Mal angenommen: Aus dem engen Umfeld des Berliner AK 07 wäre ein junger Mann bei einer Messerstecherei ums Leben gekommen. Im Zuge einer Streiterei in einem Park in Berlin-Lichtenberg hätte jemand einfach so das Messer gezogen und ihn abgestochen und zwei weitere Personen schwer verletzt. Die Blutlache wäre noch Tage später zu sehen gewesen. Hunderte Blumen und Kerzen hätten den Ort der abscheulichen Tat gesäumt, tausende Menschen hätten Solidarität gezeigt. Wären entsetzt - und auch wütend gewesen. Mit Sicherheit hätten auch zahlreiche Politiker Anteilnahme genommen. Beim kommenden Spiel des Berliner AK 07 hätte es eine Trauerminute gegeben. Wäre es ein Spieler oder sogar eine Person aus dem Umfeld des Präsidenten gewesen, hätte es womöglich eine Spielabsage gegeben. Zurecht.
Chemnitz vs. Berliner AK: Möglicher Nichtantritt und reichlich Öl ins lodernde Feuer
Ein anderer angenommener Fall: Was wäre passiert, wenn der in Chemnitz abgestochene Mann eine Person aus dem nahen Umfeld des Chemnitzer FC gewesen wäre? Oder gar der Sohn des Geschäftsführers oder ein Spieler der Himmelblauen? Die Wut in der Stadt wäre die Gleiche gewesen. Rund 10.000 Personen hätten sich abends auf die Straßen begeben. Und ja, in erster Reihe hätten Personen aus dem rechten Spektrum fleißig mitgemischt. Die Frage aber: Wäre der Chemnitzer FC zum nächsten Spiel angetreten, wenn ein Spieler in der Innenstadt auf abscheuliche Art und Weise abgestochen wurde?
Zwei fiktive Fälle und ein realer Fall: Die Berichterstattung über den Fall wäre jeweils eine völlig andere gewesen. Warum? Gute Frage. Sachlichkeit und klare Fakten - eine heikle Angelegenheit. Was bleibt? Ratlosigkeit. Sehr viel Ratlosigkeit. Dazu eine Ohnmacht - und die Wut, weil jede politische Seite versucht, Kapital aus dem Ganzen zu schlagen. Schuldzuweisungen, Anprangerungen, ein zunehmend äußerst scharfer Tonfall. Wo das hinführen wird? Keine Ahnung. Das Bauchgefühl ist ein äußerst schlechtes. Jedoch wollte ich zu dieser Thematik keinen Bericht schreiben. Bis, ja bis, die Mitteilung des Berliner AK 07 auf dem Tisch lag. Oder besser gesagt, auf dem Bildschirm erschien.
Verfasst wurde diese Pressemitteilung von Mehmet Ali Hahn, Präsident des Regionalligisten Berliner AK 07, persönlich. Taktisch klug wäre es sicherlich gewesen, zu Beginn der Meldung - wenn man denn wirklich so eine rausgeben muss / möchte - Beileid für das Opfer in Chemnitz auszusprechen. Trauer, Sorge und Bestürzung zeigt der Berliner AK 07 allerdings nur bezüglich der fremdenfeindlichen Übergriffe und Ausschreitungen. Mich indes macht die gesamte Situation traurig. Der Todesfall, die hässlichen Auswüchse bei den Demonstrationen, die zum Teil doch eher einseitige Berichterstattung und eben auch solch eine Pressemitteilung.
