufernde Kämpfe mit den Gesetzeshütern geliefert haben soll. Beide Sachen drangen aber nur über Dritte zu mir vor, so dass ich sie nicht weiter kommentieren kann.
Das Spiel an sich war schwach. Zwar hatte Partizan in der ersten Viertelstunde Feldvorteile, bald allerdings pendelte sich das Niveau auf ein sehr geringes ein. Die Partie war insgesamt sehr chancenarm, und auch wenn es einige verheißungsvolle Strafraumszenen gab, hat es letztendlich nur eine Szene überhaupt verdient, als einhundertprozentige Torchance bezeichnet zu werden. Doch ein Abwehrspieler des Gastgebers konnte auf der Linie klären, weswegen das Derby letztlich 0:0 ausging. Von zwei schlechten Mannschaften waren die Gäste noch die bessere, allerdings schien es so, als ob sich Partizan schon lange vor dem Abpfiff mit dem Unentschieden zufrieden gegeben hat, denn dadurch hält man den Rivalen mit fünf Punkten auf Distanz und hat die Meisterschaft, sollte es zu keinem unvorhersehbaren Einbruch mehr kommen, quasi sicher.
Dementsprechend feierten die Spieler des Serienmeisters der letzten Jahre nach dem Abpfiff mehr eine Viertelstunde lang mit ihren Fans, und etliche Spieler kamen nur noch mit Socken und Unterhosen bekleidet zurück in die Kabine. Mehr Sätze über das Geschehen auf dem grünen Rasen müssen an dieser Stelle nicht verloren werden, und die meisten Leser dürfte eh interessieren, was sich in den Kurven abgespielt hat. Dass es sehr laut war, braucht nicht extra erwähnt werden. Darüber, welcher Verein die lautstärkeren Fans hinter sich hatte, gibt es – je nachdem, wo man sich im Stadion nieder gelassen hatte – widersprüchliche Aussagen. Der Verfasser dieser Zeilen hielt sich während der ersten Hälfte komplett vor der Delije-Kurve auf, die eine für mitteleuropäische Verhältnisse nie mögliche Lautstärke an den Tag legte, wenngleich man durchaus das Gefühl hatte, dass akustisch und in Sachen Fanatismus noch etwas mehr geht. Partizan war hier nur zwei oder drei Male überhaupt zu hören. Leute, die auf der Hautpttribüne Platz genommen hatten, attestierten wiederum den Grobari einen starken Auftritt.
Optisch dagegen wurde zu Spielbeginn erst einmal nichts geboten. Der eine oder andere Erlebnistourist wird mit Sicherheit schon enttäuscht gewesen sein, da in den ersten Spielminuten in beiden Kurven nur vereinzelt ein paar Bengalfackeln brannten. Nach einer guten Viertelstunde aber gab es eine gut anzusehende Choreografie der Delije. Blockweise wurden rote und weiße Foliefähnchen geschwenkt, dazu eine Blockfahne über die komplette Höhe der Kurve aufgezogen. Ein schön anzusehendes Bild, wenngleich nichts, was es bei vergangenen Derbys nicht schon besser zu sehen war. Der eigentliche Höhepunkt folgte aber noch. Über die komplette Kurve wurden dutzende rote Rauchtöpfe und -fackeln gezündet, die in ihrer Dichte ein Bild erzeugten, welches selten zuvor irgendwo zu sehen war und die Kurve minutenlang einnebelte. Selbst Kinder, die noch keine zehn Jahre alt waren, zündelten hier wie selbstverständlich mit, mit dem Schal vorm Gesicht zum Schutz vor dem Rauch. Nicht zu erwähnen braucht man, dass das Spiel während der kompletten Zeit weiterlief. Für mich der Höhepunkt des Derbys.
Im weiteren Verlauf der ersten Pause wurden immer wieder fünf oder sechs Bengalos parallel gezündet, wohlgemerkt komplett von der Roter Stern-Kurve, während Partizan optisch noch gar nichts geboten hatte. Auch die erste Aktion der zweiten Halbzeit ging von den Delije aus. 30 Bengalos sowie etwas weißer und gelber Rauch wurden gleichzeitig gezündet. Wie Partizan das noch aufholen wollte, wusste niemand. Aber die Schwarz-Weißen legten nach und nach etwa einer gespielten Stunde brannten plötzlich mehr als 200 Bengalos und Blinker gleichzeitig im Block der Grobari. Besonders sehenswert war, wie diese in Richtung Innenraum entsorgt wurden, wenngleich man an dieser Stelle als Außenstehender froh war, nicht bei der Belgrader Feuerwehr zu arbeiten.
Bis auf augenscheinlich wahllos gezündete Bengalos in beiden Kurven gab es anschließend nichts mehr fürs Auge, so dass ruhigen Gewissens noch einmal über den akustischen Aspekt gesprochen werden kann. Hier muss man beiden Kurven nach dem Seitenwechsel einen bärenstarken Auftritt attestieren. Partizan überzeugte durch gute Wechselgesänge zwischen beiden Kurven und den bekannten Dauergesängen, Roter Stern legte in Sachen Intensität noch einmal zu. Unterm Ende gab es auf dem Feld keinen Sieger, wenngleich Partizan das Unentschieden wie einen Derbysieg feierte, während auf den Rängen die Rot-Weißen unterm Strich die bessere Figur machten. Auch wenn das 148. Derby nicht als das beste aller Zeiten in die Annalen eingehen wird – gelohnt hatte sich der Besuch allemal.
Fotos: Jörg Pochert