Dynamischer Camouflage-Alarm in Karlsruhe: Wer erklärt hier wem den Krieg?

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Zugegeben, ich konzentrierte mich am Wochenende nur auf eine Aufgabe. Ich hatte die SGD voll im Fokus, allerdings die aus Schwerin. Ich bastelte am Montagmorgen am Text über die akut bedrohte Paulshöhe, als es wieder einmal „Bing!“ machte. Nachricht vom Kollegen aus Essen. „Haste schon gesehen?“ Na, wat wohl?! Das Video vom Marsch in Karlsruhe. Ich hielt kurz inne, klickte auf play und dachte nur: Was für ein geiler Scheiß ist das denn?! Das schaut aus wie auf dem Balkan oder in Polen. Ich hatte mich zuvor nicht mit dem Spiel befasst, für mich kam dieses Filmchen, das von der „Kübelpappe“ aus gefilmt wurde und inzwischen wohl zigmal kopiert und zig hunderttausendfach angeschaut wurde, völlig aus der Kalten. Der Chat lief heiß, die SG Dynamo Schwerin musste kurz warten. Die weinroten Fußballfreunde aus Dresden hatten mal wieder eine irre Show abgezogen. Der Trommelwirbel, allesamt in Tarnfarben, der vornweg fahrende Capo, der verströmende Rauch. Mein erster Gedanke: Das US-Militär rückt an. Die Art der Tarnfarbe, die Art des Trommelns, die Mützen und natürlich nicht zuletzt der Aufdruck auf den Shirts. Es hätte vielleicht auch gepasst, im Look der Nationalen Volksarmee dem DFB den „Krieg zu erklären“, doch letztendlich wollte man nicht nur die Ost-Kiste greifen. Bekanntlich wurde in der DDR bei der NVA gern auf preußische Traditionen zurückgegriffen, da kam für die Anhängerschaft der SG Dynamo die Prise Safari-Style dann wohl doch weitaus besser.

Kurzum, ich saugte das Video gefühlte hundertmal auf. Ich liebe Fanmärsche. Egal, ob in Südamerika, auf dem Balkan oder in heimischen Gefilden. Und ja, es darf auch martialisch aussehen. Mal die Bomber tausendfach auf Orange wie einst bei den Frankfurtern bei einer Europapokal-Sause, mal alle in Schwarz wie die Karlsruher vor dem Duell gegen den VfB Stuttgart, mal einfach nur bunt und sangesfreudig. Je nach Spiel, je nach Anlass. Mal soll vor allem die Mannschaft motiviert werden, mal möchte man den Gegner einschüchtern, mal soll eine klare Ansage gemacht werden. Letzteres war am Sonntag der Fall. Die angereiste Anhängerschaft der SG Dynamo Dresden erklärte dem DFB den Krieg. Im Vorfeld wurden fast alle mitgereisten Fans mit Shirts und Mützen versorgt, zudem wurde ein alter Militär-Trabbi herbeigeschafft, und die Spruchbänder und ganze Pakete voll Pyrotechnik wurden ebenso nach Baden gekarrt.

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Ich war auf gut Deutsch gesagt ein wenig geflasht. Meine wilden Zeiten Ende der 80er / Anfang der 90er fielen mir wieder ein. Mein damaliger Faible für militärische Outfits, das damals wohl viele im Osten geteilt hatten. BW-Stiefel, russische Tarnjacke, ein kurzärmeliges Hemd der US-Army. Ich wollte niemanden den Krieg erklären. Die Klamotten machten einfach Eindruck und es machte richtig Bock, so durch die Straßen zu spazieren. Mit der Zeit verflog die Liebe zum Militärischen, ich würde heute wohl kaum so herumrennen wollen. Allerdings stellte ich mir beim Betrachten des Videos vor, wie es wohl für mich gewesen wäre, als 20-Jähriger auswärts beim Fußball so herumrennen zu können. Utopisch. Einfach nur utopisch! Jeder war mal jung. Jeder hatte mal Lust, sich völlig auszulassen, den Mainstream zu provozieren, einfach mal anzuecken und für Gesprächsstoff zu sorgen.

