Der Blick über den Tellerrand - die tägliche Recherche am Rechner. Was passierte in der Fußballwelt? Was ging in den vergangenen 24 Stunden interessantes online? Rackizack die Suche verfeinert, doch die meisten Ergebnisse lassen nur einen leisen Seufzer ertönen. Viel 0815 in den Weiten des Netzes, vor allem was die Suche nach interessanten aktuellen Videos betrifft. Doch dann! Ein Klick - ein Lächeln! Die ersten Klänge des untergelegten Liedes - abgefahren! Das ist einen Bericht wert! Ran an die Tasten, Freundchen. Mir völlig mumpe, wie vielen Lesern das interessieren wird, ich will da jetzt Näheres zu wissen!
Skurriler Fußball-Trailer: 2.023 Kilometer Abenteuer von Moskau nach Pilsen
Der Titel „Трейлер `2023 до Пльзени`“ (Trailer "2023 to Pilsen“) lässt erkennen, dass es sich um ein russisches Filmchen handelt. Zumal der Song ja auch eindeutig osteuropäisch (die Sprache versteht man erst beim zweiten Hinhören) daherkommt. Ein Blick in die Beschreibung lässt allerdings erstaunen. Unterlegt wurde der kurze Trailer mit dem Lied „Billy o Marujo Morto“ (Billy, der tote Seemann) des brasilianischen Künstlers Eldhrimnir aus Santa Isabel (Bundesstaat São Paulo). Weshalb dieser Song genommen wurde? Genauer gesagt handelt es sich bei „Eldhrimnir“ um eine Gruppe, und diese bezeichnet sich als „Banda de `Alcoholic Folk´ de Santa Isabel`“.
Bingo! Alkohol?! Das passt ja! Um diesen geht es im Trailer nämlich reichlich. Die „2023“ im Titel steht nicht für den Blick in die Zukunft, sondern für die Kilometerzahl von Moskau nach Pilsen. Am 19. September dieses Jahres trat im Rahmen der CL-Gruppenphase ZSKA Moskau beim FC Viktoria Plzen an, und ein paar junge Leute nahmen dieses Spiel zum Anlass, mal auf ganz klassischem abenteuerlichen Wege anzureisen. Mitglieder der ZSKA-Hooliganszene hatten beschlossen nach Pilsen zu reisen - und zwar in Nahverkehrszügen, auf Güterwaggons, in Bussen. Genächtigt wurde in Jugendherbergen und auf Bahnhöfen.
Zum Lied passend wurden ausgestopfte Jute-Säcke mit dem Aufdruck „Café do Brasil“ mitgenommen, die beim Pennen als Nachtlager dienten. Auf geht´s! Die Daumen hoch! Der Marsch zu einem russischen Nahverkehrszug, das Mitfahren in einem nach oben offenen, leeren Güterwaggon, das Trinken und Tanzen in einer U-Bahn, das Ausnüchtern in einer Ecke auf den Kaffeesäcken, der Tanz mit dem Sack auf einem dunklen Bahnsteig. Zwischendurch wird die Rückseite eines T-Shirts gezeigt, das von der Freundschaft zwischen Widzew Łódź und Ruch Chorzów zeugt. Bekanntlich pflegen die Anhänger von Widzew Łódź auch mit denen von ZSKA Moskau eine gute Beziehung.
Mit dem Zug geht es quer durch Polen, aus dem nach unten gezogenen Fenster wird auf die Landschaft geschaut. Auf Schienen sitzend wird etwas aus der Dose gefuttert, in einem tschechischen Zug wird dann schließlich ganz klassisch die Flasche Becherovka geknackt. Ein weiteres Aufspringen auf einen Güterzug und das Rangeln mit den Köpfen auf den Sitzen. Das Langlegen in einem Bus. Gerade einmal 59 Sekunden lang ist dieser Trailer, aber die rasch zusammengeschnittenen Bilder weckten in mir dermaßen viele Erinnerungen, dass ich diesen mir immer wieder anschauen musste.
Die eigenen erlebten schrägen Fahrten, als man selber noch 20 war. Trampen nach Frankreich und Belgien, schier endlose Zugfahrten mit dem Interrail-Ticket, das Pennen in Parkanlagen, in versifften Bahnhöfen und unter Gebäudevorsprüngen. Die erlebte Freiheit, der einen die Haare zerzausende Fahrtwind auf den Zugfahrten quer durch Polen und Russland. Einfach machen! Einfach losfahren und schauen, was als Nächstes kommt.
Die Macher des Trailers beschlossen, einen Film über die „Kilometer des Wahnsinns“ anzufertigen. Gezeigt werden soll der Lebensstil dieser Fans: Raserei, Abenteuer, Reisen und nochmals Abenteuer. Die 2.023 Kilometer nach Pilsen werden das erste Kapitel sein. Allerdings wird es keine Bilder vom eigentlichen Fußball geben, diese gibt es im Netz eh bereits inflationär. Vielmehr wird der Geist des Abenteurers gezeigt, der außerhalb der Stadiontore und abseits des kommerziellen Fußballgeschäftes herrscht. Und ja, die Macher des Filmes haben Witz und Humor. So wird zum Abschluss des russischen Beschreibungstextes gefragt: „Хотели бы так же?“ (Möchten Sie das Gleiche?) Meine Antwort lautet: Ja!
Fotos: Symbolfotos von Marco Bertram und Los Misenas