Wortwörtlich steht in der Pressemitteilung geschrieben: „… In der Innenstadt von Chemnitz kam es zu wilden Jagdszenen und Straftaten gegenüber Migranten und Geflüchteten. Aus einer größeren Gruppierung von mehreren tausend Menschen heraus wurden erhebliche Straftaten begangen. Unverhohlen zeigten mehrere Teilnehmer den Hitlergruß und riefen immer wieder rechtsradikale Parolen. Der Hass richtete sich gegen alle Menschen, die nichtdeutscher Herkunft waren. Die Stimmung ist sehr aufgeheizt und explosiv. …“
Das ist sie wohl. Und solche Pressemitteilungen wie die des BAK 07 werden die Stimmung in Chemnitz allerdings weiter anheizen. Es waren eben nicht nur rechte Schläger und politische Extremisten auf der Straße, die jene Situation auszunutzen versuchten - und es letztendlich auch taten. Doch kommen wir weiter. So steht weiter geschrieben: „Zu den rechten Aufmärschen sollen nach Presseberichten unter anderem auch Fangruppierungen des Chemnitzer FC aufgerufen haben. Die Polizei war überfordert und nicht in der Lage, dem rechten Mob Einhalt zu gebieten. Angesichts unseres bevorstehenden Auswärtsspiels am 15.09.2018 in Chemnitz sind wir alarmiert und in größter Sorge. Deswegen erwarten wir vom DFB und NOFV, dass zeitnah ein tragbares Sicherheitskonzept für unser Spiel am 15.09.2018 in Chemnitz erarbeitet und mit uns abgestimmt wird. Sollte die Sicherheit unserer Spieler, Betreuer, Fans etc. nicht gewährleistet werden, ziehen wir in Erwägung, nicht anzutreten.“
Da las sich die Pressemitteilung der Polizei Sachsen ein wenig anders, was „die Lage“ betraf. Nun mag man herzlich lachen und abwinken, doch sei hier nun mal betont, dass von Medien und auch Fußballvereinen bei anderen Zwischenfällen immer allzu gern die Pressemitteilungen der Polizei 1:1 übernommen werden. So ist aus der Medieninformation vom 28. August 2018 unter anderen zu entnehmen: „… Insgesamt 591 Einsatzkräfte der Polizei waren über die gesamte Zeitdauer präsent, um die Ziele der Deeskalation sowie der strikten Trennung beider Lager umzusetzen. … In Summe waren aufgrund offensichtlich bundesweiter Mobilisierung allerdings ca. 6 000 Teilnehmer bei der Versammlung der Bürgerbewegung „Pro Chemnitz“ und weitere ca. 1 500 Teilnehmer bei der Versammlung „Die Linke“ zu verzeichnen. Dennoch gelang es den Einsatzkräften, die Versammlungsfreiheit und die Sicherheit der Teilnehmer weitgehend zu gewährleisten.“
Klar, man kann es sich einfach machen und einfach behaupten: Die Polizei lügt! Richtig, man sollte stets solche Mitteilungen - egal, ob beim Fußball oder bei politischen Demos - kritisch lesen und stets hinterfragen. In einer Pressemitteilung allerdings einfach so zu behaupten, die Polizei sei nicht in der Lage gewesen, dem rechten Mob Einhalt zu gebieten, ist schon sehr gewagt. War Herr Han vor Ort am Geschehen? Ich war es nicht. Die Polizei war es sehr wohl. Videoaufnahmen und Fotos kursieren reichlich im Netz. Man kann den Fokus allein auf 500 richten statt auf die gesamte Masse. Das soll auch nicht Thema sein. Vielmehr muss gefragt werden, was der Berliner AK 07 mit dieser Pressemitteilung bezwecken möchte? Mit vollem Karacho ins Rampenlicht?
Nun könnte man meinen, das Regionalliga-Duell Chemnitzer FC vs. Berliner AK findet am kommenden kommenden Wochenende statt, so dass vielleicht wirklich wenig Zeit bliebe, entsprechende Dinge im Vorfeld in aller Ruhe besprechen zu können. Dem ist aber nicht so, dieses Spiel wird erst in über zwei Wochen am 15. September 2018 ausgetragen.
Es bleibt also noch viel Zeit. Ein Sicherheitskonzept wird ausgearbeitet werden, und es gibt im Vorfeld stets die Möglichkeit, mit dem gegnerischen Verein, dem Verband und der Polizei nötige Maßnahmen zu besprechen. Der Mannschaftsbus des BAK wird bei jenem Spiel gewiss Polizeibegleitung bekommen. Mit wie vielen Gästefans zu rechnen ist? Eine gute Frage. Fakt ist: Auch diese wird man im Gästeblock sicher unterkriegen. Der deutsche Fußball hat bereits ganz andere brisante Duelle erlebt - und letztendlich wurden diese zu 99,9 Prozent unter dem Strich sicher über die Bühne gebracht.