Etwas berauscht vom Video setzte ich es gleich mal auf mein FB-Profil. Hammer! Geiler Scheiß! Die ersten Kumpels aus dem Fußballumfeld ließen nicht lange auf sich warten. Allerdings merkte ich schnell, dass nicht jeder meine erste Begeisterung (von verletzten Polizisten und Ordnern oder gar Plünderungen hatte ich zu jenem Zeitpunkt noch nichts gelesen) teilte. Egal, ich widmete mich vorerst wieder meiner Arbeit und trommelte auf die Tastatur ein. Nach drei Stunden stand der Text über die SG Dynamo Schwerin. Nun war Zeit, sich wieder der anderen Sportgemeinschaft zu widmen. Oha, was für eine mediale Welle! Beim Surfen durch das Netz staunte ich nicht schlecht, was wieder abging. Dass die Erklärung des DFB mehr als deutlich war, verwunderte kaum. Was blieb dem Verband auch anderes übrig? Schließlich war die gesamte Aktion ganz klar dem DFB gewidmet. Dass in solchen Zusammenhängen stets von „neuer Qualität“ gesprochen wird, überrascht mich rein sprachlich gesehen schon immer.

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Um es mal gleich vorweg zu nehmen: Ein Marsch in Camouflage, massig Rauch bei eben diesem und kritische Spruchbänder sind das Eine. Verletzte Personen sind ganz klar das Andere. Körperliche Übergriffe sind nicht zu entschuldigen. Und sollte es - weil es ja dieses Mal so vergleichsweise einfach war, im Schutze der großen Masse - tatsächlich zu Plünderungen gekommen sein, dann ist das auf gut Deutsch gesagt einfach nur Kacke. Es sollte doch klar sein, dass dann im Nachfeld all der gebotene Witz völlig verpufft und alles, aber wirklich alles nur noch dramatisiert und negativ dargestellt wird. Fakt ist, dass eh nicht zu erwarten ist, dass die breite Masse der Bevölkerung solch eine gezeigte Aktion total prima findet. Aber das wird die nach Karlsruhe gereiste Anhängerschaft eh nicht interessieren. Der Stempel ist seit Jahren aufgedrückt. Radikal. Dem Verein nur schadend. Und auch die Nazi-Schublade ist bei einem sächsischen Verein ganz fix aufgezogen. Von daher konnte es aus Sicht der aktiven SGD-Fans eh kaum noch schlimmer kommen, ganz nach dem Motto: Ist der Ruf erst einmal ruiniert, lebt es sich ganz ungeniert.

Dass es wohl kaum ein Medium gibt, dass solche Aktionen bei einem Marsch und im Stadion positiv darstellt, ist ebenso zu erwarten. Und um es noch einmal auch den Kritikern unserer Arbeit zu erklären: Die Reaktion beim Betrachten des Videos war eine rein Persönliche - verknüpft mit den Erinnerungen an die eigene Jugend. Schockiert hatte mich im Laufe des gestrigen Nachmittages und Abends dann jedoch der eine oder andere Bericht. „Krieg spielen mit nationalsozialistischer Symbolik“, hieß es im Tagesspiegel. Das ist eine harte Nummer. Also alles fiel mir spontan ein beim ersten Anschauen des Videos ein. Die Hüte, die angemalten Gesichter, die Sonnenbrillen, die Art der Tarnfarben, die Art des Trommelns -  alles erinnerte wie eingangs erwähnt an eine US-amerikanische Truppe beim Marsch zum Einsatz im Unterholz, aber nicht an eine Nazi-Truppe. Davon ganz abgesehen sind es ja eigentlich nur die bekannten „Fischerhüte, die es auch in Vereinsfarben gibt, aber eben in Tarnfarben völlig anders wirken. Zwar kenne ich mich jetzt nicht allzu sehr mit militärischen Trommelwirbeln aus, doch einfach aus dem Gefühl heraus, erinnerte mich das Ganze an völlig andere Dinge.

