Bremsen, Anfahren, Bremsen, Anfahren. Warm verpackt saßen wir zu zweit in der U-Bahnlinie 6 und die Fahrt bis zu den Borsigwerken in Tegel zog sich wie Kaugummi. Dem Nachwuchs war schlichtweg zu warm in seiner „Verpackung“, mir indes grummelte der Magen. Ein langer bulgarischer Abend steckte in den Knochen. Verrückt, was man in Berlin alles erleben kann - wenn man denn dazu bereit ist und in die schrägsten Lokalitäten spaziert. Als wir schließlich mit der U6 die Borsigwerke erreicht hatten, hingen wir beide auf halb neun. Nein, heute mal kein Piwo! Ha, ha, ha! 15 Minuten hielt der Plan. Als der Blick über den aufgebauten Stand auf dem Platz am Borsigpark schweifte, kam der Appetit. Am Tag zuvor hatte ich ja noch gewitzelt, als Rafał ein Foto vom Bier-Einkauf postete. Das genügt niemals! Mehr Piwo muss es sein! Was in der Tat am gestrigen Nachmittag nicht genügte, war die Kiełbasa Śląska. Ach herrlich, schön auf dem Feuer gebrutzelt und dann rein damit!
FC Polonia Berlin vs. TeBe: Ein perfektes Fußballfest auf dem Platz am Borsigpark
In der zweiten Halbzeit war diese polnische Delikatesse nicht mehr verfügbar. Der Grund: Mit der guten Zuschauerresonanz hatten die Jungs vom FC Polonia Berlin nicht gerechnet. Den Verein gibt es erst seit 2012, von der Freizeitliga ging es hoch in die Kreisliga. Derzeit ist die erste Mannschaft des FC Polonia Berlin in der Kreisliga B (Staffel 2) auf Aufstiegskurs. Das Spitzenspiel wurde zuletzt gegen die SG Rotation Prenzlauer Berg II mal eben mit 3:0 gewonnen. Der Verein hat Ambitionen und viel Potential. In Sachen Außendarstellung kommt der FC Polonia Berlin bereits locker wie ein Verbandsligist daher. Die sozialen Medien werden genutzt, beim gestrigen Pokalspiel gegen Tennis Borussia Berlin war das Catering prima, an einem aufgebauten Stand gab es diverse Fanartikel zu kaufen. Schals, Wimpel und Schlüsselanhänger gingen weg wie die berühmten warmen Semmeln. Sieben Euro für einen Schal - das ist ein guter Preis. Witzigerweise wurden diese last-minute angefertigt. Beim vergangenen Pogoń-Abendspiel dachte sich Rafał, verdammt kalt inzwischen, wir brauchen wärmende Schals!
Apropos Pogoń Szczecin. Beim FC Polonia Berlin vereint sich friedlich, was sich sonst eher aus dem Wege gehen würde. Einige aus dem Verein gehen seit Jahren zum MKS Pogoń Szczecin. Zu sehen waren gestern aber auch Mützen von Bałtyk Gdynia und Lechia Gdańsk. Hinter einem großen weiß-roten Banner wurde mit zwei Trommeln gemeinsam supportet. Für einen Kreisligisten war das Ganze schon eine recht schmucke Nummer. Schließlich muss beim erst sechs Jahre alten Verein noch alles wachsen, und in Berlin wird sich das Ganze in der polnischen Gemeinde nach und nach noch rumsprechen. Eine feste eigene sportliche Heimat muss noch gefunden werden. Bis dahin wird auf dem Sportplatz Borsigpark gespielt.
Was sportlich am gestrigen Nachmittag zu erwarten war? Zwar haute der FC Polonia Berlin in den ersten beiden Pokalrunden einen Landesligisten und einen Vertreter aus der Kreisliga A raus, doch gegen ein Spitzenteam aus der NOFV-Oberliga Nord, das Ambitionen hat, in die Regionalliga Nordost aufzusteigen, dürfte es für einen Kreisligisten doch verdammt schwer werden. Guter körperlicher Einsatz und einen Heimtreffer durfte man durchaus erwarten, die Chance auf ein Weiterkommen lag indes bei zehnprozentiger Wahrscheinlichkeit. Wenn überhaupt.
Vor allem wollte sich der FC Polonia Berlin beim bis dato größten Spiel der noch jungen Vereinsgeschichte einem größeren Publikum vorstellen und gut verkaufen. Und dies ist bestens gelungen. Eine Fantrennung war nicht nötig, in der einen Kurve befestigten TeBe-Fans ein paar lila-weiße Banner. Jeder Gästefan wurde herzlich willkommen geheißen und zu einer Portion Bigos motiviert. Schon mal probiert? Ran an den Topf! Die meisten beließen es indes bei Wurst und Bier. Wer gar nichts polnisches konsumieren wollte, konnte sich am festen Imbiss der Sportanlage versorgen. An diesem gab es belegte Brötchen, Kaffee und ebenso Wurst und Bratwurst.
