Meine Güte, ist das lange her! Vor fast einem Vierteljahrhundert war ich zum letzten Mal auf dem Ernst-Reuter-Sportfeld in Berlin-Zehlendorf. Es war der 26. Spieltag der Regionalliga-Saison 1994/95, als Hertha 03 Zehlendorf die Reinickendorfer Füchse empfing. Die pure Langeweile trieb mich damals nach Zehlendorf. Was im Geiste hängen blieb? Die Weitläufigkeit dieser Sportanlage und die Kiefern hinter dem einen Tor. Sie erinnerten mich so sehr an die hohen Kiefern im Garten meiner Eltern in Waldesruh vor den Toren Berlins. An das Spiel als solches kann ich mich wahrlich nicht erinnern. Die Füchse konnten überraschend deutlich die Partie mit 4:1 für sich entscheiden. Aber selbst das musste ich im Archiv nachschlagen.
Hertha Zehlendorf vs. Blau-Weiß 90 Berlin: Sieg mit Ansage! Blau-Weiß ist wieder da!
Über 23 Jahre später nun mein zweiter Besuch bei der kleinen Hertha. Nicht die Langeweile trieb mich zum Ernst-Reuter-Sportfeld, sondern unser größerer Sohn. „Komm Papa, ich will mal wieder Blau-Weiß 90 gucken!“ Die bislang gesehenen Spiele taten es ihm an. Daheim gegen Croatia Berlin, auswärts bei den Füchsen auf dem wahrlich charmanten Wacker-Platz, und vor allem zuletzt auswärts in Strausberg, Eine überschaubare Fanszene, aber immer etwas Support. Genau nach seinem Geschmack. Also ein Blick auf den Spielplan und die Entscheidung getroffen, das Auswärtsspiel der Blau-Weißen in Zehlendorf zu besuchen. Irgendwann muss ja mal der erste Treffer in der laufenden Oberliga-Saison fallen. Heute, ja heute ist es soweit. Ich kündigte bereits am Vormittag an, dass wir eine Portion Glück mitbringen würden.
Bei scheußlichem Wetter trafen wir auf der Sportanlage an der Onkel-Tom-Straße ein. Immerhin ist die Haupttribüne seit geraumer Zeit überdacht, demzufolge könnte das Ganze nicht allzu desaströs werden. Einen Mega-Lolli für den Nachwuchs, einen Becher Bier für den Papa - auf ging´s zum Ort des Geschehens. Pünktlich zum Einlaufen der Mannschaften riss der Himmel auf, der Regen hörte auf, die Sonne lugte zwischen den Wolken hervor, hinter der Haupttribüne rauschten die Kronen der Kiefern. Für einen Moment packte mich die Wehmut. Wieder musste ich an die Kiefern auf dem Grundstück in Waldesruh denken. Heute vor genau 28 Jahren fuhr ich abends mit meinem Vater zum Reichstag. In einer Kaufhalle besorgte ich zwei kleine Fläschchen Sekt, später trafen wir uns am S-Bahnhof Köpenick, und mit der S-Bahn düsten wir zur Friedrichstraße. Mit tausenden anderen wurden wir Zeuge, als nachts die große schwarz-rot-goldene Fahne hochgezogen wurde und zahlreiche Silvesterraketen in den Himmel stiegen. 28 Jahre! 28 Jahre ist dies bereits her.
Am Tag der Deutschen Einheit stand ich nun heute als Vater mit meinem Sohn auf der überdachten Tribüne und schaute voller Stolz, wie er sich selbstbewusst zwischen die anderen stellte. Ich bin sehr erfreut darüber, dass er den Amateurfußball so sehr zu schätzen weiß. Logisch würde er auch gern alle zwei Wochen zu Hansa ins Ostseestadion fahren, doch genügen ihm auch durchaus die kleineren Spiele hier in der Region. Mal auswärts die Hansa Amateure, mal zum Heimspiel von Tasmania, und ab und zu eine Partie der Sp.Vg. Blau-Weiß 90 Berlin.
„Heja Blau-Weiß, Heja Blau-Weiß!“, ertönte es beim Einlaufen der Mannschaften. Insgesamt hatten sich 208 zahlende Zuschauer auf den Rängen eingefunden, schätzungsweise 60 bis 70 drückten den Gästen aus Mariendorf die Daumen. „Oh oh oh, vorwärts Blau-Weiß 90 schieß ein Tor für uns!“, sangen die Fans zu Beginn der Partie. Sieben Spiele, noch kein einziger Treffer und nur ein mageres Pünktchen - irgendwann müsse ja der Knoten mal platzen. Und er platzte heute! Bereits in der vierten Spielminute erzielte Julian Austermann das 1:0 für Blau-Weiß 90, und oben auf den Rängen gab es kein Halten mehr! Eine Jubelorgie vom feinsten! „Hurra, hurra, Blau-Weiß ist wieder da!“, „Endlich Mann!“, „Pfeif ab!“
In der Folge entwickelte sich eine sehenswerte Partie. Endlich zeigte die Mannschaft von Blau-Weiß 90, welch ein Potential in ihr steckt. Es wurde gekämpft, es wurde sich voll reingehängt, immer wieder wurden hinten brenzlige Situation spielerisch geklärt. Kein sinnloses Rausschlagen des Balls, sondern Balleroberungen und sofortiges Umschalten nach vorn. Blau-Weiß 90 spielte überraschend souverän, und die Laune der angereisten Fans wurde immer besser. „Ohne Blau-Weiß wär hier gar nix los!“, „Hertha wir hören nix!“ Und einer meinte zum anderen hoch erfreut: „Haste jesehn, ja? Wir spielen Fußball!“
Auch in der zweiten Halbzeit zeigte die Mannschaft von Blau-Weiß 90 Berlin eine gute Leistung. Zum Ende hin konnte zwar der Sack in Form eines zweiten Treffers nicht vorzeitig zugemacht werden, doch heute blieb hinten der Kasten sauber. In Form eines etwas überraschenden 1:0-Auswärtssieges beim bis dato ungeschlagenen F.C. Hertha 03 Zehlendorf wurden die ersten drei Punkte eingefahren - und diese wurde nach Abpfiff gebührend gefeiert.
Fotos: Marco Bertram