Dass im Tagesspiegel ein Twitter-Beitrag von Lutz Bachmann, der sich wohl sehr über den Auftritt in Karlsruhe gefreut hatte, mit im Artikel eingebaut wurde, soll das Ganze noch einmal unterstreichen. Letztendlich lief im besagten Bericht alles auf das Nummernschild des vornweg fahrenden Trabants hinaus. Da war sie wieder - die 88. Erst am Kinderauto eines Karussells  - nun an der dynamischen NVA-Pappe. Ob Zufall oder mit Absicht oder einfach nur als Witz, das konnte niemand erklären. Die Schlagworte „88“ und „Pegida“ genügten jedoch in jenem Zeitungsartikel, dass die Assoziation zu den Nazis sich auch gleich auf den gesamten Fanmarsch übertragen. Trommeln? Armeeklamotten? Sachsen? Plünderungen? Nazis!? Dem „normalen“ Leser fiel sicherlich gleich die Kaffeetasse aus der Hand. Ab in den Knast mit diesem Pack! Alle wegsperren! Das sind keine wahren Fans! Drakonisch bestrafen, diese Schweine! In den sozialen Netzwerken ging (und geht es noch immer) mächtig rund. Eigentlich verbleiben nur die aktiven Fans anderer Vereine, die die Aktion der SGD-Fanszene in Schutz nehmen (von den Plünderungen und körperlichen Attacken mal abgesehen).

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Interessant ist allerdings, dass das militärische Antlitz des Marsches dermaßen schlecht weg kommt. Wurde uns nicht all die letzten Jahre auch medial verklickert, dass zahlreiche militärische Einsätze was Gutes haben? Die Befreiung von Diktatoren?! Der Kampf um Freiheit und Demokratie?! Die Skepsis in der breiten Masse der Bevölkerung wurde immer größer, doch medial wurde manch ein Kriegseinsatz als etwas Gutes verkauft. Und wofür kämpfen die aktiven Fans der SG Dynamo? Aus ihrer Sicht gegen den Verband und für die Freiheit in den Kurven.

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Dankbar nahmen nun die Medien das martialische Auftreten an. Der Begriff „Krieg“. Dazu in Kombination all der Rauch, die Böller und die Bengalen im Stadion. Alles in einen Topf. Wieder einmal. Da wieder herauszukommen - als Verein / als Anhängerschaft - ist schier unmöglich. Nicht in diesen Zeiten, in denen der Keil zwischen aktiven Fans und dem sitzenden Publikum weit vorangetrieben ist. Die Luft wird dünn und dünner. Auch in diesem Bericht wieder einmal viele Worte. Ich gestehe es ein. Aber was ist denn nun die Essenz? Man sollte einfach bei den Fakten bleiben. Konkrete Straftaten? Verfolgen, wie auch in allen anderen Bereichen der Gesellschaft. Aber der restliche Auftritt? Ich persönlich bleibe dabei. Wäre es friedlich geblieben (keine Übergriffe, keine Diebstähle, etc.), würde ich dies als gelungenen Auftritt bezeichnen. Mit Phantasie-Camouflage auswärts zum Stadion zu ziehen, ist genauso schräg wie mit tausenden Bombern auf Orange oder in tausenden Cord-Outfits. Muss man alles nicht hübsch finden, man kann die ganze aktive Fankultur verteufeln, man kann Pyrotechnik auf Demos und Märschen ablehnen, man kann Popcorn und Sitzen dem Stehen und Singen vorziehen - letztendlich geht mir nur Folgendes gegen den Strich: Wenn alles in einen Topf geworfen wird. Wenn die gesamten aktiven Fanszenen in der Folge als Idioten und Gewalttäter, die nur ihren Vereinen schaden, abgestempelt werden. Wenn Sachsen von Hause aus mal gern in gewisse Schubladen gepackt werden…

Fotos: Ruhestörer

> zur turus-Fotostrecke: SG Dynamo Dresden

Inhalt über Klub(s):
Artikel wurde veröffentlicht am
16 Mai 2017
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War das geil damals!!!!
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