„Hej, FC Polonia! Klubie mój - miłość ma! Wygrałabyś ten mecz Polonio Berlinska!“ Hinter dem Banner und den Trommeln wurden A4-Zettel mit 14 Liedtexten und Schlachtrufen verteilt. Manchmal wurde ganz einfach ein lautes „Polska! Polska!“ angestimmt. Und auf dem Platz? Auf dem Kunstrasen konnte der FC Polonia bis zur 13. Minute den Kasten sauber halten. Bekai Jagne machte das 1:0 für TeBe, Jubel bei den Gästen, der Linienrichter hatte die Fahne gehoben, kurzer Jubel bei den Heimfans, doch am Ende wurde der Treffer gegeben. Nochmals eine Viertelstunde lang konnte der FC Polonia einen Gegentreffer verhindern. 0:1 nach 27 Minuten? Das war aller Ehren wert, denn schließlich spielt Polonia fünf Ligen tiefer als TeBe. Dann machten jedoch Lovis Steinpilz in der 27. Minute sowie Bekai Jagne in der 31. und 38. Minute drei weitere Treffer klar, und das Spiel war in sportlicher Hinsicht gelaufen.
In der 41. Minute erhöhte Kagan Yildirim auf 5:0 für Tennis Borussia Berlin, dann ging es für die Zuschauer wieder zum Bierstand. Das Piwo (und manch andere mitgebrachte Leckerei) schmeckte, die Stimmung wurde im zweiten Spielabschnitt gelöster. Einer zog sich aus Spaß eine weiß-rote Sturmhaube über, es wurde gelacht, geflachst und gesungen. Unser größerer (deutsch-polnischer) Sohn durfte an die eine Trommel, für ihn wurde es wahrlich zu einem unvergesslichen Nachmittag. Gleich beim ersten richtigen Spiel von FC Polonia Berlin (das Auswärtsspiel bei Kickers Hirschgarten II vor einem Jahr war nicht so der Knaller) wurde eine weitere Ecke im Herzen freigemacht. Neben Hansa und Blau-Weiß 90 nun auch noch der FC Polonia. Davon ganz abgesehen, konnte sich beim gestrigen Spiel die Kinderquote sehen lassen. Mit dem Baby in der Kombi auf dem Arm ließ einer die Fahne wehen. Andere Minis wuselten zwischen die Beine, andere hielten im Kinderwagen ein Nickerchen. Wenn das so weiter geht, geschieht bald was richtig Großes in den Farben Weiß und Rot.
Auf dem Platz kam der FC Polonia noch zu Möglichkeiten, doch der Ehrentreffer wollte nicht gelingen. Stattdessen spielte TeBe das Ganze routiniert runter und erzielte fünf weitere Treffer. Lucas Günes, Lucas Gurklys, Rifat Gelici und Thiago Rockenbach da Silva erzielten diese. Das 0:10 fiel in der 90. Minute. In jenem Moment wurden bereits bei den Heimfans die Vorbereitungen getroffen. Nach Abpfiff wurden außerhalb der Sportanlage, praktischerweise verläuft der Weg direkt am Zaun, ein paar rote Fackeln angerissen. Die Mannschaft wurde lautstark gefeiert, wenig später gab es zur Erinnerung noch ein gemeinsames Gruppenbild.
Bei ein paar weiteren Bier wurde der Nachmittag ausklingen gelassen. Der DJ ließ noch ein bisschen Musik ertönen, die Dämmerung brach ein, die Lichter der Stadt gingen an, der Fanartikelstand wurde abgebaut, sichtlich erleichtert zeigte sich Rafał, der beim Verein die Zügel an der Hand hält. „Und war es gut?“ - „Es war wunderbar!“ Das Ganze sollte als Testspiel im kommenden Frühjahr gern wiederholt werden. Man möchte gar nicht wissen, wie erst einmal gefeiert wird, wenn die Witterung mild ist und auch abends noch mal nen Schwung Kiełbasa Śląska aufs Feuer gehauen wird.
Anmerkung: Ein Video vom gestrigen Spiel gibt es von uns auf youtube.
Fotos: Marco Bertram
Ligen
Benutzer-Kommentare
Da will man doch gleich mal hin allein auf Grund des kulinarischen Angebots :-)