Und ginge es nach der politischen Brisanz, müssten auf europäischer Bühne in den Qualifikationsrunden - insbesondere in sensiblen Regionen wie dem Balkan und dem Kaukasus - diverse Partien abgesagt werden. Machen wir uns nichts vor. Ein Restrisiko gibt es immer. Bei jedem Spiel, bei jeder Fahrt im Auto, bei jeder nächtlichen U-Bahnfahrt durch Berlin, bei jeder Demonstration, bei jedem Gang in einen Gästeblock. Den Kopf in den Sand stecken, ist der falsche Weg. Einseitige Schuldzuweisungen ebenso.
Ergänzende Info: Eine Stellungnahme zu den Geschehnissen in Chemnitz stellte der „Fanszene Chemnitz e.V.“ am 29. August 2018 online. In dieser wird sich klar von jeder Art von Gewalt oder Extremismus distanziert. Zu lesen ist sie hier.
Fotos: Fokus Fischerwiese, Marco Bertram, Felix, Sachseninformer
Ligen
Benutzer-Kommentare
In Chemnitz war ein dermaßen asozialer Mob am Start, die Stimmung pogromartig und Menschen wurden gejagt sowie massenhaft Hitlergrüße gezeigt.
Was dies mit einem Trauermarsch zu tun hatte, erschließt sich mir nicht.
Aber vielleicht kann mir das ja jemand erklären, der sich als Verteter des Abendlandes sieht, haha. Welch respektloses Verhalten gegenüber der trauernden Famile, wirklich!
Es macht Sorge zu sehen, wie der Faschismus in Sachsen auf dem Vormarsch ist.
Die Fanszene in Chemnitz täte auch mal gut, sich von diesem Abschaum ganz klar zu distanzieren.
Hitlergrüße, Menschenjagd, das ist Faschismus pur.
Was kommt als nächstes? Eingeschlagene Fensterscheiben? 1933 gab es dies alles schonmal. Ich habe Sorge. Der BAK vermutlich auch. Wie gesagt, nicht ganz unverständlich.
Fakt 1: große scheisse beiderseits und leider zu oft und vermehrt in den letzten Wochen und Monaten
Fakt 2: es sind Verbrechen und Straftaten die der Staat und seine Organe aufklären und verurteilen wird.
Fakt 3: Marco ist weder rechts noch links, sondern ein Mensch der seine Zellen benutzt und auch es nach seinen wissen und gewissen und Möglichkeiten kommuniziert, ob das jedem passt sei mal dahin gestellt.
Fakt 4: Politik gehört nicht ins Stadion, auch keine politischen Bands ( Ahu!) , Extremismus, menschenverachtende Sachen, Taten und Aeusserungen auch nicht!
Fakt 5: auch der BAK sollte gerade in diesem Zusammenhang vorsichtig und bedacht vor gehen, außer ich möchte etwas bewusst bewirken und steuern...
Hoffentlich nehmen Sie das Angebot vom CFC an und alle Seiten bewahren einen kühlen Kopf!
Sportliche Grüße
Es wird vorallem der Aufmarsch von Montag relativiert. Über die tatsächlich massenhaft gezeigten Hitlergrüßen verliert der Autor kein Wort.
Auch das angeblich "bei jeder nächtlichen U-Bahnfahrt durch Berlin" Gefahr drohe ist ein merkwürdiger Satz. Warum Berlin? In München ist dies ähnlich (un)gefährlich. Aber egal.
Was viel wichtiger ist: Grundsätzlich scheint der Autor auch nich zu verstehen, was der Unterschied zwischen der Sorge des BAK und des Tötungsdeliktes in Chemnitz ist.
In Chemnitz zückten Kriminelle ein Messer, um als Sieger einen Streit, der offenbar entbrannt war aus noch ungeklärten Grünen, zu verlassen. Das Motiv hier war also der Stärkere zu sein und den Tod des Gegners in Kauf zunehmen. Kriminelle halt. Das Opfer wurde nicht getötet, weil es schwarz war (war das Opfer ja).
Was danach in Chemnitz abging, passierte aus anderen Beweggründen. Hier hat man eine politisch motivierte Machtdemonstration abgeliefert und alles, was nicht irgendwie deutsch ist, zum Gegner erklärt. Und da würde ein Verein wie der BAK nunmal eindeutig auch drunterfallen.
Alles in allem: Ich verstehe die Sorge des BAK vollkommen.