Sechs Jahre ist es inzwischen her, dass landesweit in den Fankurven die Protestaktionen gegen das geplante DFL-Papier flächendeckend durchgezogen wurden. 12 Minuten und 12 Sekunden wurde Ende 2012 zu Beginn der Partien geschwiegen. „12:12 Ohne Stimme - keine Stimmung“ lautete die damalige Aktion, an der sich die meisten deutschen Fanszenen beteiligt hatten. Inzwischen ist bereits viel Wasser den Rhein, die Elbe, die Isar, die Weser, die Warnow und die Spree entlanggeflossen. Es wurde viel diskutiert und auch von Seiten des DFB / der DFL einiges versprochen, doch letztendlich wurden die Schrauben weiterhin fester angezogen. In der Zwischenzeit hatte sich wieder so viel angestaut, dass bundesweit die aktiven Fans wieder an einem Strang ziehen und einen heißen Herbst einläuten. „DFB, DFL & Co. - Ihr werdet von uns hören!“ hieß es landesweit in zahlreichen Fanblöcken bei der ersten DFB-Pokalrunde. Nun wurde das Ganze noch ergänzt: „Ihr werdet von uns hören – oder auch nicht!“
Union Berlin vs. Holstein Kiel: 20 Minuten Stille, Fahrtaufnahme, Ekstase in letzten Minuten
20 Minuten Stille in den Fankurven. Kein Gesang, kein Support, keine Banner und keine Zaunfahnen. Mit Nachdruck soll DFB und DFL noch einmal gezeigt werden, was es bedeuten würde, nur noch einen komplett blutleeren Fußball in den Stadien zu haben. Und ja, auch manch einem auf den Sitztribünen soll mit Hilfe dieser Aktion klargemacht und vor Augen und Ohren geführt werden, wie es sich anfühlen könnte, wenn aktive Fanszenen eines Tages ausgestorben bzw. komplett ausgesperrt sind. Schließlich gibt es genügend Fußballfreunde, die allzu gern voreilig in sozialen Netzwerken über die eine oder andere Fanaktion motzen und drakonische Strafen fordern.
Eingerollte Stoffe und absolute Stille - diese gab es am gestrigen Abend auch im Stadion An der Alten Försterei beim Zweitligaduell 1. FC Union Berlin vs. Holstein Kiel. 20 Minuten Ruhe auf den Rängen. Zu vernehmen war nur leises Gemurmel, eher selten ein lautes Raunen. Auf der Waldseite gab es ein paar Spruchbänder zu sehen. „Wir fordern die Abschaffung englischer Wochen!“ lautete eine der Botschaften. Zudem gab es noch eine andere Botschaft: „5 Jahre hinter Dynamo versteckt, jetzt plötzlich Eure Eier entdeckt? Hochmut kommt vor dem Fall.“ Da das „Eure“ in Blau gehalten wurde, dürfte dies vermutlich eine Botschaft in Richtung Hertha sein.
Ein akustisches Feuerwerk gab es dann ab der 21. Minute. Feuer frei, was den Support anging - und das in beiden Fanblöcken. Auch der Gästeblock war trotz der langen Anreise unter der Woche beachtlich gefüllt. Richtig laut wurde es, als im zweiten Spielabschnitt das ohrenbetäubende „Eisern! - Union!“ und der Wechselgesang beider Fanlager „Scheiß DFB!“ ertönten. Unter dem Strich ein gelungener Beweis dafür, wie beide Möglichkeiten sich anfühlen. Atmosphäre wie in einer Bibliothek oder Stimmung wie in einem Tollhaus. DFB - Sie haben die Wahl!
Auf dem Rasen hatten die Gäste aus Kiel in der ersten Halbzeit sichtbar Oberwasser. Lee prüfte Union-Keeper Gikiewicz nach etwas über einer Viertelstunde, Kinsombi nahm in der 39. Minute nicht gut genug Maß, und eine Minute später köpfte Meffert den Ball am Gehäuse vorbei. Nach der Pause legten die Eisernen ein Schippchen drauf, doch zunächst wollten keine Treffer herausspringen. Das Ganze wirkte ein wenig festgefahren, doch sollte sich dies mit der Einwechslung von Sebastian Polter in der 76. Minute ändern. Nach siebenmonatiger Verletzungspause stand Polter wieder auf dem Rasen und bekam von den Heimfans einen tosenden Applaus.
Seine Präsenz zeigte Wirkung. Mit ihm ist eine echte Waffe zurück. Kurz nach seiner Einwechslung machte er fast sogleich einen Treffer, doch sein großer Glücksmoment sollte an diesem Abend etwas später noch kommen. Die 90 Minuten waren rum und alle rechneten bereits mit einem torlosen Remis, als es richtig rund ging bei den Eisernen. Ein Foul im Strafraum, es wurde Vorteil gegeben, Grischa Prömel kam an den Ball und haute diesen unten rein. Da der Schuss noch leicht abgefälscht wurde, kam Holstein-Torwart Kronholm nicht mehr dran.1:0 für Union Berlin - die Alte Försterei wurde nun wirklich zu einem rot-weißen Tollhaus.
Und noch war nicht Schluss! Einer ging noch - und was für einer! In der 90.+4. Minute kam Sebastian Polter an das Spielgerät, und mit dem Rücken zum Kieler Tor brachte er per Fallrückzieher über den Torwart hinweg die Kugel zum 2:0 im Kasten unter. Rund 20.000 Unioner waren nun völlig außer Rand und Band, über manch eine Wange lief vor Freude und Rührung ein Tränchen. Dank der drei Punkte sind die Eisernen vorerst auf Rang zwei zu finden, gefolgt von der SG Dynamo Dresden, die gestern Abend in Bochum mit 1:0 gewinnen konnte.
Fotos: Felix