Ein weiteres Mal hatte der Verband etwas dagegen, das Spiel zwischen Pogon Szczecin und Legia mit Gästefans auszutragen. Kurzfristig gab es noch eine Strafe wegen der Choreo beim Heimspiel gegen Bialystok, weshalb niemand aus Warszawa in Szczecin dabei sein durfte. Die Gästetickets waren schon an den Mann gebracht worden und gingen dann wieder zurück. Dennoch blieb es bei einem Spiel unter erhöhtem Risiko. Ganz so freundschaftlich geht es zwischen den Stettinern und Legia zwar nicht mehr zu, aber viele kennen sich noch privat. Wir haben also die Situation, dass das Spiel sowieso dem Großveranstaltungsgesetz unterlag und zusätzlich noch als Sicherheitsspiel kategorisiert wurde. Wer das nicht glaubte, den überzeugte spätestens der Einsatz eines Spürhundes vor dem Spiel im Fansektor.
Pogon Szczecin vs. Legia Warszawa: Die Jungen Wölfe sagen Servus
Im Vorverkauf gingen gut 7.000 Tickets weg. Insgesamt waren es dann offiziell fast 8.200 verkaufte. Für Pogon ging es um die Ehre und Legia musste gewinnen, um noch den Titel greifen zu können. Die Gäste standen also unter Erfolgsdruck. Pogon bestimmte das Spiel, erspielte sich dennoch nur eine echte Torchance, die Murawski Mitte der ersten Halbzeit vergab. Legia dagegen donnerte den Ball zweimal gegen den Pfosten und scheiterte ebenso zweimal am Stettiner Torwart. Die Legia-Spieler brachten die Zuschauer zum Kochen, da sie durch zahlreiche Schwalben unfair auffielen. Nicht nur einmal hieß es „Hampelmänner, Hampelmänner!“. In der 76. Minute verwertete dann Orlando Sa einen Ball, der ihm durch Verwirrung in der Pogon-Abwehr vor die Füße rollte, ganz locker zum Siegtreffer. Ein Blick ins Rund ergab nun fünf Gäste-Fans, die sich nun outeten.
Die letzten Spiele der Rückrunde sind oft verbunden mit Abschieden. Für Mannschaften kann es nach oben oder nach unten gehen und so manch Spieler steht vor einem Wechsel oder vorm Karriere-Ende. Bei Pogon legten die Ultras der Mlode Wilki das Heimspiel gegen Legia als Zeitpunkt des letzten Auftritts fest, da die Warschauer für gewöhnlich immer ein paar Zuschauer mehr anlocken. Nach außen drang relativ wenig, da es nur einen Aufruf gab, der die Katze noch nicht aus dem Sack ließ. Doch schon eine halbe Stunde vor Spielbeginn, als die Ultras die Choreo vorbereiteten, zeigten sie ein Transparent mit den Worten „Die letzten 60 Sekunden des Glücks“. Darunter hatten sie einen Haufen Seenotfackeln gemalt. Man ahnte, was kommen würde.
Das Spiel stand ganz unter der Regie der Mlode Wilki. Es hing zunächst keine einzige Fahne als die Spieler aufliefen und es zum ersten Mal emotional zuging. „Immer und überall…“ und „Ihr Mörder! Wir werden es nie vergessen!“ schallte mit gänsehautartigem Effekt. Die deutschen Medien verloren logischerweise kaum ein Wort über diese bedenkliche Angelegenheit und berichteten über jeden möglichen anderen unwichtigen Kram, anstatt den Vorfall in Knurow zu beleuchten. Hier sind Fußballfans nun auch nicht so beliebt. Nur in den deutschen Stadien erkannte man, dass viele Fans hierzulande von den Gräueltaten der polnischen Polizei mitbekommen hatten, als in der Bundesliga und in den unteren Spielklassen zahlreiche Transparente zu sehen waren, die auf den Tod des Gornik-Fans in Knurow hinwiesen. Da bei turus auch noch nicht darüber berichtet wurde, wird die Angelegenheit hier noch einmal kurz erläutert.
Am 2. Mai trafen in der Schlesien-Liga Knurow und Radzionkow aufeinander. Knurow sorgte durch einen Rennen auf den Platz für eine Spielunterbrechung. Die Polizei tauchte auf den Rängen auf und Knurow bewegte sich daher wieder schnell zurück auf die Ränge. Die Situation war eigentlich schon geklärt. Daher ist es skandalös, dass die vermummten Polizisten, die die Gewehre nur in akuten Notsituationen einsetzen dürfen, trotzdem nutzten. Die Tatsache, dass der Fan, der einen kleinen Sohn hinterlässt, durch einen Treffer gegen den Hals erschossen wurde, macht die Bezeichnung „Mörder“, die man nun stets in Polen im Zusammenhang mit der Polizei hört, verständlich. Die sehr angespannte Lage zwischen Fans und der Polizei ist in Polen nicht neu.
Ultras steht in Polen für ein traditionelles Wertesystem, ewige Treue zum Verein und Vaterlandsliebe. Das mag manch einem ein Dorn im Auge sein, der sich am „modernen“ Zeitgeist orientiert. Jedenfalls fing das Spiel bewegend an, wenn man weiß, worum es geht. Wie in all den Jahren schmetterten die Mlode Wilki (Junge Wölfe) ihre Melodien ins weite Rund. Auch die normalen Zuschauer kommentierten den Abschied mit einer Träne im Auge und dankten für die Unterstützung, die seit 2003 fast ausschließlich in den Händen der Jungen Wölfe lag. In der 59. Spielminute war es dann so weit. Eine ganz bekannte Blockfahne wurde hochgezogen und man hielt sie für einige Minuten. Was unter dieser passierte, erklärt sich mit der Bezeichnung „Risikospiel“. Das Strafmaß für das Abrennen von Feuerwerkskörpern bei Massenveranstaltungen, zu denen sämtliche Ekstraklasa-Spiele zählen, liegt sehr hoch.
Danach qualmte es mächtig. Die Zuschauer applaudierten. Nur die zwei Fackeln, die auf dem Platz landeten, waren unnötig. Die letzten Spielminuten liefen und der Rauch hatte sich schon längst verzogen, da fand zum wirklich allerletzten Mal die Fahne der Mlode Wilki den Weg an den Zaun, die übrigens keine Gründe, für die Auflösung öffentlich bekannt gaben. Egal, ob in Liga 1 oder Liga 4, ob international oder in der Saison in der untersten Spielklasse – die Jungen Wölfe gaben stets alles für Pogon, hielten Stand und mussten zwischendurch auch für ihren Verein durch so manches Feuer gehen, was sogar ein Weilchen zu einer Einstellung der Aktivitäten führte. Sie machten das Stadion bunt und verwöhnten das Ohr mit Gesängen, die vom Herzen kamen. Fußball-Polen wird sie vermissen.
Fotos: Michael
Benutzer-Kommentare
Was heißt zum Picknick verkommen. Die können nicht mehr.
In vielen Städten steht das letzte Aufgebot in den Fanblöcken, falls diese überhaupt noch existieren. Manche knickten ein. Nachwuchs kommt nicht nach, da immer mehr auf Patriotismus geschissen wird, die demografische Entwicklung düster aussieht, es andere Freizeitbeschäftigungen gibt, die Strafen und Misshandlungen durch die Polizei abschrecken. Man darf auch nicht den hohen Stellenwert der Familie und Ehe vergessen.
Schade, dass auch Westpommern stimmungsmäßig allmählich zu Picknick verkommt!